Fembio Specials Frauen aus Stuttgart Florine Stettheimer
Fembio Special: Frauen aus Stuttgart
Florine Stettheimer
geboren am 19. August 1871 in Rochester, New York
gestorben am 11. Mai 1944 in New York
US-amerikanische Malerin
80. Todestag am 11. Mai 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Zu ihrem unverwechselbaren, eigenwilligen Stil findet Florine Stettheimer erst als Mittvierzigerin; mit liebevoll-satirischem Blick porträtiert sie Menschen und Szenen im New York der 1920er und 1930er Jahre. Auf ihren realistischen und zugleich phantastischen Gemälden erscheinen neben der Künstlerin und ihrer Familie der Freundinnenkreis aus der Kunst- und Intellektuellenszene – Marcel Duchamp, Alfred Stieglitz, Virgil Thomson, Carl Van Vechten, Henry McBride, Elie Nadelman, Marguerite und William Zorach, Eugene O'Neill, Gaston und Isabelle Lachaise … – auf Parties, Picknicks, Soireen, bei Ferienvergnügungen, aber auch in Stettheimers gemalten Träumen und Reflexionen.
Die posthum von ihrer jüngeren Schwester Ettie unter dem Titel Chrystal Flowers herausgegebenen Gedichte und Florines Tagebücher spiegeln, den Gemälden gleich, die scharfe Beobachtungsgabe und ironische Distanz wider, mit der Stettheimer die Schwächen und Hohlheiten der Gesellschaft entlarvt. Durch die Geburt in die vermögende deutsch-jüdische Geschäftswelt New Yorks lebenslang finanziell unabhängig, braucht Stettheimer auf die Bedürfnisse eines Kunstmarkts keine Rücksicht zu nehmen. Trotzdem malt sie nicht aus Zeitvertreib, sondern fühlt sich als ernsthafte Künstlerin, die einen Beruf ausübt.
Stettheimer wächst in einer matriarchalisch geprägten Welt auf, zumal der Vater noch in ihrem Kindesalter auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Die Mutter lebt danach mit ihren fünf Kindern vorübergehend in Deutschland, und Florine erhält in Stuttgart und Berlin ersten Zeichenunterricht.
Nach New York zurückgekehrt, beschließen die drei jüngeren Schwestern, Carrie, Florine und Ettie, bei ihrer Mutter zu leben. Hochbegabt und kreativ schaffen sie sich eine eigene Welt; die jüngste Schwester Ettie promoviert in Philosophie, und Florine beginnt 1892 an der Art Student's League eine vierjährige akademische Ausbildung, deren fortschrittliche Unterrichtsmethode auch life classes für Frauen (selten sogar mit männlichen Modellen) vorsieht.
Zwischen 1898 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges reisen die vier Frauen überwiegend in Europa. In Skizzen- und Tagebüchern hält Stettheimer ihre Eindrücke fest und nimmt, soweit die Familie ihr dies gestattet, jede Gelegenheit wahr, sich künstlerisch weiterzubilden.
Als sie mit 43 Jahren nach New York zurückkehrt (und nie wieder Europa besucht), empfindet sie es als Neuanfang. Insbesonders nach der enttäuschend verlaufenden einzigen Einzelausstellung von 1916 sucht sie eigene Ausdrucksformen.
In Picknick in Bedford Hills, einem der frühesten Gemälde in Florines reifem Stil, hat sie sich und ihre Schwestern treffend charakterisiert: Carrie, die »Häusliche«, die die Rolle der Gastgeberin in dem berühmten Stettheimer Salon innehat, ist im Vordergrund des Gemäldes zu sehen, ganz vertieft in die Anrichtung eines luxuriösen Picknicks mit Hummer. Sie wird unterstützt von Marcel Duchamp, der dienstbeflissen den Deckel eines riesigen Topfes hebt. Im Hintergrund liegt Ettie, die »Temperamentvolle, Intellektuelle«, in einem roten Kleid auf einer Decke hingestreckt, flirtend mit Elie Nadelman. Die Künstlerin selber sitzt von den anderen abgewandt und beobachtet einen kleinen Hund, der sich auf dem Rücken wälzt.
Auf ihren Bildern verteilt sie miniaturhaft und ohne Rücksicht auf gewohnte Perspektiven, meist in lebhaften Farben, die wellenförmig schwingenden, gewichtlosen, androgynen Figuren in den sie umgebenden Raum. In den 1920er Jahren entsteht die große Serie von Einzelporträts ihrer Freunde – interessanterweise kommen außer ihrer Familie keine weiteren Frauen vor. Erschreckend genau erfasst sie das Wesen der Porträtierten, die Stettheimer in der Atmosphäre der eigenen Umgebung mit den Attributen ihres Berufes oder ihrer Neigungen darstellt und mit einer bestimmten Farbauswahl charakterisiert.
