Fembio Specials Philosophinnen Gerda Weiler
Fembio Special: Philosophinnen
Gerda Weiler
(Gerda Meier [Geburtsname]; Gerda Arndt [erste Ehe])
geboren am 24. Dezember 1921 in Berlin
gestorben am 6. Oktober 1994 in Freiburg
deutsche Matriarchatsforscherin
30. Todestag am 6. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Weibliches Bewusstsein und weibliche Freiheit können nur auf dem Hintergrund einer stabilen Mutter-Tochter-Beziehung entstehen, einer Beziehung, die zugleich die soziale Ordnung, die öffentliche Meinung und das geltende Recht symbolisiert. Frauen, die zum Bewusstsein erwacht sind und das Patriarchat hinterfragen und durch ein weibliches Bewusstsein herausfordern, werden den Grund legen zu einer veränderten Mutter-Tochter-Beziehung und zu einer veränderten Welt.
Diese Sätze veröffentlichte Gerda Weiler im Jahr 1993 im ersten Teil ihrer feministischen Anthropologie „Eros ist stärker als Gewalt“ zum Abschluss des letzten Kapitels mit der bemerkenswerten Überschrift „Seins-Macht ist überzeugender als Macht-Haberei“.
Da war sie bereits 72 Jahr alt und schwer krank. Zwei Monate vor dem Erscheinen des zweiten Teils „Der aufrechte Gang der Menschenfrau“ im Dezember 1994, in dem sie besonders die kulturellen Leistungen von Frauen in der Menschheitsgeschichte herausgestellt hatte, starb Gerda Weiler am 6. Oktober 1994. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, „nicht im Namen von drei Männern unter die Erde zu kommen“, bereiteten ihr nahe stehende Frauen eine würdevolle Gedenkzeremonie und ein feministisches Begräbnis. (Siehe auch den Beitrag von Elisabeth Hansen: „Leben ist immer: Leben ist sterben! Sterben ist Leben!“ im Anhang des Briefwechsels zwischen Gudrun Nositschka und Gerda Weiler von 1991 bis 1994 „Bleibe unerschrocken“.) Diese Feier brachte Frauen und Männer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen, aus Ländern, in denen Gerda Weiler mit Vorträgen, Seminaren sowie mit ihren Büchern u.a. zur Matriarchatsforschung seit 1977 gewirkt hatte.
Geboren am 24. Dezember 1921 in Berlin, sah sie nach dem Abitur in der Nazidiktatur keine sinnvolle Studienmöglichkeit, heiratete rasch und sehr verliebt und wurde Mutter einer ersten Tochter, die wegen einer schweren Hirnhautentzündung, ohne Gerdas Einverständnis, aus ideologischen Gründen zu Tode gespritzt wurde. Während ihrer zweiten Schwangerschaft am Ende des Kriegs wurde sie mit männlicher Gewalt gegen Frauen konfrontiert, Erlebnisse, die ihre spätere Arbeit beeinflusst haben. Ihr Mann starb in sibirischer Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Krieg machte Weiler in Frankfurt am Main eine Ausbildung zur Lehrerin mit Schwerpunkt evangelische Religion. Nach einer zweiten Heirat 1951 gebar sie noch zwei Söhne und eine Tochter. Während dieser Zeit führte sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Hotel in Todtnau. Als dieser wirtschaftlicher Leiter des evangelischen Krankenhauses in Freiburg wurde, siedelte die Familie nach Breitnau/Hinterzarten im Schwarzwald um, wo alle Werke Gerda Weilers entstehen sollten.
In Freiburg nahm Weiler das Studium der Psychologie auf, da sie sich aber als vielbeschäftigte Familienfrau den Abschluss versagen musste, forschte sie mit Hilfe der gut ausgestatteten Uni-Bibliothek eigenständig weiter. Dabei zeigte sich ihre Begabung, verschiedene Wissensbereiche miteinander zu verknüpfen – im wahrsten Sinne des Worts eine „fächerübergreifende“ Forschung zu betreiben. Neben Heide Göttner-Abendroth wurde sie zur bedeutendsten Matriarchatsforscherin in Deutschland.
