Fembio Specials Europäische Jüdinnen Henriëtte Bosmans
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Henriëtte Bosmans
(Henriëtte Hilda Bosmans, Rufnamen: Jet, Jettie bzw. Jetty)
geboren am 6. Dezember 1895 in Amsterdam, Niederlande
gestorben am 2. Juli 1952 in Amsterdam, Niederlande
niederländische Komponistin, Pianistin und Musikjournalistin
70. Todestag am 2. Juli 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Henriëtte Bosmans wuchs mit Musik auf und war schon als Kind von ihr besessen. Ihre Eltern waren beide in der Musikwelt der Niederlande um 1900 bekannt und angesehen: ihre Mutter, die Pianistin Sara Benedicts, die aus einer jüdischen Familie stammte, sowie ihr Vater, der Cellist Henrik Bosmans. Dieser starb, als sie erst acht Monate alt war.
Von ihrer Mutter erhielt sie den ersten Klavierunterricht, und sie blieb Privatschülerin, ging also nicht auf ein Konservatorium. Nur für andere Musikfächer besuchte sie eine Musikschule. Bereits zu dieser Zeit schrieb sie ihre ersten Kompositionen, begann aber erst ernsthaft damit, nachdem sie mit 17 Jahren ihr Diplom für Klavierunterricht erhalten hatte.
Ihre ersten Stücke für Violine und Klavier, die noch sehr unter dem Einfluss der Hochromantik standen, widmete sie ihrer Mutter. Im November 1915 debütierte die Neunzehnjährige als Konzertpianistin mit dem Utrechtsch Stedelijk Orchest (USO) mit Mozarts 15. Klavierkonzert, KV 450. Dem folgten 1916 Konzerte in Amsterdam im Concertgebouw mit dem 4. Klavierkonzert von Beethoven und im gleichen Jahr in Rotterdam mit dem USO, wo sie die Burleske spielte, ein frühes, selten vorgetragenes Klavierstück von Richard Strauss. Die Kritiken fielen nicht gut aus, so dass sie in den nächsten Jahren auch nicht mehr mit Orchester auftrat. Ab 1918 wandte sie sich erst einmal der Kammermusik zu, bevor sie 1921 als Konzertpianistin mit Beethovens 4. Klavierkonzert auftrat. Während dieser Zeit arbeitete sie viel mit der Violinistin Sepha Jansen zusammen.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts gaben zahlreiche Frauen Musikunterricht, der Bedarf hatte stark zugenommen. Musikunterricht wurde zu einem Frauenberuf, vor allem für Klavier und Gesang. Auch die Anzahl komponierender Frauen nahm seit etwa der Jahrhundertwende zu. Wie auch andere KomponistInnen konnte Bosmans nicht von ihren Kompositionen leben. So blieb ihr nur die Kombination aus Auftritten und Musikunterricht.
1919 erhielt sie von dem Cellisten Marix Loevensohn einen Auftrag, ein Werk für die Ausstellung „De Onafhankelijken“ im Stedelijk Museum zu komponieren. Dieses Stück für Cello und Klavier erhielt zwar nur mäßige Reaktionen, sollte aber dennoch ihr Eintritt in die offizielle niederländische Komponistenwelt sein. Mit dieser Cellosonate fängt Bosmans an, eine eigene Stimme zu entwickeln, weg von der in den Niederlanden vorherrschenden Musikpraxis, die sich im Wesentlichen an Schumann und Brahms orientierte. Sie mochte das Cello lieber als ihr eigenes Instrument und sollte zahlreiche Stücke für Cello schreiben.
Zu dieser Zeit komponierte sie vorwiegend Kammermusik und Lieder. 1920/21 studierte sie Orchestermusik bei dem niederländischen Komponisten und Dirigenten Cornelis Dopper, der ihr Kompositionstalent sehr schätzte. Ein Jahr später schrieb sie ihr erstes Werk für Orchester, das mit 40 Minuten ihr längstes bleiben sollte. In den nächsten Jahren entstanden zehn weitere Orchesterwerke von ihr, alle mit vokalen bzw. instrumentalen Solopartien. Ihre Kompositionen waren meist von KünstlerInnen inspiriert, die diese Stücke auch vortrugen.