In den 1930er Jahren tritt sie allmählich aus dem privaten Bereich in die Öffentlichkeit. Es entstehen die vier großformatigen Cathedrals, in denen sie mit ihrer intelligenten, satirisch-pointierten Sehweise das New Yorker Leben darstellt: Cathedrals of Broadway von 1929 zeigt die moderne Vergnügungsindustrie und die Einführung des Tonfilms, Cathedrals of Fifth Avenue von 1931 die Verknüpfung von Geld und Macht bei einer High Society-Heirat, Cathedrals of Wall Street von 1939 die Welt von Finanz und Politik eingebettet in eine Hommage an George Washington und Eleanor Roosevelt. Dabei baut Stettheimer auch tagespolitische Ereignisse aus der New Yorker Szene ein, besonders deutlich in ihrem letzten, unvollendeten Werk, Cathedrals of Art, in dem sie auf die damaligen Querelen zwischen den drei großen Museen anspielt, das Verhalten von Kunsthändlern und den Umgang mit der zeitgenössischen Kunst persifliert.
In den Cathedrals erscheinen Elemente einer anderen wichtigen Arbeit Stettheimers, die ihr Leben entscheidend veränderte: der Entwurf der Kostüme, des Bühnenbilds und der Beleuchtung für Virgil Thomsons Oper Four Saints in Three Acts nach einem Libretto von Gertrude Stein. Nach mehreren Jahren Vorbereitungszeit wird das Werk 1934 mit großem Erfolg am Broadway aufgeführt, wobei die Kritik die außergewöhnlichen Kostüme und das Bühnenbild, beide aus Zellophan, Muscheln, Federn und Spitzen in lebhaften Farben, sowie die Lichtregie Stettheimers enthusiastisch feiert.
Dieser plötzliche Ruhm verstärkt in Florine den Wunsch nach mehr Unabhängigkeit, und nach dem Tod der Mutter zieht sie ganz in ihr Studio im Beaux Arts-Komplex, das sie sich mit selbstentworfenen Möbeln und Zellophanvorhängen als Gesamtkunstwerk einrichtet. Anfang 1943 erkrankt Stettheimer an Krebs, dem sie im Jahr darauf nach einer zweiten Operation erliegt.
Text von 1991
Verfasserin: Adriane von Hoop
Zitate
Art is spelled with a Capital A
And Capital also backs it –
Ignorance also makes it sway
The chief thing is to make it pay
In a quite dizzy way
Hurrah – Hurrah.(Florine Stettheimer in ›Chrystal Flowers‹)
I was thrilled. Anyone who’d know just from glancing around that one room of mine that I loved Florine Stettheimer had to be brilliant.
(Andy Warhol)
She had almost a cinematic sensibility. She wanted to tell the whole story.
(Joan Snyder, American painter)
Letting people have your paintings is like letting them wear your clothes.
(Florine Stettheimer, Quelle)
Links
Triple Canopy – Études by Florine Stettheimer. ›For Florine’s friends and the friends of her paintings‹ Karl Holmqvist, Dignity Sister, and Dan Fox voice the poems of Stettheimer’s Crystal Flowers, with an introduction by Nick Mauss.
Online verfügbar unter https://www.canopycanopycanopy.com/issues/14/contents/etudes, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Artcyclopedia: Florine Stettheimer Online. Linksammlung.
Online verfügbar unter http://www.artcyclopedia.com/artists/stettheimer_florine.html, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Artsy: Florine Stettheimer - Artworks, Bio & Shows on Artsy.
Online verfügbar unter https://www.artsy.net/artist/florine-stettheimer, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Artworks: Florine Stettheimer.
Online verfügbar unter http://www.the-athenaeum.org/art/list.php?m=a&s=tu&aid=3717, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Hirmer Verlag: Florine Stettheimer.
Online verfügbar unter http://www.hirmerverlag.de/de/titel-1-1/florine_stettheimer-1129/, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Laxton, Susan: Florine Stettheimer. Biography. »More on Florine Stettheimer« nicht übersehen (unten)! Jewish Women's Archive.
Online verfügbar unter http://jwa.org/encyclopedia/article/stettheimer-florine, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Lenbachhaus: Florine Stettheimer. Seite zur Ausstellung 27. September 2014 - 4. Januar 2015.
Online verfügbar unter http://www.lenbachhaus.de/ausstellungen/2014/florine-stettheimer/, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6jNnXtjxv.
MoMA: Florine Stettheimer.
Online verfügbar unter http://www.moma.org/collection/artists/5657, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Russeth, Andrew: Anything Went: Florine Stettheimer at Columbia University. The Observer, 02/21/12.
Online verfügbar unter http://observer.com/2012/02/anything-went-florine-stettheimer-at-columbia-university/#slide6, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Sussman, Elisabeth (Hg.) (1995): Florine Stettheimer – Manhattan fantastica. Ausstellungskatalog, Onlinefassung zum Durchblättern. Whitney Museum of American Art.
Online verfügbar unter https://archive.org/details/florinestettheim1432suss, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
van Thuy, Trang: Florine Stettheimer – Florine wer?
Online verfügbar unter http://www.lenbachhaus.de/blog/?p=3849, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6jNujwRb3.
Wikiart: Florine Stettheimer.
Online verfügbar unter http://www.wikiart.org/en/florine-stettheimer, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
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Online verfügbar unter http://drs.library.yale.edu/HLTransformer/HLTransServlet?stylename=yul.ead2002.xhtml.xsl&pid=beinecke:stetthe&clear-stylesheet-cache=yes, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Literatur & Quellen
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