Fembio Specials Frauenbeziehungen Elizabeth Bishop
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Elizabeth Bishop
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geboren am 8. Februar 1911 in Worcester, Massachusetts
gestorben am 6. Oktober 1979 in Boston, Massachusetts
Us-amerikanische Lyrikerin und Schriftstellerin
45. Todestag am 6. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Sie zählt zu den bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts und als eine der beliebtesten im englischen Sprachraum. Ihr lyrisches Werk umfasst etwas mehr als 100 Gedichte, dazu kommt eine ähnliche Anzahl unveröffentlichter lyrischer Texte. Als1990 Prosastücke in deutscher Übersetzung erschienen, wurde man auch hier auf sie aufmerksam, aber ihre Adaption steht hierzulande immer noch am Anfang.
Der Lebensbeginn von Elizabeth Bishop ist von Tragödien und Traumatisierungen überschattet. Ihr Vater starb, als sie 8 Monate alt war, die Mutter verschmerzte den Verlust nicht, erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche und wurde dauerhaft in ein psychiatrisches Sanatorium aufgenommen, als Elizabeth 5 Jahre alt war. Sie sah ihre Mutter bis zu deren Tod niemals wieder. Ihre Großeltern mütterlicherseits hatten sie bereits als 3Jährige aufgenommen, und sie verlebte dort, in Nova Scotia an der kanadischen Atlantikküste, liebevoll behütete und freiheitliche Kindheitsjahre (Anklänge an diese Zeit verarbeitete sie in der Erzählung „Im Dorf“). Die Gedichtzeile „my compass still points north (Dear, my compass…) aus den 60er Jahren zeigt, dass sie den hohen Norden stets als heimatlich empfunden hat.
In ihrem 6. Lebensjahr wurde sie, völlig unvorbereitet, aus diesem Zuhause gerissen, „gekidnappt“, wie sie sagte, als die Großeltern väterlicherseits auftauchten und sie mit nach Boston nahmen. Ein Alptraum mit physischer und vermutlich auch sexueller Gewalt durch weitere Verwandte begann (einmal wurde sie z.B. an den eigenen Haaren über ein Balkongitter im 2. Stock gehalten). Sie entwickelte Krankheiten, zunächst Ekzeme und dann ein schweres Asthma, unter dem sie zeitlebens litt. Auch ihre lebenslange schmerzliche Befangenheit und Schüchternheit („painful shyness“), die besonders ihr späteres Auftreten in der Öffentlichkeit erschwerte, sind u.a. wohl auf die Erlebnisse von Missachtung und Verletzung zurückzuführen. Dazu kam eine im frühen Erwachsenenalter beginnende schwere Alkoholabhängigkeit.
Die frühen Lebenserfahrungen bedenkend, verwundert es nicht, dass Bishops gesamtes Werk u.a. immer wieder Themen wie Einsamkeit und Verlust durchziehen. Befreiung brachte ihr nach den qualvollen Monaten in der väterlichen Familie die nächste Übergabe an ihre Tante Maude, eine Schwester der Mutter, die ihr Interesse an Literatur weckte, sowie der Beginn ihres Bildungswegs in einem Internat und anschließend das Studium am renommierten Vassar-College, einer Elitehochschule, die im 19. Jahrhundert für Frauen gegründet wurde und u.a. bekannt ist für ihre Sammlung von Quellen Albert Einsteins und Elizabeth Bishops. Eine ihrer Mitstudentinnen war die später ebenfalls berühmte Schriftstellerin Mary McCarthy. Mit ihr und vier weiteren Kommilitoninnen gründete sie als Protest gegen die schwerfällige Universitäts-Zeitschrift das Literaturmagazin „Con spirito“. Anonym schrieben sie moderne, politisch engagierte Gedichte und Erzählungen – und wurden doch bekannt, als sie einen renommierten Zeitungspreis gewannen. 1934, im Todesjahr ihrer Mutter, lernte sie die Lyrikerin Marianne Moore kennen (1887 – 1972) kennen, die Bishops Werk förderte und beeinflusste. Mit Marianne Moore blieb sie bis zu deren Tod eng befreundet, sie gab sogar ihrem späteren Haus in Brasilien (in Ouro Preto) den Namen „Casa Mariana“.
