Fembio Specials Philosophinnen Laura Bassi
Fembio Special: Philosophinnen
Laura Bassi
(Laura Maria Caterina Bassi; Laura Bassi Veratti [Ehename])
geboren am 29. Oktober 1711 in Bologna
gestorben am 20. Februar 1778 in Bologna
italienische Universitätsprofessorin für Experimentalphysik und Philosophie
245. Todestag am 20. Februar 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Laura Bassi ist das einzige überlebende Kind ihrer Eltern. Schon früh lernt sie lesen und schreiben, studiert jedes Buch, das ihr in die Hände fällt. Ein Vetter unterrichtet sie in Latein und Französisch. Ihre Begabung wird vorerst geheim gehalten, vermutlich wegen des Aufruhrs um die Rechtswissenschaftlerin Maria Dosi, der trotz erfolgreicher Disputation der Doktortitel verweigert wird.
Die Disputation, das wissenschaftliche Streitgespräch, hat in Bologna eine lange Tradition. Ein einzigartiges Spektakel, das während der Karnevalszeit im anatomischen Theater zelebriert wird, unumgänglich für die Erlangung akademischer Grade. Auch Frauen, als Pantalone oder Arlecchino verkleidet, schauen dabei zu. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts werden einige wenige von ihnen in die Akademie aufgenommen. Laura Bassi ist die erste.
Zwölf Jahre zählt sie, als sie den Hausarzt, Professor für Philosophie und Medizin, mit zwei fehlerfreien Texten in Französisch und Latein verblüfft, Therapieanweisungen für die Mutter, die sie gebeten wurde zu notieren. Er unterrichtet sie in den folgenden Jahren in Metaphysik, Naturphilosophie und Logik, lehrt sie die Kunst der Disputation. Die Eltern sind sich einig, dass das erworbene Wissen nicht nur der inneren Erbauung, sondern auch der öffentlichen Anerkennung ihrer Tochter dienen soll. Bassis erste private Disputation muss wegen einer Augenkrankheit und einer schweren Darminfektion verschoben werden.
Frühjahr 1732 ist es dann soweit. Einige ausgewählte Gelehrte werden ins Haus der Familie Bassi geladen – und sind dermaßen überwältigt, dass die junge Philosophin wenig später als Ehrenmitglied in die Bologneser Akademie aufgenommen wird. Eine Entscheidung, die nicht ohne Folgen bleibt, nur wenige Monate darauf wird ein Aufnahmestopp für Frauen verfügt.
Dem Triumph Laura Bassis schadet dies nicht. Mai 1732 zieht sie in einem Prunkwagen, begleitet von achtzehn Kutschen, zum Rathaus, wo sie im Saal der Ältesten vor Senat, Erzbischof und Gelehrten ihre Thesen verteidigt. Die Themen reichen von den vier aristotelischen Ursachen bis hin zur Optik. Mit den Geistlichen streitet sie über Metaphysik und Moralphilosophie, mit den Akademiemitgliedern über die Bewegung von Flüssigkeiten. Ihre Argumentationen werden vom Beifall der Zuhörer unterbrochen. Solches Wissen, solche Kunst der Rhetorik, fordert das Publikum, verdient die Doktorwürde. Pelzumhang, Ring und Silberreif, die Insignien der Promovierten, werden ihr nur einen Monat später verliehen. Auch eine Gedenkmünze wird ihr zu Ehren geprägt.
Im Juni 1732 hält Bassi ihre dritte öffentliche Disputation, in der sie sich mit naturphilosophischen Betrachtungen über das Wasser habilitiert. Ihre Fürsprecher setzen sich für einen Lehrstuhl an der Universität ein, auch wenn sie das erforderliche Mindestalter noch nicht erreicht hat. Fünfhundert Lire Jahresgehalt bekommt die erste Universitätsprofessorin Europas. Ihr Glück könnte beinahe vollkommen sein, gäbe es nicht einen Haken: Wegen ihres Geschlechts darf Bassi nur auf Geheiß der Obrigkeit öffentliche Vorlesungen halten.
