Fembio Specials Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche Lotte B. Prechner
Fembio Special: Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche
Lotte Prechner
(Bertha Stein [Geburtsname]; Lotte Bertha Prechner)
geboren am 1. Juni 1877 in Ueckermünde
gestorben am 10. Oktober 1967 in Portici/Italien
deutsche Malerin, Graphikerin, Bildhauerin und Autorin
50. Todestag am 10. Oktober 2017
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
1938 floh Lotte B. Prechner, eine talentierte, während der Weimarer Republik erfolgverwöhnte Künstlerin, wegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis nach Belgien. Hier glückte ihr anfangs, was den meisten Zwangsemigrierten versagt blieb: Von lobender Presse begleitet, durfte sie ihr expressives, stilistisch vielseitiges Werk alsbald in großem Rahmen ausstellen. Und nur ein Jahr später kaufte sogar das Kupferstichkabinett der Brüsseler Bibliothèque Royale Albert 1er einen Großteil ihrer Graphiken an.
Nach diesem kurzen, glanzvollen Intermezzo geriet sie jedoch allerorts in Vergessenheit: Nahezu drei Jahrzehnte verstrichen, bis die erste Prechner-Monographie in Deutschland erschien. Der Dreh- und Angelpunkt des abrupten Karriereendes, die Shoah, fand darin aufschlussreicherweise mit keinem Wort Erwähnung. – Und das, obwohl Prechner zu den Ausnahmepersönlichkeiten zählte, die nach 1945 den Mut aufbrachten, ihre leidvolle Zeit als Verfolgte der NS-Diktatur öffentlich zu thematisieren.
»gelernte Anhängerin des Impressionismus«: Ausbildung und Frühwerk
Lotte B. Prechner wurde in weitläufiger Landschaft, an der vorpommerschen Ostseeküste geboren, wuchs aber im großstädtisch-wilhelminisch geprägten Berlin auf. Ihre Eltern Herrmann und Cäcilie Stein (geb. Donig) besaßen eine Zigarrenfabrik und waren nach Prechners Schilderung »sozial empfindend aus tiefster Seele« (Prechner 1954).
Angesichts des bis 1919 gültigen Akademieverbots für Frauen wählte Prechner einen für eine zielstrebige Malerin ihrer Tage klassischen Ausbildungsweg: Sie besuchte die sog. Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins, um von dort nach Paris zu gehen. Die Stadt an der Seine galt damals nicht bloß als Schmelztiegel der europäischen Moderne. Zeitgleich war sie zur Hauptstadt der Künstlerinnen avanciert, da sich Frauen hier ganz offiziell an den Privatakademien einschreiben durften.
Lotte B. Prechner belegte Kurse an den beiden begehrtesten Institutionen: An der Académie Julian, die seit den ihrerzeit vielgelesenen Tagebuchveröffentlichungen Marie Bashkirtseffs (1858/60-1884) unzählige Künstlerinnen anlockte und an der Académie Colarossi, die – im Gegensatz zu den meisten Mitstreiterinnen – aus der desolaten Künstlerinnen-Ausbildungssituation kein Kapital schlug und als erste Schule gemischtgeschlechtliche Kurse mit einheitlichen Gebühren für alle TeilnehmerInnen einführte.
Das Wissen um Prechners künstlerische Aktivitäten während der ersten Jahre ist lückenhaft. Spätestens seit ihrer über Italien angetretenen Rückkehr nach Deutschland, wo sie mutmaßlich ab 1907 die Kunstgewerbeschulen in Düsseldorf und Köln besuchte, trat sie offenbar primär als »gelernte ›Anhängerin des Impressionismus‹« (Doede 1966, S. 11) in Erscheinung: Neben einigen u.a. vom Jugendstil beeinflussten (Selbst-)Portraits brachte sie mit dicken Pinselstrichen v.a. Stadt- und Landschaftsimpressionen auf die Leinwand, die an die niederländische und französische Moderne des späten 19. Jahrhunderts erinnerten.
»einzige von der obersten Heeresleitung vorgelassene ... Kriegsmalerin«: 1900-1918
Zwischen 1916 und 1918 betrat Prechner frauenatypisches Terrain: Obschon sich von dieser Tätigkeit keine Originaldokumente erhalten haben, war sie damals nach Aussage des Kunsthistorikers und späteren Lebensgefährten Walter Bombe (1873-1946) in Belgien als vermeintlich »einzige von der obersten Heeresleitung vorgelassene… Kriegsmalerin« (vgl. Bombe 1921; Nachdruck in: Prechner 1998, S. 138-139) aktiv.
