Fembio Specials Europäische Jüdinnen Glückel von Hameln
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Glückel von Hameln
Berta Pappeinheim in der Tracht von GvH / Commons Wikimedia
(Glikl bas Judah Leib (hebräisch גליקל בת יהודה לייב) )
geboren 1646 in Hamburg
gestorben am 17. September 1724 in Metz
deutsch-jüdische Memoirenschreiberin und Kauffrau
300. Todestag am 17. September 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Glückel von Hameln ist die erste Frau, die in Deutschland eine Autobiographie schreibt, die selbstbewusst genug ist, ihr Leben, ihre Erfahrungen und Gedanken für überliefernswert zu halten.
Dies ist umso erstaunlicher, als sie der verachteten und verfolgten jüdischen Minderheit angehört, der bis heute von manchen Leuten die Zugehörigkeit zur deutschen Kultur, Geschichte und Gesellschaft bestritten wird.
Der Anlass ihres Schreibens ist allerdings ein trauriger. Sie beginnt kurz nach dem Tod ihres ersten Mannes zu schreiben, gleichsam als Selbsttherapie, „um mir in den langen Nächten die melancholischen Gedanken damit zu vertreiben.“
Geboren 1646 als Tochter eines erfolgreichen Hamburger Kaufmanns und einer Unternehmerin, wuchs sie im Wohlstand heran, in einer aufblühenden Handelsstadt, die die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland völlig unbeschadet überstanden hatte.
Stets war jedoch, in Hamburg wie in ganz Europa, die jüdische Gemeinde bedroht durch den latenten Judenhass der christlichen Umwelt, die in den Jüd:nnen lästige wirtschaftliche Konkurrenten sah, überdies belastet durch die „ewige Schuld“ am Tod Jesu Christi. Die „Schuld“ wurde gerade in Hamburg von einer eifernden Geistlichkeit immer wieder betont und zur Aufhetzung der Bürgerschaft gegen die JüdInnen benutzt.
Mit knapp fünfzehn Jahren wurde Glückel mit Chaijm Hameln verheiratet, Beginn einer glücklichen und wirtschaftlich erfolgreichen Partnerschaft und einer langen Folge von insgesamt vierzehn Schwangerschaften. “Ich habe alle zwei Jahre ein Kind gehabt und mich sehr gequält, und habe mir immer gedacht, dass kein Mensch eine schwerere Last hätte und sich mehr mit Kindern quälen müsste als ich.”
Chaijms Tod im Januar 1689 ließ Glückel verzweifelt, aber immerhin recht gut versorgt zurück. Nicht materielle Dinge fehlten ihr, sondern der Mensch und Ehepartner Chaijm: „Jetzt habe ich niemanden mehr, dem ich mein Leid klagen, niemanden, auf den ich mich stützen könnte, als nur unseren Vater im Himmel. Alle meine Sorgen hat mir der liebe Freund ausreden können, und durch seinen Zuspruch kam mir alles leichter vor. Wer aber ist nun mein Tröster…?
Ganz auf sich allein gestellt, führte sie den ausgedehnten Gold- und Juwelenhandel ihres Mannes erfolgreich weiter. Auf zahllosen Reisen zu Messen in Deutschland und den Niederlanden gelang es ihr, den Familienwohlstand zu erhalten und die meisten ihrer Kinder gut zu verheiraten und geschäftlich zu etablieren.
Mit den reichsten jüdischen Kaufleuten im Deutschen Reich verhandelte sie von gleich zu gleich. Glückel unterwarf sich in allen ihren Handlungen einer strikten Ethik: „Hat man Geld oder Waren von anderen Leuten in Händen, so muss man mehr Sorge dafür haben als für das Eigene, damit man keinem ein Unrecht tut. Denn das ist die erste Frage in der künftigen Welt, ob man auch treu im Handel und Wandel war.“
Für geschäftliche Misserfolge ihrer Kinder stand sie mit ihrem eigenen Vermögen ein, wohl wissend, dass ihr guter Name ihr bestes Geschäftskapital bildete. Sie glaubte fest an einen gerechten Gott, nahm alles Unglück und Missgeschick als Strafe ihrer Sünden und alles Glück als Belohnung für richtiges Handeln an.
Ihre zweite Ehe, mit einem reichen jüdischen Bankier in Metz, geschlossen 1700 in der Hoffnung auf ein behagliches Alter in Wohlstand und Ansehen, war der größte Fehler ihres Lebens, wie ihr wenige Jahre später bewusst wurde. Elf Jahre war sie Witwe gewesen und es geblieben, mit guten Gründen: „So lange ich konnte und solange mir deuchte, dass ich mich mit dem, was mein seliger Mann mir hinterlassen, ernähren könnte, kam es mir nicht in den Sinn, mich zu verändern.“ Statt dessen wollte sie nach dem heiligen Lande ziehen und dort auf die Ankunft des Messias warten – ein Lebensplan, der unter frommen Jüd:nnen damals nicht ungewöhnlich war.
