Fembio Specials Europäische Jüdinnen Grete Heymann-Loebenstein
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Grete Heymann-Loebenstein
(Margarete Heymann [Geburtsname], Margarete Heymann-Marks, Margret Marks [engl. Sprachraum])
geboren am 10. August 1899 in Köln
gestorben am 11. November 1990 in London
deutsch-englische Keramik-Künstlerin und Malerin
125. Geburtstag am 10. August 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Grete Heymann-Loebensteins Name steht für herausragende, avantgardistische Keramik, reichlich unternehmerisches Talent – und für eines der vielen unrühmlichen Kapitel deutscher NS-Vergangenheitsbewältigung.
Intermezzo in Thüringen
Grete Heymann-Loebenstein, Spross vermögender TuchfabrikantInnen und Nachfahrin Heinrich Heines, ergatterte im Herbst 1920, nach zwei Absagen, einen Studienplatz am Bauhaus in Weimar. Neu in der Kunstszene war sie damals nicht: In ihrer Heimatstadt Köln hatte sie bereits die Kunstgewerbeschule besucht, in Düsseldorf Malerei an der Akademie für Bildende Kunst studiert.
Endlich am vermeintlichen Ziel, dem Bauhaus, angekommen, erhielt sie gleich nach dem Vorkurs, im März 1921, einen erneuten Dämpfer: Frohen Mutes schrieb sie sich für die Keramikwerkstatt ein, um barsch abgewiesen zu werden. Derzeit würden »keine Frauen in der Keramikwerkstatt akzeptiert« (zit. n. Baumhoff, 2001, S. 129), hieß es. Alternativ schlage mann eine Lehre in der Buchbinderei vor. Heymann-Loebenstein ließ sich nicht abwimmeln. Monatelang lieferte sie sich einen Schlagabtausch mit Töpferei-Formmeister Gerhard Marcks und Bauhaus-Direktor Walter Gropius. Schließlich wurde sie in der Töpferei geduldet – versuchsweise, wie es in den Akten heißt.
»…ihret- und der Werkstatt wegen«: Gender-Zwist am Bauhaus
Heymann-Loebenstein gehörte zur kleinen Zahl bislang identifizierter Bauhäuslerinnen, die sich gegen die regressive Geschlechterpolitik am Bauhaus wehrte. Gleichwohl: Am Ende, im Herbst 1921, nahm auch sie ihren Hut. Freiwillig. Nach einem Jahr. Angesichts ihres bruchstückhaft erforschten Lebens lässt sich der Hintergrund bloß erahnen: Heymann-Loebenstein, die sich um 1930 als »Neue Frau« von Welt, mit dandyhaftem Kurzhaarschnitt und Kleinmuster-Krawatte ablichten ließ, habe mit der Provinz nicht harmoniert, mutmaßt Ulrike Müller: die Töpferei war auf dem Lande, im Marstall eines der Dornburger Schlösser untergebracht. Möglicherweise setzte ihr zudem Gerhard Marcks’ – politisch wie künstlerisch – konservatives, von Antisemitismen durchsetztes Weltbild zu. Ungeachtet der vielen unbekannten Szenen, die sich hinter den hohen Werkstattmauern abgespielt haben mögen, dürfte nicht zuletzt die wochenlange Hinhalte-Taktik der Meister Heymann-Loebensteins Geduld strapaziert haben: »…talentiert, aber ungeeignet für die Werkstatt … Entscheidung bis zur nächsten Sitzung vertagt« (zit. n. Müller, 2009, S. 72) lautete der finale Akteneintrag, bevor sie ging.