Daneben sind aus ihrem Leben vor 1918 kaum Details überliefert. Augenscheinlich führte sie mit Ehemann Herrmann Prechner (?-1945), einem Zahnarzt, eine vergleichsweise liberale Ehe: Nicht nur, dass Hermann Prechner bereit war, in den 1920er Jahren die gemeinsame Wohnung am Kölner Hansaring 72 mit dem Geliebten seiner Frau, Walter Bombe, zu teilen (aus dieser Beziehung ging ein aufschlussreicher, seit dem Einsturz des Kölner Historischen Stadtarchivs 2009 leider verschollener Briefwechsel hervor). Zugleich unterstützte Hermann Prechner die künstlerischen Aktivitäten seiner Frau: Die gemeinsame Tochter Paula Inge (*10. April 1901) wurde häufig bei einer Pflegefamilie untergebracht und so konnten sich, für die damalige Zeit ungewöhnlich, beide EhepartnerInnen ungestört ihrem Berufsleben hingeben.
»eine breite, flotte, durchaus männliche Zeichentechnik«: Künstlerischer Durchbruch
Wenngleich Prechner relativ spät, mit 39 Jahren, begann, sich mit ihren Werken an größeren Ausstellungen zu beteiligen, erntete sie rasch positive Kritik: Als Zeugnisse »überlegenen künstlerischen Geschmackes« markierte der Bonner Stadtanzeiger (1918, auszugsweiser Nachdruck in: Doede 1966, S. 8) ihre frühen, abermals Stadt- und Landschaftsdarstellungen gewidmeten Graphiken; Prechner verfüge über »eine breite, flotte und durchaus männliche Zeichentechnik«. Letztgenannte Zuschreibung kam einem Ausnahmelob gleich, da Frauen bekanntlich bis tief ins 20. Jahrhundert hinein vielerorts als Unkünstlerinnen qua Geburt diskreditiert wurden. Auch die Düsseldorfer Nachrichten würdigten Prechners »ganz treffliche Zeichnungen« (1918, zit. n. Prechner 1998, S. 17). Das Blatt war überzeugt, dass die »Sicherheit in der Heraushebung des Wesentlichen, die Breite und Bestimmtheit des Striches ... auf ein nicht gewöhnliches Talent« deuteten.
Lotte B. Prechners schneller Erfolg, der bald Werksankäufe für Museen und Sammlungen nach sich zog, ist bemerkenswert, da im konservativ dominierten Rheinland die Ausstellungsmöglichkeiten für Künstlerinnen, insbesondere für moderne, erheblich begrenzter waren als in ihrer Herkunftsstadt Berlin. Nicht umsonst erwog die umtriebige Malerin wiederholt eine Rückkehr an die Spree und machte aus ihrer chronisch wiederkehrenden Köln-Verdrossenheit vereinzelt kein Geheimnis: Als ein enger Bekannter, der belgische Maler Frans Masareel (1889-1972), mit seiner Köln-Ausstellung zu wenige BesucherInnen anlockte, tröstete sie ihn: Köln sei schlicht »amusisch« (1930, zit. n. Rheinische Expressionistinnen 1993, S. 129), hier lebten »vollgefressene Menschen, deren einziges Interesse dem Karneval« gelte.
Prechner engagierte sich von Anbeginn gegen die schwierigen Vor-Ort-Bedingungen. Beständig knüpfte sie neue Netzwerke, tüftelte an innovativen Selbstvermarktungsstrategien und trat mehreren KünstlerInnenverbänden bei (u.a. Rheinische Sezession, Junges Rheinland, Verein der Künstlerinnen zu Berlin, Reichsverband der bildenden Künstler Deutschlands, Deutscher Verein für Frauenfortschritt in Prag/Malerinnensektor, Pommerscher Künstlerbund). Außerdem zählte sie zu den KünstlerInnen, die die vielbeschworene Düsseldorfer Moderne-Förderin Johanna Ey umgaben. In diesen Reihen traf Prechner mutmaßlich auch erstmals auf Otto Dix, der 1924 ein vielzitiertes Portrait von ihr fertigte, das sie schätzte. Nebenher arbeitete die Malerin als Autorin und verfasste Gedichte sowie Beiträge für Rundfunk und Printmedien.
