Fembio Specials Europäische Jüdinnen Fanny Hensel, geb. Mendelssohn
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Fanny Hensel, geb. Mendelssohn
(Fanny Cäcilia Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy)
geboren am 14. November 1805 in Hamburg
gestorben am 14. Mai 1847 in Berlin
deutsche Komponistin
175. Todestag am 14. Mai 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
“Die Musik wird für Felix vielleicht zum Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbass Deines Seins und Tuns werden kann und soll…” schrieb der Bankier Abraham Mendelssohn an seine 14jährige Tochter Fanny. Als älteste von vier Kindern wurde sie in einer aufgeklärt-kultivierten jüdischen Familie geboren und wußte daher frühzeitig, daß sie nie Berufsmusikerin werden durfte. Dennoch erhielt sie zunächst genauso guten Musikunterricht wie ihr jüngerer Bruder Felix (1809-47), den sie innig liebte. Sie blieben zeitlebens in engem Kontakt und beeinflußten sich künstlerisch gegenseitig. Die wenigen Reisen, die Fanny unternehmen durfte (1822 in die Schweiz, 1839-40 nach Italien) waren Lichtpunkte ihres Lebens, und ihre wunderbar anschaulichen, geistvollen Briefe verraten ihre Begeisterung.
Reisen, Anregungen und Anerkennung von außen - all diese Möglichkeiten standen dem Bruder offen, während ihre Begabung zu verkümmern drohte: “Daß ich bei so gänzlichem Mangel an Anstoß von außen dabeibleibe, deute ich mir selbst wieder als ein Zeichen von Talent.” Nach ihrer Verheiratung mit dem Maler Wilhelm Hensel (Bruder von Luise Hensel) führte sie in ihrer Berliner Wohnung bei Sonntagsmusiken auch eigene Chor- und Orchesterwerke auf. Erst ein Jahr vor ihrem Tod erteilte Felix seiner Schwester den “Handwerkssegen” - seine Zustimmung zum Drucken einiger ihrer Werke.
Erst 1976 nahm das größte Musiklexikon der Welt (MGG - Musik in Geschichte und Gegenwart) Fanny Hensel im Anhang auf: “ihr kompositorisches Schaffen, das über 400 einzelne Stücke umfaßt, ist bisher noch nicht eingehender untersucht worden”. Oratorien, Kantaten, Festspiele, Lieder und Klavierstücke sind darunter. 1984 wurde ihr “Oratorium auf Worte aus der Bibel” wieder aufgeführt, und viele weitere Werke folgten. Harmonisch greifen ihre Werke häufig über die des Bruders hinaus, ihre Lieder “gehören zu dem allerbesten, was wir von Liedern besitzen” (Felix Mendelssohn), und ihr Trio sollte eigentlich längst ein Standardwerk des Kammermusik-Repertoires sein. (Text von 1996)
Verfasserin: Eva Rieger
Zitate
Fannys wunderbare Musik, die dich so ergreift und die du nie greifen kannst, hat viele Möglichkeiten der Klangwerdung. Wäre es immer derselbe 'Trick', könnte man wohl ein analytisches Raffinement entwickeln, sie doch zu packen. Aber sie entzieht sich durch die Variabilität ihrer schöpferischen Potenz.
(Diether de la Motte)
Was ist daran [an meinen Kompositionen] gelegen? Kräht ja doch kein Hahn danach, und tanzt niemand nach meiner Pfeife. (Fanny Hensel)
Sie war klein von Gestalt und hatte – ein Erbteil von Moses Mendelssohn – eine schiefe Schulter, was aber wenig zu sehen war. Das Schönste an ihr waren die großen, dunkeln, sehr ausdrucksvollen Augen, denen man die Kurzsichtigkeit nicht ansah. Nase und Mund waren ziemlich stark, sie hatte schöne, weiße Zähne. Der Hand sah man die Ausarbeitung durchs Klavierspiel an. Sie war schnell und dezidiert in ihren Bewegungen, das Gesicht war sehr lebendig, alle Stimmungen spiegelten sich auf demselben treu wider; Verstellung war ihr unmöglich. Es merkte daher jeder sehr bald, wie er mit ihr stand; denn so sicher sich die Freue über einen lieben, gern gesehenen Menschen sofort zeigte, so unheildrohend lagerten sich auch gewisse Falten um Stirn und Mundwinkel, wenn eine ihr unsympathische Erscheinung sie verstimmte.
