Fembio Specials Frauenbeziehungen Doli Hilbert
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Doli Hilbert
geboren am 26. Januar 1919
gestorben am 17. März 2017 in Berlin
deutsche Bildhauerin, Malerin, Kunstpädagogin, Dichterin
105. Geburtstag am 26. Januar 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ungefähr siebzigjährig stellt Doli Hilbert fest, dass ihr das Arbeiten mit Ton körperlich zu schwer wird. Also nimmt sie Seidenpapier, um es Schicht für Schicht auf Leinwand zu kleben, zu reißen, zu formen. Ob in kräftigen oder pastellenen Farben, immer kommen die reliefreichen Collagen fliegend daher.
Im Film »SynChrone« zeigt sie ihren gefältelten Körper in fließenden Bewegungen, erotischen Gesten, ohne Scheu vor Nahaufnahmen. Sie pflegt den Alterungsprozess, beobachtet mit Freude verwelkende Blüten, macht das Vergehen auch zur Grundlage ihrer Kunst: Sie fotografiert über Monate einen verwesenden Apfel, benutzt für eine Malerei Windeln statt Leinwand, plant zum Thema »Behausung« eine Badewannen Performance: Wie bewohne ich einen behinderten Körper? Wie gestalte ich das Bad zu seinen Gunsten?
Geboren als Tochter einer Lehrerin und eines Ingenieurs in Berlin besucht sie nach der Mittleren Reife eine Soziale Frauenschule. Hier entdeckt sie im Werkunterricht ihre Leidenschaft fürs Arbeiten mit Ton, die sie beim Töpfermeister Jan Bontjes van Beek weiter verfolgt. Bei Kriegsausbruch wird sie zum Arbeitsdienst im Gesundheitsamt verpflichtet. Sie heiratet. Erst nach Kriegsende kann sie mit einem Stipendium an der Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle (1947-50) das Töpferhandwerk studieren und es mit dem Gesellenbrief abschließen. Eigentlich wollte sie Bildhauerin werden, doch der Lehrer riet ab: für eine verheiratete Frau sei ein Handwerk die bessere Grundlage.
»Mein Leben begann mit fünfzig«, sagt sie, hat inzwischen drei Söhne aufgezogen und ist geschieden. Die 1970er und 80er Jahre werden ihre kreativste Zeit als engagierte Sozialpädagogin und Künstlerin. Sie hat bereits eine Töpferwerkstatt mit Frauen, Kindern und Behinderten initiiert, gehört dem Verein Berliner Künstlerinnen VdBK und dem Berufsverband Berliner Künstler BBK an, nimmt an zahlreichen Gemeinschaftsausstellungen teil, macht eine künstlerisch-pädagogische Weiterbildung an der Hochschule der Künste HDK.
Ungefähr sechzigjährig beginnt sie in der ersten feministischen Frauengalerie »Andere Zeichen« mit anderen Frauen zu zeichnen, zu malen, und weiter zu formen. Sie hat dort ihre erste Einzelausstellung und ihr lesbisches Coming Out, engagiert sich fortan auch in anderen Frauenprojekten, baut die Offene Lesbische Initiative RUT, Rad und Tat, mit auf. Dem Stier, Sinnbild auf einer moosgrünen Kachel der ehemaligen Schlachterei, klebt sie zur Gründung dieses Projekts kurzerhand einen Euter an, aus rosarotem Papier. »Eine Zeit, in der ›es‹ breiter wurde, in Filmen und Büchern vorkam, da konnte ich ›es‹ öffentlich machen und stolz sagen: Ich bin Lesbe. Auch weil ich langsam begriff, dass das Private politisch ist.« Sie wird Mitfrau bei SAFIA, dem bundesweiten gemeinnützigen Verein Lesben organisieren ihrAlter.
1994 erhält sie ein Arbeitsstipendium in Ahrenshoop, wo ihre Sandbilder aus Strandfundstücken entstehen. Im selben Jahr wird sie mit dem 1. Preis beim Wettbewerb »Berliner Frauen arbeiten mit behinderten Frauen« ausgezeichnet. Geehrt wurde sie auch schon Jahre zuvor durch den Ankauf einer ihrer Skulpturen von der Berlinischen Galerie, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst.
Gebrechlicher geworden, entscheidet sie achtzigjährig, das Haus nicht mehr zu verlassen. Sie beginnt, die Welt zu sich zu holen, schenkt Freundinnen Theaterkarten und lässt sich über die Stücke berichten, verfolgt die Nachrichten, besonders das Kunst- und Kulturgeschehen im Fernsehen, nimmt teil an gesellschaftlichen Themen wie Genderdebatte und Homoehe. Sie bildet sich eine Meinung, mischt sich ein mit Leserinnenbriefen. Von ihrer Wohnung aus organisiert sie eine Ausstellung von SAFIA-Künstlerinnen im Berliner Frauenhotel Artemisia, fünfhundert Meter Luftlinie von ihrem Süd-Balkon, einem Biotop im fünften Stock, entfernt.
