Fembio Specials Berühmte Komponistinnen Florence B. Price
Fembio Special: Berühmte Komponistinnen
Florence B. Price
geboren 9. April 1887 in Little Rock AK
gestorben 3. Juni 1953 in Chicago IL
US-amerikanische Komponistin, Musikpädagogin, Pianistin, Organistin
70. Todestag am 3. Juni 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ich habe zwei Handicaps – des Geschlechts und der Rasse. Ich bin eine Frau; und ich habe etwas schwarzes Blut in meinen Venen. (Florence B. Price)
Florence B. Price wuchs als jüngstes von drei Kindern in Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, auf. Nachdem Präsident Abraham Lincoln 1862 alle SklavInnen zu freien BürgerInnen erklärt hatte, entwickelte sich Little Rock zunächst zu einem „Paradies für Schwarze“. Zwar lebten die meisten in Armut, doch nach und nach bildete sich eine schwarze Mittelschicht heraus. Einige brachten es sogar zu Wohlstand, besaßen Geschäfte, Restaurants oder Zeitungsverlage. Es gab ein Altersheim für Schwarze und einen Friedhof. Manche bekleideten politische Ämter. Zu ihnen gehörte auch Price’ Vater. Er war einer der wenigen farbigen Zahnärzte Amerikas und besaß eine eigene Praxis. Weiße gingen bei ihm ein und aus. In dem Bewusstsein, dass Bildung das Wichtigste sei, gründete er Schulen für Schwarze und unterrichtete dort. Wer die Behandlungskosten in seiner Praxis nicht bezahlen konnte, wurde trotzdem versorgt.
Price' Mutter war eine aktive, selbstbewusste Frau. Sie handelte mit Immobilien, besaß ein Restaurant und unterrichtete Musik. Außerdem trat sie als Amateursängerin hervor und war eine versierte Pianistin. Sie gab ihrer Tochter Klavierunterricht; eine exquisite Ausbildung der Kinder war in der Familie oberstes Gebot. Schon mit vier Jahren gab Price ihr erstes öffentliches Recital, mit elf komponierte sie ihr erstes Musikstück. John Blind Boone, einer der ersten schwarzen Konzertpianistînnen und gern gesehener Gast im Hause der Familie, erkannte das Talent der kleinen Florence und wurde ihr Lehrer und Mentor.
Price beendete die Schule bereits mit 14 Jahren, musste aber noch 2 Jahre warten, ehe sie das erforderliche Alter erreichte hatte und am New England Conservatory (Boston) Musik studieren konnte. Ihre Mutter drängte sie, sich in Boston als Mexikanerin auszugeben. Beide Eltern waren sehr hellhäutig, was ihnen gegenüber ihren dunkelhäutigen Mitbürgerînnen gewisse Vorteile verschaffte. Eine mexikanische Herkunft sollte dies noch verstärken.
Price bewohnte ein eigenes Apartment in Boston und führte ein unbeschwertes Leben, ohne finanzielle Sorgen. Nach ihrem Studium sollte sich dies schnell ändern. Die Situation der Schwarzen in den Südstaaten wurde immer prekärer. Als Price’ Vater 1910 starb, hinterließ er seiner Familie Schulden. Ihre Mutter kehrte Little Rock und ihrer „schwarzen“ Vergangenheit den Rücken zu, brach alle Verbindungen – einschließlich der familiären - ab und zog in den Norden, um dort als Weiße zu leben. Price sollte sie nie wieder sehen und war nun völlig auf sich selbst gestellt.
Neunzehnjährig hatte sie ihre Studien mit dem Lehrdiplom in Klavier und dem Solistendiplom in Orgel beendet. Danach war sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, wo sie als Privatlehrerin Klavier- und Geigenstunden gab und an der Cotton Plant Academy Musik unterrichtete. Von 1910 bis 1912 leitete sie das Music Department der Universität von Atlanta. Die Stücke für ihre Schülerînnen komponierte sie selbst. Es war die kleine Form, der sie sich vorerst widmete: Klavierstücke, Lieder, Arrangements von Spirituals. Florence Price fühlte sich Zeit ihres Lebens der Presbyterianischen Kirche verbunden. Sie spielte und komponierte für die Kirche, beteiligte sich aktiv am Leben der Gemeinde.
