Fembio Specials FemBiografien von Swantje Koch-Kanz (1939-2022) Christa Ludwig
Fembio Special: FemBiografien von Swantje Koch-Kanz (1939-2022)
Christa Ludwig
geboren am 16. März 1924 oder 1928 in Berlin
gestorben am 24. April 2021 in Klosterneuburg
deutsche Sängerin
96. oder 100. Geburtstag am 16. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
»Ich habe mir nie was vorgemacht – und nie beim Kartenspiel geschwindelt«, versichert sie, und wir glauben es ihr gern. Dennoch bleibt da die Frage nach ihrem wirklichen Alter bzw. Geburtsjahr. War das 1924 oder 1928? Es finden sich beide Daten gleichmäßig verteilt in der Christa-Ludwig-Biographik on- und offline. Gratulieren wir ihr also einfach zu einer beispiellosen Opern-Karriere von fast 50 Jahren an den weltweit führenden Opernhäusern in Berlin, Wien, München, Mailand, Paris, London, Chicago und New York.
Wie sehr Christa Ludwig seit den Nachkriegsjahren – 1946 trat sie zum ersten Mal öffentlich auf – nicht nur die deutsche Klassikszene als gefragte Mezzosopranistin geprägt hat, lässt sich erfreulicherweise in einer großen Anzahl von zum Teil privat mitgeschnittenen und später veröffentlichten Audio-, DVD-und Videodokumenten nachhören. Das gilt zunächst für die Opernsängerin von den späten 1950er Jahren an bis zu ihrem letzten Bühnenauftritt Ende 1994 als Klytemnästra in Strauss' Elektra, an der Wiener Staatsoper, wo sie nahezu vierzig Jahre als unverzichtbares Mitglied des Ensembles in fast 800 Auftritten über 40 Gesangsrollen (von ihren insgesamt 70) übernommen hatte.
Entsprechendes gilt für sie als wunderbare Sängerin eines umfassenden Liederrepertoires sowie von Solo-Partien in symphonischen Werken, Oratorien, Messen und Kantaten mit Aufzeichnungen aus internationalen Konzertsälen und Studios – und mit Aufnahmen von der fast zweijährigen Abschieds-Tournee: mit Liedern der ihr besonders wichtigen Komponisten Franz Schubert, Hugo Wolf, Gustav Mahler und Richard Strauss sowie Leonard Bernsteins »I hate Music«.
Ihre letzten Auftritte hat sie in Salzburg und im Wiener Konzertverein im April 1994. Im gleichen Jahr entstehen in Athen auch noch zwei erst 2008 veröffentlichte Studioaufnahmen: einmal ein ähnlich gemischtes Liederprogramm und dann ihre überraschende, ja (für einige) verstörende weibliche Version der Winterreise von Schubert, mit Charles Spencer am Klavier. Denn traditionell gilt der Schubertsche Zyklus als für ein männliches Ich komponiert. Zuerst sang sie diesen Zyklus 1980 in Salzburg und nahm ihn dann mit einem ihrer Dirigenten-Begleiter, James Levine, 1986 in den USA auf, erst 1988 dort erschienen – die zweite Aufnahme mit einer Sängerin, fast 50 Jahre nach der ersten mit Lotte Lehmann. Der Wanderer spreche zwar sein »Liebchen« an, kommentiert Christa Ludwig, aber mehr und mehr gehe es um die »Gedanken eines einsamen Menschen, der das Ziel sucht und dabei viele Lebenssituationen durchschreitet«. Der von ihm erlebte große Verlust sei nur der Anlass, »dass seine Seele sich auf Wanderschaft begibt in die eisigen Gefilde seines eigenen Winters. Nicht nur ein Mann kann das erleben. ... Ob Mann oder Frau, der Sänger muss sich selbst und mit seinen Zuhörern auf diese Seelenwanderung begeben.« Solche grundsätzlichen Überlegungen werfen natürlich auch Licht auf ihre ›Hosenrollen‹, den Cherubino aus Mozarts Hochzeit des Figaro und auf den für sie etwas »langweiligen Bub« Octavian im Rosenkavalier von Strauss).
Christa Ludwig stammte aus einer Familie professioneller Sängerinnen. Kein Wunder, dass es ihr auch manchmal zu viel wird: »Musik hören ist schwierig«, bekennt sie 2011 in einem Interview. »Opern höre ich mir gar keine an, die finde ich alle grässlich. Ich hab zu viele Opern gehört: Ich war als Kind schon immer in der Oper, meine Mutter war Sängerin und mein Vater war Operndirektor, Regisseur und Sänger. Ja, und dann wurde ich Opernsängerin. Denn das Einzige, was ich konnte, war singen.« Obendrein heiratet sie in erster Ehe den Bariton Walter Berry.
