Fembio Specials Berühmte Niederländerinnen Jacqueline van Maarsen
Fembio Special: Berühmte Niederländerinnen
Jacqueline van Maarsen
(Geburtsname: Jacqueline Yvonne Meta van Maarsen, Ehename Jacqueline Yvonne Meta Sanders, Pseudonym im Tagebuch von Anne Frank: Jopie van der Waal)
geboren am 30. Januar 1929 in Amsterdam
niederländische Schriftstellerin und Buchbinderin; Anne Franks beste Freundin
95. Geburtstag am 30. Januar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Jacqueline van Maarsen habe ich erst auf dem Jüdischen Lyzeum kennen gelernt, sie ist nun meine beste Freundin,“ schreibt Anne Frank in ihrem Tagebuch.
Jacqueline van Maarsen ist die Tochter einer französischen Katholikin, die in namhaften Modehäusern in Paris und Amsterdam gearbeitet hat, und eines niederländischen Vaters, der aus einer strenggläubigen jüdischen Familie stammte. Ihre Mutter war vor der Hochzeit zum jüdischen Glauben übergetreten und das Ehepaar lebte anfangs zusammen in Paris.
Nach der Geburt der ersten Tochter, Christiane, zog man nach Amsterdam, wo Eline van Maarsen ein eigenes Modegeschäft eröffnete. Der Vater, Samuel van Maarsen, genannt Hijman, führte die Geschäfte seines Bruders, der französische und englische Stoffe importierte, in Amsterdam weiter. Im Januar 1929 wurde dort ihre zweite Tochter, Jacqueline, geboren. Sie galt als die „holländische“ Tochter und wuchs mit Niederländisch als Muttersprache auf. Die langen Ferienwochen bei ihren Großeltern in Frankreich führten jedoch zwangsläufig dazu, dass sie Französisch lernte, auch wenn sie sich erst dagegen wehrte.
Religion spielte für die Kinder im Alltag keine Rolle. Nur bei den niederländischen Familientreffen bekamen sie einen Eindruck vom Glauben, und an besonderen Feiertagen begleiteten sie ihren Vater in die Synagoge.
Mit drei Jahren kam Jacqueline van Maarsen in die Schule, wo es drei vorbereitende Klassen für den Montessori-Grundschulunterricht gab. In der Schule fiel ihr auf, dass viele neue Kinder aus Deutschland kamen. Dass sie jüdisch waren, wusste sie nicht. 1939, nach der Reichsprogromnacht, sollte sich die Zahl der neuen MitschülerInnen massiv erhöhen.
Besatzung und Freundschaft mit Anne Frank
Am 10. Mai 1940 begann die Invasion der Niederlande durch die Deutschen. „Krieg bedeutete für mich vor allem die Gefahr, dass eine Bombe auf unser Haus fallen und wir nicht mehr genug zu essen haben könnten.“ Auch wenn die Erwachsenen versuchten, die zusätzliche Bedrohung von den Kindern fern zu halten, so spürten sie dennoch die Anspannung der Erwachsenen, auf Dauer ließen sich die Maßnahmen der Deutschen jedoch auch vor ihnen nicht länger geheim halten. So hatte sich Jacqueline van Maarsen schon lange auf den Übergang auf das Gemeentelijk Lyceum voor Meisjes, das Städtische Mädchenlyzeum, gefreut, musste nun aber erfahren, dass die weiterführenden Schulen keine jüdischen Kinder mehr aufnehmen durften. Sie musste fortan auf das Jüdische Lyzeum gehen, eine der 25 neuen öffentlichen Schulen, die im Auftrag der Besatzer eingerichtet worden war, also nicht wie die bisherigen Schulen von der jüdischen Gemeinde. Dort lernte sie gleich am ersten Tag Anne Frank kennen, die sie Jacque nannte und deren erklärte beste Freundin sie gleich wurde. Die beiden wurden sofort unzertrennlich.
„Ich fühlte mich bei Anne zu Hause sofort wohl. Ihre Aufgewecktheit und die Art, wie sie mit mir Freundschaft geschlossen hatte, gefielen mir gut.“
Die beiden Mädchen verbrachten auch außerhalb der Schule viel Zeit miteinander und lasen dieselben Bücher. Besonders gerne mochten sie die damals sehr beliebte Mädchenbuchreihe Joop ter Heul der Autorin Cissy van Marxveldt. In dieser erzählt sie von den Abenteuern einer Gruppe von Freundinnen, mit denen die beiden Mädchen sich sehr identifizierten, denn die literarischen Freundinnen lebten in einer freien und sorglosen Welt. Die Bücher regten die beiden zu Träumereien über die Zeit nach dem Krieg an. Auch ein Tischtennisclub, den sie gründeten, hatte sein Vorbild in diesen Romanen.
