Fembio Specials Europäische Jüdinnen Frieda Belinfante
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Frieda Belinfante
geboren am 10. Mai 1904 in Amsterdam, Niederlande
gestorben am 5. März 1995 in Santa Fe, New Mexico, USA
niederländisch-amerikanische Cellistin, Dirigentin, Widerstandskämpferin
120. Geburtstag am 10. Mai 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
1994, zehn Monate vor ihrem Tod, führte Klaus Müller vom Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., ein Interview mit Frieda Belinfante, das die Grundlage für den Film von Toni Boumans über sie bildete. Dadurch wurde die Erinnerung an eine bedeutende Musikerin und wichtige Zeitzeugin bewahrt.
Frieda Belinfante wurde 1904 in Amsterdam geboren. Ihr Vater, ein bekannter jüdischer Pianist, hatte eine eigene Musikschule, ihre nicht-jüdische Mutter kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Die Kinder - Frieda hatte zwei Schwestern und einen Bruder - wurden nicht religiös erzogen, ihr Leben konzentrierte sich auf die Musik. Alle vier spielten ein Instrument. Auf Bitten des Vaters fing Frieda mit neun Jahren an, Cello zu spielen. 1920 trat sie zum ersten Mal vor Publikum auf, zusammen mit ihrem Vater und SchülerInnen seiner Musikschule.
Frieda war siebzehn, als sie die neun Jahre ältere Komponistin und Pianistin Henriëtte Bosmans kennenlernte. Die beiden verliebten sich ineinander und waren von 1922 bis 1929 zusammen. Ihr FreundInnenkreis wusste davon. Beide lebten für die Musik. Belinfante wurde jedoch von Bosmans kaum unterstützt, die fand, Belinfante wäre kein großes Talent - sie nähme sich immer so viel Zeit zum Üben. Belinfante hingegen fühlte sich für Bosmans verantwortlich: Sie nahm sie vor den hohen Anforderungen ihrer Mutter in Schutz, kümmerte sich um Henriëttes Karriere, organisierte ihre Auftritte und schrieb Begleittexte für ihre Programme.
Bosmans, die häufig für MusikerInnen komponierte, mit denen sie zusammen spielte oder befreundet war, widmete ihr zweites Cellokonzert Frieda Belinfante. Die Uraufführung mit Belinfante als Solistin fand am 10. Oktober 1923 statt. Ab 1924 spielte Belinfante für zwei Jahre als Solistin bei der Haarlemsche Orkester Vereeniging.
Da sie von ihrem Verdienst bei diesem Orchester nicht leben konnte, kündigte sie. In den nächsten Jahren spielte sie in diversen Kino-Orchestern – es war noch die Zeit der Stummfilme - und gab zu Hause Cellounterricht.
Zusammen mit Henriëtte Bosmans und dem Flötisten Johan Feltkamp trat Belinfante sporadisch als „Amsterdamsch Trio“ auf. Als sich Feltkamp in Belinfante verliebte, heirateten die beiden 1930, obwohl er wußte, dass sie lesbisch war. Sie teilten zwar die Liebe zur Musik, und er unterstützte ihre Karriere, aber im übrigen konnten sie wohl wenig miteinander anfangen. Die Ehe hielt nur bis bis 1936.
Mitte der dreißiger Jahre wandte Belinfante sich einem neuen Arbeitsbereich zu: Sie dirigierte das Kinderorchester einer Schule, nachdem sie erst als Frau abgelehnt worden war. Anders als ihr männlicher Konkurrent hatte sie keine Probleme damit, die Kinder im Zaum zu halten.
Danach wechselte sie als Dirigentin zum Frauenchor der Amsterdamer Gemeinde-Universität und 1937 zum Sweelinck-Orchester der gleichen Universität.
Durch die Unterstützung von anderen Frauen in der Künstlervereinigung „Kunst voor Allen“ (Kunst für alle) gelang es ihr, ein eigenes Orchester mit 20 Mitgliedern zu gründen: das „Kleine Orkest“, mit dem sie 1938 zum ersten Mal im Amsterdamer Concertgebouw auftrat. Ihr Repertoire umfaßte sowohl klassische als auch moderne Musik.
