Fembio Specials Frauenbeziehungen Margaret Anderson
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Margaret Anderson
geboren am 24. November 1886 in Indianapolis, Indiana
gestorben am 19. Oktober 1973 in Cannes
US-amerikanische Schriftstellerin; Gründerin und Herausgeberin der Little Review
50. Todestag am 19. Oktober 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Für die männliche Literaturgeschichtsschreibung ist Margaret Anderson jene exaltierte Amerikanerin, die es als erste wagte, Auszüge aus Joyces Ulysses abzudrucken. Für diese verlegerische Großtat der Jahre 1918 bis 1921 wurde ihr kleines Unternehmen, das ohnehin meist am Rande des Konkurses laborierte, zunächst hart bestraft. Vier Nummern der von Anderson im Jahre 1914 gegründeten Literaturzeitschrift Little Review wurden konfisziert und verbrannt. 1920 machte man Anderson den Prozeß wegen Verbreitung obszöner Schriften und verurteilte sie 1921 zu einer Geldstrafe. Ihre historische Leistung - so die männliche Literaturgeschichtsschreibung weiter - ist aber eigentlich nicht einmal ihr zuzuschreiben, sondern ihrem Auslands–Mitarbeiter Ezra Pound. Er nämlich habe der bis dahin chaotisch geführten kleinen Literaturzeitschrift Profil und Richtung gegeben und die vielversprechendsten AutorInnen Europas - allen voran Joyce mit seinem Hauptwerk - sowie die wichtigsten der in Paris lebenden amerikanischen “Expatriates” als BeiträgerInnen gewinnen können.
Aus weiblicher und feministischer Sicht sieht die Sache allerdings anders aus. Anderson hatte die Zeitschrift gegründet, um Menschen mit Ideen anzusprechen, nicht um anderen ihre eigenen Ideen aufzuzwingen. Shari Benstock bringt es auf den Punkt:
Während andere Zeitschriften der frühen Moderne die literarische Revolution proklamierten, war ihre Zeitschrift ein Bekenntnis zur Anarchie.
Und im übrigen war Margaret Anderson vernarrt in die geniale Konversation ihrer Geliebten Jane Heap. Wie sie im ersten Band My Thirty Years’ War (1932) ihrer dreibändigen Autobiographie erklärt, war Jane Heap das Beste, was ihrer Zeitschrift je passierte, und wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie mit Jane Heap als einziger Beiträgerin zufrieden gewesen. Ein wichtiger Zweck ihrer Zeitschrift war es, der originellen, geistreichen Konversation Janes ein Forum zu geben. Jane Heap war bekannt und berüchtigt dafür, in ihrem Denken völlig unabhängig zu sein. In der Tat fällte sie sehr eigenwillige Urteile. Brahms, so meinte sie etwa, war eine Lesbe, und der Literat Robert McAlmon ein Epileptiker ohne den gehörigen Mumm, richtige Anfälle zu bekommen. Wie es der Zufall wollte – Margaret Anderson gefiel der Ulysses, Jane Heap gefiel er fast noch mehr (sie hat sich zeitlebens für Joyce eingesetzt trotz aller Anfeindungen, die ihr dies einbrachte). Und deshalb druckten sie ihn und nahmen die Konsequenzen auf sich.
Die beiden hatten sich in Chicago kennengelernt und gingen 1922 gemeinsam nach Paris. Ihre Liebesbeziehung war da bereits beendet, denn Margaret Anderson hatte kurz zuvor ihre große Liebe Georgette Leblanc kennengelernt, eine französische Sängerin, die lange mit dem Schriftsteller Maeterlinck zusammengelebt hatte, bis der sie wegen einer Jüngeren verließ. Margaret überließ Jane – wie zum Trost – die Leitung der Little Review und lebte mit Georgette bis zu deren Tod im Jahre 1941 in einer in jeder Hinsicht harmonischen und gegenseitig befruchtenden Beziehung.
1942 kehrte Anderson in die Staaten zurück; ihre nächste Lebensgefährtin wurde Dorothy Caruso, die Witwe des Tenors Enrico Caruso. Nach Dorothys Tod 1955 ging Margaret Anderson wieder nach Frankreich und arbeitete weiter an ihren autobiographischen Werken. Ihre Lebensbilanz:
Ich finde, das Leben war gut zu mir. Sogar die Verluste durch den Tod wurden zu Verwandlungen.
Margaret Anderson starb 1973 im Alter von fast 87 Jahren und wurde in Cannes neben Georgette Leblanc begraben.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
Den ganzen Tag war ich merkwürdig deprimiert. In der Nacht wachte ich auf. Erster präziser Gedanke: Ich weiß, warum ich deprimiert bin - es läuft nichts Inspiriertes. Zweitens: Ich verlange, daß das Leben jederzeit inspiriert sei. Drittens: Die einzige Weise, dies zu garantieren, ist inspirierte Konversation in jedem Moment. Viertens: Die meisten Menschen schaffen es nicht einmal bis zur Konversation: Sie haben nicht die Ausdauer, und sie haben keine Zeit. Fünftens: Wenn ich eine Zeitschrift hätte, könnte ich meine Zeit mit der besten Konversation zubringen, die die Welt zu bieten hat. Sechstens: Wundervolle Idee - Erlösung. Siebtens: Entschluß, es zu machen. Tiefer Schlaf. (Margaret Anderson, My Thirty Years’ War)
[Sie war] so unglaublich schön, so vital, und so absurd… (Eunice Tietjens, amerikanische Dichterin)
We insisted upon living beautifully. (Margaret Anderson)
Organized inspiration would be the dominant force in her career. (Janet Flanner)
“hysteric” (Gertrude Stein), “wild” (FreundInnen in Indianapolis, ihrer Geburtsstadt)
Links
Literatur & Quellen
Anderson, Margaret. 1970 [1930]. My Thirty Years' War. New York. Horizon.
Anderson, Margaret. 1970 [1951]. The Fiery Fountains. New York. Horizon.
Anderson, Margaret. 1970 [1969]. The Strange Necessity. New York. Horizon.
Anderson, Margaret. 1997 [1996]. Was ich immer schon erzählen wollte [=Forbidden Fires]. Hg. von Mathilda M. Hills. Aus dem amerikan. Engl. von Gerlinde Kowitzke und Hilke Schlaeger. München. Frauenoffensive.
Benstock, Shari. 1986. Women of the Left Bank, Paris, 1900-1940. Austin, TX. Univ. of Texas Press.
Ford, Hugh. 1987. Four Lives in Paris. San Francisco. North Point.
Hanscombe, Gillian & Virginia L. Smyers. 1988. Writing For Their Lives: The Modernist Women 1910-1940. Boston. Northeastern Univ. Press.
Notable American Women: The Modern Period. 1980. Hg. Barbara Sicherman, Carol Hurd Green, Irene Kantrov & Harriet Walker. Cambridge, MA; London. The Belknap Press of Harvard UP. +
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