Um Weihnachten und die Jahreswende lehnt sie jeden Besuch ab. Sie möchte allein sein, schreiben, sich besinnen, auf ihr Leben und auf ihren Tod, verweilen in dieser Zeit der Raunächte Sie ist stolz auf ihre Unabhängigkeit, die ihr den nötigen Raum für ihre Kreativität gibt. »Kreativ sein, heißt frei sein.«
Ihre Tonskulpturen hat sie längst Ca na Nofreta, dem Garten der Frauen auf Mallorca überlassen. So haben die Vogelfrau, die Wächterin, Kapsule, 1 Jahr nach Tschernobyl und andere dort ihren gebührenden Standort zwischen Künstlerinnen und Olivenbäumen. In ihrer Zweizimmerwohnung ist dafür kein Platz, aber Platz genug für ihre Staffelei, an der sie malt und klebt, verwirft, neu beginnt, weitermalt bis es stimmt. Doch am nächsten Tag könnte das Bild schon wieder anders aussehen.
Einmal noch verlässt sie ihre Wohnung. Im RUT wird zu ihrem 85. Geburtstag der Porträtfilm von Tille Ganz über sie uraufgeführt: »dass zum Alter hin sich das Glück verstärken kann, ist unglaublich.«
Ungefähr neunzigjährig sagt sie: »Erst neulich dachte ich: Endlich werde ich erwachsen.« In diesem Jahr wird ihr Lebenswerk durch Einzelausstellungen ihrer Skulpturen und Bilder an mehreren Frauenorten gewürdigt, verbunden mit Lesungen ihrer Gedichte aus »Faltenwurf der Zeit«:
mit der Feder
eines Vogels
fing es an
dann schrieb
die Feder Worte
so lernten Worte fliegen
den Nächten Flügel schenken
und
Traumlieder singen.
Filme
- 1990: Film SynChrone von Kirsten Lilly
- 2004: DVD, ein Porträt von Tille Ganz, »dass zum Alter hin sich das Glück verstärken kann, ist unglaublich«
- 2008 in DVD, eine Dokumentation von Tille Ganz, »Garten der Frauen« gestaltet von Christiane von Lengerke und Gabriele Schilling
Einzelausstellungen
- 1985, Skulpturen und Zeichnungen, Frauengalerie andere Zeichen, Berlin
- 1997, Bilder und Skulpturen, Frauenhotel Artemisia, Berlin
- 2005, Skulpturen und Malerei, RUT, Berlin
- 2009, Skulpturen und Bilder, Sammlung von Christiane von Lengerke und Gabriele Schilling, Werder/Havel
- 2009, Malerei, Begine, Treff und Kultur für Frauen, Berlin
- 2009, Im Gespräch mit ihren Wurzeln, Skulpturen und Bilder, Atelierhof Werenzhain, Doberlug-Kirchhain
Gedichtzyklus
Faltenwurf der Zeit, unveröffentlicht
Lieblingsdichterinnen
- [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/rose-auslaender]Rose Ausländer[/url]
- [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/hilde-domin]Hilde Domin[/url]
Verfasserin: Traude Bührmann
Zitate
Zwei Malerfreundinnen ließen sich durch meine Verse in ihren Bildern inspirieren. Es war immer schon mein Traum, dass sich Künste gegenseitig inspirieren statt zu konkurrieren.
Mit Ton die Form hohl aufbauen ist ein Balanceakt, der mich berauscht oder abhängig ist von meiner inneren Balance. Meine Themen sind Formen des weiblichen Körpers, Formen, die zueinander in Beziehung stehen sowie spielerische Objekte im Aufbruch.
Auch der gebrannte Ton – die gebrannte Erde in ihrer zerbrechlichen Vergänglichkeit wurde Symbol und Leitmotiv meiner Arbeit.
Die Hand ist mein Werkzeug. Die Hand ist auch ein Symbol für meine sozialpädagogische Arbeit ... die verschüttete Kreativität meiner SchülerInnen wieder in ihre Hände geben. Auch habe ich versucht, ihre betonierten Vorurteile in Frage zu stellen. Manchmal dachte ich, der Beton wäre stärker als meine Kraft. Wenn ich aber Risse in den Gefühlswänden entdeckte, war ich glücklich. Mit Rissen konnte ich arbeiten. Ich versuchte, sie für Durchblicke zu erweitern.
Links
RUT - Rad und Tat - Offene Initiative Lesbischer Frauen e.V. in Berlin Neukölln (Link aufrufen)
Bucek, Tina (20041): Liebesbezeugung für einen kreativen Raum. taz.de, 27.11.2001. (Link aufrufen)
Haase, Ulrike (2009): Die Künstlerin Doli Hilbert wird 90. In: Balsam-Magazin (Berliner Arbeitskreis Lesbische und Schwule Alte Menschen), November 2008. PDF-Datei. (Link aufrufen)
Schwab, Waltraud: Doli Hilbert im Montagsinterview: »Erst neulich dachte ich: Endlich werde ich erwachsen«. taz.de, 26.01.2009. (Link aufrufen)
Links geprüft und korrigiert am 18. Januar 2019 (AN)
Literatur & Quellen
Fendel, Petra (1998): Augenblicke. Texte und Bilder sehr alter Frauen, darunter Doli Hilbert. Gütersloh. Kiefel. ISBN 3-7811-5670-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hilbert, Doli (1980): Arbeitsbericht. Zur Austellung in der Galerie »Andere Zeichen« vom 19. Juli bis 29. August 1980. Berlin. Eigenverlag (Monath's Kopierdruck). (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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