Ab 1922 arbeitete Bosmans als Klavierlehrerin, was ihr schwer fiel und ihr auch als Lebensinhalt wenig anziehend erschien. Sie hätte eine Karriere auf dem Podium bevorzugt. Auch wenn ihr dies keine finanzielle Basis geboten hätte, hätte sie so doch zumindest auch ihre eigenen Werke zu Gehör bringen können. Aber in den Niederlanden wurden ausländische MusikerInnen häufig bevorzugt, was im Lande immer wieder zu Unmut führte, da es den eigenen KünstlerInnen nur wenige Auftritte ermöglichte. So konnte auch Bosmans weit weniger häufig mit Orchestern arbeiten, als sie es gerne getan hätte. Beim renommierten Concertgebouworkest durfte sie meist nur für kranke KollegInnen einspringen.
Im Oktober 1921 lernte Bosmans die neun Jahre jüngere Cellistin Frieda Belinfante kennen, mit der sie eine siebenjährige Liebesbeziehung verbinden sollte. Obwohl sie jünger war, fühlte sie sich für Bosmans verantwortlich, regelte alle praktischen Dinge, nicht nur in den Jahren, in denen sie zusammen lebten, und nahm sie vor ihrer überfordernden Mutter in Schutz. Die regelmäßigen Affären, die Bosmans nebenher hatte, schienen sie nicht weiter zu stören.
Bosmans widmete ihr ihr 2. Cellokonzert, das im Januar 1924 mit Belinfante als Solistin uraufgeführt wurde. War sie bislang meist in einem Duo aufgetreten, so spielte Bosmans ab 1928 häufig in einem Trio, so zu dieser Zeit mit Belinfante und dem Flötisten Johan Feltkamp als „Amsterdamsch Trio“, ab 1930 als „Het Hollandsch Trio“ mit dem Violinisten Ferdinand Helmann und dem Cellisten Henk van Wezel.
Da sie danach strebte, einen eigenen moderneren Stil zu entwickeln, studierte Bosmans von 1927 bis 1930 Orchestermusik bei Willem Pijper, der zu einem wichtigen Einfluss für sie wurde. Drei ihrer wichtigen Werke entstanden in dieser Zeit: ihr Streichquartett (1927), das Concertino für Klavier und Orchester (1928) sowie das Concertstuk für Flöte und Kammerorchester (1929). Ihre Arbeiten wurden klarer und überzeugender, aber sie verarbeitete auch weiterhin orientalische Motive. Zudem spielte seit dieser Zeit auch das Orchester eine wichtigere Rolle in ihren Kompositionen. Ihr Gesamtwerk blieb relativ schmal, denn sie konnte nur neben ihrer Karriere als Pianistin und ihrem Beruf als Klavierlehrerin komponieren, es blieb ihr einfach nicht genug Zeit. Sie brauchte allerdings auch einen inspirierenden Menschen in ihrem Leben. An sich war für sie Komponieren das Wunderbarste überhaupt.
Ihr Concertino wurde nach einer ersten Aufführung in Amsterdam bei dem jährlichen Festival der International Society for Contemporary Music (ISCM), das 1929 in Genf stattfand, aufgeführt, Bosmans selber spielte den Klavierpart. Die Reaktionen waren durchaus positiv. Auch beim Festival der ISCM 1932 in Amsterdam nahm sie wieder mit einem eigenen Werk Teil.
