Fembio Specials Exilantinnen (1933-1945) Hannah Tillich
Fembio Special: Exilantinnen (1933-1945)
Hannah Tillich
geboren am 17. Mai 1896 in Rotenburg an der Fulda
gestorben am 27. Oktober 1988 in East Hampton, New York
deutsch-US-amerikanische Schriftstellerin und Malerin; Ehefrau Paul Tillichs
35. Todestag am 27. Oktober 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„I am. I alone am.“ Dies sind die ersten Worte eines Buches, das 1973 die US-amerikanischen Feuilletons zu heftigen Debatten provoziert.
So offensiv wie nonchalant veröffentlicht Hannah Tillich – 77-jährig! – unter dem Titel From Time to Time den ersten Teil ihrer literarischen Spätlese: Lyrik, Erzählungen und Dramolette, pointenreich collagiert mit Erinnerungen an ein zweifellos bewegtes Leben. Biographische Details, die Hannah Tillich preisgibt, missfallen insbesondere der deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft. Auf dem sogenannten Rechtsweg gelingt es, From Time to Time dem deutschen Lesepublikum vorzuenthalten – für beinahe 20 Jahre.
Hannah Tillich, die theologischen Gesprächskreisen die Nächte der Bohème und dem „zuckersüßen Jesus“ den Zen-Buddhismus vorzog, war noch nie leicht zu nehmen.
Hannah Werner wächst in einem liberalen Pfarrhaus auf. Von der musisch begabten Mutter in ihrer Neigung zu Malerei und Literatur zunächst unterstützt, wird sie 15-jährig als jüngste Schülerin in die Kunstgewerbeschule Berlins aufgenommen. Der schließlich nur kurzfristig ausgeübte Lehrberuf ist ein mit den besorgten Eltern geschlossener Kompromiss: Gerne würde sich Hannah als freie Künstlerin profilieren.
Aus widersprüchlichen Impulsen heraus heiratet sie 1920, nach einer Zeit intensiver Liaisons mit Frauen, einen ehemaligen Kommilitonen. Für ihn gibt Hannah das Malen auf, um sich als Modell – als „schöner Körper” – bereitzuhalten. Doch längst schon gilt Hannahs Passion einem anderen Mann: „Paulus“, mit dem sie 45 erfüllte Jahre teilen und zwei Kinder haben wird. Ihm folgt sie durch die intellektuellen Hochburgen der Weimarer Republik und 1933 – Paul Tillich wird als „Kulturbolschewist“ verfemt – ins Exil nach New York. Rasch sind Staffelei und Schreibtisch zurückerobert – als private Refugien der Selbstbesinnung. Ihr jahrzehntelanges Schweigen nach einem noch in Deutschland erschienenen Gedichtband durchbricht Hannah Tillich erst mit jenem skandalauslösenden Satz “I alone am.”
In der zweiten Ehefrau des weltweit hochgeschätzten Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich war, acht Jahre nach dessen Tod, eine Dichterin zu entdecken, eine kritische Zeitzeugin – und eine stolze, eigenwillige Persönlichkeit, die sich bürgerlichen Konventionen ebenso entschieden widersetzte wie der Rolle einer fügsamen First Lady der Theologie.
(Text von 1992)
Verfasserin: Esther Röhr
Literatur & Quellen
Albrecht, Renate & Margot Hahl. 1980. Paul Tillich: Ein Lebensbild in Dokumenten. Briefe, Tagebuchauszüge, Berichte. Stuttgart; Frankfurt/M. Evang. Verlagswerk.
Pauck, Marion und Wilhelm. 1978 [1976]. Paul Tillich: Sein Leben und Denken. Band I: Leben [= Paul Tillich: His Life and Thought. Vol. I: Life]. Stuttgart; Frankfurt/M. Evang. Verlagswerk in Gemeinschaft mit dem Verlag Otto Lembeck.
Röhr, Esther. “'I am. I alone am'. Hannah Tillichs 'From Time to Time'”, Die Tageszeitung (taz) 6.1.1990.
Tillich, Hannah. 1935. Vom Abschied und von den vielen Gesichtern der Dämmerung. Papenburg. J.J. Lauscher.
Tillich, Hannah. 1976. From Place to Place. Briarcliff Manor, New York. Stein and Day.
Tillich, Hannah. 1992/93 [1973]. Ich allein bin: Autobiographie. [=From Time to Time]. Aus dem Engl. von Sieglinde Denzel & Susanne Naumann. Gütersloh. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn.
Wehr, Gerhard. 1979. Paul Tillich in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg. rororo monographie 274.
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