Das vom Vater ererbte Vermögen brachte ihr relative finanzielle Unabhängigkeit, so dass sie nach dem Studium, in den 1930er Jahren, mehrere große Reisen unternehmen konnte. Sie fuhr nach Nordirland und Spanien, Italien und Nordafrika, verbrachte zweimal mehrere Monate in Paris. 1939 ließ sie sich in Key West, Florida, nieder, wo sie zeitweise mit ihrer damaligen Partnerin Louise Craine wohnte. 1951 brach sie zu einer Südamerikareise auf, die sie bis zum Südgipfel des Kontinents bringen sollte. Auf einem Stop in Rio de Janeiro lernte sie die Architektin Carlotta Constellat de Macedo Soares, genannt Lota, kennen, die aus einer prominenten und politisch engagierten brasilianischen Familie stammte. Aufgrund eines schweren allergischen Anfalls nach dem Genuss eines Cashewapfels musste sie ihren Aufenthalt in Rio verlängern. Lota und Elizabeth verliebten sich, und Elizabeth Bishop blieb für die nächsten 15 Jahre in Brasilien, wo sie in Petropolis nahe Rio de Janeiro im innovativ und kreativ entworfenen Haus von Lota wohnten. Die Zeit dort bezeichnete Bishop als die glücklichste ihres Lebens.
Elizabeth Bishop lebte offen lesbisch, hatte mehrere Affären mit Frauen, bevor sie diese erste langjährige eheähnliche Beziehung führte. Trotzdem geriet die Beziehung in eine Krise und Elizabeth Bishop ging in die USA zurück. Verzweifelt über die drohende Trennung von Elizabeth und zusammengebrochen nach Schwierigkeiten, Misserfolgen und Mobbing bei der Gestaltung des Flamengo Parks in Rio – heute Weltkulturerbe - verbrachte Lota einen längeren Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. 1967 folgte sie Elizabeth Bishop in die USA und suizidierte sich dort.
Ihre zweite langjährige Partnerin Alice Methfessel lernte Elizabeth Bishop 1971 kennen, das Paar blieb bis zu Elizabeth Bishops Tod 1979 zusammen.
Von 1966 an, nach ihrer Rückkehr in die USA, lehrte Elizabeth Bishop als mittlerweile berühmte und ausgezeichnete Dichterin an der Universität von Washington und danach sieben Jahre lang bis zu ihrem 65. Lebensjahr an der Harvard Universität.
Für ihre lyrischen Werke war sie 1956 mit dem Pulitzer-Preis für den Gedichtband „North & South – A Cold Spring“ ausgezeichnet worden. Als nächste große Publikation war 1965 der Band „Questions of Travel“ erschienen, 1969 „The Complete Poems“, wofür ihr 1970 der National Book Award verliehen wurde. 1977, zwei Jahre vor ihrem Tod, erhielt sie als bisher einzige Frau den Neustadt International Literature Prize für ihren letzten Gedichtband „Geography III“.
Worüber schreibt eine Frau, die ihre Eltern im Kindesalter verliert, traumatisiert wurde und zu einer weltläufigen, an Kontinenten und Natur, an Städten und Häusern interessierten, bewunderten, immer wieder verliebten und liebenden und geliebten brillanten Dichterin wurde?
Sie schreibt über Landschaften, Reiseerlebnisse, exotische Tiere und Pflanzen, Naturerscheinungen, Kindheitserinnerungen. Auf den ersten Blick scheinen ihre Werke exakte und detaillierte Beschreibungen von Beobachtungen und Sachverhalten zu sein, aufgeschrieben in fast umgangssprachlicher Wortwahl – bis sich bei genauerem Lesen etwas anderes auftut: Wie mit einem Filter versehen verbindet sich das soeben beschriebene Reale mit einem Tieferen, Anderen, Imaginären, mit der inneren Welt. Immer wieder führt Bishop die Natur hinaus auf eine andere Bedeutungsebene. Sie schaut mit einem „gläsernen“ Blick (Popp) auf die Natur und die Welt und sieht das darin Verborgene, das Verbindende von Organischem und Kristallinem, von Raum und Zeit, von Sichtbarem und Unsichtbarem und fügt es zu neuer Wirklichkeit zusammen. Alles wird verschoben, collagenartig in neue Verbindungen gebracht. Zwei Ziele verfolgt Bishop: zum einen soll Poesie Überraschung bieten, die Wirklichkeit nicht „aufbahren“. Zum anderen ist sie davon überzeugt, dass ein Gedicht vor allem die Bewegung des Denkens, des Geistes vermitteln soll, es soll „mind in action“ vollziehen. So wie unser Verstand, unser innerer Dialog eben nicht logisch, analog und Schritt für Schritt arbeitet, sondern in Sprüngen, Assoziationen, Bildern, Emotionen, Tagträumen, Wünschen, Erinnerungen und Zeitreisen springt und sprudelt - blitzschnell, mühelos und doch bedeutungsvoll „schwebend“. Im Gedicht „Der traumhafte Eisberg“ zum Beispiel beschreibt sie den geträumten Eisberg als einen „Felsen aus Wolken“, als „schwebendes Feld“, der „sein eigenes Gewicht auf schwankender Bühne hält“, „seine Facetten aus sich selber schleift“. Und dann, am Ende des Gedichts, überrascht sie mit der Wendung, den Eisberg als Chiffre für die Seele zu setzen: „beide selbstgeschaffen aus fast Unsichtbarem…leibhaftig, schön, unteilbar erhaben.“