„Nie wieder bin ich jemandem begegnet, der das Leben so auskostete wie meine Freundin Anne. Ich genoss ihre herzliche Zuneigung und war ihr eine so gute Freundin wie möglich.“
Da Besuche von öffentlichen Kinos und Theatern für Jüdinnen und Juden verboten waren, organisierten Eltern häufig private Vorstellungen für ihre Kinder.
Am 6. Juli 1942 erfuhr sie von einer Freundin, dass die Familie Frank verschwunden sei, verbunden mit dem Gerücht, dass sie in die Schweiz gefahren seien. „Ich freute mich für Anne und ihre Familie, weil sie beizeiten hatten fortkommen können, und meine Freude überwog das Gefühl der Leere, das mich plötzlich überkam, weil meine Freundin verschwunden war.“
Ihre Freundin war nicht die einzige, die verschwand, nach und nach fehlten immer mehr Kinder und LehrerInnen in ihrer Schule.
Jacqueline van Maarsens Mutter sah die Gefahr, in der sich ihre Töchter befanden, sehr deutlich. Sie schaffte es, dass sowohl die Eintragung bei der Jüdischen Gemeinde rückgängig gemacht wurde, als auch die Registrierung als Jüdinnen in den deutschen Archiven, da sie nachweisen konnte, dass alle vier ihrer Großeltern nicht jüdisch waren. Es gelang ihr, wenn auch nur mit großen Mühen, die Geburts- und Taufurkunden ihrer Großeltern zu besorgen, aus denen hervorging, dass sie alle katholisch waren. Den Besatzern gegenüber behauptete sie zudem, dass ihr Mann sie ohne ihr Wissen bei der Jüdischen Gemeinde als Jüdin hatte registrieren lassen, und dass ihre Töchter dadurch in Gefahr seien. Mit dieser List konnte sie sich durchsetzen, was zur Folge hatte, dass ihre Töchter noch vor Jahresende das Jüdische Lyzeum verlassen und das Mädchenlyzeum besuchen konnten. Auch den gelben Stern brauchten sie nicht mehr zu tragen. Jacqueline van Maarsen empfand dies als zwar als befreiend, aber es bedrückte sie weiterhin, dass zahlreiche FreundInnen, Bekannte und Verwandte nicht mehr da waren. Erst nach dem Krieg sollte sie erfahren, wer untergetaucht war und wer den Holocaust nicht überlebt hatte.
Das Tagebuch
Nach dem ersten Befreiungstaumel im Mai 1945 folgte die Ernüchterung: Berichte über die Konzentrationslager verbreiteten sich und Otto Frank kehrte aus Auschwitz zurück. Erst als sie erfuhr, dass sowohl Margot als auch Anne Frank nicht überlebt hatten, übergab ihm Miep Gies, eine der HelferInnen der Familie Frank während der Versteck-Zeit, das Tagebuch seiner Tochter. Die Eltern von Jacqueline van Maarsen lasen es, sie selber warf erst einmal nur einen kurzen Blick hinein. Sie fand es unpassend, dass Außenstehende die geheimsten Gedanken ihrer Freundin erfahren sollten. Sie wusste allerdings, dass es darin zwei Abschiedsbriefe an sie gab und wie sehr Anne Frank sie vermisst hatte. Ihre Mutter las vor allem die Passagen, in denen ihre Tochter vorkam. Später sollte sie die beiden in einem Interview als „Liebespaar“ bezeichnen, was Jacqueline van Maarsen in ihren Memoiren unkommentiert zitiert. Lange Zeit wusste niemand in der Öffentlichkeit, wer sich hinter dem Namen Jopie verbarg. „Niemand wusste, dass ich Annes beste Freundin gewesen war, auch meine Bekannten nicht. Dazu kam, dass ich mich nicht auf Kosten einer Freundin, die im Konzentrationslager umgebracht worden war, interessant machen wollte.“
Erst als sich später Menschen damit brüsteten, ihre Freundin gekannt zu haben oder gar mit ihr befreundet gewesen zu sein, was nicht der Fall war, brach sie ihr Schweigen.
Nachkriegszeit
Jacqueline van Maarsen machte 1948 ihr Abitur und ging 1952 für ein Jahr als Au-pair nach London.
Anschließend wurde sie Buchbinderin und studierte Buchgeschichte an der Universität von Amsterdam. Als Buchbinderin setzte sie eigene Entwürfe selber um. Für sie ist der Inhalt eines Buches die Inspiration zu einem eigenen Buchbinde-Kunstwerk. Für ihre Arbeiten, die auch in Museen zu finden sind, wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Außerdem beschäftigte sie sich mit Kalligrafie sowie mit der Herstellung von marmoriertem Papier.