Im gleichen Jahr nahm sie als einzige Frau unter zwölf Männern an einem von Hermann Scherchen organisierten Dirigentenwettbewerb in der Schweiz teil. Sie gewann den ersten Preis, und eine internationale Karriere schien nur noch eine Frage der Zeit. Ihr geplanter Auftritt als Gastdirigentin beim Orchestre de la Suisse Romande wurde jedoch durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges vereitelt.
Belinfante war über die Entwicklungen in Nazi-Deutschland informiert und nahm auch das Anwachsen des Nationalsozialismus in den Niederlanden wahr. Am 10. Mai 1940 überfiel Deutschland die Niederlande. Gleich zu Anfang der Besatzung begingen ihr Bruder und ihre Schwägerin Selbstmord. Belinfante löste ihr Orchester auf, dessen Mitglieder zum Teil jüdisch waren. Die Vorstellung, dass die Deutschen über ihr Orchester bestimmen würden, war ihr unerträglich.
Die Situation für Jüdinnen und Juden verschärfte sich immer mehr.
Im November 1940 wurde die niederländische Kulturkammer gegründet, bei der sich alle KünstlerInnen anmelden mußten - Voraussetzung war jedoch eine “Ariererklärung”. „Halbjuden“ konnten eine Ausnahmegenehmigung beantragen, was Belinfante jedoch nicht tat. KünstlerInnen, die sich weigerten, Mitglied zu werden, durften ihren Beruf nicht mehr ausüben. Es waren nur wenige.
Trotz dieses Verbotes dirigierte Belinfante noch Anfang 1942 ihr letztes Konzert vor jüdischem Publikum mit jüdischen und nicht-jüdischen SchülerInnen. Danach zog sie sich aus dem öffentlichen Musikleben zurück und ging in den Widerstand. Ab 1941 entstanden die ersten Netzwerke in KünstlerInnenkreisen, an denen sie von Anfang an beteiligt war. Belinfante fing erst allein mit dem Fälschen von Ausweisen an, anfangs versorgte sie vor allem FreundInnen und KollegInnen mit falschen Papieren. Schnell ging sie aber dazu über, mit anderen zur Unterstützung der Untergetauchten zusammenzuarbeiten.
Im Herbst 1942 plante eine Gruppe, zu der sie auch gehörte, einen Anschlag auf das Amsterdamer Einwohnermeldeamt, der schließlich von den Männern durchgeführt wurde, weil diese keine Frauen dabei haben wollten. Dieser Anschlag gilt als die wichtigste Aktion des Widerstandes während der Besetzung der Niederlande: Tausende von Unterlagen wurden zerstört, was den Vergleich von gefälschten Papieren mit legalen erschwerte. Einige Tage danach wurden die meisten Mitglieder dieser Gruppe verraten und verhaftet, wenig später hingerichtet.
Belinfante tauchte unter und lebte mehrere Monate als Mann verkleidet. Da ihre Gefährdung immer größer wurde, entschloß sie sich Ende 1943, in die Schweiz zu fliehen. Dort wurde sie - vermutlich durch Einsatz von Hermann Scherchen - als politischer Flüchtling aufgenommen. In dem Flüchtlingslager waren ca. 160 niederländische Jüdinnen und Juden; Belinfante traf zwar Bekannte, wurde aber von einigen wegen ihres Lesbischseins abgelehnt. Trotz allem fand sie ihren Lebensmut wieder, organisierte ein Cello und gründete einen Chor. Im August 1944 durfte sie das Lager verlassen, um in Winterthur mit Hermann Scherchen zusammenzuarbeiten.
Nach Kriegsende, im Sommer 1945, ging sie für kurze Zeit in die Niederlande zurück, wo sie jedoch schnell desillusioniert wurde. Die meisten Menschen lebten dort einfach weiter, als ob es nie eine Besetzung und keine Kollaboration gegeben hätte. Als sie sich auf eine Festanstellung als Dirigentin bewarb, wurde ihr nahegelegt, die Bewerbung zurückzuziehen, weil sie eine Frau war.
