Fembio Specials Berühmte Frauen, die über 100 Jahre alt wurden Margarete Schnellecke
Fembio Special: Berühmte Frauen, die über 100 Jahre alt wurden
Margarete Schnellecke
(geb. Köster)
geboren am 9. März 1905 in Gütersloh
gestorben am 20. Dezember 2005 in Wolfsburg
Hausfrau und Mutter, Sozialpädagogin, Wohlfahrtspflegerin, 44 Jahre Leiterin des Speditionsunternehmens Schnellecke
15. Todestag am 20. Dezember 2020
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Margarete Schnellecke kam 1905 als Jüngste von fünf Geschwistern - vier Mädchen und ein Junge - in Gütersloh zur Welt. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Schulleiter. Die Wertmaßstäbe der Eltern prägten die Kinder. Margarete Schnellecke ist überzeugt, dass sich die diesen Maßstäben entsprechenden Haltungen in ihrem eigenen Leben später bewährt und ihr geholfen haben. Die Eltern lehrten sie Gerechtigkeit. Sie selbst hätte gelernt, sich einzufügen und – was sehr wichtig war – sie hätten als Lehrerkinder immer Vorbild sein müssen.
Margarete ging gern zur Schule. Am liebsten hätte sie die Schule bis zum Abitur besucht und Philologie studiert, aber das war bei fünf Kindern finanziell nicht möglich.
Nach dem Mittelschulabschluss machte sie eine Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin an den Fachschulen für Wohlfahrtspflege in Bielefeld und Gelsenkirchen und eine Krankenpflege-Ausbildung mit Abschlussexamen. Am Ende war sie graduierte Wohlfahrtspflegerin und arbeitete in der Gesundheits- und Jugendfürsorge in Westfalen. Später schloss sich ein Ausbildungsgang für Pädagogik an.
1938 heiratete Margarete Schnellecke einen Braunschweiger, der sich als Transportunternehmer für die Reichsbahn in der neuen Stadt des KdF-Wagens selbständig machte. Sein Unternehmen trug den Namen “Spedition Albert Schnellecke”. Als sie und ihr Mann 1938 in die neu zu errichtende Stadt zogen, wohnten sie zuerst in einem möblierten Zimmer auf einem Bauernhof. Ein Schuppen diente zum Abstellen der Fuhrwerke. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde der Fuhrpark bis auf die Pferde und landwirtschaftlichen Fuhrwerke eingezogen.
Nachdem sich die Familie in der Stadt des KdF-Wagens einigermaßen etabliert hatte, konnte sie in eine Vier-Zimmer-Wohnung in die Innenstadt ziehen, die fünfzig Jahre lang das Domizil der Schnelleckes sein sollte.
Margarete Schnellecke gebar zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Ihr Mann wurde in Kriegszeiten für die Firma freigestellt, jedoch zu Flakdiensten herangezogen. Er starb 1949 an den Folgen dieser Tätigkeit. Die beiden Kinder waren zu diesem Zeitpunkt erst vier und sechs Jahre alt.
Nach dem Tod des Mannes übernahm Margarete Schnellecke selbst die Geschäfte ihrer Firma, obwohl ihr das Speditionswesen von der Sache wie von der Ausbildung her fremd war. Sie gab sich aber die größte Mühe, so dass ihr die Bundesbahn das Vertrauen aussprach und den Wunsch nach weiterer Zusammenarbeit äußerte.
Die auf dem jetzigen Bahnhofsgelände errichteten Gebäude waren 1944 durch Bomben und 1945 durch Plünderungen unbrauchbar geworden. “Nach dem Zusammenbruch wurden mir nicht beheizbare Güterschuppen als Lager- und Abfertigungsräume zur Verfügung gestellt. Hier musste ich bei jedem Wetter arbeiten. Ich machte alle Büroarbeiten allein”, erklärt die alte Dame. Als erste Fahrzeuge erwarb die Firma ein Dreirad-Tempo-Gefährt und einen Drei-Tonnen-Lastwagen, der mit Holzgas betrieben wurde. Zwei Fahrer wurden eingestellt.
Im Geschäft hatte Frau Schnellecke nur mit Männern zu tun, musste sich durchsetzen und die ihr wesensfremde Arbeit zu ihrer Sache machen. All das war äußerst schwer.
Die Auftragseingänge nahmen zu. Das per Bahn angelieferte Frachtgut wurde von ihr übernommen, auf die Lagerschuppen verteilt und stadtteilweise abgefahren. Mit dem Beginn der Bautätigkeit in Wolfsburg, Anfang der fünfziger Jahre, wuchs das Auftragsvolumen und damit auch das Möbeltransportgeschäft. Neue Stadtteile entstanden. Befestigte Strassen wurden in jenen Jahren erst angelegt, wenn die Häuser fertig waren. Wie oft geschah es, dass ihre Lastwagen im Sand, Kies oder Schlamm versanken! Das Geschäft erweiterte sich, als der Sohn nach dem Abitur die Güterfernverkehrsprüfung ablegte. Davor waren ihr nur Güternahverkehrsgeschäfte erlaubt.
