Fembio Specials Europäische Jüdinnen Camilla Spira
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Camilla Spira
(Geburtsname: Kamilla Spira, Ehename: Camilla Eisner)
geboren am 1. März 1906 in Hamburg
gestorben am 25. August 1997 in Berlin
österreichisch-deutsche Schauspielerin
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Als Kind wollte sie nur malen. Theater fand sie – wie auch ihre zwei Jahre jüngere Schwester Steffie Spira – langweilig, Schauspielerei war in der Familie zu sehr Alltag. So verschieden die zwei Schwestern auch waren, sie wurden trotz aller Unterschiede beide gefeierte Schauspielerinnen, wobei Camilla Spira im wesentlichen in populären Musikfilmen und in Operetten auftrat.
Berlin
Es war eine eher unkonventionelle Familie: Der Vater, der Schauspieler Fritz Jacob Spira, stammte aus einer Wiener Familie. Er war ein in Deutschland bekannter Opernsänger, trat aber auch im Theater und Kabarett auf und war ein Pionier des Stummfilms. Ihre Mutter war die aus Dänemark stammende protestantische Schauspielerin Lotte Andresen. Auch sie sollte später in Filmen mitwirken. Von der umfangreichen Wiener Familie des Vaters, die streng jüdisch-orthodox war, wurde die Ehe der beiden verurteilt.
Die beiden Schwestern waren von Kindheit an sehr unterschiedlich. Camilla Spira, genannt „Millachen“, war zeitlebens sehr auf ihr Äußeres bedacht. Im Gegensatz zu ihrer Schwester legte sie Wert auf Anstand und Etikette. Sie hatte dann auch Schwierigkeiten mit der finanziellen unsicheren Situation in der Schauspielfamilie und beschloss bereits im Alter von fünfzehn Jahren, einen reichen Mann zu heiraten, damit sie als Erwachsene nicht in der gleichen Situation enden würde.
Camilla Spira besuchte die Vierte Höhere Mädchenschule (Lyzeum IV), die 1913 in Freiherr-vom-Stein-Lyzeum umbenannt wurde, bewarb sich aber bereits mit 13 Jahren mit einer Mappe mit ihren Werken bei der Akademie der Künste in Berlin. Dort wurde ihr durchaus Begabung bescheinigt, aber für ein Studium sei sie noch zu jung.
Einen Ortswechsel gab es für die beiden Schwestern im letzten Kriegswinter 1917/18. Ihre Mutter, die in Gent in Lazaretten für verwundete deutsche Soldaten rezitierte, holte die beiden dorthin. Sie gingen dort auch zur Schule und lernten auch Französisch. Mutter und Töchter konnten im letzten Moment einem Bombenangriff entkommen und nach Deutschland zurückkehren. Ihr Vater wurde als Österreicher während des Ersten Weltkriegs nach Rumänien abkommandiert. Anschließend kehrte er zu seiner Familie nach Berlin zurück.
Ihr Vater vermittelte Camilla Spira einen Platz an der legendären Schauspielschule des Deutschen Theaters von Max Reinhardt. Bereits nach sechs Monaten erhielt sie ihr erstes Engagement und spielte am Wallner Theater klassische Rollen, für die sie umgehend gute Kritiken erhielt. Leidenschaftlich widmete sie sich ihrem neuen Beruf und wirkte beispielsweise im Frühjahr 1924 bei der Neueröffnung des Theaters in der Josefstadt in Wien im großen Eröffnungsprolog mit.
Weniger begeistert war sie von der Werbung des Rechtsreferendars Hermann Eisner, den sie dennoch 1927 in Berlin heiratete. „Ich war des Neinsagens müde und wir heirateten schließlich zwei Jahre nachdem wir uns kennengelernt hatten.“ (zitiert nach: Styn) Im gleichen Jahr wurde ihr Sohn Peter geboren.
Die Familiengründung hielt sie aber nicht von ihrem Beruf ab. Ab 1925 war sie für zwei Jahre am Deutschen Theater in Berlin, von 1927 bis 1930 an den Borowsky-Bühnen, anschließend bis 1933 an der Berliner Volksbühne. Für ihren Erfolg war neben ihrem schauspielerischen Talent ihre Musikalität verantwortlich.
In ganz Deutschland wurde sie durch ihre Rolle als Wirtin in der Operette Zum weißen Rößl am Wolfgangsee bekannt, durch die sie gut verdiente und sich eine Wohnung mit Haushälterin in Berlin leisten konnte.
Jetzt wurde auch die Filmbranche auf sie aufmerksam. Bereits ab 1924 wirkte sie in zahlreichen Spielfilmen mit, beispielsweise in Das Testament des Doktor Mabuse von Fritz Lang (1933) und Morgenrot von Gustav Ucicky (1933).