Aufgrund dieser Situation hatte sie bald kein Bedürfnis mehr, in den Niederlanden etwas aufzubauen. Zudem hatte sie dort alle Menschen verloren, die ihr wichtig waren. So emigrierte sie 1947 mit 43 Jahren in die USA, um dort ein neues Leben anzufangen. Sie ließ sich in Kalifornien nieder. Im Sommer 1948 erhielt sie eine Einladung als Gastdirigentin für das music camp Lake Arrowhead. Es gab zwar keine Bezahlung, aber sie konnte dort viele Kontakte knüpfen. Sie fing an, an der University of California zu unterrichten und spielte in Hollywood Filmmusik ein.
Ab Juli 1954 dirigierte sie das neu gegründete Orange County Philharmonic Orchestra, das ein großer Erfolg wurde. Gleichzeitig baute sie ein Netzwerk von Musikschulen auf. Heute ist ein Programm des 1978 gegründeteten Pacific Symphony in Orange County nach ihr benannt: The Frieda Belinfante Class Act Program. Hierbei arbeitet das Pacific Symphony Orchestra mit zahlreichen Grundschulen aus dem Orange County zusammen. Es gilt als eins der wichtigsten Musikprogramme der USA.
Das Orange County Philharmonic Orchestra wurde 1962 aufgelöst, die Society wollte lieber Gastauftritte von berühmten Orchestern für ihre jährlichen Veranstaltungen. Belinfante konnte nichts für ihr Orchester tun, sie wurde selber entlassen. Sie vermutete, dass Gerüchte über ihr Privatleben, sprich: ihr Lesbischsein, mit ein Grund für die Auflösung waren.
Frieda Belinfante wollte Musik für Menschen machen und zwar in der Öffentlichkeit. Ihr Lesbischsein sah sie als Privatsache. Enttäuscht und wütend zog sie sich zurück.
Nach ihrem Umzug nach Santa Fe in New Mexico, unterrichtete sie nur noch PrivatschülerInnen.
Am 5. März 1995 starb Frieda Belinfante an Krebs.
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
Die echte Freude, die ich als Kind kannte, das Vertrauen zu Menschen und der Menschheit – die sind nie wieder zurück gekommen. Ich habe großartige Menschen getroffen, und nur darum konnte ich weiterleben: weil es schöne Menschen gab. Es gibt Schönheit, auch in Menschen, aber nicht genug.
Ich war schon immer eine Kämpfernatur. Ich gebe mich nicht mit einem Nein als Antwort zufrieden. Wenn etwas in diesem Moment nicht möglich ist, dann ist meine Reaktion: Wir werden sehen.
Ich war nie vorsichtig. Ich sagte immer: das kann ich, ich will es versuchen.
Es hat mich immer überrascht, wie sich immer alles fügte. Alles, was ich in dem Moment brauchte im Strom meines Lebens, war einfach da.
Literatur & Quellen
Boumans, Toni: Een schitterend vergeten leven. De eeuw van Frieda Belinfante. Amsterdam, Balans, 2015
Daniel, Lisa, Claire Jackson: The Bent Lens. A World Guide to Gay and Lesbian Film. Los Angeles, Alyson, 2003, 2nd ed., S. 88
Graaf, Bob de, Lidwien Marcus: Kinderwagens en korsetten. Een onderzoek naar de sociale achtergrond en de rol van vrouwen in het verzet, 1940 – 1945. Amsterdam, Bert Bakker, 1980
Metzelaar, Helen: Zonder muziek is het leven onnodig. Henriëtte Bosmans (1895 - 1952), een biografie. Zutphen, Walburg Pers, 2002
Müller, Klaus: ´Ik wilde het gevaar in het gezicht kijken.´ De levens van Frieda Belinfante. In: Klaus Müller, Judith Schuyf (red.): Het begint met nee zeggen: biografieen rond verzet en homoseksualiteit 1940 – 1945. Amsterdam, Schorer, 2006, S. 93 - 127
Schwegman, Marjan: Het stille verzet. Vrouwen in illegale organisaties, Nederland 1940 – 1945. Amsterdam, Socialistische Uitgeverij, 1980, 2de druk
Shaw, Gordon L.: Keeping Mozart in Mind. St. Louis, Academic Press, 1999
Film:
But I Was a Girl: The Story of Frieda Belinfante. ´... Maar ik was een meisje´. Ein Film von Toni Boumans. Niederlande/USA 1998, 69 min.
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