Fembio Specials Exilantinnen (1933-1945) Lili Hahn
Fembio Special: Exilantinnen (1933-1945)
Lili Hahn
(Lili Hahn, geb. Scholz)
geboren am 10. April 1914 in Frankfurt/Main.
gestorben am 15. August 1993 in Silver Spring, Maryland, USA
deutsche Journalistin und Tagebuchschreiberin; Nazi-Verfolgte
110. Geburtstag am 10. April 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen • • •
Biografie
Lilis Vater war Dr. Bernhard Scholz, angesehener Arzt mit Verdiensten in der Tuberkuloseforschung; über ihre Mutter wissen wir nur, dass sie der Herkunft nach Jüdin, aber dem Glauben nach glühende Christin war. Lili Hahn ging in Frankfurt zur Schule und studierte dann Musiktheorie und Musikgeschichte. Kurz vor der Machtergreifung Hitlers begann sie ihre kulturjournalistische Laufbahn bei einer kleinen Frankfurter Lokalzeitung, der Frankfurter Post, ging aber auch bei der angesehenen Frankfurter Zeitung ein und aus.
Am 11. März 1936 wurde sie “aufgrund ihrer Verurteilung durch das Sondergericht im Zusammenhang mit der Nichterfüllung ihres Ariernachweises mit sofortiger Wirkung aus der Berufsliste gestrichen”, musste ihren Presseausweis abgeben und hatte von da an bis zum Ende der Nazizeit Berufsverbot. Sie arbeitete dann bis Kriegsende als medizinische Laborantin und Sekretärin.
In ihrem Tagebuch notiert sie Veränderungen, Ereignisse, Erfahrungen, Gespräche. Sie beschreibt, was sie erlebt, dabei entsteht mosaikartig ein dichtes Zeitgemälde des Dritten Reiches. Lilis Vater klammert sich wie viele Deutsche an die Hoffnung, dass unbescholtenen Bürgern nichts Böses droht. Lilis Mutter hält sich als Katholikin für immun gegen die Judenverfolgung. Lili aber sieht das Unheil kommen, denn mehr und mehr ihrer Freunde werden kaltgestellt, inhaftiert, deportiert. Dann stehen die Zeichen auf Krieg, und die Repressalien nehmen weiter zu.
Das Tagebuch erzählt von realen Personen der Zeitgeschichte wie Pfarrer Perabo von St. Gallus und Hugo Kolberg (Furtwänglers Konzertmeister), wobei Lili Hahn wohl vor der Veröffentlichung manche Namen geändert hat.
Nach Kriegsende wanderte Lili Hahn in die USA aus, mit einem Ehemann, dessen echter Name nicht überliefert ist. Dort erschien ihr Tagebuch 1974 erstmals unter dem Titel White Flags of Surrender, es ist seit langem vergriffen. Anscheinend hielt sie noch einige Jahre an US-Universitäten Vorträge zum Thema Nazideutschland, aber ihre Spur verliert sich. Über ihr späteres Leben scheint nichts bekannt.
In der früheren deutschen Ausgabe der Tagebuchblätter (Literarischer Verlag Anna Braun, Köln 1979) steht noch: “Nach dem Krieg wanderte sie mit ihrem Mann nach Amerika aus, wo beide zusammen eine Art Studio betrieben. Lili Hahn hielt Vorträge an namhaften Universitäten über das Dritte Reich und seine politischen Aspekte. Mit der Veröffentlichung ihrer Tagebücher widmete sie sich wieder ganz dem Schreiben und vollendete kürzlich zwei weitere Titel: Nothing New on the Road between Babylon and Washington und The Yellow Dot”. Von beiden Titeln findet sich keine Spur mehr.
(Text von 2014)
Verfasserin: Else Laudan
Zitate
4. Juli 1936 Ich saß vor meinem Schreibtisch und sah mir einige Zeitungsausschnitte an, die ich mir unter den Briefbeschwerer gelegt hatte. Es handelte sich um Berichte und Notizen, die mich besonders interessierten. Der Ausspruch des Preußischen Innenministers Dr. Frick tat es mir an: »Nachdem durch die Bestimmung der Hakenkreuzflagge zur alleinigen Reichs- und Nationalflagge die Einheit und Geschlossenheit des deutschen Volkes ihren sinnfälligen Ausdruck gefunden hat, muss erwartet werden, dass auch von Privatpersonen bei feierlichen Anlässen ausschließlich die Hakenkreuzfahne gezeigt wird« etc. etc.
Einer aus dem Gefängnis übriggebliebenen Angewohnheit folgend, stand ich auf und fing an, eine Acht durchs Zimmer zu laufen. Meine Gedanken befassten sich zuerst mit der verhassten Fahne. Wie viele Deutsche würden nun überhaupt nichts mehr heraushängen und damit sofort als Gegner des Systems auffallen? Dieser Fahnenkult hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Geßlerhut. So wie die Schweizer einem leeren Hut Ehrerbietung erweisen mussten, so fordert man nun von den Deutschen, ein Stück Stoff mit Ehrfurcht zu grüßen. – Meine Acht fiel etwas schief aus, da ich um den Tisch gehen musste. Unbewusst blieb ich einen Moment stehen. War da nicht, erinnerte ich mich vage, vor einiger Zeit eine Notiz in der F.Z., wonach im Amtsgericht Brühl drei Frauen zu einer Geldstrafe von zehn Mark verurteilt wurden, weil sie in einem geschlossenen Zug eine HJ-Fahne nicht gegrüßt hatten? Was ist es nur, das so viele Menschen veranlasst, einem Gegenstand mit solchem Gefühlsaufwand zu huldigen – sei es nun ein alter Hut oder ein Stofffetzen? Vielleicht ist es ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, ein primitiver Kult, als Symbole übernatürliche Kräfte verkörperten und blinde Anbetung erzwangen. Nun erleben wir die Wiederauferstehung der blinden Anbetung. Im Grunde hat Hitler daher recht, wenn er uns Intellektuelle hasst, gegen die es nur eine Waffe gibt – die Unschädlichmachung. Denn solange wir leben und atmen, werden wir diesen Hass erwidern … jedoch das Schlimmste ist, dass wir uns obendrein noch lustig machen – eine Todsünde, wenn es sich um eine hohe Persönlichkeit der Regierung handelt, eine Sünde, die der Gotteslästerung nahe kommt.
(Lili Hahn)
Literatur & Quellen
Hahn, Lili (2007): Bis alles in Scherben fällt. Tagebuchblätter 1933 - 45. Hamburg. Argument-Verl. (Literaturbibliothek) ISBN 9783886194674.
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