Fembio Specials Frauen aus Zürich Elisabeth Bergner
Fembio Special: Frauen aus Zürich
Elisabeth Bergner
(Elisabeth Ettel)
geboren am 22. August 1897 in Drohobycz/Galizien
gestorben am 12. Mai 1986 in London
österreichisch-englische Schauspielerin und Regisseurin
125. Geburtstag am 22. August 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Mit 88 Jahren – ein Jahr nach ihrer letzten Hörspielarbeit, etwas mehr als zwei nach ihrem letzten Film – war aus der femme enfant und zugleich der femme fatale der Goldenen Zwanziger Jahre eine „charmante und gelegentlich auch abgründige alte Dame geworden“. Noch in dieser Beschreibung der Person Elisabeth Bergners ist die Faszination spürbar, die schon die Rollengestaltung der neunzehnjährigen Schauspielerin in Zürich als Ophelia (neben Moissi), als Wedekinds Lulu oder – als wichtigste ihrer vielen Hosenrollen – Shakespeares Rosalinde so unverwechselbar machte: im Leben wie auf der Bühne entzog sie sich jeder interpretierenden Festlegung, zog mit ihrer Lebensintensität Männer wie Frauen, Kollegen und Theater- wie Filmpublikum in ihren Bann und ließ doch keine einengende Nähe zu, war zwar Die Bergner und doch nicht zu fassen. Oft wurde sie portraitiert, Berühmtheiten widmeten ihr Gedichte, Literaten und Kritiker ließen sich zu emphatischen Umschreibungen ihrer Kunst, ihres Wesens hinreißen, Zeitungen veröffentlichten intensive Portraitstudien – jedoch kaum einmal eine Privataufnahme von ihr.
Auf ihre Weise hat sie „den Weg von emanzipatorischen Gedanken zur realisierten Emanzipation“ gelebt, hat vieles angeregt, sich selten gefügt: weder Brecht noch Shaw z.B. und sicher nicht den Ansprüchen aller „Liebschaften“ (die reisten ihr nach, wohin auch immer sie zog ). Intuition und Improvisieren: Ensemblespiel ist tatsächlich nicht ihre Sache gewesen. Und die lange Ehe mit dem Regisseur von mehr als der Hälfte ihrer 22 Filme, Paul Czinner, war „die schönste Freundschaft ihres Lebens“.
Nach ihrem Debüt in Innsbruck 1915 kamen Engagements nach Zürich, Wien, München und der Hauptstadt Berlin. Neben ihrem Theaterspielen entstand zwischen1924 und 1941 fast alljährlich ein Film (die populärsten: Der Geiger von Florenz, Ariane, Der träumende Mund). 1933 kehrt sie von Dreharbeiten in England nicht wieder nach Deutschland zurück, arbeitet für Bühne und Film und weicht nach Kriegsbeginn in die USA aus (Zusammenarbeit mit Brecht und Auden); trotz knapper Finanzen setzt sie sich weiter intensiv für Verfolgte und für Kinderhilfswerke ein, ermöglicht vielen die Emigration.
Über Albert Einstein findet sie zur Christian Science: mit Lesungen von Schnitzlers Fräulein Else und aus der Bibel besucht sie 1949 Deutschland, gestaltet eine mehrmonatige Tournee in Israel. Erst 1954 spielt sie wieder in Berlin, später in Düsseldorf; besonders Kiltys Geliebter Lügner (nach dem Briefwechsel Stella Patrick Campbells mit Shaw; ab 1959) dürfte ihr insgeheim eine diebische Freude gemacht haben. Von 1968 bis 1983 auch Fernseharbeit in England und Deutschland.
(Text von 1996)
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Zitate
Der Mann muss hinaus ins „feindliche“ Leben. Vielleicht muss die Frau auch.
