Fembio Specials Europäische Jüdinnen Hilde Zadek
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Hilde Zadek
wikimedia commons
(Kammersängerin Hilde Zadek)
geboren am 15. Dezember 1917 in Bromberg, Posen (seit 1920 Polen)
gestorben am 21. Februar 2019 in Karlsruhe
österreichische Sängerin (Sopran)
5. Todestag am 21. Februar 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die Kammersängerin Hilde Zadek gehört zu den großen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, für sie hisste die Wiener Staatsoper zum Zeichen der Ehrerbietung und der Trauer anlässlich ihres Todes mit 101 Jahren die schwarze Fahne. Hilde Zadek war mit Leib und Seele Sängerin und Gesangspädagogin. Singen war für sie „eine so unbeschreibliche Befreiung! Eine Verbindung von Körper, Seele, Gefühlen, Erotik – von allem, was ein Mensch sich an Schönheit wünschen kann.“
Hilde Zadek verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Stettin, wohin die Familie 1920 gezogen war, als Bromberg polnisch wurde. Der Vater baute dort ein gut florierendes Schuhgeschäft auf. 1933, über die einsetzenden „Judengesetze“, begannen die Repressalien, auch in der Schule. Als eine Mitschülerin in der Turnstunde ausrief: „Es stinkt nach Jude“, reagierte die sechzehnjährige Hilde, einziges jüdisches Mädchen der Klasse, impulsiv, sie schlug dem Mädchen ein paar Vorderzähne aus. Der Klassenlehrer riet ihr, Stettin zu verlassen. Das tat sie umgehend. Sie ging nach Berlin, lernte Säuglingspflege in einem jüdischen Säuglingsheim und wanderte bereits 1935 nach Palästina aus. In Jerusalem verdiente sie als Säuglingsschwester ihren Lebensunterhalt. Als ihre Eltern und die beiden jüngeren Schwestern nachgekommen waren, eröffnete die Familie ein Kinderschuhgeschäft, das sie „Der Papagei“ nannten. Auch Hilde Zadek arbeite als Verkäuferin mit, sie konnte am besten Hebräisch sprechen. Endlich war es ihr möglich, abends nach der Arbeit Gesang zu studieren, fünf Jahre lang. Ihre Abschlussprüfung am Konservatorium in Jerusalem bestand sie mit Auszeichnung und gab 1942 bereits Liederabende und Konzerte.
Nach Kriegsende kehrte Hilde Zadek nach Europa zurück und setzte ihr Studium am Zürcher Konservatorium fort. Dort wurde sie von Franz Salmhofer entdeckt, dem damaligen Direktor der Wiener Staatsoper, der ihr nach einem Vorsingen ein Engagement verspricht. Innerhalb von fünf Tagen soll sie die „Aida“ singen und gleich auch noch auf Italienisch. Mit Mut und Chuzpe sagt sie zu, ohne Italienischkenntnisse, ohne Proben, nur mit Korrepetitor. Und hatte als sogenannte Naturbegabung gleich großen Erfolg. Nur einen Tag später konnte sie ihren Vertrag als Solistin der Wiener Staatsoper unterzeichnen. Jahrelang bleibt sie die anerkannte Zweitbesetzung im legendären Wiener Nachkriegsensemble, mit u.a. Elisabeth Schwarzkopf, Irmgard Seefried und Ljuba Welitsch.
Ihr großer Durchbruch wird 1951 die Magda in Gian Carlo Menottis „Der Konsul“ - vielleicht auch, weil die Partie der Magda ihrem eigenen Schicksal ähnelt. Aus der langjährigen zweiten Besetzung, der sogenannten Einspringerin, wird über Nacht „die Zadek“. Noch im gleichen Jahr erhält sie die Ehrung als österreichische Kammersängerin. Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper wird sie zwanzig Jahre später. Glanzrollen waren Giuseppe Verdis AIDA, die Leonore aus Ludwig van Beethovens „Fidelio“, die Donna Anna aus Mozarts Don Giovanni. Uraufführungen, z.B. in Carl Orffs „Antigone“, gehörten ebenso dazu. Das waren insgesamt 60 Partien in den großen Strauss-, Verdi- und Mozart-Opern.
