Fembio Specials Philosophinnen Erika Wisselinck
Fembio Special: Philosophinnen
Erika Wisselinck
geboren am 6. Oktober 1926 in Görlitz
gestorben am 4. Januar 2001 auf Madeira
deutsche feministische Journalistin, Autorin, Übersetzerin
95. Geburtstag am 6. Oktober 2021
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
»Für uns heißt Leben: keine Gewalt. Für uns heißt Leben nicht: Macht über andere Lebewesen sondern Macht in uns, Macht des Seiens, Macht der Anwesenheit.« Diesen viel zitierten Satz schrieb Erika Wisselinck in ihrem Buch »Frauen denken anders« (1984), das ein Standardwerk zur Einführung in feministische Themen wurde.
Erika Wisselincks Weg zu einer konsequent feministischen Denkerin war ungewöhnlich für ihre Generation der so genannten FlakhelferInnen. Sie wuchs in einem Elternhaus auf, das von preußisch-protestantischer Tradition geprägt war. Die Mutter hatte eine Ausbildung zur Lehrerin absolviert, der Vater war Berufsoffizier und später General der Wehrmacht. Erika besuchte das Gymnasium in Dresden. Als Jugendliche begehrte sie gegen das NS-Frauenbild auf. Ihre Zeit im BDM und im Reichsarbeitsdienst empfand sie als schikanös, und sie litt unter der »geistigen Ödnis im Nationalsozialismus«.
Anfang der 1950er Jahre studierte sie in München Philosophie und machte als Journalistin Karriere. Sie war eine der Wenigen, die in der restaurativen Adenauerzeit die Verbrechen der Nazi-Diktatur beim Namen nannten. Sehr früh thematisierte Wisselinck »die unfertige Emanzipation« und warf Fragen auf, die erst Jahre später ins Zentrum frauenpolitischer Diskussionen rücken sollten. Bezeichnend für Erika Wisselincks politisches und publizistisches Engagement war, dass sie ihre Themen breit streute, sei es in Hörfunksendungen, in brillanten Artikeln für die Süddeutsche Zeitung oder auf Tagungen, die sie als Bildungsreferentin in der Evangelischen Akademie Tutzing veranstaltete.
In den 1970er Jahren engagierte sich Wisselinck auch als SPD-Kommunalpolitikerin. Was sie in der männerdominierten Politik erlebt habe, »das endlose Monologisieren, das Nicht-von-der-Sache-her-Denken« sei für sie entscheidend gewesen, sich konsequent nur der Frauenfrage zu widmen, sagte sie in einem Interview. So kam sie im Alter von fast 50 Jahren mit dem Erfahrungsschatz der Einzelkämpferin zur Neuen Frauenbewegung.
Damit begann ihre fruchtbarste Lebensphase. In kongenialer Übersetzung übertrug sie die Bahn brechenden Werke der amerikanischen Philosophin Mary Daly in Deutsche. Wisselinck trug durch die deutsche Fassung der als unübersetzbar geltenden Bücher Dalys dazu bei, das Bewusstsein von dem patriarchalen Gebrauch der Sprache zu schärfen und überraschte die Leserinnen mit ihren Wortschöpfungen.
Für Erika Wisselinck, die bis dahin leidenschaftliche – aber oft enttäuschende – Beziehungen zu Männern hatte, standen von nun an Frauenfreundschaften im Mittelpunkt ihres Lebens, sie bezeichnete sich als »frauenidentifizierte Frau«. Durch Dalys Patriarchatskritik radikalisiert, schrieb sie ihre viel beachteten Bücher »Frauen denken anders«, »Hexen« und »Anna im goldenen Tor«. Sie war Mitbegründerin von Frauenstudien München, in zahllosen Veranstaltungen vermittelte sie ihre Sicht der Welt mit Humor und in einer klaren Sprache. Ausgehend von den alltäglichen Erfahrungen der Frauen entwarf Erika Wisselinck ein Denken, das feministische Spiritualität, Philosophie und politisches Handeln miteinander verband, und trug so in einmaliger Weise zum Bewusstseinswandel der Frauen bei.