(Elisabeth Bergner, zitiert nach Völker 1990, S. 183)
Elisabeth Bergner über ihr Debüt in Innsbruck:
Ich war unter den “nicht auffallenden” Talenten. Unter den mehr oder minder Begabten. Und so mußte ich in einen sehr sauren Apfel beißen. Er war sogar ziemlich bitter. Ich mußte zu Agenten gehen und den Provinzdirektoren vorsprechen, denen ich gar nicht gefiel. Ich war ziemlich verzweifelt. Aber schließlich und endlich, kurz vor Weihnachten, die neue Spielzeit war schon ziemlich vorgeschritten, engagierte mich Direktor Leopold Turner nach Innsbruck für den Rest der Saison. Das waren noch vier Monate. Ich sprach ihm das Rautendelein vor, und er sagte: “Mit so einem Bierbaß können Sie doch nicht das Rautendelein spielen.” Aber er engagierte mich doch. Jetzt bin ich also in Innsbruck. Mit zusammengebissenen Zähnen und Operettenverpflichtung. Es erwies sich bald als ein großer Segen, daß ich nicht an ein wichtigeres Theater engagiert worden war. Dadurch, daß ich mich im Konservatorium immer davor gedrückt hatte, gesehen zu werden, geriet ich jetzt vor jedem Auftreten in solche Zustände von Angst und Aufregung, daß ich sehr oft auf offener Bühne hinfiel - ohne jeden Grund. Über meine eigenen Füße sozusagen. Und besonders gerne in klassischen Stücken, z.B. in der Braut von Messina und in Sappho, und immer in langen griechischen Gewändern. Das Publikum lachte dann meistens. Einmal applaudierte es sogar. Ich grübelte lange darüber nach, ob der Applaus mitleidig war oder grausam. Das Schönste in Innsbruck waren die Kindermärchen-Vorstellungen am Nachmittag. Schneewittchen, Dornröschen, Hänsel und Gretel. Da war ich nie aufgeregt und fiel nie hin. Noch etwas: Ich hatte angefangen, Briefe an Agenten zu schreiben. An große internationale Agenten, deren Namen ich irgendwo gelesen oder gehört hatte. Da war z.B. einer, der hieß Frankfurter, und alle großen Opernsänger waren seine Klienten. Ich wußte gar nicht, ob er auch für Schauspieler arbeitete. Ich schrieb an ihn. Ich bat ihn, nach Innsbruck zu kommen und sich selbst davon zu überzeugen, daß ich etwas ganz Besonderes war. Er kam nicht und antwortete nicht. Die Spielzeit stand vor dem Ende. Plötzlich, eines Tages, kriegte ich einen Brief aus Zürich. In dem stand, daß Dr. Reucker mich auf seiner Durchreise nach Wien in Innsbruck zu sehen wünsche, im Hotel Tirol, um soundsoviel Uhr. Ich war natürlich pünktlich da. [Nach dem Vorsprechen ist Bergner überzeugt, daß es schiefgegangen ist. Doch bald darauf bekommt sie einen Zweijahresvertrag an das Züricher Stadttheater:] Freudentränen, tiefstes Glück. Und jetzt beginnt der erste Akt. Bis hierher war alles nur Vorspiel, Prolog.
(Bergner 1978, S. 21-23).
Fragebogen:
Was halten Sie von wilden Tieren?
– Ich habe noch nicht den Vorzug gehabt, sie kennenzulernen.
Besitzen sie denn keine?
– Doch, einen Kanarienvogel.
Was lieben Sie?
– Reisen, Skilaufen, Schwimmen.
Was hassen Sie?
– Wenn eine Frau Zigaretten raucht.
Warum rauchen Sie dann?
– Ich verehre inkonsequente Frauen.
Was möchten Sie werden, wenn Sie nicht die Bergner wären?
– Droschkenkutscher.
Warum?
– Ich bin für das Exotische.(zitiert nach Völker 1990, S. 221)
Sie ist die liebreizendste und grausigste Schauspielerin, die kindlichste und raffinierteste, die knabenhafteste und weiblichste, die keuscheste und verderbteste.
(Kurt Pinthus, zitiert nach Völker 1990, S. 159)
Elisabeth Bergner, eine mächtige Könnerin; ist es ein Einwand, dass sie eine „Schau“-Spielerin ist?
(Oskar Loerke 1932, zitiert nach Völker 1990, S. 375)
Heute weiß ich auch, dass es ein Malheur gewesen sein muss für viele, wie ich war. Ich möchte viele um Verzeihung bitten. Ich glaube, ich hatte ein großes Talent für Freundschaften und gar kein Talent für Liebschaften. Nur, bis man so etwas lernt über sich selbst, das dauert lange.
(Bergner 1978, S. 27)
… wie ich an eine Rolle „rangehe“ ... ich weiß es nicht ...[ich] glaube, dass ich jede meiner Rollen für ein heiliges Abenteuer gehalten habe.