1954 heiratete sie ihren Jugendfreund Ruud Sanders, mit dem sie drei Kinder hat. Bis heute lebt sie in Amsterdam.
Bücher
Seit 1986 gibt Jacqueline van Maarsen an Grundschulen in den Niederlanden Lesungen über Anne Frank und über Diskriminierung. Ihre Leidenschaft für das Buchbinden musste sie aufgeben, da sie eine neue gefunden hatte: das Schreiben.
1990 erschien ihr erstes Buch über ihre Freundschaft mit Anne Frank, über die sie lange geschwiegen hatte, da sie nicht als „die Freundin von Anne Frank“ durchs Leben gehen wollte.
Ihr erstes Buch Meine Freundin Anne Frank fand in den Niederlanden wenig Beachtung, aber es folgten Übersetzungen ins Deutsche, Englische und Japanische, sowie Lesereisen in Deutschland, Amerika und Japan.
Bei ihren beiden folgenden Erinnerungsbänden Ich heiße Anne, sagte sie, Anne Frank und Die Erbschaft lag der Schwerpunkt auf den Themen Diskriminierung und Rassismus. Auch hierauf folgten wieder Übersetzungen und Lesereisen. Das Interesse der Presse war jetzt groß.
Da sie oft für Schulkinder (vor allem in Deutschland) las, entschloss sie sich, ein Buch für Kinder zu schreiben. Dieses erschien unter dem Titel Deine Freundin Anne Frank 2011 in den Niederlanden und 2013 in deutscher Übersetzung. Hierfür wurde sie 2012 mit dem Zilveren Griffel ausgezeichnet, einem der wichtigsten niederländischen Literaturpreise für Jugendliteratur.
Geplant ist ein Buch mit Kurzgeschichten, zu denen sie auf ihren Reisen inspiriert wurde. Thematisch soll es um Rassismus und Diskriminierung gehen.
2016 erhielt Jacqueline van Maarsen den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.
(Text von 2019)
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
App “WDR AR 1933-1945”: Anne Franks Freundinnen erzählen ihre Geschichte. Digitalprojekt des WDR in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf und dem Studio für visual effects LAVAlabs. Westdetuscher Rundfunk (WDR) 1. (Link aufrufen)
- Android App WDR AR 1933-1945: Google Play
- iOS App WDR AR 1933-1945: Apple Store
Video Augmented Reality Jacqueline van Maarsen: Making-of „Meine Freundin Anne Frank“. Westdeutscher Rundfunk (WDR) 1. (Link aufrufen)
Video: Jacqueline van Maarsen, Anne Franks Freundin. Westdeutscher Rundfunk (WDR) Mediathek. (Link aufrufen)
Reinle, Dominik. 05.06.2019. Anne Franks Freundin “Jopie” zu Besuch in Köln. Westdeutscher Rundfunk (WDR) 1, Nachrichten. (Link aufrufen)
Reinle, Dominik. 12.06.2019. Anne Frank Gedenken: Wie Geschichte vermitteln? Westdeutscher Rundfunk (WDR) 1, Nachrichten. (Link aufrufen)
Böhme, Andreas. 05.06.2019. Beste Freundin erinnert sich an Anne Frank. Westfälische Rundschau, Panorama. (Link aufrufen)
Video: Jacqueline van Maarsen, Schulfreundin. “Das Besondere an Anne war, dass sie so lebenslustig war.” (Link aufrufen)
Jacqueline van Maarsen. Newsweek International. 05.02.2015. youtube.com. 05:22 min.
Anne Frank Fonds. Founded by Otto Frank. Basel. Alles über Anne Frank und das Tagebuch. (Link aufrufen)
Full Interview with Jacqueline Van Maarsen by Rabbi Shmuley Boteach. The World: Values Network. 10.03.2015. youtube.com. 59:38 min.
Literatur & Quellen
Website von Jacqueline van Maarsen: http://www.jacquelinevanmaarsen.nl/
Bücher von Jacqueline van Maarsen:
Meine Freundin Anne Frank (1997). (Anne en Jopie, 1990) Übersetzung: Stefanie Schäfer. München, Heyne
Ich heiße Anne, sagte sie, Anne Frank. Erinnerungen von Jacqueline van Maarsen (2004). (Ik heet Anne, zei ze, Anne Frank, 2003) Übersetzung: Stefanie Schäfer. Frankfurt am Main, S. Fischer
Die Erbschaft: Erinnerungen der Jugendfreundin von Anne Frank (2006). (De erflaters, 2004) Übersetzung: Stefanie Schäfer. Frankfurt am Main, S. Fischer
„Deine beste Freundin Anne Frank“. Erinnerungen an den Krieg und eine besondere Freundschaft (2013). (Je beste vriendin Anne, 2012) Übersetzung: Mirjam Pressler. Frankfurt am Main, S. Fischer
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