1912 kehrte sie nach Little Rock zurück und heiratete den Anwalt Thomas Jewell Price. Ihr erstes Kind, ein Junge, starb als Kleinkind. In den Jahren 1917 und 1921 wurden ihre beiden Töchter geboren. Die Familie stellte eine Haushaltshilfe ein, so dass Price ihrem Beruf und ihrer Berufung nachgehen konnte. Sie war eine gefragte Musikpädagogin und wurde zur Präsidentin des Club of Musicians gewählt. Inzwischen wurden schwarze Musikerînnen durch Stipendien und Wettbewerbe gefördert. Price profitierte davon. Sie bemühte sich auch um die Veröffentlichung ihrer Werke, schrieb Briefe, schickte ihre Kompositionen an Verlage - ohne eine Antwort.
1926 und 1927 studierte sie in den Sommermonaten Komposition, Tonsatz und Instrumentation in Chicago. Als aufstrebende Komponistin wollte und musste sie sich auch der großen Form widmen.
Doch vorerst sah sich Price mit Problemen anderer Art konfrontiert. Durch die sogenannten Jim-Crow-Gesetze (und die damit verbundene Rassentrennung) wurden den Schwarzen ihre schwer errungenen Rechte wieder entzogen. Wegen ihrer Hautfarbe verwehrte man Price die Mitgliedschaft in der Arkansas Music Teachers Association. Die Stimmung in Little Rock wurde in den 1920er Jahren immer aufgeheizter. Es gab massive Übergriffe gegen die Schwarzen. Lynchmorde waren an der Tagesordnung. Die Polizei sah einfach zu. Nachdem ein weißes Kind angeblich von einem Schwarzen getötet worden war, schrie der Mobb nach Vergeltung. Ein schwarzes Kind von Prominenten sollte aus Rache ebenfalls getötet werden. Die Wahl fiel auf Price’ jüngere Tochter. Noch ehe diese grausame Forderung in die Tat umgesetzt werden konnte, floh die Familie Hals über Kopf. Und zwar in die Stadt, die für eine Musikerîn die besten Möglichkeiten bot: nach Chicago. Hier gab es ein fluoreszierendes Musikleben: Vaudeville, Jazz, Blues, Gospel, Klassik – für jeden Geschmack war etwas dabei.
Price hatte es anfangs schwer in Chicago. Der Börsencrash von 1929 und die darauffolgende Wirtschaftskrise trieben die Familie in den finanziellen Ruin. Da ihr Ehemann arbeitslos war, musste sie dringend Geld verdienen. Unter dem Pseudonym Vee Jay veröffentlichte sie populäre Songs für Theater, Musicals und Werbespots. In den Filmtheatern Chicagos begleitete sie auf der Orgel einen Stummfilm nach dem anderen, manchmal improvisierend, meistens aus vorgegebenen Partituren. Finanziell war auf diese Weise für die Familie einigermaßen gesorgt. Ihre Ehe ließ sich damit nicht retten.
September 1929, nach einem Streit, schlug Thomas Price mit der Faust einfach zu, direkt in das Gesicht seiner Frau. Zwei Monate später geschah das Gleiche noch einmal. Er würde sie töten, brüllte er. Februar 1930 machte er damit Ernst: Er warf seine Frau zu Boden, schlug und würgte sie, dann zog er seine Waffe. Price konnte gerade noch entkommen und kehrte nie mehr zurück. Sie kam mit ihren Töchtern bei einer Freundin unter. Der Scheidungsrichter sprach ihr das volle Sorgerecht zu. Thomas Price wurde verpflichtet, wöchentlich 25 Dollar Alimente für seine Kinder zu zahlen. Auch die Prozesskosten hatte er zu tragen.
