Fembio Specials Frauen aus Lateinamerika Cristina Fernández de Kirchner
Fembio Special: Frauen aus Lateinamerika
Cristina Fernández de Kirchner
(Cristina Elisabet Fernández Wilhelm [Geburtsname])
geboren am 19. Februar 1953 in La Plata-Ringuelet, Argentinien
argentinische Rechtsanwältin, Politikerin und Staatspräsidentin (2007-2011 und 2011-2015)
70. Geburtstag am 19. Februar 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
2007 gewählt, war sie die erste durch Wiederwahl (2011) im Amt bestätigte von den insgesamt fünf (2012: drei) weiblichen Staatsoberhäuptern in Lateinamerika. Dafür gab es gute Voraussetzungen: Argentinien ist ohne Vorurteile gegen Politikerinnen und längst an politisch aktive Frauen gewöhnt. Bereits 1947 setzte Evita Peron das Wahlrecht für Frauen durch. Seit 1991 ist bei den (obligatorischen) Wahlen, national und in den Provinzen, eine Frauenquote von mindestens 30% für das Parlament, seit 2001 auch für den Senat verpflichtend. Auch die zehn- bzw. seit 2007 13jährige allgemeine Schulpflicht erhöht das Potential der Frauen; seit zehn Jahren ist der männliche Anteil an der tertiären und Hochschulbildung niedriger als der von Frauen.
Im populistisch-peronistisch dominierenden politischen Patriarchat und der weiterhin traditionell männlich orientierten Öffentlichkeit übernehmen sie allerdings eher selten politisch exponierte Funktionen, arbeiten zumeist in den typisch »weiblich« konnotierten gesundheits- und familienorientierten Gremien und in Bereichen mit ähnlicher, zwar wichtiger, aber konventionell weniger publikumswirksamer Thematik. In den häufigen wirtschaftlichen Krisenzeiten des Landes (hohe Arbeitslosigkeit, Armut, Inflationen) übernehmen viele Frauen in Familien die ErnährerInnenrolle, allerdings zumeist unversichert: gearbeitet wird sowieso zu 30% schwarz, auch wohl von Staatsangestellten.
Während ihres Jurastudiums in La Plata lernte Cristina Fernández Néstor Kirchner kennen. Beide, Mitglieder der Partido Justicialista, sympathisieren mit den unterschichtenorientierten, frühperonistischen Ideen der aggressiven Jugendorganisation der Montaneros zur Güterumverteilung, heiraten und arbeiteten, fast unbehelligt, während der sieben Militärregierungen von 1976-83 als Anwälte in ihrer florierenden Kanzlei in Rio Gallegos sowie miteinander an ihren jeweiligen politischen Karrieren. 1989 wird Cristina Kirchner Abgeordnete des Provinzialparlaments und zweimal im Amt bestätigt, 1995 Mitglied der argentinischen Abgeordnetenkammer, ab 1997 des Senats; ab 2005 ist sie im Senat für die Provinz Buenos Aires.
Néstor Kirchner ist bereits seit 2003 Staatspräsident, weiterhin wie sie aktiv in Sozial- und Menschenrechtspolitik, und von ihr tatkräftig à la Evita unterstützt. Der katastrophale Staatsbankrott von 2001 ist überwunden, der immense Schuldenberg beim IWF getilgt, die Wirtschaft boomt.
Als Néstor 2007 aus machtpolitischem Kalkül zurücktritt, ist Cristina das Staatsoberhaupt der Wahl. Die Frage, ob sie nun eine »Frau von, eine Senatorin oder eine Kandidatin sei«, beantwortet sie so: »Cristina Fernández [!] ist eine argentinische Frau, in der Politik eine aktive und langjährige Kämpferin, die verheiratet ist mit einem anderen langjährigen und aktiven Kämpfer. So einfach ist das.« In der Tat hat die neue Präsidentin einen komfortablen Start und weiß ihr Knowhow und Charisma auch für die zweite Amtsperiode zu nutzen: dank ihrer rhetorischen Begabung, ihrer emotional manipulierenden, oft kämpferischen und immer publikumswirksam inszenierten Auftritte, der Betonung von nationaler Unabhängigkeit, Einheit und Kontinuität.
Als »trauernde Witwe« zeigte sie sich, immer maskenhaft geschminkt, nach Néstors Tod im Oktober 2010 öffentlich nicht mehr modisch extravagant, sondern nur noch in Schwarz, Zeichen für das Weiterwirken des erfolgreichen Kirchnerismo, den Fernandismo. Gewachsen sind die Ausfuhren, der Inlandkonsum, das Einkommen der Mittelschicht, die Renten, gesunken Armut und Arbeitslosigkeit, es gibt mehr Schulen (mit gratis Notebooks) und Krankenhäuser, allgemeines Kindergeld, Beschäftigungsprogramme. Insgesamt wurden die Sozialausgaben seit 2003 verdreifacht, oft auch im Sinne von Wahlgeschenken. (Noch kurz vor den Wahlen wurden Pensionen und die Hilfen für Schwangere sowie um 25% die Mindestlöhne angehoben.) Unternehmen bekommen großzügige Subventionen oder gar Steuerbefreiung. Anerkennung finden auch die Zuwendungen für die weibliche Arbeiterschaft, die Förderung von Kunst, Wissenschaft und Kultur. Dies wird allerdings erkauft mit einer hohen Inflationsrate, die vor allem sozial Schwache traf, allerdings Kirchners Wiederwahl 2011 nicht gefährdete.