In den sechziger Jahren baute die Familie ein eigenes Büro mit Lagerräumen. Frau Schnellecke erzählt:
Ich muss tatsächlich verborgene Talente entwickelt haben; die Männer respektierten mich als “Chefin”, obwohl ich mich in vielem überhaupt nicht auskannte. Sie halfen mir in den technischen Dingen. Auch auf den Tagungen des Speditionsverbandes war ich immer die einzige Frau. Natürlich hatte ich auch Not mit den Arbeitskräften. So viel wie Volkswagen konnten wir nicht zahlen. Und dann machte mir die Verantwortung für die vielen Menschen und ihre Familien, die durch mich ihr Geld verdienten, zu schaffen. Oft wachte ich nachts auf von diesem drückenden Gefühl der Verantwortlichkeit. Wir Selbständigen müssen immer eine Nasenlänge voraus sein und können uns auf dem einmal Erreichten nicht ausruhen. Bis vor fünf Jahren ließ ich mich immer noch zwei Stunden im Betrieb sehen. Heute möchte ich nicht so vermessen sein und behaupten, ich sei “stolz” auf das Erreichte. Dankbar ja, dankbar bin ich für die Kraft und die Stärke und das Durchhaltevermögen, die mir gegeben wurden. Es ist tatsächlich oft eine Gratwanderung gewesen, vor allem in den fünfziger Jahren. Unser Hauptauftraggeber war und ist immer noch die Volkswagen AG. Mit dem Auf und Ab von VW ging es auch unserem Betrieb wechselnd besser und schlechter. Ja, ich möchte sagen, es war fast immer schwierig. Hatten wir ein Problem gelöst, wartete schon das nächste auf eine Lösung.
Margarete Schnelleckes Leben verlief hektisch und angestrengt, sie musste auf vieles verzichten. Sie 'managte' alles allein und wartete im übrigen darauf, dass ihr Sohn, der von Kindesbeinen an geholfen hatte, alt genug wurde, um ihr Arbeit abzunehmen.
Sie erinnert sich noch, über Jahre mittags nach Hause geeilt zu sein, um mit dem Sohn zu essen. “Meine Tochter wuchs nach dem Tode meines Mannes in Gütersloh bei meiner Schwester auf. Meinen Sie, das war leicht für eine Mutter?” Sie besuchte dort die Schule und lebt heute als ehemalige Pädagogin im früheren Elternhaus.
Ihren ersten Urlaub nahm Margarete Schnellecke, als der Sohn alt genug war, den Betrieb während ihrer Abwesenheit allein zu führen. Für ein ausgedehntes Privatleben blieb neben Kindererziehung und Berufstätigkeit wenig Zeit. Am geselligen Leben in Wolfsburg hat Margarete Schnellecke nur wenig teilgenommen. Alle 'früheren' oder 'alten' Wolfsburgerinnen und Wolfsburger kannten sich jedoch persönlich recht gut und erlebten Hilfsbereitschaft und Zusammenstehen in Notzeiten, was verband und gut tat.
Bücher waren ihre Freunde. Von der ersten Stunde an bis heute besitzt sie ein Theaterabonnement, und eine zeitlang sang sie im Chor der St. Annen-Gemeinde.
Emotional habe ich zugunsten der Firma große Opfer gebracht. Es fiel mir zum Beispiel schwer, den ganzen Tag außer Haus im Betrieb zu sein. Mein Leben war sehr hart, aber heute freue ich mich, dass sich mein Durchhalten in jeder Hinsicht ausgezahlt hat. Wenn man mich 'Unternehmerin' nennt, muss ich lächeln, weil ich mich als solche nicht sehe. Und ohne die Hilfe und Fürsorge meines Sohnes hätte ich das alles niemals geschafft. Wie ein Wunder kommt mir das alles vor. Ich bin aber eine mutige und neugierige Frau und wünsche mir deshalb, das Jahr 2000 noch erleben zu dürfen.
Frau Schnellecke lebt heute in der Großfamilie. Sie wird umsorgt und ist nicht allein. Sie nimmt sowohl am Leben ihrer Kinder und Enkelkinder als auch am Weltgeschehen Anteil. Ihr besonderes Interesse gilt weiterhin ihrem Lebenswerk, der heute international tätigen Unternehmensgruppe Schnellecke. “Mein sehnlichster Wunsch für die Zukunft ist, dass meine Enkel den Betrieb in der dritten Generation weiterführen”.
(Für FemBio bearbeitet von Luise F. Pusch)
Verfasserin: Hannelore Künne
Literatur & Quellen
(aus: Frauen in Wolfsburg – EinBlick in ihre Geschichte, 1998. Hrsg. Stadt Wolfsburg, Frauenbüro. ISBN 3-87327-031-5.
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