Fembio Specials Frauen aus Hannover Katrin Sello
Fembio Special: Frauen aus Hannover
Katrin Sello
geboren am 8. Dezember 1941 in Berlin
gestorben am 20. Januar 1992 in Hannover
deutsche Kunsthistorikerin, Kritikerin und Ausstellungsmacherin; Direktorin des Kunstvereins Hannover 1976-1989
30. Todestag am 20. Januar 2022
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Katrin Sello hat als engagierte und eigenwillige Ausstellungsmacherin in der Kunst Maßstäbe gesetzt und dreizehn Jahre als Direktorin des Kunstvereins Hannover die Kunstszene Niedersachsens geprägt. Wer sie kannte, war beeindruckt von ihrer Persönlichkeit: ihrem brillanten Intellekt und ihrem fundierten Wissen um kunsthistorische, theater- und literaturwissenschaftliche Zusammenhänge, von ihrer Fähigkeit, diffizilste Inhalte mit äußerster Präzision darzustellen.
Für die Tochter der Fotografin und Journalistin Ingeborg Sello und des bekannten Kunstkritikers Gottfried Sello gehörte die Begegnung mit Kunst und KünstlerInnen von Kindheit an zum Alltag. 1941 in Berlin “hineingeboren in preußisches Winterlicht” (K.S.), zog sie mit ihrer Familie nach Kriegsende nach Hamburg. Sie studierte in München, Hamburg und ab 1964 in Berlin Kunstgeschichte, Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie. Hier war sie politisch stark engagiert, und als sie die Leitung des Kunstvereins Hannover übernahm, eilte ihr der Ruf der “roten Katrin” voraus.
Während ihrer Berliner Studienzeit arbeitete sie bereits ab 1965 als freiberufliche Kunstkritikerin für Berliner und westdeutsche Zeitungen, vor allem für Die Zeit und den Tagespiegel, für den RIAS und den Sender Freies Berlin; schrieb neben Kunstkritiken auch Literatur, Theater- und Filmkritiken. Daneben beschäftigte sie sich intensiv mit dem Werk des Kunstkritikers Carl Einstein und schrieb zahlreiche Aufsätze zur Kunsttheorie.
1969 war Katrin Sello Mitbegründerin der “Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst”, die dem verstaubten Kunstbetrieb der etablierten Museen und Kunstvereine einen politischen, eingreifenden Kunstbegriff entgegensetzte. Hier war sie inhaltlich und organisatorisch an zahlreichen Ausstellungen maßgeblich beteiligt (u.a. “John Heartfield”, “Constantin Meunier”, “Pariser Kommune 1871” sowie “Renato Guttuso”).
Nachdem sie sich in Berlin als Ausstellungsmacherin einen Namen gemacht hatte, wurde sie 1976 die erste und bislang einzige Frau, die den 1832 gegründeten Kunstverein Hannover als Direktorin leitete. Obwohl die Startjahre hart waren - knappe finanzielle Zuschüsse und ein riesiger Schuldenberg als Altlast -, schaffte Katrin Sello es, dem Kunstverein ein neues Profil zu geben und ihn mit originellen und eindrucksvollen Themenausstellungen überregional bekannt zu machen. Sie erdachte so wunderbare Austellungen wie “Backbilder” (1976), “Nachbilder” (1979) und “Spiegelbilder” (1982) sowie “Zwischen Plastik und Malerei” (1984). Große Beachtung fanden auch “Androgyn” (1987) und “Pierre Alechinsky” (1988).
Ihre Arbeit als Ausstellungsmacherin war geprägt von ihrem politischen Engagement und großen Themen der Kunst - mit Mut zum Experiment und abseits ausgetretener Pfade. Ihr Interesse galt vor allem der systematischen Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft; der Kunst im Widerstreit mit der Gesellschaft.
So zeigte sie im Kunstverein auch Positionen zeitgenössischer Kunst, die noch nicht abgesichert waren, die Begeisterung, aber auch Widerspruch provozierten. Eine unbequeme Frau in einer verwalteten Männergesellschaft, die stets Position bezog und mit fundiertem Wissen ihre Meinung vertrat; getragen von politischer Moral und kulturpolitischer Streitfähigkeit. Dabei zeigte sie oft Mut zum Risiko. So verschaffte sie u.a. 1981 dem von der Universität verwiesenen Psychologen Peter Brückner die Möglichkeit der öffentlichen Rede.
Sie verstand den Kunstverein nicht nur als einen Ort der bildenden Kunst. Ihr Ziel war es, hier die unterschiedlichen intellektuellen Disziplinen zusammenzuführen – der Kunstverein als Zentrum eines ästhetischen, wissenschaftlichen und politischen Diskurses. So initiierte sie zu den einzelnen Ausstellungen vielfältige Begleitveranstaltungen aus den Bereichen Literatur, Film und Musik. Sie liebte das Absurde, erlag nie dem Diktat des Zeitgeistes und war eine herausfordernde und fordernde Gesprächspartnerin, die hinter ihrer Distanz eine hohe Sensibilität und Verletzlichkeit verbarg.
Immer wieder schaffte sie es, interessante Persönlichkeiten nach Hannover zu holen, wie 1989 die Schriftstellerin Herta Müller, die Komponistin Patricia Jünger und die Künstlerin und Filmemacherin Valie Export zum “Dialog der Künste”. Trotz ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose, die 1979 ausbrach, machte sie mit kämpferischem Geist und großer Energie den Kunstverein zu einem Ort geistiger Auseinandersetzung auf höchstem Niveau.