Price konnte endlich aufatmen. Der physischen und psychischen Gewalt war sie entkommen, aber die finanziellen Sorgen quälten sie stärker denn je. Sie suchte nach Sicherheit für sich und ihre Töchter. Nur einen Monat nach ihrer Scheidung heiratete sie den Versicherungsmakler Pusey Dell Arnett. Eine Zweckehe aus reiner Verzweiflung – so wird vermutet.
Für Price begann damit die produktivste Phase ihres Lebens. Gleich nach der Scheidung, 42jährig, stürzte sie sich in ihre Arbeit und wagte sich endlich an große musikalische Formen. Sie komponierte eine Klaviersonate und ihre erste Sinfonie, mit beiden gewann sie den Rodman Wanamaker Competition (für afroamerikanische Komponistînnen) in den jeweiligen Kategorien. Ein Jahr später, 1933, wurde ihre 1. Sinfonie unter der Leitung von Frederick Stock mit dem Chicago Symphonie Orchestra uraufgeführt. 1934 konzertierte sie mit ihrem 1. Klavierkonzert, begleitet von dem Orchester des Chicago Musical College, an dem sie auch unterrichtete. Einige ihrer Werke wurden vom Chicago Women’s Symphony Orchestra gespielt.
Inzwischen schreckte sie vor keiner Form mehr zurück, ausser der Oper.
Titel wie At the Cotton Gin, Fantasie nègre oder Mississippi River Suite zeugen von ihrem Bestreben, die Musik der Sklaven mit der abendländischen Musik zu vereinen. Es ist jener Widerspruch zwischen schwarzer Herkunft und weißer Musiktradition, der Price bis an ihr Lebensende begleitete und sie zu einem neuen charakteristischen Stil inspirierte. In ihren Werken verwendete sie neben den Melodien der afro-amerikanischen Folklore zum Beispiel die synkopierten Rhythmen des Juba-Tanzes, einem Plantagentanz, bei dem die Sklavînnen, da ihnen Trommeln verboten waren, stampften und klatschten oder auf ihre Körper schlugen und klopften. Auch Price’ eigenwillige Instrumentation, z.B. die traditionelle Orchesterbesetzung mit afrikanischen Rhythmusinstrumenten zu kombinieren, zeugt von ihrem Willen nach einer neuen musikalischen Farbe und Sprache.
Florence Price komponierte vier Sinfonien, zwei Violinkonzerte, zwei Klavierkonzerte, diverse Konzert-Ouvertüren und Kammermusik. Den größten Anteil in ihrem Oeuvre nehmen jedoch die Klavierstücke und vor allem die Vokalmusik ein, darunter 75 Lieder, 13 Schlager und 14 Arrangements von Spirituals. Die große amerikanische Altistin Marian Anderson, der 1939 noch wegen ihrer Hautfarbe ein Bühnenauftritt in Washington verwehrt wurde, besaß etwa 50 Lieder und Arrangements von Price, die sie gern und oft bei ihren Konzerten aufführte, darunter Songs to a Dark Virgin, eines der erfolgreichsten Lieder in den USA.
Florence Price war Mitglied einiger bedeutender Organisationen, darunter die National Association of Negro Musicians. 1935 trat sie als erste Schwarze dem Chicago Club of Women Organists bei, was ihr auch die Möglichkeit bot, ihre Werke aufzuführen.
1934 trennte sich Price von ihrem zweiten Ehemann. Wieder quälten sie große finanzielle Sorgen, musste sie auf die Hilfe ihrer Freundînnen hoffen, die sie bei sich aufnahmen. Sie zog von Haus zu Haus, bis sie endlich eine eigene Wohnung für sich und ihre Töchter fand. Nach wie vor bemühte sich Price unermüdlich um die Veröffentlichung ihrer Werke, aber der Kampf um eine volle künstlerische Reputation blieb ihr verwehrt. In Chicago war Price bekannt. Ihre sinfonischen Werke mit großen amerikanischen Orchestern aufführen zu können, blieb jedoch eine Illusion. 1935 wandte sie sich das erste Mal an Serge Koussevitzky, den Chefdirigenten des Boston Symphony Orchestra. Von 1935 bis 1944 schrieb sie unermüdlich Briefe und bat darum, ihm ihre Partituren schicken zu dürfen. Irgendwann erhielt sie endlich eine knappe Antwort von seiner Sekretärin. Sie durfte dem Star-Dirigenten ihre 3. Sinfonie und eine Konzert-Ouvertüre schicken – ohne Erfolg.