Weiler begann mit der Neuuntersuchung des Alten Testaments auf seine matriarchalen Spuren hin. Wo wir vorher nur von der monotheistischen Geschichte eines Gottes mit dem Volk Israel gelesen hatten, von Familienerzählungen hörten, eine männliche Genealogie erlebten, wurden uns die Augen für die matriarchale Schicht dahinter geöffnet, die trotz aller Zukleisterung und Leugnung immer wieder durchschimmert. Weiler schrieb dazu:
Die Geschichte Israels beweist die Überlebensfähigkeit matriarchaler Gesellschaftsformen, obwohl sie sich nur etwa bis 1.200 v.u.Z. zurückverfolgen lässt ... Über mehrere Jahrtausende hinweg ging von matriarchalen Kult- und Lebensformen eine durchsetzungsfähige Opposition aus.
(Das Matriarchat im Alten Israel, Stuttgart 1989, S. 271)
Wir lernen für uns neue Begriffe wie „Besuchs-Ehe, kreisrunde Hierarchie, Seins-Macht, kosmische Mutter, Heilige Hochzeit“ und lesen Gerda Weilers Quintessenz:
Wir stehen heute vor der Aufgabe, die matriarchale Weisheit als richtunggebendes Prinzip wieder in die ihr zukommende Stellung einzusetzen und das gesamte Gebiet des angewandten männlichen Geistes in ihren Dienst zu stellen. Das aber bedeutet die Abkehr vom gesamten patriarchalen Weltbild.
(ebenda, S. 322)
Das bedeutete für sie auch, in der Psychologie nicht mehr auf die Archetypenlehre C. G. Jungs und Erich Neumanns zu bauen, die besonders Frauen anzusprechen scheint. Gerda Weiler klassifizierte diese als eine männlich-patriarchale Projektion auf das Weibliche. (Der enteignete Mythos, Ffm 1991, Königstein 1997) Sie schreibt:
Nicht von patriarchal definierter Weiblichkeit, sondern allein von matriarchaler Menschlichkeit kann der erlösende Impuls ausgehen.
(ebenda, S. 214)
Wie einen roten Faden von einem Wollknäuel entwickelte Gerda Weiler weitere Gedanken zu matriarchalen Werten wie Respekt und Würde für alle Menschen, für die Natur sowie Frauenmacht. In dem Buch „Ich brauche die Göttin“, Neuauflage 1997, schrieb sie (S. 21/22):
Denn Matriarchate sind keine seitenverkehrten Patriarchate, sie sind keine Gesellschaften, in denen Frauen angemaßte Macht ausgeübt hätten. Frauenmacht und Matriarchat – wenn uns schon keine anderen Worte zur Verfügung stehen in unserer von patriarchaler Begrifflichkeit verderbten Sprache – erinnern an weibliche Würde. Sie erinnern uns an Gesellschaften, in denen Frauen frei über sich selbst verfügt und ihr Selbstverständnis und ihre Bestätigung aus dem Bewusstsein von innewohnender Kraft und aus besonderer Befähigung hergeleitet haben…
[Und es auch in heutigen matriarchalen Gesellschaften noch tun. Siehe: Als alle Menschen Schwestern waren, Band 2 von Irene Fleiss, 2007, A. d. A.]
Die Wertvorstellungen matriarchaler Kulturen sind in einem universellen Göttinnenbegriff verankert, wobei Gerda Weiler die Bezeichnung Göttin als Metapher einsetzt. Sie sieht in ihr die Ursprungsgöttin, die alles geboren hat und das Leben immer wieder neu gebiert.
Die Göttin ist Metapher für die Selbstverständlichkeit, aus der heraus die Frau frei über ihr Leben und ihren Körper verfügt, ihre Sexualität feiert, ihre Umwelt aktiv mitgestaltet und mitwirkt, menschliche Kultur zu erschaffen, zu gestalten und zu verändern… Die Göttin beflügelt die Kreativität von Frauen. Sie macht uns Mut in die Öffentlichkeit hinein zu wirken und das patriarchale Bewusstsein zu überwinden… Sie vertritt ein Weltbild, in dem die Beherrschung und die Unterdrückung von Frauen und Kindern durch den Mann oder die rücksichtslose Ausbeutung der Natur geächtet sind… Das Weltbild der Göttin ist von höchster politischer Brisanz… Nur wenn die Göttin wieder ins Licht des Bewusstseins rückt, kann das Patriarchat, diese chronische Krankheit der menschlichen Kultur, überwunden werden.