Für Ludwigs Karriere zentral war zweifellos ihre Mutter, Eugenie Besalla-Ludwig (1899-1993), Altistin und erste und wichtigste Lehrerin der Tochter: »Wie man diszipliniert arbeitet, lernte ich von meiner Mutter, die meine berufliche Entwicklung über gut dreißig Jahre förderte und begleitete. Ihre Lebensregeln sind für mich bis heute Richtschnur meines Lebens und meiner Arbeit«, schreibt Ludwig in ihrer Autobiographie.
Heute, zwei Jahrzehnte nach ihrem Bühnenabschied, genießt Christa Ludwig das gute, normale Leben außerhalb des Rampenlichts, ohne ständiges Kofferpacken und ständige Sorge um die Stimmbänder: »Wie ich meinen letzten Schrei in der Oper tat, hat es geschneit. ... Ich wollte mich mal in Ruhe erkälten. So lange musste ich aufpassen auf diese blöden Stimmbänder! Ich hab den Mantel auf- und den Hals freigemacht und ging in den Schnee.«
Christa Ludwig starb am 24. April 2021 in Klosterneuburg.
(Text von 2013, aktualisiert 2021)
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Zitate
Stetige Neugier, Ungeduld und Harmoniebedürfnis, das sind die Grundlagen des warmen, humanen Tons, der uns aus Christa Ludwigs Stimme als ihrem Wesen immanent entgegentönt. Nie war sie heroisch, übermenschlich, überdimensional, aber immer ungemein warmherzig und lebendig. Liest man ihre Interviews, so beneidet man die Interviewer, mit einer so offenen, natürlichen und blitzgescheiten Frau sprechen zu können (wobei diese Eigenschaften sich mit zunehmendem Alter stärker auszuprägen scheinen). (Jens Malte Fischer)
Sich dem Leben anzupassen ist auch eine gewisse Form von Intelligenz. Jedes Ding hat seine Zeit. (Christa Ludwig im Interview 2011, Quelle)
Links
Christa Ludwig – Diskografie (2008).
Online verfügbar unter http://www.operadis-opera-discography.org.uk/CLSILUDW.HTM, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Benda, Susanne (2010): Karriere macht man mit dem Kopf. Stuttgarter Nachrichten, 10.03.2010.
Online verfügbar unter http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.karriere-macht-man-mit-dem-kopf.20334bbf-5d48-46b9-821e-009c8097df40.html, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
BR-Klassik (2013): Meine Musik: Die Sängerin Christa Ludwig. Christa Ludwig im Gespräch mit Ursula Adamski-Störmer. Audiobeitrag, 30:15 min, vom 16.03.2013.
Online verfügbar unter https://www.br-klassik.de/audio/meine-musik-mit-christa-ludwig-zum-90-geburtstag-102.html, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Brug, Manuel (2008): Die Stimmkrisen der großen Christa Ludwig. Die Welt, 14.03.2008.
Online verfügbar unter http://www.welt.de/kultur/article1799630/Die-Stimmkrisen-der-grossen-Christa-Ludwig.html, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Internet Movie Database: Christa Ludwig. Filme.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm0524988/?ref_=fn_al_nm_2, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Christa Ludwig. Bücher und Tonträger.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/118729489, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Schuh, Karin (2011): Stimmgewalt: Christa Ludwig. Interview, 20.05.2011.
Online verfügbar unter http://diepresse.com/home/kultur/klassik/663753/Stimmgewalt_Christa-Ludwig, zuletzt geprüft am 10.03.2019.
Literatur & Quellen
Tonträger
Christa Ludwig – CDs, DVDs, mp3-Downloads (Amazon)
Literatur
Kaiser, Joachim (1977): Erlebte Musik. Von Bach bis Strawinsky. 1.-20. Tsd. Hamburg. Hoffmann und Campe. ISBN 3-455-08942-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kesting, Jürgen (2008): Retrospektive. Die Unvergessliche. In: Opernwelt, 49/3 (März 2008). S. 68 ff.
Ludwig, Christa (1994): … und ich wäre so gern Primadonna gewesen. Erinnerungen. 1. Aufl. Unter Mitarbeit von Peter Csobádi. Berlin. Henschel. ISBN 3-89487-191-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ludwig, Christa (1999): In my own voice. Memoirs. Translated with a dicography and chronology by Regina Domeraski. 1st Limelight ed. New York. Limelight Editions. ISBN 978-0-87910-281-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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