»Ungeeignet für die Werkstatt« schien Heymann-Loebenstein weniger mangels Begabung. Vielmehr beschlossen Marcks und Gropius um 1920/21, künftig die Keramikwerkstatt ausnahmslos mit Männern zu bestücken: »Dieses Handwerk ist zu hart für Frauen«, schrieb Gropius 1923, zwei Jahre nach Heymann-Loebensteins Exmatrikulation (zit. n. Baumhoff, 2001, S. 123). »Möglichst keine Frauen in die Töpferei«, legitimierte er seinen Parcours der Androzentrik, »ihret- und der Werkstatt wegen« (zit. n. Droste, 2006, S. 40). Damit widersprach sich Gropius zwar selbst (im Gründungsmanifest von 1919 tat er noch kund, das Bauhaus nehme jeden auf, »ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht«), doch pendelte sich der graue Kunstschulalltag bald auf weit spärlicherem Revolutionsniveau ein: Hurtig besannen sich die Meister der altbürgerlichen Vorkriegs-Devise, das »Talent der Frau« reiche bestenfalls für das »Klanghafte, Dekorative und Ornamentale« (Karl Scheffler 1908). Vordringlich verbannten sie ihre Studentinnen in vermeintlich weibliche Domänen. In die Weberei, die Buchbinderei und – bis 1920 – in die Töpferei. Frauen würden ohnehin, so der einhellige Meister-Tenor, nicht ins Berufsleben einsteigen wollen. Dass in Gropius‘ und Marcks’ verschworener, töpfernder Männergemeinschaft am Ende (die Werkstatt wurde 1925 ersatzlos geschlossen) acht weibliche, aber nur sieben männliche Lehrlinge ausgebildet wurden, hatte einen triftigen Grund: Es bewarben sich zu wenig Männer.
Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik
1923, kaum 24-jährig, gründete Grete Heymann-Loebenstein gemeinsam mit ihrem frisch angetrauten Gatten, dem promovierten Ökonomen Gustav Loebenstein und dessen Bruder Daniel die Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik in Marwitz. Knapp fünfzig Kilometer nordwestlich von Berlin gelegen und nach den Initialen von Heymann und Loebenstein benannt, verbuchte das Unternehmen rasch glänzende Bilanzen: Die PR-tüchtige FabrikantInnen-Trias schleppte ihre Produkte emsig von Messe zu Messe. Und von Ausstellung zu Ausstellung – auch zur epochalen Breslauer Werkbund-Ausstellung »Wohnung und Werkraum« (1929). Gegen Ende der 1920er Jahre waren in den Haël-Werkstätten beinahe 100 MitarbeiterInnen beschäftigt, und die Ware wurde bis nach Afrika, Australien und Südamerika exportiert.
Haël-Keramiken wurden nicht als simple Alltagsgebilde verstanden. Sie wurden als kleine, hochmoderne Kunstwerke vermarktet – und rezipiert: 1924 lobte u.a. die Zeitschrift »Kunst und Kunstgewerbe« das Haël-Sortiment als künstlerisch wegweisend, in Form, Präzision und Glasur (Wendland 1924). Gestalterisch legte Heymann-Loebenstein – sie schuf fast alle Serien im Alleingang – eine bemerkenswerte Experimentierfreude an den Tag: Eingangs eher unprätentiös, fast bodenständig, gerieten ihre, in Gieß- und Eindrehverfahren gefertigten Entwürfe zusehends exzentrischer. Mal fingerdickes Steingut, mal hauchdünne Feinkeramik. Hier sachlich-funktional, dort verspielt geschwungen. Bisweilen schreiend bunt glasiert – zitronengelb, uranrot, pechschwarz. Mitunter blass monochrom gehalten. Hier mit Kandinsky-artigen Strichen bepinselt, dort mit ostasiatischen Anleihen. Haël stand für eine ungewöhnlich komplexe Gebrauchs- und Zierkeramik-Palette: Konisch zulaufende Tee-, Kaffee- und Mokka-Services, opulente Tafelgeschirre, zarte Vasen, breite Schalen, bauchige Lampenfüße, vielgliedrige Kakteenübertöpfe und Kerzenständer. Dazwischen Uhren und RaucherInnen-Sets, die es locker mit konstruktivistischer Plastik hätten aufnehmen können.