Bereits 1952 charakterisierte eine New Yorker Tageszeitung ihren dramatischen Sopran folgendermaßen: „Hilde Zadek hat eine große, dramatisch wirksame Stimme und erweist sich in den beiden Arien, die zu den schwierigsten der Musikliteratur gehören, als besonders gute Sängerin, das Volumen des Soprans ist bemerkenswert und das Timbre in den Tiefenlagen ebenso wie im hohen Register voll und reich.“
Mit ihren Wagnerpartien konnte sie als Jüdin auch die kritischen Zuhörer im berüchtigten Wiener Stehparkett gewinnen: „Später sagten mir eine Menge junger Leute: Wir wollten Sie eigentlich auspfeifen, aber als Sie dann sangen, gingen wir in die Knie.“
Für das einstige Tätervolk zu singen störte sie nicht. „Ich habe mich entschieden, das Wiener Publikum zu lieben, sonst hätte ich nicht für sie singen können.“
Ein Vierteljahrhundert lang bleibt die Wiener Staatsoper Hilde Zadeks Stammhaus. Daneben feierte das Publikum sie immer wieder an den großen internationalen Opernhäusern, sie sang an der Met in New York, an der Mailänder Scala, in Covent Garden in London, im Teatro Colon in Buenos Aires, sie gastierte beim Festival von Glyndebourne in Sussex und beim Maggio Musicale in Florenz und sang außerdem u.a. in Moskau, in Düsseldorf und immer wieder in Berlin.
1971 zog sich Hilde Zadek mit 54 Jahren von der Bühne zurück und arbeitete in den USA, Österreich und nicht zuletzt in Israel als Gesangslehrerin. Der Ausbildung des Nachwuchses widmete sie sich von dieser Zeit an mit Hingabe. Junge SängerInnen müssen sich in Ruhe entwickeln und regenerieren können, befand sie. Junge Menschen sollten KünstlerInnen, nicht nur SängerInnen werden. Sie bezeichnete sich selber als Singschauspielerin.
Meisterkurse führten sie nach Karlsruhe und Jerusalem, in die Schweiz und nach Italien. Der „Internationale Hilde Zadek Gesangswettbewerb“ findet seit 1998 alle zwei Jahre statt, seit 2003 in Zusammenarbeit mit der Hilde-Zadek-Stiftung, die von der Zadek-Schülerin und -Freundin, der Sopranistin Prof.in Maria Venuti in Karlsruhe und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien geleitet wird.
2001 erschien im Wiener Böhlau-Verlag ihre Autobiographie „Die Zeit, die ist ein sonderbar' Ding“ - Hilde Zadek: Mein Leben (hg. von Volkmar Parschalk), in der die Ausnahmeerscheinung Hilde Zadek ihr faszinierendes Leben Revue passieren lässt - und auf einer beigelegten CD zu hören ist.
2003 realisierte Walter Wehmeyer die 58-min-Dokumentation: „Singing as a Path“/“Singen als Weg“ über die Lebensgeschichte von Hilde Zadek im Spiegel eines Jahrhunderts, zweisprachig produziert von Petrus van der Let & artia nova filmproduction. Im deutschsprachigen Raum wurde der Film von 3Sat und anderen Kultursendern gesendet.
Für ihr Schaffen erhielt Hilde Zadek zahlreiche Würdigungen: Sie ist u.a. Trägerin des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst und der Wiener Ehrenmedaille. Zuletzt wurde ihr anlässlich ihres 95. Geburtstages das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.
Hilde Zadek hat die Berg- und Talfahrten ihres Lebens, wie sie selber sagt, „gesund, stark und immer tatendurstig überstanden.“
Sie hinterlässt keine Kinder, war aber begabt für große, treue Freundschaften, auch zu einigen ihrer ehemaligen Schülerinnen wie Maria Venuti und Adrienne Pieczonka und Tamar Rachum. Letzterer, heute erfolgreiche Gesangsprofessorin in Israel, verhalf die gelernte Säuglingsschwester Hilde Zadek Ende der 1980er Jahre sogar zur Geburt ihres ersten Kindes!
Christa Ludwig, die langjährige Kollegin und Freundin, regelmäßiges Jurymitglied bei ihren Wettbewerben, sagte bei der Trauerfeier der Wiener Staatsoper in Wien, Hilde Zadek habe nicht nur Technik, sondern auch noch Lebenserfahrung gelehrt und Toleranz könnte eine Erfindung von ihr sein. Mit ihrer positiven Energie habe sie immer bewiesen: „Mensch zu sein ist wohl das Wichtigste!“ Staatsoperndirektor Dominique Meyer betonte u.a. Hilde Zadeks Überzeugung, „dass von uns einiges übrig bleibt – selbst wenn wir sterben.“
Und es ist zu vermuten, dass die Kammersängerin im Hause ihrer treuesten Freundin und Leiterin ihrer Stiftung, der Sängerin und Professorin Maria Venuti in Karlsruhe, gestorben ist. Hilde Zadek erhielt ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.