»Enterbte des Lebens«: Soziale Randständigkeit als Leitmotiv der Zwischenkriegsphase
Um 1918 war in Prechners Œuvre ein markanter Bruch zu verzeichnen: Seither konzentrierte sie sich zunehmend auf die, wie sie es nannte, »Enterbte(n) des Lebens« (Prechner 1954): Sozial Randständige, emotional Gebrochene, Hungernde, Kriegsversehrte und Ausgebeutete. Meistens per Zeichnung oder Radierung, zuweilen auch per Plastik und – in expressionistisch verklärter Wiederentdeckung mittelalterlicher Techniken – auch per Holz- und Linolschnitt, gab sie den Exkludierten ihrer Tage ein Gesicht. Dabei entwickelte sie eine ganz eigene, formal reduzierte Sprache, die ausdrucksstark war und trotzdem auf jede effekthascherische, voyeuristische oder gar politisch-ideologisch verbrämte Geste verzichtete.
Prechner sorgte mit ihren eindrucksvollen, manchmal aus komplett geschwärztem Grund entwickelten Figuren, ihren schroff gesetzten Linien und harten Hell-Dunkel-Kontrasten, kurzum, ihrer »eigenartige(n) Schwarz-Weiß-Technik, die zum Verzicht auf Wiedergabe von Nebensächlichem zwingt« (Walter Bombe 1921, Nachdruck in: Prechner 1998, S. 138/193) bald reichsweit für Aufsehen: Ausstellungen in Karlsruhe, München, Nürnberg und Weimar folgten.
Als Graphikerin und Bildhauerin mit einschneidendem Faible für sozialkritische Themen wurde Prechner von Anbeginn, fast ermüdend oft, mit der zehn Jahre älteren Käthe Kollwitz (1867-1945) verglichen. Initial rückten beide Künstlerinnen das Schattenseitige jedoch aus unterschiedlichen Beweggründen ins Zentrum: Prechner sah sich dazu nach eigenem Bekunden wegen der vielen entsetzlichen Szenen, die sie als sog. Kriegsmalerin zu verherrlichen hatte, veranlasst.
Nach 1918 war sie damit in bester Gesellschaft: Traumatisiert von den Schrecken des Ersten Weltkrieges, wandten sich zahllose WeggefährtInnen gegen die tradierte, an den Kunstakademien gelehrte Schönfärberei sozialer Missstände. Speziell im Rheinland machten u.a. die sog. »Kölner Progressiven« um Marta Hegemann, Angelika Hoerle, Gerd Arntz, Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert mit ihren Bilderwelten auf Hunger, Not, Streik und Flucht aufmerksam. Käthe Kollwitz dagegen wandte sich der Thematik rund 20 Jahre früher, d.h. unter anderen politischen Vorzeichen zu. Obendrein gab sie vor, dabei – zunächst – weniger von Mitgefühl als vielmehr von der im 19. Jahrhundert vielgepriesenen sog. »Ästhetik des Hässlichen« geleitet worden zu sein, die sie u.a. im ›Le laid, c’est le beau‹-Denken Victor Hugos bewunderte (vgl. Winterberg 2015, Anm. 184).
Die »Enterbte(n) des Lebens« beschäftigten Prechner so sehr, dass sie ihnen dutzende Graphiken und Plastiken widmete und ihre Figurengruppe »Streik« mit großer Freude an die Gewerkschaft verkaufte. Parallel machte die Künstlerin die Öffentlichkeit auf soziale Missstände in mehreren Artikeln aufmerksam, die sie u.a. im »Feuerreiter«, einem ArbeiterInnen-Blatt der katholischen Kirche, publizierte.
Ihr Biograph Werner Doede sprach ihr trotzdem jedes politische Motiv ab: Ihre Hinwendung zum tagespolitischen Geschehen sei »kein reflektierter« Vorgang gewesen, schlussfolgerte er (Doede 1966, S. 12). Auch sei sie »niemals zu weltanschaulich oder politisch verfärbter Ideologie verhärtet« (ebd.). Diese Zuordnung scheint nicht allein der Jahrhunderte alten, antifeministischen Praxis verpflichtet, Künstlerinnen, bzw. Frauen rundweg, als primär gefühlsgesteuerte Wesen abzutun. Zugleich war seine, aus heutiger Sicht befremdliche Fehldeutung mutmaßlich dem damaligen sog. Kalten Krieg geschuldet: Doedes Entintellektualisierungs-Versuch schien Prechner vor jedem Vorwurf der ideologischen Nähe zum sog. »Sozialistischen Realismus« Osteuropas zu schützen.