Zu einem der markantesten Markenzeichen avancierten zweifellos die gedoppelten Scheibengriffe. Heymannn-Loebenstein brachte sie an Tassen und Kannen an und kombinierte sie in allen erdenklichen Materialien und Farben. Sogar in Silber/Alpaka, Ebenholz und Elfenbein. Haël-Keramik kündete nicht allein vom Ideenreichtum ihrer Schöpferin. Zugleich spiegelte sie die Sehnsucht ihrer begüterten KäuferInnen nach der Abgrenzung von Althergebrachtem. Zumindest beim Kaffeeservice.
Im August 1928, Heymann-Loebenstein war kaum 29 Jahre alt und zweifache Mutter, starben Mann und Schwager bei einem Autounfall. Fortan führte sie die Werkstätten in Eigenregie – ein Unterfangen, das ihr, sogar während der Weltwirtschaftskrise, beeindruckend glückte.
Aus Haël wird HB
»Aus dem Marwitzer Werk muss ein deutsches Unternehmen entstehen ohne Einfluss nichtarischer Personen« (zit. n. Müller, 2009, S. 74), schrieben im September 1933 Heymann-Loebensteins ehemals erbittertste Rivalen, die Eigentümer der benachbarten Steingutfabriken Velten-Vordamm. Seit Hitlers Ernennung zum Reichkanzler, zehn Jahre nach Gründung der Haël-Werkstätten, war Heymann-Loebenstein angesichts ihrer jüdischen Wurzeln permanenter Denunziation ausgeliefert. Beruflich wie privat: Als ihr fünfjähriger Sohn Stephan im März 1933 in ihrer Privatwohnung tödlich verunglückte, wurde sie vorübergehend inhaftiert. Wegen angeblicher Vernachlässigung des Kindes.
Wenige Monate später, im Sommer 1933, drohte die zweite Festnahme: Diesmal hatten zwei Angestellte sie angezeigt. »Verächtlichmachung und Herabminderung der deutschen Staatsautorität«, standen nun auf dem Papier. Und »minderwertige (…) Behandlung ihrer bisherigen Arbeiter« (Hudson-Wiedenmann, 2012, S. 132).
Um nochmaliger Verhaftung zu entgehen, floh Heymann-Loebenstein nach Bornholm. Im April 1934 verkaufte sie schließlich, zeitlich in die Enge gedrängt, die Haël-Werkstätten. Und zwar deutlich unter Wert: Der Käufer, NSDAP-Funktionär Dr. Heinrich Schild, Generalsekretär und Gleichschaltungsbeauftragter des Reichsstandes des deutschen Handwerks, blätterte für die Anlage ungewöhnlich niedrige 45.000 Reichsmark hin. Samt Brennofen, Gussformen, Lagerbeständen, Maschinen, Büro, Kundenkartei und Wohnhaus. Zur neuen Leiterin ernannte er eine Freundin – Hedwig Bollhagen (1907-2001). Dass bald darauf die Haël-Werkstätten den Namen »HB-Werkstätten für Keramik« trugen, Schild und Bollhagen also Heymann-Loebensteins Initialen-Spiel übernahmen, war keinesfalls die einzige Anleihe. Zugleich produzierten und verkauften sie fast die Hälfte der Serien weiter. Teils um die Lager zu räumen. Teils aus Überzeugung: Heymann-Loebensteins Service »Norma« lief offenbar bis in die 1960er Jahre übers Band.
Ikonenmord?: Spielarten der Vergangenheitsbewältigung
Im Mai 1935, ein Jahr nach dem Verkauf der Haël-Werkstätten und vier Monate vor Unterzeichnung der sog. »Nürnberger Gesetze«, publizierte das NS-Organ »Der Angriff« den Artikel »Jüdische Keramik in der Schreckenskammer«. Per Pseudonym »ran«. Zwar fallen weder Bollhagens noch Heymann-Loebensteins Namen darin. Doch werden beider Keramiken abgebildet, um nachfolgend u.a. zu kolportieren: Die jüdischen BesitzerInnen hätten Werk und ArbeiterInnen skrupellos zurückgelassen. Erst die neue Leiterin habe allen zu neuem Leben verholfen. Diese verdrehte Sicht teilten viele. Dekadenlang. Auch Hedwig Bollhagen, die nach 1945 zur DDR- bzw. ostdeutschen Vorzeigekeramikerin emporstieg, distanzierte sich von dieser Geschichtsklitterei niemals überzeugend.