(Text von 2019)
Auszeichnungen (Ernennungen und Ehrungen)
- 1951 Österreichische Kammersängerin
- 1965 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst
- 1971 Professorin an der Musikakademie der Stadt Wien
- 1977 Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper
- 1978 Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold
- 2007 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik in Karlsruhe (zum 90. Geburtstag)
- 2012 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1952)
- 2017 Ehrenmitgliedschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
- Ehrenmitgliedschaft der European Voice Teachers Association (EVTA)
SchülerInnen
- Elfriede Ameri
- Flurin Caduff
- Moritz Gogg
- Klaus Ofczarek
- Adrienne Pieczonka
- Ulla Pilz
- Dimitri Pittas
- Tamar Rachum
- Karin Christina Ruprecht
- Simona Ryser
- Lukas Schmid
- Kurt Schreibmayer
- Martina Serafin
- Alfred Sramek
- Ulrike Steinsky
- Georg Tichy
- Natalia Ushakova
- Maria Venuti
- Melanie Wandel
- Titus Witt
Verfasserin: Brigitte Siebrasse
Zitate
Wenn ich noch hundert Mal zur Welt käme, dann würde ich mir noch hundert Mal wünschen, dass ich wieder Sängerin würde.
Singen ist nicht schwer.
Staaatsoperndirektor Dominique Meyer (Wiener Staatsoper): „Mit dem Tod von KS Hilde Zadek hat uns eine Staatsopernikone des 20. Jahrhunderts verlassen, eine bedeutende Künstlerin, die das Nachkriegsensemble der Staatsoper repräsentierte wie wenige, eine legendäre Pädagogin, die Generationen prägte.“
Zitate aus „Die Zeit, die ist ein sonderbar' Ding“ - Hilde Zadek: Mein Leben (2001):
Was aus dem Inneren des Menschen kommt, muss man langsam wachsen lassen.
Ich lehne es ab, ein Buch über das Singen zu schreiben, weil keine Methode auch nur für drei Menschen stimmen kann, geschweige denn für dreitausend oder dreihunderttausend. Man muss als Lehrer viel Feingefühl haben und flexibel genug sein, um mit jedem Einzelnen anders arbeiten zu können.“
Zur Opernsängerin braucht es eine Portion Exhibitionismus. Ich habe mich immer als Singschauspielerin empfunden. Ein Gestalter auf der Bühne muss unendliche Facetten von Farben haben, eine Kiste voll Fantasie, die es ihm ermöglicht, wie ein Chamäleon in eine andere Gestalt zu schlüpfen.
Alles verändert sich. Und immer behaupten die Konservativen, die vorige Kultur wäre besser, reicher und positiver gewesen.
Ich betrachte das Heute als ein Übergangsstadium, einen Versuch. Jede Kultur freilich war ein Versuch.
In der Oper versetzen sich Menschen in Situationen, die sie selbst erlebt haben oder nach deren Erleben sie sich sehnen. Daher darf Oper keine alte Klamotte sein, der Regisseur hat die Aufgabe, einen verständlichen Mittelweg zwischen altem Inhalt und aktueller Theaterauffassung zu finden. Angesichts der Schwierigkeit dieser Aufgabe habe ich es nie gewagt, Regie zu führen.
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Hilde Zadek, die gerne lachte und über Humor verfügte, erzählte einmal einer kleinen Runde von einem aberwitzigen Missverständnis, das sich 1951 in Seattle zutrug, dem Jahr ihrer Ernennung zur Wiener Kammersängerin. Hilde Zadeks Mutter (mit dem Rest der Zadek-Familie in die USA nach Seattle emigriert) erzählte einer Nachbarin mit stolzgeschwellter Brust, ihre Tochter Hilde sei in Wien Kammersängerin geworden, was die Nachbarin sehr verdutzte, denn die sei davon ausgegangen, Tochter Hilde sänge doch bereits an der Oper?!
Links
siehe Wikipedia
Literatur & Quellen
Hilde Zadek: „Die Zeit, die ist ein sonderbar' Ding“. Mein Leben, hg. von Volkmar Parschalk, Wien u.a. 2001 (mit CD), ISBN 3-205-99362-4.
Weitere Literatur siehe Hilde Zadek – Wikipedia
Diskografie
siehe Wikipedia
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