(Bergner 1978, S. 263)
… ich fest überzeugt bin, dass jeder darzustellende Charakter unter seinen eigenen Gesetzen steht, die sich dem empfänglichen, sensitiven Schauspieler von selbst mitteilen … Wer alles „erklärt“ haben muss, schaltet seinen wichtigsten sechsten Sinn aus und kriegt meistens alles falsch erklärt.
(Bergner 1978, S. 264)
Ich bin zu meinen Charakterisierungen ohne jedes Konzept gekommen. Ich habe nie ein Konzept gehabt und auf Proben nie viel gewonnen. Ich war nie eine Probenschauspielerin. Ich habe immer erst mit dem Publikum angefangen, eine Rolle zu formen, und dann war es da.
(Elisabeth Bergner in einem Interview, Quelle)
Sie beherrschte das Hexeneinmaleins der Verführung. Um dieses Wunder aus Nerv und Hirn liefen sich die Federn und die Zungen heiß. Wo war die Trennlinie zwischen Instinkt und Intellekt, wo verlief die Grenze zwischen Magie und Manierismus?
(George Salmony, zitiert nach Völker 1990, S. 298)
Zum Schluss trat sie vor den Vorhang … Es wurde still. Und als sie begann, dachte ich: Jetzt spricht Elisabeth Bergner ganz persönlich, improvisierend … Sie sprach aber mit derselben Natürlichkeit die vorgeschriebenen Worte des Stücks.
(Kurt Tucholsky, zitiert nach Völker 1990, S. 273)
Links
Bab, Julius: Elisabeth Bergner in New York. PDF-Datei.
Online verfügbar unter http://www.exil-archiv.de/grafik/biografien/bergner/Bergner_in_New_York.pdf, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
D'heil, Stephanie: Elisabeth Bergner. Biografie mit Links.
Online verfügbar unter http://www.steffi-line.de/archiv_text/nost_film20b40/11_bergner.htm, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
film.virtual-history.com: Elisabeth Bergner. Bücher, Postkarten, Filmfotos.
Online verfügbar unter http://film.virtual-history.com/person.php?personid=662, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
filmportal.de: Elisabeth Bergner. Filmografie, Fotos, Literatur. DIF.
Online verfügbar unter https://www.filmportal.de/person/elisabeth-bergner_c3823dc092e0420fa8fc17c248207493, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Internet Movie Database: Elisabeth Bergner. Biografische Daten, Filmografie, Literatur, Auszeichnungen.
Online verfügbar unter http://imdb.com/name/nm0074949/, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Elisabeth Bergner.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/11850956X, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Müller, André: Interview mit Elisabeth Bergner 1973. In: Münchner Abendzeitung vom 6. Februar 1973.
Online verfügbar unter http://www.a-e-m-gmbh.com/andremuller/interview%20mit%20elisabeth%20bergner.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
The Androom Archives: Elisabeth Bergner. Biografie, Links, Fotos.
Online verfügbar unter http://www.xs4all.nl/~androom/index.htm?biography/p013553.htm, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
time.com: Cinema. Artikel u. a. zu „Escape Me Never“. In: Time Magazine vom 3. Juni 1935.
Online verfügbar unter http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,883424,00.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
time.com: Comeback for Lisl. Artikel zum “Dear Liar” am Renaissance-Theater Berlin. In: Time Magazine vom 19. Okt. 1959.
Online verfügbar unter http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,869309,00.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
time.com: New Play in Manhattan. Artikel zu „The Two Mrs. Carrolls“. In: Time Magazine vom 16. Aug. 1943.
Online verfügbar unter http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,933206,00.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
time.com: The New Pictures. Artikel zu „As you like it“. In: Time Magazine vom 9. Nov. 1936.
Online verfügbar unter http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,770449,00.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Tucholsky, Kurt: Berliner Theater: O'Neill, „Seltsames Zwischenspiel“. Theaterkritik.
Online verfügbar unter http://www.textlog.de/tucholsky-theater-o-neill.html, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
vbkoe.org: Elisabeth Bergner. Nach unten scrollen! Biografische Details im Zusammenhang mit Bergners Hauslehrer Levy Moreno.
Online verfügbar unter https://www.vbkoe.org/2010/10/22/jakob-levy-moreno/, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Wikisource: Meyers Blitz-Lexikon (1932), Spalten 51/52. Faksimile-Seite mit Eintrag zu Elisabeth Bergner (mit Foto).