Immerhin rief die US-amerikanische Regierung im Zuge der Wirtschaftskrise ein weitreichendes Projekt für arbeitslose Musikerînnen ins Leben, das sogenannte WPA (Works Project Administration). Die daraus entstandenen Ensembles führten auch Price’ Werke auf, der Eintritt war für alle US-Amerikanerînnen gratis. Für viele Künstlerînnen war dies die einzige Chance zu überleben und wahrgenommen zu werden.
1941 zog Price in das Abraham Lincoln Center von Chicago. Eine Einrichtung für Geringverdienende mit Wohnungen, Gemeinschaftsräumen, einem Auditorium und der Möglichkeit, Kurse zu geben und zu absolvieren. Price hatte hier ein eigenes Studio und unterrichtete dort, einige ihrer Werke wurden im Auditorium des Centers aufgeführt. Sie war die einzige schwarze Pädagogin, unterrichtet wurden überwiegend Weiße.
Gegen Ende ihres Lebens komponierte Florence Price vor allem Kammermusik. Inzwischen wurden ihre Werke in ganz Amerika und Kanada gespielt. 1951 beauftragte sie der Dirigent Sir John Barbirolli mit der Komposition einer Konzert-Ouvertüre. Gern wäre Price zur Uraufführung nach Europa gereist, aber ihre angegriffene Gesundheit hinderte sie daran. Die Komponistin litt seit ihrer Geburt an Herzproblemen. 1953, kurz vor ihrer Reise nach Paris, wo sie eine Auszeichnung entgegennehmen sollte, starb sie an einem Schlaganfall im St. Luke’s Hospital von Chicago.
Ein vollständiges Werkverzeichnis von Florence B. Price steht noch aus. Im Jahre 2008 wurden einige Manuskripte von ihr in einem Sommerhaus entdeckt, darunter die bis dahin als verschollen geltende 4. Sinfonie. Die Deutsche Grammophon gab eine CD mit Price’ 1. und 3. Sinfonie mit dem Philadelphia Orchestra heraus. Das Label Naxos veröffentlichte alle 3 erhaltenen Sinfonien neben anderen Orchesterwerken und Vokalmusik. Florence B. Price wird inzwischen gefeiert und von renommierten Musikerînnen in aller Welt gesungen und gespielt.
Davon konnte die Komponistin zu Lebzeiten nur träumen!
(Text von 2023)
Verfasserin: Uta Ruscher
Zitate
„Sicherlich hat Frau Price mit ihrem Vordringen in den symphonischen Bereich etwas erreicht, wozu nur wenige Frauen jeglicher Rasse in der Lage sind. Ihre Sinfonie ist für die Amerikaner besonders attraktiv, da sie sich aus der Musik nährt, die bei uns heimisch ist.“ (Detroit Free Press, 1940)
„Sie spielten 2 Sätze einer neuen Sinfonie von Florence Price, einer der wenigen Frauen, die sinfonische Musik geschrieben haben. Sie ist eine farbige Frau, die einen wichtigen Beitrag zu unserer Musik geleistet hat, und stammt aus Chicago.“ (Eleanor Roosevelt, 1940)
Links
biography.com: Florence Beatrice Price
Deutschlandfunk Kultur: Florence Price, Komponistin
Wikipedia (englisch): Florence Price
New Recording Features First Major Female African-American Composer. University of Arkansas.
Literatur & Quellen
Rae Linda Brown, The Life and Music of Florence B. Price, Illinois 2020
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