Fembio Specials FemBiografien von Renate Rochner (1929-2023) Gerta Overbeck
Fembio Special: FemBiografien von Renate Rochner (1929-2023)
Gerta Overbeck
geboren am 16. Januar 1898 in Dortmund
gestorben am 2. März 1977 in Lünen
deutsche Malerin
125. Geburtstag am 16. Januar 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Gerta Overbeck, aus großbürgerlicher Familie stammend, besaß den Mut und das Selbstbewußtsein, sich in der Notzeit der zwanziger Jahre für eine künstlerische Ausbildung zu entscheiden. Die Neue Sachlichkeit lag in der Luft, und in Hannover bildete sich ein Kreis junger KunststudentInnen, die schonungslos nüchtern und kritisch die Welt darstellten, in der sie lebten. Zwei junge Frauen waren sehr aktiv an dieser Gruppe beteiligt: Gerta Overbeck und Grethe Jürgens. Die beiden waren lange Zeit eng befreundet, und ihre Arbeiten sind von Thema und Stil her nah verwandt.
Ihre Bildthemen fanden sie im proletarischen Milieu der Stadt. Der Alltag der meisten Menschen war bestimmt von Arbeitslosigkeit, politischem Radikalismus und Inflation, und auch die Lebensbedingungen der Künstlerinnen waren ärmlich. “Diese Armut hat uns damals zur Ehrlichkeit und Wahrheit geführt.” (Ernst Thoms, Freund und künstlerischer Weggefährte Overbecks).
Politisch standen sie alle weit links. Overbeck war sogar kurze Zeit Mitglied der KPD. Nach dem Studium konnte keineR von ihnen von der Kunst leben. Sie arbeiteten in Fabriken und Büros und malten ihre Bilder abends und nachts. Overbeck verdiente bis 1931 ihren Unterhalt als Kunsterzieherin in Dortmund; eine zeitlang wohnte sie bei einer Bergarbeiterfamilie neben der Grube. In ihrer Freizeit malte sie mit unbestechlichem Blick: Hinterhöfe, Baustellen und Industrielandschaften mit Halden, Hochöfen und Stahlwerken. Sie vertrat die Ansicht, daß die Kunst auch für den einfachen Menschen “verständlich und zugänglich bleiben muß”.
Von 1931 bis 1937 war sie wieder in Hannover und wohnte wie Grethe Jürgens in der Podbielskistraße in der List. In der Zeitschrift
Anfang 1937 gebar Overbeck ihre Tochter Frauke; Vater war der Literat Gustav Schenk, den sie im Mai desselben Jahres heiratete. Die Ehe hielt keine drei Jahre. Schenk war Grethe Jürgens' Partner gewesen; es kam zur Entfremdung zwischen den Freundinnen. Von 1938 bis zu ihrem Tod 1977 lebte Overbeck in Cappenberg in der Nähe der westfälischen Stadt Lünen, wo sie auch aufgewachsen war.
In den 1960er Jahren wurde die Neue Sachlichkeit wiederentdeckt, und Gerta Overbeck und ihr Werk erfuhren eine späte Anerkennung. Heute gelten Overbeck und Jürgens als bedeutende Vertreterinnen dieser Richtung. Das Sprengelmuseum in Hannover besitzt etliche Werke von Gerta Overbeck. In Lünen gibt es eine Gerta-Overbeck-Straße, in Selm-Cappenberg einen Gerta-Overbeck-Weg, in Wolfsburg sogar einen Gerta-Overbeck-Ring.
(Text von 1997; 2012 für FemBio aktualisiert von Luise F. Pusch)
Verfasserin: Renate Rochner. Translated by Joey Horsley.