1934 verlobte sich Bosmans mit dem Violinisten Francis Koene, der bis 1933 Konzertmeister an der Dresdener Staatsoper gewesen war, dann aber aufgrund der politischen Verhältnisse in Deutschland wieder in die Niederlande zurückkehrte. Ihm widmete sie das Konzertstück für Violine und Orchester, dessen für Mai 1935 geplante Uraufführung er allerdings nicht mehr miterleben sollte, da er im Januar an einem Hirntumor starb.
Nach seinem Tod stürzte sich Bosmans in Arbeit; sie konnte allerdings jahrelang nicht mehr komponieren. In den 1930er Jahren war sie jedoch eine der wenigen niederländischen MusikerInnen, die mit dem international berühmten Concertgebouworkest spielen durfte. Außerdem hatte sie immer wieder internationale Auftritte, wie in Prag, Paris und Belgien. Auch von anderen wurden ihre Stücke auf internationalen Podien gespielt.
Nach der Besatzung der Niederlande im Mai 1940 durch die Deutschen wurden auch dort umgehend zahlreiche Erlasse gegen Juden und Jüdinnen eingeführt. So durften ab September keine jüdischen SolistInnen mehr auftreten, und bald darauf durfte auch keine Musik von jüdischen KomponistInnen mehr gespielt werden, jüdische Lehrende am Konservatorium wurden entlassen, ebenso alle Orchestermitglieder. Ihre Bewegungsfreiheit wurde immer weiter eingeschränkt. Anfang 1941 mussten sich alle Juden und Jüdinnen registrieren lassen, was sowohl Bosmans als auch ihre Mutter taten, auch wenn sie bei Religion „keine“ angaben; anders als ihre Mutter war Bosmans katholisch getauft. Während sich ihre Mutter kaum noch auf die Straße traute, konnte Bosmans als „Halbjüdin“ erst noch eine Aufhebung ihres Auftrittsverbotes bekommen, jedoch nur zeitlich begrenzt. Ab Herbst 1941 durften jüdische MusikerInnen nicht mehr öffentlich auftreten, ihnen blieb nur noch das Joodsche Symfonie Orkest, mit dem sie ausschließlich vor jüdischem Publikum Musik von jüdischen KomponistInnen spielen durften.
Auch wenn Bosmans seit dem 1. April 1941 nicht mehr öffentlich auftreten durfte, wurde sie doch in einer 1941 erschienen Übersicht über niederländische KomponistInnen ab 1400 zu den wichtigsten Komponistinnen gezählt. Von 1942 bis 1945 konnte sie nur noch bei illegalen Hauskonzerten auftreten, diese „zwarte avonden“ (schwarzen Abende) waren eine willkommene Ablenkung für sie, denn auch Musikunterricht konnte sie kaum noch geben, da Instrumente während des Krieges als Luxus galten. In diese Zeit fiel auch ihre enge Freundschaft mit der Schauspielerin Charlotte Köhler, die sich weigerte, Mitglied der Kulturkammer zu werden. Für sie schrieb sie auch einige Lieder.
Das Verhältnis zu ihrer Mutter war sehr schwierig, aber auch sehr eng. Und so drängte Bosmans sie während der Besatzung immer wieder dazu, möglichst viel zuhause zu bleiben. Als ihre Mutter im April 1944 verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork kam, aus dem die meisten in Konzentrationslager deportiert wurden, setzte sie alles in Bewegung, um sie wieder frei zu bekommen, was ihr auch – vermutlich durch die Hilfe des Dirigenten Willem Mengelberg – bereits wenige Tage später gelang.
Nach der Befreiung der Niederlande schrieb Bosmans zwei Befreiungslieder: Gebed (Gebet) und Daar komen de Canadezen (Da kommen die Kanadier). Sie trat bei den „Vrije klanken“-Konzerten auf, die denjenigen gewidmet waren, die jegliche Zusammenarbeit mit den Besatzern verweigert hatten. Außerdem beendete sie zwei Stücke für Sprechstimme und Orchester, die sie während des Krieges begonnen hatte: Lead, kindly light sowie Doodenmarsch. Aber ihre Zeit als führende Konzertpianistin war vorbei, dessen war sie sich nur allzu bewusst.