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit waren Künstlerinnen. So präsentierte sie “Frida Kahlo und Tina Modotti”, Maria Lassnig, Marianne Werefkin und die feministische Künstlerin Miriam Cahn in Einzelausstellungen.
Über 70 Ausstellungen organisierte Katrin Sello in Hannover, auch die erste deutsche Retrospektive des großen belgischen Expressionisten Constant Permeke. Für junge KünstlerInnen aus Niedersachsen initiierte sie ein Stipendium mit dem Namen “Villa Minimo”, und im jährlichen Wechsel organisierte sie die Herbstaustellung – ein Forum für regional und überregional anerkannte KünstlerInnen und Sprungbrett für junge Talente.
1985 traf sie die Diagnose einer weiteren unheilbaren Krankheit. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen gab sie die Leitung des Kunstvereins 1990 auf. Sie genoß die Freiheit, blühte auf und “liebte zum ersten Mal ihr alltägliches Leben” (K.S.). Das Erscheinen ihres Gedichtbands Antilope wollte ich sein zur Nacht Ende 1992 hat sie nicht mehr erlebt. Am 2O. Januar 1992 starb Katrin Sello, wenige Wochen nach ihrem 50. Geburtstag, an den Folgen eines jahrelangen Krebsleidens.
Im Jahre 2001 würdigte die Stadt Hannover Katrin Sellos Verdienste mit einer Straßenbenennung, da sie “das Bild der Stadt als niedersächsisches Zentrum der aktuellen Kunst entscheidend mitgeprägt hat”. Der Katrin-Sello-Weg befindet sich im Neubaugebiet Badenstedt-West
“Angesichts der Persönlichkeit und der Bedeutung von Katrin Sello in der Kunstszene” wurde die Grabstätte von Katrin Sello auf dem Engesohder Friedhof in Hannover 2004 in ein Ehrengrab umgewandelt, damit die Grabstätte auf Friedhofsdauer erhalten bleibt.
Die Akademie der Künste in Berlin hat den Nachlass von Katrin Sello (von ihrer Lebensgefährtin) als Archiv übernommen und Katrin Sello als bedeutendste Ausstellungsmacherin ihrer Zeit gewürdigt. Die offizielle Archivpräsentation fand im Rahmen einer feierlichen Eröffnung im März 2018 statt. Der bekannte Kunsthistoriker Prof. Uwe M. Schneede würdigte das umfangreiche Wirken Katrin Sellos.
(Text von 2001, aktualisiert 2020)
Verfasserin: Marietta Stein
Zitate
Ihr meine Füße wollt mich nicht mehr tragen? Wohl auf, dann müssen wir fliegen, sie, meine Seele, und ich. ... Erinnere dich und nimm mich zwischen deine Flügel, daß wir die Spiegel nicht mehr fliehen müssen. Im Flug bin ich prächtig, ein Frühlingswind braust. Wir werden tanzen ohne Füße. Katrin Sello (aus “An einem grauen Sonntag im April” (Frida Kahlo gewidmet))
Ihre Handschrift: zurückhaltende Subjektivität, genaue Kenntnis der “großen” Szene und freundschaftliche Pflege der regionalen Kunst. … Die Startjahre im Kunstvereien waren hart. … Daß Katrin Sello das Schiff wieder flottmachte, ökonomisch zu wirtschaften verstand und dennoch dem Kunstverein ein neues Profil gab, war die große Leistung ihrer ersten Jahre. (Siegfried Barth in seinem Nachruf in der Neuen Presse, Hannover 23.1.92)
Literatur & Quellen
Barth, Siegfried. 1992. “Schlingerndes Kunst-Schiff wieder flottgemacht: Katrin Sello starb mit 50 Jahren”, Neue Presse Hannover, 23.1.1992
Einstein, Carl. 1973. Die Fabrikation der Fiktionen. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Hamburg (Rowohlt) 1973. Hrsg. von Sibylle Penkert. Eingeleitet von Helmut Heißenbüttel. Mit Beiträgen von Sibylle Penkert und Katrin Sello. (das neue buch 17)
Nachbilder: Vom Nutzen uund Nachteil des Zitierens für die Kunst; Kunstverein Hannover, 10. Juni - 29. Juli 1979. Katalog Gerhard Ahrens und Katrin Sello. Hannover 1979. Kunstverein.
Petra Rosenthal: Bilder 1985 - 1987; Kunstverein Hannover, 7. Mai - 26. Juni 1988. Redaktion: Katrin Sello. Hannover 1988. Kunstverein.
Sello, Katrin. 1970. “Revolte und Revolution: Vorschläge zu einer Interpretation des 'Bebuquin'”,in: alternative (Zeitschrift für Literatur und Diskussion), 13. Jg. (1970), S. 232 -245
Sello, Katrin. 1992. Antilope wollte ich sein zur Nacht: Nichtprosa. Hamburg. Christians Verlag. Bestellung über Tel/Fax 030-883 7832.
Spiegelbilder: Kunstverein Hannover, 9. Mai - 30. Juni 1982 [150 Jahre Kunstverein Hannover]. Redaktion Katrin Sello. Berlin 1982. Frölich & Kaufmann.
Wat den een sien Uhl is den annern sien Nachtigall: Kunstverein Hannover, 4. Oktober - 8. November 1981 / 68. Herbstausstellung Niedersächsischer Künstler. Redaktion Katrin Sello. Hannover 1981. Kunstverein.
Zwischen Kunst und Psychiatrie: Siegfried Neuenhausens Bildhauerprojekte mit Patienten in Wunstorf und Ochsenzoll; 13. Februar - 4. April 1983, Kunstverein Hannover. Katalog Siegfried Neuenhausen und Katrin Sello. Hannover 1983. Kunstverein.
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