Stattliche 66 Jahre nach Gründung der HB-Werkstätten von Kulturwissenschaftlerin Ursula Hudson-Wiedenmann nach potentiellen Schuldgefühlen befragt (angesichts des deutlich unter Wert erworbenen Werks), entgegnete Bollhagen: Heymann-Loebenstein habe »ja sozusagen Glück gehabt … überhaupt einen Käufer … gefunden zu haben« (zit. n. Hudson-Wiedenmann, 2012, S. 129). Fünf Jahre später rang Bollhagen-Biograph Andreas Heger nach ähnlichen Euphemismen: Die im NS-Artikel zitierte, eigens zur Diffamierung Heymann-Loebensteins in den HB-Werkstätten installierte »Schreckenskammer« habe gar nicht existiert, konstatierte er. Heymann-Loebenstein-Forscherin Hudson-Wiedenmann tat unterdessen 2007 neue Indizien für die Existenz der Kammer auf. (ebd., S. 136).
Ungefähr zeitgleich, im Vorfeld der opulent angelegten Jubiläums-Ausstellung zu Bollhagens 100. Geburtstag, stieß sie mit ihren Recherchen zur HB-Geschichte abermals auf Widerstand: Diesmal bei Bollhagens RechtsnachfolgerInnen. Der Disput zog sich bis in die Medien, obwohl Hudson-Wiedenmann niemals an Bollhagens Verdiensten als Keramikkünstlerin rüttelte. Sie focht allein um eine reflektierte Wiedergabe der HB-Gründungsmodalitäten. Durch »ein Weniger an Ikone«, argumentierte Hudson-Wiedenmann treffend, gewinne Bollhagens Persönlichkeit »ein Mehr an Menschlichkeit« (ebd., S. 130).
Drei Nachkriegs-Biographien
Seit Erwerb der Haël-Werkstätten ging es mit dem Käufer, Dr. Heinrich Schild, und seiner Leiterin Hedwig Bollhagen überwiegend bergauf – auch über 1945 hinaus: Schild, ehemals NS-Funktionär, zog nach Kriegsende in den Westen der Republik, gründete eine neue Firma und startete eine zweite politische Karriere. Als Mitglied des deutschen Bundestages und des Europaparlamentes. Und als langjähriger CDU-Landrat des Oberbergischen Kreises. Bollhagen führte unterdessen die HB-Werkstätten alleine durch die DDR-Zeit, um 2001, vielfach ausgezeichnet und – keineswegs zu Unrecht – als eine der Pionierinnen deutscher Keramikkunst gefeiert, zu versterben.
Heymann-Loebenstein war 1936 gezwungen, mit Sohn Michael nach Großbritannien zu emigrieren. Kurzzeitig beim angesehenen, traditionsverliebten Keramikhersteller Minton angestellt, nannte sie sich seit ihrer Hochzeit mit dem Uni-Dozenten Harold Marks 1938 Margret Marks. Nochmals gründete sie ein Unternehmen, die »Greta Pottery«. Doch bescherte der Zweite Weltkrieg der Firma ein jähes Ende. Nach der Geburt ihrer Tochter eröffnete sie 1945 ein Atelier für Keramik in London. Parallel besann sie sich zunehmend ihrer Anfänge als Malerin. An die Haël-Erfolge konnte sie nie mehr anknüpfen. 1990 starb Grete Heymann-Loebenstein-Marks in London. Eine umfangreiche, ihrer herausragenden Stellung innerhalb der Keramikkunst des 20. Jahrhunderts gebührende Monographie fehlt bis heute. Zu Hedwig Bollhagen sind unterdessen mehrere erschienen.
(Text von 2014)
Verfasserin: Annette Bußmann
Links
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Literatur & Quellen
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