»dass es eine Beendigung des Studiums der Malerei kaum gibt«: Stilistische Vielfalt
Prechners Experimentierfreude ließ sie zwischen Malerei, Graphik und – der ihrerseits besonders geschätzten, mit 18 Arbeiten jedoch leider nur bruchstückhaft erhaltenen – Bildhauerei driften. Daneben begab sie sich nur ungern in stilistische Sackgassen: Allen MalerInnen müsse klar sein, lautete ihr künstlerisches Credo, dass es zeitlebens »eine Beendigung des Studiums der Malerei kaum gibt« (Prechner, Malversuche. 1928, zit. n. Prechner 1998, S. 134). Stets nach neuen Wegen suchend, begab sie sich daher u.a. 1926/27 nochmals für mehrere Monate an die Pariser Académie Colarossi.
Prechners künstlerische Ruhelosigkeit wurde ihr nach 1945 latent zum Nachteil: Sie habe keinen eigenen Duktus hervorgebracht, hieß es mitunter, sie sei »heterogen, qualitativ schwankend, suchend« (Prechner 1998, S. 10). In den späten 1920er Jahren dagegen machte sie ausgerechnet mit einem erneuten, diesmal von der »Neuen Sachlichkeit« determinierten Richtungswandel von sich reden. So lösten u.a. zwei, bis in die Gegenwart vielgelobte Ölgemälde auf der »Großen Berliner Kunstausstellung 1929« beim renommierten Kunstkritiker Max Osborn, dem »Querschnitt« sowie der französischen »Révue Moderne« Beifall aus: Das hochpolitische, ein Europa der Intoleranz und der Diktaturen prognostizierende Werk »Epoche/Époque« (1928) sowie »Jazz/Jazztänzerin« (1929), das eine selbstbewusst swingende Musikerin mit Zylinder, Herrenanzug und Bubikopf zum Besten gab. Bei »Jazz/Jazztänzerin« verarbeitete Prechner den Topos der vermeintlich »Neuen Frau« der 1920er Jahre und prägte damit einen harten Kontrast zu ihren vielen Mutter-Kind-Darstellungen, die einem althergebrachten, vielfach oktroyierten Künstlerinnen-Genre folgten. »Die Malerin von heute fasst ihr Modell anders auf als die Kollegin früherer Epochen, sie malt es nicht nur auf Pose, sondern mitten aus dem Leben heraus« (1929, zit. n. Muysers 1991, S. 196/197), war im Katalogvorwort der Berliner Ausstellung »Die Frau von heute« (1929) zu lesen. Ebendort präsentierte Prechner »Jazz/Jazztänzerin« – als wolle sie ihrem früheren Œuvre damit ein Stück weit trotzen.
»Da rissen mehrere Jahre der Verzweiflung mich völlig nieder«: Brüssel
1938, fünf Jahre nachdem NS-Deutschland Prechner ein Arbeits- und Ausstellungsverbot erteilte und ihre Bilder aus den Museen und Sammlungen entfernen ließ, entkam die damals knapp 61-Jährige samt Familie nach Brüssel. Zu dieser Zeit stand längst nicht mehr die Kunst, sondern der nackte Kampf ums Überleben im Vordergrund: »Mehrere Jahre der Verzweiflung« hätten sie seit 1933 völlig niedergerissen, gestand Prechner 77-jährig (zit. n. Prechner 1954).
Erst als FreundInnen sie in Brüssel zu einer Ausstellung überredeten, sei ihr die Genugtuung widerfahren, dass ihre Arbeiten »auch hier zu den Herzen der anderen sprachen«. Die belgische Kritik schwärmte u.a., Prechners Graphik erziele »mit einem Minimum an Mitteln ein Maximum an Wirkung« (Delevoy 1938, Nachdruck in: Prechner 1998, S. 143). Und auch das bildhauerische Werk »dieser hochbegabten Frau« (de Marchi 1938, Nachdruck in: Prechner 1998, S. 144) begeisterte. Ihre Wandlungsfähigkeit wurde gepriesen und »das Kennzeichen jener höheren moralischen Ordnung« konstatiert, das »eingebildete Menschen aus der Fassung bringt und denen gefällt, die gerne denken« (ebd.).
Obwohl nur ein Jahr später, 1939 das Brüsseler Kupferstichkabinett der Bibliothèque Royale Albert 1er (heute: Bibliothèque royale de Belgique) viele Prechnersche Graphiken ankaufte, geriet die Künstlerin seit 1940, seit dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, in Vergessenheit. Auf welchem Wege es ihr, im Gegensatz zu vielen KollegInnen wie Felka Platek (1899-1944) oder Felix Nussbaum (1904-1944), glückte, einer Internierung bzw. Deportation zu entkommen, ist bis heute unzureichend geklärt.