Aber sie wurde älter, ihre Kräfte ließen nach, die Anforderungen ihres Berufs wurden ihr immer beschwerlicher. Sie bereute nun, keine neue Ehe geschlossen zu haben, zur Alterssicherung und zum Wohle ihrer Kinder. In dieser Situation schlug man ihr vor, den verwitweten Hirz Levy zu heiraten, er sei „ein vortrefflicher Jude und hervorragend an Gelehrsamkeit und Reichtum.“
Sie ließ sich darauf ein, löste ihr Geschäft auf und zog nach Metz, Dort wurde sie zwar würdig empfangen, aber wir erfahren nicht, ob der neue Gatte ihr überhaupt gefiel. Vielmehr vermerkt sie enttäuscht: „Mein Mann hat mich ... eine große Schachtel mit allerhand Ketten und Ringen sehen lassen. Aber er hat mir doch von jener Zeit an bis jetzt nicht das kleinste Ringchen oder irgendwelche silberne oder goldene Münze gegeben, so dass er sich an mir nicht bankerott gemacht hat.“
„Bankerott“ ging er aber doch und stürzte sie durch seinen geschäftlichen Zusammenbruch bereits zwei Jahre nach der Heirat in bitterste Armut. Bei seinem Tode äußerte Glückel keine Trauer. Im Hause ihrer Tochter starb sie völlig mittellos im September 1724(Text von 1998; ergänzt 2023)
Verfasserin: Marianne Goch und Luise F. Pusch
Zitate
Eine Frau, die, tief in ihrer Zeit wurzelnd, durch ungewöhnliche Geistesgaben hervorragte, die treu war ihrem Glauben, treu ihrem Volke, treu ihrer Familie und treu sich selbst. (Bertha Pappenheim)
Literatur & Quellen
Abrahams, Beth Zion. 1962. The Life of Gluckel of Hameln. London.
Davis, Natalie Zemon. 1995. Women on the Margins: Three Seventeenth–Century–Lives. Cambridge, MA. Harvard UP.
Davis, Natalie Zemon. 1997. “Mit Gott rechten: Glikl bas Judah Leib”, in: Hellmann, Brigitte. Hg. 1997. Frauengeschichte(n): Ein historisches Lesebuch. München. dtv. S. 216-226.
Goch, Marianne. 1999. “Glückel von Hameln”; in: dies. 1999. Im Aufbruch: Biographien deutscher Jüdinnen. Frankfurt/M. Insel TB.
Grolle, Ingeborg. 2011. Die jüdische Kauffrau Glikl (1646–1724) (= Hamburgische Lebensbilder, 22). Bremen. Edition Temmen.
Grözinger, Elvira. 2004. Glückel von Hameln. Kauffrau, Mutter und erste jüdisch-deutsche Autorin (Jüdische Miniaturen / Herausgegeben von Hermann Simon). Berlin. Hentrich und Hentrich Verlag.
Hameln, Glückel von. 1980 [1913]. Denkwürdigkeiten. Aus dem Jüdisch–Deutschen übersetzt, mit Erläuterungen versehen und hg. von Alfred Feilchenfeldt. Frankfurt/M. Athenäum.
Hameln, Glückel von. 2012. Die Memoiren der Glückel von Hameln. Aus dem Jüdisch-Deutschen von Bertha Pappenheim. Mit einem Vorwort von Viola Roggenkamp. Weinheim. Beltz.
Honigmann, Barbara. 2006. Das Gesicht wiederfinden: Über Schreiben, Schriftsteller und Judentum. Edition Akzente. München. Hanser Verlag.
Misler, Andrea. 1991. “Glückel (von) Hameln”, in: Herzig, Arno. Hg. 1991. Die Juden in Hamburg 1590-1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung “Vierhundert Jahre Juden in Hamburg”. Hamburg. S. 221-225.
Richarz, Monika (Hgin). 2001. Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit. Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden. Bd. 24. Göttingen. Wallstein.
Stadler, Bea & Paul Sharon. 1967. The Adventures of Gluckel of Hameln. [Drama]. New York, NY.
Glikls Memoiren wurden auch in hebräischer (1929 und 2006), französischer (1971), englischer (1932, 1962 und 1963) und russischer (2001) Übersetzung veröffentlicht. In den USA erschienen zwei fiktionale Bearbeitungen des Werks: 1941 das Theaterstück Glückel of Hameln von Margoa Winston (Pseudonym für Minnie Hannah Winer Epstein), 1967 der Roman The adventures of Glückel of Hameln von Paul Sharon. (Wikipedia)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.