Zitate
Als dann der Januar 1933 kam, wohnte ich in einer Dachkammer in der Innenstadt, später in der Altstadt im Hinterhaus eines schmalen, fünfstöckigen Hauses mit Ausblick auf den zweiten Hinterhof, wo die Ratten tanzten und die Leute ihren Abfall aus den angrenzenden Häusern in den Hof warfen … Dort wohnte ich, als in der Marsch, wo es damals noch keinen See gab – ein riesiges Feuer angezündet wurde, in dem die nicht erwünschten Bücher verbrannt wurden … (Gerta Overbeck, Erinnerung)
Overbecks Bild ihrer geliebten Schwester Toni ist das monumentale Porträt einer modernen Frau, die in Mode, Darbietungen und Körperkultur involviert ist, ohne dabei zum Objekt zu werden. Als junge Künstlerin war Gerta Overbeck geprägt von den Diskursen und den Arbeitsbedingungen, die den sich verändernden Status von Frauen in der Weimarer Republik charakterisierten und bestimmte diesen zugleich mit. Aus dieser Position heraus verhandelte sie Stereotype in ihrer Kunst, und deshalb ist das Porträt von Toni Overbeck sowohl ein persönliches, intimes Bild als auch inspirierende Stellungnahme zur vielschichtigen Beziehung zwischen Frauen und Moderne. (Marsha Meskimmon 2002:54)
Gerta Overbeck war es, die eine der herausforderndsten Kombinationen von Gebärfähigkeit und weiblicher Kreativität schuf. Ihr Selbstbildnis an der Staffelei von 1936 ist ein monumentales Figurenbild: Die schwangere Künstlerin malt sich selbst. Dieser Konnex ist deshalb so signifikant, weil hier das traditionelle Berufsporträt – der Künstler bei der Arbeit – mit dem ultimativen visuellen Emblem weiblichen Schöpfungspotentials verschmolzen wird. Das Selbstbildnis an der Staffelei verbindet akkurate Ähnlichkeit, wie es Overbecks realistischer Bildauffassung entspricht, mit einer kraftvollen visuellen Metapher der Frau als Künstlerin. (Marsha Meskimmon 2002:55)
Jürgens, Overbeck und ihre Künstlerkolleginnen der Zwischenkriegsjahre veränderten die Art und Weise der Konfiguration »Frau« so, daß Frauen ihre Position innerhalb der Geschichte und innerhalb der Moderne artikulieren konnten. (Marsha Meskimmon)
Literatur & Quellen
“Der stärkste Ausdruck unserer Tage”: Neue Sachlichkeit in Hannover. 9.12.2001 - 10.3.2002. Ausstellungskatalog. Hg. Christian Fuhrmeister. Hildesheim; Zürich; New York. Olms.
Döring, Antje. 2001. “Gertrud (Gerta) Overbeck–Schenk”, in: “Der stärkste Ausdruck unserer Tage”: Neue Sachlichkeit in Hannover. 9.12.2001 - 10.3.2002. Ausstellungskatalog. Hg. Christian Fuhrmeister. Hildesheim; Zürich; New York. Olms. S. 251-252.
Evers, Ulrika. 1983. Deutsche Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Malerei, Bildhauerei, Tapisserie. Hamburg. Schultheis.
Grethe Jürgens und Gerta Overbeck. 1982. Arbeiten der zwanziger Jahre. Ausstellungskatalog Bonner Kunstverein.
Meskimmon, Marsha. 1999. We Weren't Modern Enough: Women Artists and the Limits of German Modernism. Weimar and Now: German Cultural Criticism, 25. Berkeley, CA; London. The University of California Press.
Meskimmon, Marsha. 2002. “Grethe Jürgens, Gerta Overbeck und die 'Frauenkultur' in der Weimarer Republik”, in: “Der stärkste Ausdruck unserer Tage”: Neue Sachlichkeit in Hannover. 9.12.2001 - 10.3.2002. Ausstellungskatalog. Hg. Christian Fuhrmeister. Hildesheim; Zürich; New York. Olms. S. 53-56.
Schroeder, Hiltrud. Hg. 1991. Sophie & Co.: Bedeutende Frauen Hannovers. Hannover. Fackelträger.
Diese Fem-Biographie wurde gesponsert von der Mariann-Steegmann-Stiftung.
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