»Weil ich von einer jüdischen Mutter abstamme«: Nachkriegsrezeption
Lotte B. Prechner zählt zu den wenigen Shoah-Überlebenden, die nach 1945 die Kraft aufbrachten, ihre Nöte während der NS-Diktatur öffentlich zu thematisieren, obwohl damals viele Deutsche den Genozid lieber totschwiegen oder mit Schuldprojektionen auf die Opfer ahndeten. Seit 1933 habe sie »alles verloren, Mann, Heimat, Existenz, Freunde, Familie, mein Heim, den Rhein, die Berge und all das, was ich dort geliebt. Und warum? Weil ich von einer jüdischen Mutter abstamme« (Prechner 1954), schrieb sie 1954 in der Zeitschrift »Gleichheit«, um den Finger anschließend noch tiefer in die Wunde zu legen: Die ersten Wiedergutmachungsversuche, betonte sie, hätten sie »all meine Trauer, all mein Leid« keineswegs vergessen lassen. Bestenfalls hätten sie ihr den »Mut zu neuem Schaffen in dem Gedanken, wieder zugehörig zur Heimat zu sein« gegeben.
Letztgenannter Wunsch war ideell zu verstehen, denn eine Remigration kam für sie nicht in Betracht. Nachdem ihr Mann wenige Tage vor Kriegsende an Krebs verstarb, blieb sie zunächst in Brüssel. Neun Jahre später bezog sie gemeinsam mit ihrer Tochter und deren italienischem Ehemann einen Zweitwohnsitz in Portici bei Neapel, wo sie erneut als Malerin aktiv wurde. Abstrahierte Landschaften in Öl standen nun im Mittelpunkt. Sozialkritische Themen, heißt es in der Forschung, habe sie seit 1933, seit sie selbst zur Unerwünschten deklariert worden war, rundweg gemieden.
»Lotte B. Prechner bleibt wortkarg, wenn sie sich der Jahre erinnert, die dem Zwang zur Emigration vorangehen« (Doede 1966, S. 26), behauptete Werner Doede. Mit seiner, auf den Angaben der Künstlerin fußenden Biographie, deren Übersetzung ins Französische ausgerechnet ein glühender NS-Kollaborateur, der Maler Marc Eemans (vgl. Prechner 1998, S. 128) übernahm, erwies sich Doede, 1945-55 Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Düsseldorf, als klassischer Nachkriegs-Kunsthistoriker. Den eigentlichen Grund ihres »Zwang(s) zur Emigration«, die Shoah, verschwieg er. Ebenso den Nationalsozialismus und Prechners jüdische Abstammung. Ob tatsächlich die damals 89-jährige Prechner – sie starb ein Jahr nach Erscheinen der Monographie – die NS-Zeit plötzlich vergessen wollte, oder vielmehr ihr Monograph, bleibt weiterer Forschung überlassen.
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
1936. Ende bis 1954. Eine lange Zeit, in der man einen Künstler vergessen kann, wenn die Zeitverhältnisse es fordern, und noch dazu, wenn sie verlangen, ihn zu verachten und völlig aus dem Gedächtnis zu streichen, wenn ... er nicht rein arisch ist. So wie ich es bin! (...) Nun beginnt auch Deutschland sich wieder meiner zu erinnern. ... Das lässt mich nicht all meine Trauer, all mein Leid vergessen, doch es gibt Mut zu neuem Schaffen in dem Gedanken, wieder zugehörig zur Heimat zu sein. (Lotte B. Prechner: Schmerzvolle Erinnerung. 1954)
Sie (= Lotte B. Prechner, A.B.) trägt das Kennzeichen jener höheren moralischen Ordnung, die Eindringlinge isoliert, eingebildete Menschen aus der Fassung bringt und denen gefällt, die gerne denken. (Mario de Marchi, 1938, zit. n. Prechner 1998, S. 144)
Diese Kunst ... erreicht die Intelligenz über die Argumentation, erschließt der Analyse ihre wirkliche Identität und verwirrt bisweilen durch ihre absolute Aufrichtigkeit (ebd.)
Unerschrocken durch die Höhen und Niederungen menschlichen Lebens wandelnd, gestaltet die Künstlerin ferner Stoffe, wie die ›Bedrückten, Leid, Einsam‹. Man spreche hier nicht von Armeleutekunst; es ist das Zutiefst-Menschliche, dem sich diese Kunst zuwendet, und manchmal hat man das Gefühl, jenen Regionen nahe zu kommen, wo die Parzen das große Lebensbild weben. (Walter Bombe 1921, Nachdruck in: Prechner 1998, S. 139f.)
Links
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Literatur & Quellen
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