Nicht lösen konnte Kirchner wichtige alte und neue, vor allem langfristig die Lage der Bevölkerung zunehmend gefährdende und auch vermehrt öffentlich wahrgenommene Probleme: die alle Parteien durchdringende Korruption und Selbstbereicherung (auch der Kirchners), Drogen und Kriminalität, niedrige Rohstoffpreise, Abwertungen, Währungsmanipulationen, die beängstigend an die Staatskrise von 2001 erinnernde offizielle Beschönigung der Inflationsraten (Whistleblowers werden bestraft), die grassierende Flucht in den Dollar und die steigende Arbeitslosigkeit. Argentinien befand sich in der Rezession, als Kirchners Amtszeit endete.
Das Privatvermögen der Kirchners war während ihrer Amtszeiten immens gestiegen, so dass sich die Antikorruptionsbehörde damit befasste. Illegaler Waffenhandel, Bestechung und Geldwäsche wurden ihnen vorgeworfen. Die Entscheidung, das Verfahren einzustellen, ist in Argentinien sehr umstritten.
Weitere Vorwürfe gab es im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus 1994 mit 85 Toten in Buenos Aires: Cristina Kirchner habe die Verfolgung der Hauptverdächtigen sabotiert. Die Anklage wurde 2015 vor Gericht nicht zugelassen, vor einer Verhaftung im Dezember 2017 schützt sie (noch) die parlamentarische Immunität, da sie seit Oktober 2017 einen Sitz im Senat hat. Im Nachhinein stellen sich viele Fragen zu Kirchners Präsidentschaft. Es bleibt abzuwarten, wie spätere Generationen ihr Wirken bewerten werden …
(Text von 2012, ergänzt 2018)
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Links
Cristina Kirchner (CFKArgentina) auf Twitter.
Online verfügbar unter https://twitter.com/CFKArgentina, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
Bodemer, Klaus (2007): Von Kirchner zu Kirchner. Argentinien nach den Wahlen. In: GIGA Focus Nr. 11/2007.
Online verfügbar unter http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_lateinamerika_0711.pdf, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
Buschinger, Carmen (2016): Politische Ideologie und politische Sprache: Das Vokabular der Antrittsreden peronistischer StaatspräsidentInnen. Dissertation (Online-Ressource, PDF-Datei ). Universität Augsburg. Augsburg.
Online verfügbar unter https://d-nb.info/1126411922/34.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Cristina Kirchner. Artikelsammlung.
Online verfügbar unter http://www.faz.net/suche/?query=Cristina+Kirchner, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
Internet Movie Database: Cristina Fernández de Kirchner. Filme.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm3231417/, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
neues-deutschland.de: Schlagworte: Cristina Kirchner. Artikelsammlung.
Online verfügbar unter http://www.neues-deutschland.de/tag/Cristina%20Kirchner, zuletzt geprüft am 31.01.2018.
NNDB: Cristina Fernández de Kirchner.
Online verfügbar unter http://www.nndb.com/people/789/000164297/, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
Spiegel online: Cristina Fernández de Kirchner. Alle Artikel und Hintergründe.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/thema/cristina_fernandez_de_kirchner/, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
YouTube: Cristina Kirchner.
Online verfügbar unter http://www.youtube.com/results?search_type=videos&search_query=Cristina+Kirchner&uni=3, zuletzt geprüft am 10.02.2018.
Literatur & Quellen
Bodemer, Klaus (2011): Das argentinische Hegemonieprojekt »K«. Von Erfolg zu Erfolg. In: GIGAFocus Nr. 11/2011. PDF-Datei, 8 Seiten. (Link aufrufen)
Fleschenberg, Andrea; Derichs, Claudia (2008): Politische Führerinnen in Südamerika und der Karibik – ein Generationenwandel? Unter Mitarbeit von Sarah-Janine Flocke und Christiane Goege. In: Fleschenberg, Andrea; Derichs, Claudia: Handbuch Spitzenpolitikerinnen. 1 Aufl. Wiesbaden. VS Verl. für Sozialwissenschaften; VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV). ISBN 978-3-531-16147-1 S. 193–238. (Eurobuch-Suche | WorldCat-SucheWorldCat-Suche)
Piscopo, Jennifer M. (2010): Primera dama, prima donna? Media constructions of Cristina Fernández de Kirchner in Argentina. In: Murray, Rainbow (Hg.): Cracking the highest glass ceiling. A global comparison of women's campaigns for executive office. Santa Barbara, Calif. Praeger. ISBN 978-0-313-38249-9 S. 197–220 (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Russo, Sandra (2011): La presidenta. Historia de una vida. 4. Aufl. Buenos Aires. Sudamericana. ISBN 9789500736237. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schwindt-Bayer, Leslie (2012): Die Repräsentation von Frauen in der Politik Lateinamerikas. In: GIGA Focus Lateinamerika 5/2012. PDF-Datei, 8 Seiten. (Link aufrufen)
Bildquellen
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