Fembio Specials Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK Gertrude Sandmann
Fembio Special: Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK
Gertrude Sandmann
geboren am 16. Oktober 1893 in Berlin
gestorben am 6. Januar 1981 in Berlin
deutsche Malgrafikerin jüdischer Herkunft
130. Geburtstag am 16. Oktober 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Immer wieder ist Zeichnen für mich ›Zauber, Zauber‹ und – es soll auch so sein: fast unbegreiflich, dass man mit so wenigen Mitteln und Andeutungen das Charakteristische der Erscheinung festhalten kann.
In einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie in Berlin aufgewachsen, beginnt Gertrude Sandmann ihre künstlerische Laufbahn mit Zeichen- und Malkursen beim Verein Berliner Künstlerinnen (die Kunstakademie nimmt noch keine Frauen auf), an dem zuvor Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz unterrichtet wurden. Kollwitz arbeitete dort später auch als Dozentin.
Sie studiert bei Otto Kopp in München, bildet sich zur Malgrafikerin aus. Als zeitweilige Schülerin von Käthe Kollwitz beginnt sie eine lebenslange Freundschaft mit der Familie Kollwitz, die sie in späteren schwierigen Zeiten unterstützen wird.
Nach ihrer ersten Einzelausstellung im Rahmen Graphischer Kunst 1923 in Berlin nimmt sie in den folgenden Jahren an mehreren Gruppenausstellungen teil, wird Mitglied im Reichsverband bildender Künstler und im ersten überregionalen Künstlerinnenverein GEDOK, arbeitet wie so manche Künstlerinnen (Hanna Höch, Jeanne Mammen, Dodo) in den 1920ern als Illustratorin für Modezeitschriften. Das Erbe ihres Vaters erlaubt ihr, im eigenen Atelier dem Aufbruchs- und Entdeckungsgeist der Weimarer Republik zu folgen. Reisen und Studienaufenthalte führen sie nach Paris, Florenz, Ascona.
Ihr Leben lang kämpft sie für die Emanzipation der Frauen. Bereits Anfang der 1920er lebt sie offen ihre Homosexualität, sieht in der Gemeinschaft der Homosexuellen die 4. Internationale, frequentiert die einschlägigen Clubs und Vereine, malt und zeichnet mit Vorliebe Frauen. Die ablehnende Haltung der jüdischen Gemeinde dieser Lebensform gegenüber ist ein Grund für Gertrude Sandmann, sich vom Judentum loszusagen. Für sie sind alle Menschen gleich. 1933 wird sie jedoch auf ihr Jüdischsein per Geburt zurückgeworfen, und sagt nun: Jetzt erst recht.
Dem Ausschluss aus dem Reichsverband Bildender Künstler folgt 1935 Berufsverbot. Dabei ist Arbeit ihr Lebenselexier: Zeichnen, Unterrichten, Veröffentlichen. Ein Ausreisevisum benutzt sie nicht, da sie sich als Deutsche fühlt und nicht in einer fremden Kultur leben möchte, außerdem kann sie ihre alte kranke Mutter nicht im Stich lassen. Als die kurze Zeit später stirbt, ist ihr Visum nicht mehr gültig. Die massiven Einschränkungen im täglichen Leben nehmen fortlaufend zu. Kohlezeichnungen wie die Emigrantin, die Kauernde oder das Aquarell Mädchen mit Florentiner Hut, das aus dem Verborgenen zu blicken scheint, drücken die Stimmung dieser Jahre aus, in denen Gertrude Sandmann kaum noch das Haus verlässt. Immer aber auch findet sie einen Lichtblick, zeichnet eine rosa Hyazinthe, so wie sie riecht, sieht ein helles Detail im finsteren Alltag, erinnert sich an Sommerreisen und Musik, schreibt:
Ich habe jetzt die eine Aufgabe durch diese Zeit durchzukommen. Ich darf jetzt nicht immerfort an das Grauenhafte, Menschenunwürdige denken, das jetzt ständig geschieht, denn es zermürbt u. nichts kann ich damit daran bessern. Nur wenn ich durchhalte, dann vielleicht.
Nach dem Deportationsbefehl täuscht sie in einem Abschiedsbrief Selbstmord vor. Um glaubwürdig zu sein, muss sie alles in der Wohnung zurücklassen, auch die notwendigen Lebensmittelkarten. Ihre Bilder hat sie vorher in Sicherheit gebracht.
Mit Hilfe ihrer Gefährtin, der Kunstgewerblerin Hedwig Koslowski, genannt Johnny, taucht sie unter. Freundinnen verstecken sie in verschiedenen Wohnungen, schließlich in einer kleinen Kammer bei Familie Grossmann, und versorgen sie mit dem Nötigsten. Drei Jahre lang lebt sie eingeschlossen unter ständiger Lebensbedrohung mit kräftezehrenden Ängsten und Entbehrungen, zuletzt in einer Gartenlaube, dann im Atelier ihrer Lebensgefährtin, wo sie gesundheitlich geschwächt das Kriegsende erlebt.
Ihre Ende der 1940er entstandenen „Gespensterbilder“ zeigen die Schwarze Brandmauer der zerbombten Stadt und auch die Sonne im Korridor. Die Arbeit an ihren Bildern gibt ihr Kraft. Sie arbeitet besessen, bis sie die Bilder fühlt, das Bild innerhalb seiner Grenzen „anfängt zu schwingen“. Sie gehört mit zu den ersten, die nach dem Krieg wieder ausstellen. Aber das ist ihr nicht so wichtig. Zurückgezogen lebt und arbeitet sie in bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Atelierwohnung, seit 1956 zusammen mit der Zirkusartistin und Kraftfahrerin Tamara Streck. Sie liebt die Natur, der Balkon ist ihr Juwel. Das Meer hört sie in ihrem Innern rauschen.