(ebenda 21/)220)
Dazu beitragen will auch die Gerda- Weiler – Stiftung für feministische Frauenforschung, die fünf Jahre nach Gerda Weilers Tod von Frauen ins Leben gerufen wurde, mit Spenden von vielen Frauen und einigen Männern. Mit den Erträgen der Spenden werden Arbeiten gefördert, die geeignet sind, matriarchale Werte ins Bewusstsein der Menschen zu heben.
Weitere Infos unter Tel. 02256 7286, gudno(at)web.de, www.gerda-weiler-stiftung.de
Verfasserin: Gudrun Nositschka (2007)
Zitate
Matriarchale Menschen greifen die Lebensaufgaben an und nicht den Feind.
(Gerda Weiler, gefunden hier)
In einer Welt, die dem äußeren Anschein nach ohne Frauen auskommt, müssen Frauen notgedrungen Männer nachahmen, wenn sie sich durchsetzen wollen… Die Emanzipation der Frau bleibt oberflächlich, nicht mehr als ein Kurieren am Symptom, solange wir nicht nach den Wurzeln unserer Kultur fragen und Frauenbilder entdecken, die nicht von Männern, sondern von Frauen selbst entworfen sind.
(Gerda Weiler, gefunden hier)
Links
Die Göttin in der Bibel. In: Schlangengesang-Newsletter 03-2004 vom 13.1.04.
Gerda-Weiler-Stiftung und Förderverein.
Katrins Homepage: Frauenrecht. Mit Kapitel zu Leben und Forschung Gerda Weilers. (Sehr augenunfreundlich – am besten ohne Webseitenstil lesen!).
Müller-Lissner, Adelheid: Rezension zu Gerda Weiler – Der enteignete Mythos. In: Widerspruch Nr. 12 Wiederkehr des Mythos? (1986), S. 145-148. PDF-Dokument, ca. 133 kB.
Letzte Linkprüfung durchgeführt 2016-12-21 09:23 (AN)
Literatur & Quellen
Werke
Nositschka, Gudrun (Hg.) (1994): Bleibe unerschrocken. Briefwechsel mit der Matriarchatsforscherin Gerda Weiler ; 1991 – 1994. Bad Münstereifel. Edition Nebenan.
Weiler, Gerda (1984): Ich verwerfe im Lande die Kriege. Das verborgene Matriarchat im Alten Testament. München. Verlag Frauenoffensive.
Weiler, Gerda (1985): Der enteignete Mythos. Eine notwendige Revision der Archetypenlehre C. G. Jungs und Erich Neumanns. München. Verlag Frauenoffensive.
Weiler, Gerda (1989): Das Matriarchat im alten Israel. Stuttgart. Kohlhammer.
Weiler, Gerda (1990): Ich brauche die Göttin. Zur Kulturgeschichte eines Symbols. Basel. Mond-Buch-Verlag.
Weiler, Gerda (1993): Eros ist stärker als Gewalt. Eine feministische Anthropologie 1. Frankfurt am Main. Helmer (Aktuelle Frauenforschung, 1).
Weiler, Gerda (1994): Der aufrechte Gang der Menschenfrau. Eine feministische Anthropologie 2. Frankfurt am Main. Helmer (Aktuelle Frauenforschung, 2).
Weiterführende Literatur
Evers, Tilman (1987): Mythos und Emanzipation. Eine kritische Annäherung an C. G. Jung. Darin: Versuche einer kritischen Aneignung – Ira Progoff, Stephan Marks, Gerda Weiler. Hamburg. Junius.
Fleiss, Irene (2006): Leben in matriarchalen Gesellschaften. Rüsselsheim. Göttert (Als alle Menschen Schwestern waren, 1).
Fleiss, Irene (2007): Weiblichkeit in matriarchalen Gesellschaften – gestern und heute. Rüsselsheim. Göttert (Als alle Menschen Schwestern waren, 2).
Giese, Cornelia (1989): Gleichheit und Differenz. Vom dualistischen Denken zur polaren Weltsicht. Enthalten: Passage über die Diskussion um den Antijudaismus-Vorwurf gegen feministische Theologinnen wie z. B. Gerda Weiler. München. Verlag Frauenoffensive.
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