Zitate:
Bei mir war es so, als könne ich in der Frauenbewegung zum ersten Mal das tun, was ich mir immer gewünscht habe: aus der Mitte meiner Person heraus a gieren und re agieren. (Erika Wisselinck)
Schon nach den ersten fünfzig Schreibmaschinenseiten Übersetzung war mir, als sei ein eisiger Wind durch mein Hirn gefegt: scharf und beißend, aber unendlich befreiend. (Erika Wisselinck zur Übersetzung von Mary Dalys Gyn/Ökologie)
Erika Wisselinck war ein Bindeglied zwischen unserer Generation und der unserer Mütter. Sie wusste noch genug vom Dritten Reich, war aber in ihrem Elan, ihrem Denken und ihrem Schwung eine von uns Jungen. Insofern konnte sie uns etwas vermitteln, was wir so von unseren Müttern nicht bekommen konnten. Wenn ich mich an sie erinnere, habe ich immer eine Frau im Kopf, die mehr Lebensweisheit hatte als wir. Das hat uns gut getan. Wir hatten nicht viele Frauen, an denen wir uns orientieren konnten. Erika war keine Ikone, keine die man auf ein Podest gestellt hätte und dann irgendwann hätte stürzen müssen. Sie war eine ganz hingebungsvolle loyale Feministin. Sie war der Sache unendlich verpflichtet. (Susanne Kahn-Ackermann, Mitbegründerin des Verlags Frauenoffensive)
Verfasserin: Gabriele Meixner
Links
Erika Wisselinck Nachlass gGmbH in München (Link aufrufen)
Feministisch-theologischer Online-Schlagwortkatalog: Suchergebnisse zu Wisselinck, Erika (Link aufrufen)
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Erika Wisselinck. Bücher. (Link aufrufen)
Rezensionen Brumberg, Juliane (2010): »Wir dachten alles neu«. Die Feministin Erika Wisselinck und ihre Zeit. Rezension. (Link aufrufen)
Flach-Köhler, Kristin (2010): Gabriele Meixner: »Wir dachten alles neu«. Die Feministin Erika Wisselinck und ihre Zeit. Rezension (PDF-Datei). (Link aufrufen)
Mathies, Christa (2008): Späte Vertöchterung. Rezension zu: Anna im Goldenen Tor. (Link aufrufen)
Rakuna & Anomatey (2010): Anna im goldenen Tor von Erika Wisselinck. Rezension. Wolfsmutter.com. (Link aufrufen)
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Letzte Linkprüfung durchgeführt am 03.01.2011 (AN)
Literatur & Quellen
Bücher (Auswahl)
Mirus, Helma und Wisselinck, Erika (Hg.) (1987): Mit Mut und Phantasie. Frauen suchen ihre verlorene Geschichte ; eine Dokumentation. Strasslach. Sophia-Verlag. ISBN 3-925109-01-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Mirus, Helma und Wisselinck, Erika (Hg.) (1999): Mit Mut und Phantasie. Frauen suchen ihre verlorene Geschichte ; eine Dokumentation. Mit Vorwort zur Neuauflage von Inge Müller. Rüsselsheim. Göttert. ISBN 3-922499-37-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wisselinck, Erika (1984): Frauen denken anders. Zur feministischen Diskussion ; als Einführung und zum Weiterdenken. 3. Aufl. Straßlach. Sophia-Verlag. ISBN 3-925109-00-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wisselinck, Erika (1986): Hexen. Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist ; Analyse einer Verdrängung. 1. Aufl. München. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-158-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche |
Wisselinck, Erika (1988): Jetzt wären wir dran. Frauen und Politik ; Aufsätze aus dreißig Jahren. 1. Aufl. München. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-181-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wisselinck, Erika (1990): Anna im goldenen Tor. Gegenlegende über die Mutter der Maria. 1. Aufl. Stuttgart. Kreuz-Verl. ISBN 3-7831-1051-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wisselinck, Erika (2008): Anna im goldenen Tor. Gegenlegende über die Mutter der Maria. Neuausg. Rüsselsheim. Göttert. ISBN 978-3-939623-03-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Übersetzungen (Auswahl) Daly, Mary (1978): Gyn/Ökologie. Eine Meta-Ethik des radikalen Feminismus. (=Gyn/Ecology) 1. Aufl. München. Frauenoffensive; Verl. Frauenoffensive. 1981. ISBN 3-88104-109-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Daly, Mary (1986): Reine Lust. Elemental-feministische Philosophie. (=Pure lust : elemental feminist philosophy) 1. Aufl. München. Frauenoffensive Verl; Verl. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-151-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Daly, Mary (1994): Auswärts reisen. Die strahlkräftige Fahrt ; darin Erinnerungen aus meinem Logbuch einer radikalen feministischen Philosophin ; (Beschreibung meiner Zeit/Raum-Reisen und -Ideen - damals und wieder und jetzt und wie). 1. Aufl. München. Frauenoffensive; Verl. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-253-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Morgan, Robin (1985): Anatomie der Freiheit. Feminismus, Physik und Weltpolitik. (=The anatomy of freedom, feminism, physics, and global politics) 1. Aufl. München. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-142-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Raymond, Janice G. (1987): Frauenfreundschaft. Philosophie der Zuneigung. (=A passion for friends) 1. Aufl. München. Frauenoffensive. ISBN 3-88104-168-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Meixner, Gabriele (2010): »Wir dachten alles neu«. Die Feministin Erika Wisselinck und ihre Zeit. 1. Aufl. Rüsselsheim. Göttert. ISBN 978-3-939623-22-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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