Online verfügbar unter https://de.wikisource.org/wiki/Meyers_Blitz-Lexikon/B, zuletzt geprüft am 09.05.2021.
Literatur & Quellen
Quellen
Bergner, Elisabeth (1978): Bewundert viel und viel gescholten. Unordentliche Erinnerungen. München: Goldmann, 1981 (Goldmann, 3980).
Dick, Jutta (1993): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (rororo-Handbuch, 6344).
Völker, Klaus (1990): Elisabeth Bergner. Das Leben einer Schauspielerin ; ganz und doch immer unvollendet. Berlin: Ed. Hentrich (Beiträge zu Theater, Film und Fernsehen aus dem Institut für Theaterwissenschaften der Freien Universität Berlin, 4).
Weiterführende Literatur
Asper, Helmut G. (2002): Etwas Besseres als den Tod … Filmexil in Hollywood ; Porträts, Filme, Dokumente. Marburg: Schüren (arte Edition, 2).
Bolbecher, Siglinde; Kaiser, Konstantin (1993): Unsere schwarze Rose Elisabeth Bergner. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien (170. Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien).
Bronnen, Arnolt; Kleinschmidt, Harald (1967): Begegnungen mit Schauspielern. 20 Porträts. Berlin: Henschel.
Eloesser, Arthur (1927): Elisabeth Bergner. Charlottenburg: Williams.
Fechter, Paul (1950): Große Zeit des deutschen Theaters. Gestalten und Darsteller. Gütersloh: Bertelsmann (Das kleine Buch, 4).
Felix, Jürgen (Hg.) (2002): Flucht durch Europa. Schauspielerinnen im Exil 1933 – 1945. Marburg: Schüren (Augen-Blick, 33).
Firner, Walter; Adalbert, Max; Ihering, Herbert (1932): Wir und das Theater. Ein Schauspielerbildbuch ; mit 40 Portraitstudien in Kupfertiefdruck nach Originalaufnahmen. München: Bruckmann.
Hochholdinger-Reiterer, Beate (1999): Vom Erschaffen der Kindfrau. Elisabeth Bergner – ein Image. Wien: Braumüller (Blickpunkte, 7).
Hoeppner, Klaus; Jatho, Gabriele (2007): City Girls. Frauenbilder im Stummfilm. Berlin: Bertz und Fischer (FilmHeft).
Lorant, Stefan (1928): Wir vom Film. Das Leben, Lieben, Leiden der Filmstars. München: Kolf, 1986.
Meyerinck, Hubert von (1967): Meine berühmten Freundinnen. Erinnerungen. Düsseldorf: Econ.
Müller, André (1979): Entblößungen. Interviews. München: Goldmann (Goldmann-Taschenbuch, 3887).
Omasta, Michael (Hg.) (2003): Carl Mayer, Scenar(t)ist. Ein Script von ihm war schon ein Film. „A script by Carl Mayer was already a film“. Enthält: Tödliche Wahrheit oder raffinierte Täuschung. Die Frauen in den Filmen Elisabeth Bergners von Anne Jespersen. Wien: SYNEMA.
Orbanz, Eva (1983): Elisabeth Bergner. Berlin: Stiftung Deutsche Kinemathek (Exil, 1).
Pross, Steffen (2000): In London treffen wir uns wieder. Vier Spaziergänge durch ein vergessenes Kapitel deutscher Kulturgeschichte nach 1933. Frankfurt am Main: Eichborn. (Inhaltsangaben und Rezensionen zu diesem Buch: http://www.perlentaucher.de/buch/2963.htm)
Riess, Curt (1956): Das gab's nur einmal. Das Buch der schönsten Filme unseres Lebens. Gütersloh: Bertelsmann Lesering.
Seifener, Christoph (2005): Schauspieler-Leben. Autobiographisches Schreiben und Exilerfahrung. Frankfurt am Main: Lang (MeLis, 3).
Splanemann, Frank (1999): Von Fritz Kortner bis Curt Bois (Historische Aufnahmen der Reinhardt-Bühne, 2). Düsseldorf: Patmos. 1 Audio-CD.
Trapp, Frithjof (1999): Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933 – 1945. München: Saur.
Wendtland, Karlheinz; Wendtland, Helga (1994): Sämtliche deutsche Spielfilme von 1929-1945. Künstlerbiographien A – K. Berlin: Verl. Medium Film (Geliebter Kintopp).
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