Im Wartezimmer des Zahnarztes ihrer Tante verwebt sie ihre Anwesenheit als 7Jährige mit ihrer Bewusstwerdung als Individuum, als eine „Elizabeth“. Beim Haarewaschen Kosmisches assoziieren, ausgebeulte Zinnschüsseln mit dem Mond zu imaginieren – das alles zeigt plötzliche Perspektivwechsel und sich verschiebende Bedeutungsinhalte. Gläser, Lupen, Spiegel verwandeln die Dinge, kehren sie von rechts nach links, verstärken, brechen Wahrnehmungen auf eine überraschende, neue vermeintliche Wirklichkeit hin, das Leben bleibt eine Suchbewegung. Die Metapher dafür findet Bishop im Strandläufer, der am Meeressaum gedankenverloren „etwas, etwas, etwas“ sucht. Entsprechend soll unser Wissen sein wie das Meer:
„dunkel, salzig, klar, strömend, absolut frei, aus dem kalten, harten Mund der Welt gezogen,
den felsigen Brüsten für immer abgewonnen, fließend und gezogen und, da
unser Wissen historisch ist, fließend und flüchtig.“
An ihren Gedichten arbeitete Bishop lange, oft mehrere Jahre – allein von ihrem berühmten Gedicht „Die Kunst des Verlierens“ sind 17 Entwürfe überliefert. Ihr Werk ist so dicht und reich, dass immer wieder neue Aspekte, Wendungen, literarische Kunstgriffe entdeckt werden. Dabei gibt es keine spezifisch männliche oder weibliche Perspektive, obschon ihre persönliche Position nach eigenen Worten eine „starke feministische“ war. Für ihr Werk aber lehnte sie solche Kategorisierungen strikt ab. Erfahrung, Intensität, Schönheit, Geheimnisvolles sind für sie Dimensionen, die unabhängig von Geschlecht, Alter oder Abstammung für alle gelten.
Ablehnend stand sie der sogenannten „Bekenntnislyrik“ gegenüber, die ihr enger Freund und Schriftstellerkollege Robert Lowell vertrat. Bishop dagegen nahm sich zurück: ihr Schreibstil wurde berühmt aufgrund ihrer detaillierten, objektiven und distanzierten Beobachtungen und Wahrnehmungen sowie für ihre Diskretion in privaten Belangen.
Für den unverwechselbaren Stil ihres Werkes fand Octavio Paz bewegende Worte:
„Wie Wasser kommt ihre Stimme aus einem dunklen, tiefen Ort; wie Wasser löscht sie einen doppelten Durst, den Durst nach Realität und den Durst auf Wunder.“ „Sie ist eine Meisterin der Stille. …Das Leben besteht auch aus etwas, das nicht gesagt werden kann. Diese Stille zeigen – in dieser Kunst war Elizabeth Bishop eine Meisterin.“
Elizabeth Bishop starb 1979 in ihrer Wohnung in Boston an einem cerebralen Aneurysma und wurde in Worcester neben den ihr unbekannt gebliebenen Eltern beerdigt. Auf ihren Wunsch hin wurden auf ihrem Grabstein die letzten beiden Zeilen ihres Gedichtes „Die Bucht“ eingraviert:
All untidy activity continues
awful but cheerful
[Das ganze ungeordnete Treiben geht weiter,
schrecklich, doch fröhlich.]
Verfasserin: Christa Matenaar
Zitate
Ich habe großen Respekt vor dem, was die Leute gewöhnliche Dinge nennen. Ich bin ausgesprochen visuell veranlagt und Elche und Tankstellen sind für mich nicht unbedingt Gemeinplätze. Ich versuche einfach, die Dinge neu zu sehen.
Ich glaube ans Indirekte.
Der Gegenstand (der Poesie) und die Sprache, die ihn vermitteln, sollen überraschen. Man sollte überrascht sein, etwas Neuem begegnen, das auf seltsame Art lebendig ist.
Links
YouTube:
- Elizabeth Bishop – documentary
- Yale courses: Elizabeth Bishop
- Elizabeth Bishop – A Conversation About Her Poetry
- Our Life in Six Lyrical Poems: Elizabeth Bishop
- Centenary Tribute to Elizabeth Bishop
Film:
- Die Poetin, Regie: Bruno Barreto
Literatur & Quellen
Poems – Elizabeth Bishop, London 2011
Elizabeth Bishop, Der stille Wahn, Frankfurt 1990
Steffen Popp. Hrsg., Elizabeth Bishop – Gedichte, München 2018
Meghan Marshall, Elizabeth Bishop – A Miracle For Breakfast, New York 2017
Carmen L. Oliveira, Rare and Commonplace Flowers – The story of Elizabeth Bishop and Lota De Macedo Soares, New Jersey 2003
Michael Sledge, The More I owe You, California 2010
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