Fembio Specials Frauenbeziehungen Johanna Spyri
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Johanna Spyri
(geb. Johanna Louise Heusser)
geboren am 12. Juni 1827 in Hirzel, Kanton Zürich
gestorben am 7. Juli 1901 in Zürich
Schweizer Schriftstellerin
195. Geburtstag am 12. Juni 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Johanna Spyri ist mit Abstand die in aller Welt bekannteste Persönlichkeit der Schweiz – eine Tatsache, die kaum zu ihrem verschlossenen, schwer zugänglichen Wesen passt. Ihren Weltbestseller und beispiellosen “Dauerbrenner” Heidis Lehr- und Wanderjahre schrieb sie als 52jährige im Herbst 1879 in wenigen Wochen nieder. Er erschien 1880; ein Jahr darauf folgte der zweite Band, Heidi kann brauchen, was es gelernt hat.
Die Geschichte des Waisenmädchens Heidi, das bei seinem knorrigen Großvater in den Schweizer Alpen aufwächst und später der gelähmten Tochter einer reichen Frankfurter Kaufmannsfamilie wieder neuen Lebensmut gibt, wurde in über 50 Sprachen übersetzt und viele Male verfilmt. Johanna Spyris Humor, ihre tiefe Frömmigkeit und vor allem ihr ganz ungewöhnliches Verständnis für die Gedanken- und Gefühlswelt von Kindern scheinen unwiderstehlich.
Johanna Spyri wuchs als Tochter des Arztes Johann Jacob Heusser und der pietistischen Dichterin Meta Heusser–Schweizer in der kleinen Landgemeinde Hirzel oberhalb des Zürichsees auf. Mit sechzehn kam sie für zwei Jahre in ein Internat in Yverdon. Vom 18. bis zum 25. Lebensjahr war sie wieder zu Hause, unterrichtete ihre jüngeren Geschwister, half der Mutter im Haushalt – und las und las. 1852 heiratete sie den Juristen und Redakteur Bernhard Spyri, der ab 1868 Stadtschreiber von Zürich war (Johanna Spyri wurde seitdem bis zu ihrem Tod als Frau Stadtschreiber angeredet). Die beiden hatten einen Sohn, Bernhard. Er starb 1884, mit 28 Jahren, an Schwindsucht; sein Vater starb noch im selben Jahr.
Es war keine sehr glückliche Ehe. Bernhard Spyri war ein Workaholic und Wagner-Fan, der für seine junge Frau wenig Interesse aufbrachte: “Jetzt isst man gar nichts mehr bei uns, heut am Mittagstisch las mein Mann so stramm seine Zeitung, dass er das Essen vollständig vergaß, und ich hatte von Anfang an schon genug.” Johanna Spyri liebte die Hausarbeit nicht, und während der Schwangerschaft geriet sie in eine tiefe Depression, die jahrelang anhielt. Ein Trost in diesen schweren ersten Ehejahren war ihre Freundschaft mit Betsy Meyer, der Schwester Conrad Ferdinand Meyers. Diese Beziehung scheint die innigste ihres Lebens gewesen zu sein – Johanna schreibt Betsy liebevolle, sehnsüchtige, ja leidenschaftliche Briefe: “Liebe Betsy, findest Du wohl Zeit, mir einige Worte zu sagen? Ich harre mit Sehnsucht darauf; lass mich nicht zu lange allein ohne Dich, Du weißt die Lücke die Du mir machst” (1858). Aber Betsy Meyer zieht sich zurück.
Ein mit ihrer Mutter befreundeter Pfarrer ermunterte Johanna Spyri zum Schreiben; 1871 erschien ihre erste Erzählung “Ein Blatt auf Vronys Grab” und wurde ein großer Erfolg. Für den heutigen Geschmack ist es eine ziemlich unerträgliche Geschichte über eine Frau, die von ihrem trunksüchtigen Mann mißhandelt wird und sich betend in ihr Schicksal fügt, wie der Herr Pfarrer ihr geraten hat.
Weitere Veröffentlichungen folgen – und dann: Heidi! Das liebenswerte, fröhliche Naturkind verschafft seiner Schöpferin einen sehr komfortablen Lebensabend.
Während ihrer letzten Lebensjahre schreibt die Witwe Johanna Spyri weiter ihre Geschichten für Kinder, reist viel und hat regelmäßig freundschaftlich-professionellen Austausch mit Conrad Ferdinand Meyer.
Emilie Kempin–Spyri, die erste Schweizer Juristin, war die Nichte ihres Mannes. Johanna selbst hält nicht viel vom Frauenstudium. Als sie aber 1901 an Krebs erkrankt, lässt sie sich von von Marie Heim–Vögtlin, der ersten Schweizer Ärztin, versorgen.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Johanna Spyri, von Siegfried Carl
Zitate
Johanna Spyri versuchte, ihren Lesern ihre eigene Erfahrung mitzuteilen, wollte ihnen zeigen, was auf dieser Welt not tut. Schreibend wollte sie erziehen, und schreibend gelang es ihr schliesslich auch, ihre eigenen Nöte zu überwinden und damit ihre wirkliche Welt, in die sie hineingestellt wurde, erst eigentlich zu bewältigen. (Jürg Winkler)
[In Zürich, Zeltweg Nr. 11] wird Johannas Nachlass gepflegt: Papiere, Bücher, Akten. Tote Gegenstände der unfassbaren frau, über die wir viel wissen, die uns schmerzlich fremd bleibt, während das Kind Heidi weiterlebt, die Kleider von sich wirft, den Ziegen folgt, bergan, himmelwärts. (Regine Schindler)
Links
Briefe von Johanna Spyri an Betsy Meyer
Link geprüft am 6. Juli 2021 (AN)
Literatur & Quellen
Escher, Georg & Marie-Louise Strauss. Hg. 2001. Johanna Spyri, verklärt, vergessen, neu entdeckt. [Entstanden im Rahmen der Ausstellung “Heidi” in Zusammenarbeit mit dem Volkskundlichen Seminar der Universität Zürich und dem Johanna-Spyri-Archiv Zürich]. Zürich. Verl. Neue Zürcher Zeitung
Fröhlich, Roswitha & Jürg Winkler. 1986. Johanna Spyri - Momente einer Biographie: Ein Dialog. Zürich. Arche.
Hildebrandt, Irma. 2006. Mutige Schweizerinnen:18 Porträts von Johanna Spyri bis Liselotte Pulver. Kreuzlingen; München. Hugendubel.
Johanna Spyri - Conrad Ferdinand Meyer: Briefwechsel 1877-1897. Mit einem Anhang: Briefe der Johanna Spyri an die Mutter und die Schwester C.F. Meyers 1853-1897. Hg. Hans & Rosmarie Zeller. Kilchberg. Mirio Romano 1977.
Johanna Spyri und ihr Werk - Lesarten. Hg. vom Schweizer Institut f. Jugendmedien. Red.Verena Rutschmann. Zürich. Chronos 2004.
Schindler, Regine. 1997. Johanna Spyri: Spurensuche. Zürich. Pendo.
Walter, Karin. Hg. 1990. Sanft und rebellisch: Mütter der Christenheit - von Frauen neu entdeckt. Freiburg; Basel; Wien. Herder.
Winkler, Jürg. 1986. Johanna Spyri: Aus dem Leben der “Heidi”-Autorin. Rüschlikon; Zürich. Müller.
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