Wenige können sich so intensiv über alles Schöne: schönes Wetter, schöne Menschen, schöne Talente, schöne Natur, freuen, wie sie es konnte. Frische Luft atmete sie tief und voll ein und erklärte dies für einen der größten Genüsse. Ebenso intensiv war allerdings ihr Ärger über alles Häßliche, ihr Zorn über alles Schlechte. Gegen langweilige, fade, eitle und hohle Menschen war sie sehr intolerant, und hatte gewisse bêtes noires, gegen die sie ihre Antipathie durchaus nicht bemeistern konnte. Ihr Gesicht nahm dann bald einen Ausdruck so tiefen Unglücks an, daß sie ihre Umgebung häufig dadurch in die größte Heiterkeit versetzte, wenn die Ursache in so gar keinem Verhältnis zu der in ihr hervorgerufenen Stimmung stand. War diese verflogen, so lachte sie wohl selbst darüber und war doch das nächstemal ebensowenig imstande, sich zu bezwingen.
Materielle Genüsse waren ihr ziemlich gleichgültig: gut Essen und Trinken, Bequemlichkeiten, Toilette. Luxus aller Art waren nicht zu ihrem Leben notwendig; wohl aber Umgang mit gebildeten, klugen Menschen, im kleineren Kreis, und Kunstgenüsse. Ihr Freiheitssinn wurzelte tief in ihrer Natur: gegen den Adel und alle Prätentionen der Geburt und des Geldbeutels verhielt sie sich sehr zurückhaltend. Besuche und alle sogenannten “geselligen Pflichten” waren ihr sehr lästig, und sie entzog sich denselben so viel als möglich. – Aber sie war die treueste und unerschütterlichste Freundin aller derer, die sie für wert erachtet hatte, dem näheren Umgang anzugehören, und solchen gegenüber zu jedem Opfer fähig.
(Sebastian Hensel über seine Mutter, Fanny Hensel, geb. Mendelssohn)
Links
www.fannyhensel.de
(Bio, Noten, CDs, Literatur. Besonders schön: Infos zu aktuellen Konzerten mit Werken von Fanny Hensel-Mendelssohn)
Fanny Hensel bei MUGI
(sehr umfangreich, mit Werksverzeichnis und Stand der Forschung)
Fanny Hensel, geb. Mendelssohn in der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur & Quellen
Borchard, Beatrix & Monika Schwarz-Danuser. Hg. 1999. Fanny Hensel, geb. Mendelssohn Bartholdy: Komponieren zwischen Geselligkeitsideal und romantischer Musikästhetik. Stuttgart; Weimar. Metzler.
Elvers, Rudolf. 1972. Fanny Hensel: Dokumente ihres Lebens. Berlin. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Ausstellungskatalog 2).
Hensel, Sebastian. Hg. 2002 [1879]. Die Familie Mendelssohn. 1729 bis 1847. Nach Briefen und Tagebüchern. Frankfurt/M. Insel.
Mendelssohn, Fanny. 1985. Ein Portrait in Briefen. Hg. u. Nachwort Eva Weissweiler. Frankfurt/M; Berlin; Wien. Ullstein TB 30171.
Olivier, Antje. 1997. Mendelssohns Schwester Fanny Hensel: Musikerin, Komponistin, Dirigentin. Düsseldorf. Droste.
Steinbeck, Anke (2010): Jenseits vom Mythos Maestro. Dirigentinnen für das 21. Jahrhundert. Freie Univ., Diss.—Berlin, 2009. 1. Aufl. Köln. Dohr. ISBN 978-3-936655-74-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Tillard, Françoise. 1994. Die verkannte Schwester: Die späte Entdeckung der Komponistin Fanny Mendelssohn Bartholdy. München. Kindler.
CDs:
Lieder von Fanny Hensel, Clara Schumann, Johanna Kinkel, Agathe Backer Gröndahl. Tuula Nienstedt (Sopran), Uwe Wegner (Klavier). Label: Che (Note 1)
Mendelssohn, Fanny. Ausgewählte Lieder. Barbara Schlick (Sopran), Aloysia Assenbaum (Hammerflügel). 1 CD. Label: Ccd (Note 1)
Mendelssohn, Fanny. 2000: Oratorium / Lili Boulanger: Zwei Psalmen . Hermann Trefz, Wolfgang Schöne, Philharmonia Chor Stuttgart, Philharmonia Orchestra London, Ltg. Helmut Wolf. Label: Car (Note 1)
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