Immerhin, eine Antrittsvorlesung wird ihr genehmigt. Bassis Thema: die Notwendigkeit der Mäßigung eines jeden, der sich mit Philosophie befasst. Bassi ist sich bewusst, dass sie ihren ehrwürdigen Kollegen wenigstens ein Stückchen entgegenkommen muss. Sie verweist auf die Unzulänglichkeiten ihres Geschlechts, spricht aber auch von der Eitelkeit der Philosophen und führt die Idee, die Welt allein mittels philosophischer Systeme erklären zu wollen, ad absurdum. In einem leidenschaftlichen Plädoyer bekennt sie sich zur Erkenntnistheorie John Lockes. Der Mensch möge sich auf seine Sinne verlassen und die Körperwelt erforschen, ohne die Offenbarungsreligion in Frage zu stellen.
In den kommenden Jahren wird Bassi nur selten an der Universität Vorträge halten. Sie hat genug andere Möglichkeiten: bei Empfängen oder Abendgesellschaften, im anatomischen Theater, stets bekleidet mit dem Pelzumhang ihrer Promotion. Zwar wird ihr »Vorlesungsverbot« 1739 aufgehoben, doch Bassi hat längst eine andere Lösung gefunden. Sie referiert bei sich zu Hause, ihre Privatvorlesungen werden gern besucht, inzwischen hat sie auch Höhere Mathematik bei Gabriele Manfredi studiert, einem der bedeutendsten italienischen Mathematiker ihrer Zeit. Als Senatssekretär setzt dieser sich mehrfach für sie ein, genauso wie Giovanni Bianchi, Mediziner und Naturwissenschaftler, dem »Männer und Frauen, Große und Kleine, Griechen und Barbaren gleich sind«, wenn sie nur mit Vernunft reden. Letzterer verhilft ihr auch zu einer Lizenz für die Libri proibiti, die von der kirchlichen Zensur verbotenen Bücher.
Laura Bassi wendet sich jetzt vor allem den Naturwissenschaften zu: Mechanik, Hydrodynamik, Pneumatik, Optik und Elektrizität sind ihre Spezialgebiete. Nach dem Tod ihres Vaters wagt sie einen Spagat zwischen Wahrung der Etikette und Fortsetzung ihrer Studien ohne männliche Begleitung. Als Ehegatten wählt sie sich 1738 einen jungen mittellosen Mediziner, Giuseppe Verati. Beide haben sich bei einer Reihe von Experimenten näher kennen gelernt, respektieren und schätzen sich, eine damals ungewöhnliche Verbindung gleichberechtigter PartnerInnen. Acht Kinder gehen aus dieser Ehe hervor, fünf davon überleben. Der Jüngste wird bei seinem Vater Medizin und bei seiner Mutter Physik studieren.
Niemals würde eine Bassi über die angeblichen häuslichen Pflichten ihre wissenschaftliche Arbeit vernachlässigen. Dank eines kleinen Vermögens kann sie sich nicht nur genügend Personal, sondern auch das für ihre Experimente erforderliche Material leisten und sich als eine der angesehensten ExperimentalphysikerInnen Italiens profilieren. Viele Wissenschaftler tauschen sich mit ihr aus, bitten um Unterstützung und Förderung. Die Dichterin Madame du Boccage besucht ihre Vorführungen, Voltaire wendet sich extra an sie, um in die Akademie aufgenommen zu werden.
Dank einer Reform gilt die Bologneser Akademie seit 1745 als eine hoch angesehene Institution. Die physikalische Abteilung ist eine der bestausgestatteten Europas. Zu verdanken ist dieser Segen Papst Benedikt XIV., dem an einer Allianz zwischen Glaube und Wissenschaft liegt. Als gebürtiger Bologneser sorgt er dafür, dass Laura Bassi in den Kreis der sogenannten Benedettini aufgenommen wird, einer Elitegruppe der Akademie mit festem Jahresgehalt. Für Bassi ein großer Erfolg, auch wenn sie sich darauf beschränken muss, ihre Vorträge im Anschluss an die Kollegen zu halten, sozusagen als Anhängsel. An der Wahl neuer Akademiemitglieder darf sie nicht teilnehmen. Zwar wehrt sie sich dagegen, doch ohne Ergebnis.
Um so intensiver widmet sie sich ihren Forschungen. Mit Hilfe der Geometrie und des Infinitesimalkalküls weist sie nach, dass der Schwerpunkt zweier gleichförmig bewegter Massen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten sich ebenfalls gleichförmig bewegt. Daneben interessieren sie Probleme der Hydromechanik. Rein rechnerisch entwickelt sie ein Verfahren, mit dem die Hydrauliker die optimale Größe und Position von Rohröffnungen unter Wasser ermitteln können.
