Fembio Specials Europäische Jüdinnen Margherita Sarfatti
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Margherita Sarfatti
geboren am 8. April 1880 in Venedig
gestorben am 29./30. Oktober 1961 in Cavallasca/Como
italienische Kunstkritikerin, Schriftstellerin, Mäzenin, Wegbereiterin des Faschismus, langjährige Beraterin und Geliebte Mussolinis
60. Todestag am 29./30. Oktober 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Margherita Sarfatti ist hochintelligent, eitel, kunstbesessen, will mehr als man den Frauen ihrer Zeit zugesteht. Keine brave, unterhaltsame Person, sondern Kämpferin, die mitgestaltet, schreibt, eine ganze Nation verändern will. Den Sinn für Farbe und Form schärft sie sich in ihrer Geburtsstadt Venedig. Dort nennt man sie respektvoll die Rote Jungfrau. „Frauen an die Wahlurne!“, „Kunst für alle!“ – so lauten ihre Forderungen in der sozialistischen Wochenzeitung Venedigs. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Cesare Sarfatti kämpft sie für ein neues, „glorreiches“ Italien. Mit ihm zieht sie 1902 nach Mailand. Hier lernt sie Anna Kuliscioff und Angelica Balabanoff, die großen Damen des italienischen Sozialismus, kennen. Sie avanciert zur Förderin der Futuristen, zur ersten bedeutenden Kunstkritikerin Italiens. Marinetti, Bontempelli, Toscanini – alles, was Rang und Namen hat, trifft sich in ihrem Salon.
Der Chefredakteur des sozialistischen Avanti!, ein aufbrausender Rebell mit ausgebeulten Hosen und rollenden Augen, wird von ihr besonders geschätzt. Es ist Benito Mussolini. Sein Ungestüm, seine Kompromisslosigkeit, das Sanfte und Unsichere hinter seinem aggressiven Gebaren wecken ihre Neugier und Sympathie. Mit ihm gründet sie 1913 Utopia, die Zeitschrift des revolutionären Sozialismus. Der zukünftige Duce macht ihr den Hof. Eine Liebelei wie viele andere. Später, nach den bitteren Erfahrungen des 1. Weltkrieges, wandelt sie sich in eine alles überbietende Leidenschaft.
Margherita Sarfatti sieht in Mussolini den Retter der Nation. Das Programm der neu gegründeten faschistischen Bewegung sieht neben Acht-Stunden-Tag und Verstaatlichung der Rüstungsindustrie auch das Frauenwahlrecht vor. Dass für diese Ideale mit dem Manganello geprügelt und gemordet wird, nimmt sie in Kauf. Sie ist es, die Mussolini an einflußreiche Intellektuelle und Industrielle vermittelt, ihm Bücher zu lesen gibt, ihm bessere Manieren beibringt. In unzähligen Artikeln verhilft sie dem Faschismus zu breiter Akzeptanz und hohem Ansehen, auch im Ausland. Der Marsch auf Rom wird von ihr mit initiiert und finanziert. Fast zeitgleich gelingt es ihr, den Novecento Italiano zu gründen, eine Gruppe von auserwählten Malern, Sarfattis Hoffnungsträger einer italienischen Moderne.
Als Mussolini 1922 Ministerpräsident wird, steht Sarfatti ihm als treue Beraterin zur Seite. 1925 veröffentlicht sie Dux, die Biografie des Duce - ein Bestseller, der in 19 Sprachen übersetzt wird und Mussolini zum Nimbus eines Stars verhilft. Ihre größte Bedeutung liegt jedoch in ihren kunsttheoretischen Schriften und in der Unermüdlichkeit, mit der sie besonders junge, noch unbekannte Maler unterstützt und bekannt macht. Als Kritikerin, Mäzenin und Mitglied verschiedener Kommissionen fördert sie Künstler wie Umberto Boccioni, Achille Funi oder Mario Sironi, die sie mehrmals porträtieren.
Alma Mahler-Werfel nennt sie die „ungekrönte Königin Italiens“, Franklin D. Roosevelt empfängt sie im Weißen Haus. Ihr Einfluss scheint unermesslich – bis Mussolini sie nicht mehr braucht und ihrer überdrüssig wird. Vergeblich versucht sie eine Allianz zwischen Italien und Deutschland zu verhindern. Der Grauton ihrer Haare, ihre Fältchen, ihr Machtanspruch, ihr Judentum – äußerst unerfreulich. 1938, nach Einführung der Rassengesetze in Italien, muß Margherita Sarfatti nach Südamerika fliehen. Neun Jahre später kehrt sie in ihre Heimat zurück, wo die Faschistin der ersten Stunde bis zu ihrem Tod geschmäht und gemieden wird.
Zitate
Der Duce hat mir viel zu verdanken! Ich habe ihn zu dem gemacht, was er wurde.
Er wollte mich mit dem Ausspruch empören: Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht! Und ich antwortete ihm unbeeindruckt, daß Nietzsche ebenfalls gesagt habe: Die Macht der schönen Frauen wird dadurch gestärkt, daß sie sich ihrer physischen Perfektion bewußt sind.
(Margherita Sarfatti über Benito Mussolini)
Ich hab nie verstanden, wie sie es im Faschismus ausgehalten hat. Wie konnte sie überleben, mit dieser Offenheit, dieser Toleranz?
(Ippolita Gaetani über ihre Großmutter Margherita Sarfatti)
Links
Uta Ruscher über Margherita Sarfatti
Literatur & Quellen
Cannistraro, Philip & Brian R. Sullivan. 1993. Il Duce´s other woman. New York 1993
Urso, Simona. 2003. Margherita Sarfatti: Dal mito del Dux al mito americano. Venezia.
Wieland, Karin. 2004. Die Geliebte des Duce. München
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