Als Malgrafikerin bezieht sie sich auf Degas, Toulouse-Lautrec, Jeanne Mammen. Darüber hinaus entwickelt sie ihre eigene Theorie. Sie verbindet die in der Kunsttheorie als hart und männlich bezeichneten Formen und das Malen mit Farbe als das Warme, Fließende, Weibliche.
Es gibt nicht Männer- oder Frauenkunst sondern nur Menschenkunst und zwar von Menschen, die Männliches und Weibliches in sich vereinen.
Erst 1974 hat sie eine größere Grafikausstellung in Düsseldorf. Eva Kollwitz, die Enkelin von Käthe Kollwitz, schreibt im Vorwort des Katalogs:
Es gibt kein Frühwerk und kein Spätwerk der Sandmann: ein Akt der Zwanzigjährigen ist genauso ein zeichnerischer Wurf, wie er der Achtzigjährigen eigen ist.
Zeit der aufbrechenden Frauenbewegung. Gertrude Sandmann, 81jährig, ist der jungen Generation der lesbischen Frauen zugetan, die endlich sagen, was Sache ist. Sie unterstützt mehrere Lesbeninitiativen, die erste Frauengalerie „Andere Zeichen“, ist Mitbegründerin des Coming-out-Verlags und der ersten Lesbengruppe der Nachkriegszeit L 74 (Lesbos 1974), gestaltet für deren Zeitung UKZ (Unsere kleine Zeitung) drei Jahre das Titelbild mit ihrer Zeichnung Die Liebenden. Sie sieht diese überregionale Zeitung als Mittel, aus der Isolation herauszukommen.
In ihrer letzten Serie Schwarz auf Schwarz setzt sie sich mit der Einsamkeit auseinander und in ihren vorwiegend grauen Selbstporträts mit dem, was kommen mag ... Sie kennt vierzig Grautöne. Die Schatten sind ihr wichtig. Und die Platane. Den ganzen Sommer 1940 sah sie nur diesen einen Baum, über den sie sich bei jedem Wetter, in jedem Licht freute:
Kommt es nicht allein darauf an, sich zu freuen? Die Freuden zu finden?
Ihre Urne wurde im Grab ihrer zwei Jahre zuvor verstorbenen Lebensgefährtin Tamara Streck beigesetzt.
Als Malerin der Moderne hinterlässt Gertrude Sandmann ein künstlerisch vielfältiges Werk: mehr als 1000 grafische Arbeiten – Radierungen, Lithografien, Handzeichnungen, Mappenwerke – und Pastelle; als Schriftstellerin: zehn Tagebücher in lateinischer und 16 in Sütterlinschrift.
Verfasserin: Traude Bührmann
Zitate
Zitate Gertrude Sandmanns aus ihren Tagebüchern, in Jüdische Miniaturen, s.u. »Literatur«:
Ich habe weder Rassen- noch ein Nationalgefühl jedoch Heimatgefühle aber ich habe eine tief verwurzelte Solidarität zu allen Frauen. Geistig bin ich Europäerin, Westeuropäerin, menschlich: Schwester aller Menschen. (1934)
Erfreut über die Geburt einer holländischen Thronfolgerin: „Ein Matriarchat würde die Menschen auf dieser Erde glücklicher machen, bereiter zum Frieden, zur Brüderlichkeit, vor allem zum Respekt vor dem Lebendigen.“ (1938)
Eva Kollwitz: Sie tritt nicht nach außen: wörtlich, wie sinngemäß, aber in ihrer Zurückgezogenheit ist sie von heiterer Ruhe und dem Menschen zugewandt. Sie schafft ihre eigenen Paradiese, […] Es gibt Arbeiten der reinen Freude neben dem Schweren […]. Eine Eierschale schimmert wie Mondlicht, eine Frucht vermittelt das sinnliche Erlebnis des Schmeckens. (1974)
Links
Literatur & Quellen
Anna Havemann, Gertrude Sandmann – Künstlerin und Frauenrechtlerin, Jüdische Miniaturen, Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2011
Gertrude Sandmann, biografisches Album in der ständigen Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg, Berlin, seit 2005
Marcella Schmidt, “Gertrude Sandmann (1893-1981)”, in: Katalog ELDORADO zur Ausstellung Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850-1950, Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1984
Claudia Schoppmann, “Finden sie mich oder finden sie mich nicht” in: Zeit der Maskierung, Lebensgeschichten lesbischer Frauen im “Dritten Reich”, Orlanda Verlag, Berlin 1993
Ausstellungen
- 1946 Teilnahme an einer Graphischen Ausstellung im Schöneberger Rathaus
- 1949 zeigt sie eine Rötelzeichnung in einer Weihnachtsausstellung im Schloss Charlottenburg
- 1951 kauft der Magistrat von Berlin drei ihrer Arbeiten
- 1952 Einzelausstellung „Schwarz Weiss und farbige Zeichnungen“ in der Stadtbücherei Schöneberg
- 1958 mit zwei Zeichnungen auf der Großen Berliner Kunstausstellung vertreten
- 1968 Ausstellung mit der Bildhauerin Annemarie Haage im Haus am Kleistpark; in diesem Zusammenhang zeigt sie 72 Grafiken in der Kommunalen Galerie
- 1974 Einzelausstellung 45 ihrer Grafiken in der Düsseldorfer Galerie Völmel
- 2009 „Vom Sehen und Leben: Gertrude Sandmann. Retrospektive einer Künstlerin und Zeitzeugin”, Altes Rathaus Potsdam
- 2011 im Kunstamt Tempelhof-Schöneberg, Haus am Kleistpark
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