Am meisten jedoch interessiert sie das Thema Luft. Mit ihren Experimenten weist sie nach, dass die Elastizität der Luft von Temperatur und Zusammensetzung abhängt. Ihre Versuche über Luftbläschen erregen großes Aufsehen. Warum, fragt sie sich, sammeln sich die Bläschen ausgerechnet an Grenzflächen, dort, wo Materialien unterschiedlicher Dichte zusammentreffen? Bassi vermengt Weingeist mit Olivenöl, Wasser mit Quecksilber, Salpetersäure mit Weinsteinöl. Die auf die Luftbläschen wirkende Anziehungskraft, schlussfolgert sie, verweist auf Parallelen zum Licht und zur Elektrizität. Sie und Verati haben jahrelang über Elektrizität geforscht. Ihr Mann erhofft sich davon neue therapeutische Anwendungen. Kopfschmerz, Arthritis, Rheuma, tränende Augen, sogar Herpesinfektionen versucht er damit zu behandeln. Dank seiner Initiative wird 1752 auf dem Dach der Bologneser Akademie der erste Blitzableiter der Welt installiert, muss aber wegen der Proteste der Bevölkerung kurz darauf wieder demontiert werden. Bassi lässt sich davon nicht beeindrucken. Außerhalb von Bologna, in ihrem Landhaus, hat sie ein Observatorium eingerichtet, wo sie und Verati in Ruhe experimentieren können. Ihr Ruhm reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. Was sie auszeichnet und von ihren Kollegen unterscheidet, ist ihre profunde Kenntnis der Höheren Mathematik und die Anwendung sowohl rein mathematischer als auch experimenteller Methoden.
Als 1772 die Physikprofessur am Bologneser Institut frei wird, denkt zunächst niemand an Laura Bassi, obwohl sie sich von allen am meisten auf diesem Gebiet profiliert hat. Jahrelang kämpft sie um die Stelle. Dass sie 1776 doch noch berufen wird, verdankt sie ihrer Hartnäckigkeit, dem Wohlwollen einiger Kollegen und der Loyalität ihres Mannes, der auf die Professur verzichtet und sich mit der Stellvertreterrolle zufrieden gibt.
Nur zwei Jahre nach ihrer Ernennung stirbt Laura Bassi sechsundsechzigjährig an Herzversagen. Einige Frauen bemühen sich nach der Beisetzung, eine Büste von ihr im Bologneser Institut aufzustellen. Ihre finanziellen Mittel, wird in einem Protokoll der Akademie vermerkt, seien nur unzureichend. Ob die Büste jemals angefertigt wurde, ist nicht bekannt.
(Text von 2011)
Verfasserin: Uta Ruscher
Zitate
Schließlich haben meine häuslichen Umstände mich dazu gebracht, meine Meinung zu ändern und mich an diese Entscheidung [der Eheschließung] zu klammern, bezüglich derer ich in höchstem Maße froh bin, in Ihnen einen so besonnenen Gutachter gefunden zu haben wie Sie es sind, da Sie nicht dazu fähig sind, sie quasi als totale Absage an jene Studien zu bewerten, zu deren Ausübung ich verpflichtet bin und von denen ich behaupte, dass ich sie auf diesem Wege mit mehr Freiheit ruhig verfolgen kann. Deswegen habe ich eine Person ausgesucht, die dieselbe Straße der Gelehrsamkeit wandelt, und von der ich aus langer Erfahrung wusste, dass sie mich nicht davon abbringen würde.
(Laura Bassi an Giovanni Bianchi)
Ich weiß, dass ich nicht unter den Nominierten [der Benedettini] bin, und ich bin froh darüber, da meine Ernennung das Ausschließen von einem jener hätte kosten müssen, die dort [an der Akademie] arbeiten und die so viel mehr als ich eine solche Ehre verdienen. Aber dennoch läge es im Willen Seiner Heiligkeit, mich in jene Reihe aufzunehmen, […] als eine sopra numero. […] seit Jahren finde ich mich wegen der Machenschaften einiger weniger in Umständen, die in gleicher Weise meinem Nutzen und meinem Ansehen schädlich sind.