In die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fällt auch ihre Freundschaft mit dem britischen Komponisten Benjamin Britten und seinem Partner, dem Tenor Peter Pears.
In der Nachkriegszeit wandte sie sich dem Musikjournalismus zu und schrieb für verschiedene Zeitschriften im Wesentlichen über KünstlerInnen, die sie persönlich kannte und schätzte.
Ende der 1940er Jahre lernte sie ihre letzte Liebe kennen: die französische Mezzosopranistin Noëmie Perugia. Durch sie wurde sie wieder zum Komponieren inspiriert; sie widmete ihr zahlreiche Lieder. Sie traten auch regelmäßig zusammen auf, so z. B. beim Sommerfestival 1949 in Sceaux bei Paris sowie beim Holland Festival 1950.
Im Sommer 1950 machte sich eine Erkrankung bei Bosmans bemerkbar, die sich später als Magenkrebs herausstellen sollte. Trotzdem nahm sie im September 1950 noch an einem Konzert zum Gedenken an die WiderstandskämpferInnen teil, die während der deutschen Besatzung im „Oranjehotel“, dem Gefängnis in Scheveningen, inhaftiert waren.
Im nächsten Jahr wurde sie mit dem niederländischen Verdienstorden „Ridder in de Orde van Oranje Nassau“ ausgezeichnet, der an Menschen mit besonderen Verdiensten um Gesellschaft und Gemeinwesen verliehen wird.
Kurz nachdem sie noch in der Jury des Concours Gabriel Fauré mitgewirkt hatte, starb Henriëtte Bosmans am 2. Juli 1952 im Prinsengracht Krankenhaus. Sie wurde im Grab ihrer Eltern auf dem Amsterdamer Friedhof Zorgvlied beigesetzt.
Seit 1994 gibt es den nach ihr benannten Henriëtte Bosmansprijs, einen Förderpreis für niederländische KomponistInnen, der seit 2002 vergeben wird.
In den Niederlanden sind mindestens vier Straßen nach ihr benannt.
Ihre Werke werden bis heute gespielt, so z.B. beim renommierten Koningin Elisabeth Wedstrijd, einem internationalen Musikwettbewerb in Belgien, 2017 für Cello (Poème voor cello en orkest) sowie dem Kamermuziekfestival Den Haag 2017. Außerdem sind mehrere CDs mit ihren Werken erschienen.
Verfasserin: Doris Hermanns
Literatur & Quellen
Henriëtte Bosmans in der Deutschen Nationalbibliothek
Über Henriëtte Bosmans:
Becker, Juanita M.: Henriëtte Bosmans: Pianist and Composer. Treatise Florida State University, 1998
Bosland, Elisabeth: Henriëtte Bosmans, in: Homologie, jrg. 6, nr. 2, maart-april 1984
Boumans, Toni: Een schitterend vergeten leven. De eeuw van Frieda Belinfante. Amsterdam, Balans, 2015
Catalogus van werken van Nederlandse componisten. Deel 7: Henriëtte Bosmans. Amsterdam, Donemus, 1954
Metzelaar, Helen: Zes vrouwelijke componisten. Zutphen, Walburg, 1991
Metzelaar, Helen: Zonder muziek is het leven onnodig. Henriëtte Bosmans (1895-1952), een biografie. Zutphen, Walburg, 2002
Micheels, Pauline: (e. a.): Wat bleef was hun muziek. Den Haag, Albersen, 2007
Müller, Klaus & Judith Schuyf (red.): Het begint met nee zeggen. Biografieën rond verzet en homoseksualiteit 1940-1945. Amsterdam, Schorer, 2006
Ramaer, Huib: Henriëtte Bosmans 1895-1952, Lex van Delden 1919-1988. Twee prominente figuren in het naoorlogse muziekleven. Amsterdam, Stichting De Muziekmijn, 2002
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