(Laura Bassi an Flaminio Scarselli, Sekretär des Bologneser Botschafters am Vatikan)
Was mich betrifft, scheint mir, dass die rechtmäßige Bedeutung dieses sopra numero die sei, dass mein Platz nicht wieder besetzt wird und sonst nichts. Und da man mir in der Akademie der Philosophen […] das Wahlrecht und die anderen allgemeinen Privilegien zugestanden hat, und ebenso im Kolleg bei den Promotionen, sehe ich nichts, welches mich von dem ausschließt, was dieser neuen Gruppe der Accademici Benedettini gewährt wird. Auch kann ich nicht glauben, dass die einzigartige Güte Unseres Herrn, […] mich dann kommentarlos ihres schönsten Vorrechts, nämlich der Teilnahme an der Wahl neuer Mitglieder, hat berauben wollen.
(Laura Bassi an Flaminio Scarselli)
[…] Signora Laura Maria Caterina Bassi, ein junges Mädchen von 19 Jahren, die sich nach einem Studium, das außer ihrem Lehrer allen verborgen war, als ein Wunder der Philosophie erwiesen hat. Jeden Tag hält sie in ihrem Haus öffentliche Disputationen, wo hingeht, wer Lust hat zu disputieren, und sie fürchtet sich vor niemandem, und oftmals kommt, wer sich vor ihr nicht fürchtet, sehr verwirrt und mit abgestoßenen Hörnern zurück.
(Giampietro Zanotti, Literat und Bildhauer, S. 45)
Habt Ihr gesehen, was für ein Zeug das ist, welches zu studieren die arme Unschuldige verdammt worden ist? […] Stellt es Euch nur recht vor: über Ethik. Über Ethik? Ja, über Ethik. […] Und der Krach ist so groß geworden, dass er bis zu den Ohren des Kardinals Lambertini gedrungen ist, der, von Mitleid mit dieser armen Patientin bewegt, mit einem ordentlichen Tritt für den Lehrer die Schülerin von dieser Verfolgung durch die Moral befreit hat. Wolle Gott geben, dass sie das machen kann, was sie wollte […] Bevor man, wie Ihr sagt, die versprengte Seele auf die satten Weiden unserer Akademie führen kann, sehe ich voraus, dass es erforderlich ist, dass sie vorher die Gräben des Purgatorio und des Inferno passiert.
(aus einem Brief des Bologneser Wissenschaftlers Jacopo Bartolomeo Beccari, vermutlich an Antonio Leprotti, päpstlicher Leibarzt)
[…] das dritte schließlich, wenn es irgend möglich ist, die Bitten der Sig.ra Laura Bassi zu erfüllen, die, obwohl sie kein Recht hat, unter die Professoren des Instituts zugelassen zu werden, dennoch die geneigten Gedanken der Assunteria zu verdienen scheint, da sie es seit gut drei Jahren verlangt und ihr mehr als einmal Hoffnung gemacht wurde. Dann ist sie auch eine berühmte Frau, die in der ganzen Gelehrtenrepublik bekannt ist und der Vaterstadt wirklich viel Ehre bereitet.
(aus einem Sitzungsprotokoll der Universität Bologna)
Links
Laura Bassi – Centres of Expertise. Dialife. (Link aufrufen)
O'Connor, J. J.; Robertson, E. F.: Bassi biography. University of St Andrews. (Link aufrufen)
Links geprüft am 10. Februar 2023 (AN)
Literatur & Quellen
Quellen
Ceranski, Beate (1996): »Und sie fürchtet sich vor niemandem«. Die Physikerin Laura Bassi (1711 - 1778). Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1996. Frankfurt/Main, New York. Campus-Verl. (Geschichte und Geschlechter, 17) ISBN 3-593-35600-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kleinert, Andreas (2003): Maria Agnesi und Laura Bassi (Link aufrufen)
Schmidt, Willi (Hg.) (1990): Frauen in den exakten Naturwissenschaften. Stuttgart. Steiner. (Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft und der Technik, 21) ISBN 3-515-05793-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Fölsing, Ulla (1999): Laura Bassi und Guiseppe Verati. In: Fölsing, Ulla: Geniale Beziehungen. Berühmte Paare in der Wissenschaft. München. Beck (1300). ISBN 3-406-42100-8 S. 39–44. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Franceschini, Marta; Cavazza, Marta (2011): Laura Bassi. Minerva bolognese. Bononia University Press. (Sotto i portici) ISBN 9788873956549. (Eurobuch-Suche)
Jäger, Gudrun (1988): Geliebte cara Laurina. In: EMMA, 2/1988. S. 44–45.
Pou I Puigserver, Bartomeu (2009): Bassis. A Laura Caterina Bassi. 1. Aufl. Palma de Mallorca. Lleonard Muntaner. ISBN 9788492562480. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.