Völlig anders als ihre Schwester Steffie Spira, die bereits 1933 ins Exil gegangen war, hatte sie den aufkommenden Nationalsozialismus anfangs nicht als gefährlich wahrgenommen. Zu begeistert war sie darüber, in ihrem Beruf Erfüllung gefunden zu haben. Ab 1933 verboten ihr die Nationalsozialisten allerdings, als „Halbjüdin“ öffentlich aufzutreten. Noch am Vorabend dieses Verbots wurde ihr bei der Uraufführung des Films Morgenrot im Beisein der NS-Führungsriege ein Lorbeerkranz mit Schleppe mit der Aufschrift „Der Darstellerin der Deutschen Frau – die Ufa“ überreicht.
Dies änderte jedoch nichts daran, dass sie ab diesem Zeitpunkt nur noch im Jüdischen Kulturbund auftreten konnte. Ihre letzte Filmrolle vor dem Krieg hatte sie 1935 in der österreichisch-tschechoslowakischen Musikfilmromanze Hoheit tanzt Walzer von Max Neufeld.
Bis 1938 blieb Camilla Spira mit ihrer Familie in Berlin, wo 1937 ihre Tochter Susanne zur Welt kam, bevor sie gemeinsam einen Versuch wagten, in die USA auszuwandern. Nach zwei Wochen verließen sie das Land jedoch wieder, da es ihnen nicht gefiel und sie unerwünscht waren. Sie fuhren zurück nach Europa, allerdings nicht wie geplant nach Deutschland sondern in die Niederlande, da sie auf der Rückfahrt von den Novemberpogromen gehört hatten.
Niederlande
Gerade noch konnte die Familie eine Einreisegenehmigung bekommen, denn kurz nach der Besetzung Österreichs schlossen die Niederlande ihre Grenzen für Flüchtlinge aller Nationalitäten. Hermann Eisner konnte dort als Jurist arbeiten, während Camilla Spira, die dem niederländischen Publikum durch ihre Rollen in Stummfilmen bekannt war, sich dem Kabarett zuwandte und Privataufführungen gab.
Als die deutschen Truppen im Mai 1940 die Niederlande besetzten, versuchte die Familie das Land per Schiff zu verlassen, aber als sie in Rotterdam ankam, mussten sie umkehren, da die Stadt bereits brannte.
Wie bereits in Deutschland so mussten nach der Besetzung auch in den Niederlanden Kulturschaffende ab Oktober 1940 einen Abstammungsnachweis vorlegen, 1941 wurden auch zentrale Kulturkammern eingeführt. Juden und Jüdinnen durften nun auch dort nur noch vor jüdischem Publikum auftreten, d. h. in der Hollandsche Schouwburg, einem Amsterdamer Theater, das von den Besatzern 1941 in Joodsche Schouwburg, also jüdisches Theater, umbenannt wurde. Dort trat auch Camilla Spira in verschiedenen Stücken auf. Zudem war sie Teil des Kabaretts des jüdischen Kulturbunds, der 1940 von und für Emigrantinnen und Emigranten gegründet worden war.
Ab Ende Juli 1942 wurde das Theater als Sammelstelle für Juden und Jüdinnen benutzt, die ins Durchgangslager Westerbork gebracht werden sollten. 1943 wurde auch Camilla Spira mit ihrem Mann verhaftet und dorthin verbracht. Im Lager trat sie u. a. mit Willy Rosen und Max Ehrlich mit der „Bühne Lager Westerbork“ auf, einer Theatergruppe, die sich dort gegründet hatte, um für kulturelle Unterhaltung zu sorgen. Sie waren an den Vortagen von Transporten nach Auschwitz für Ablenkung zuständig.
Um ihrer eigenen geplanten Deportation zu entgehen, wandte sich Camilla Spira an Hans Calmeyer, der als Beamter der deutschen Besatzungsverwaltung in den Niederlanden „rassische Zweifelsfälle“ klären sollte. Er gab ihr konkrete Hinweise, wie sie einen entsprechenden Antrag formulieren sollte und welche Beweise vorgelegt werden mussten. Sie behauptete also, dass sie einem Seitensprung ihrer Mutter mit einem arischen ungarischen Schauspielerkollegen entstamme, was diese bestätigte, um ihre Tochter zu schützen. Das Anthropologische Institut in Kiel bestätigte Camilla Spira die Ähnlichkeit mit ihrem vermeintlichen Vater und stimmte der Einordnung als „arisch“ zu. Ihre Ehe sei daher eine „privilegierte Mischehe“ und die beiden Kinder „Mischlinge“. Dadurch konnte die Familie aus Westerbork entlassen und nach Amsterdam zurückkehren, wo sie bis 1947 blieben.
Es war so schön, aber auch sehr quälend, zu wissen, was wir für ein Glück hatten und daß wir alle anderen zurückließen. Das ist eine schwere Belastung, bis heute. (im Interview mit Cornelia Geißler, zitiert in: Deutsche Schwestern)
Berlin
1947 kehrte die Familie Spira-Eisner zurück nach Berlin, wo es Camilla Spira gelang, eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin aufzubauen. Im gleichen Jahr konnte sie bereits am Theater am Schiffbauer Damm (dem späteren Berliner Ensemble) anfangen, ein Jahr später wurde sie gleich an mehreren Bühnen der Stadt – sowohl im Ost- wie im Westteil – engagiert. Anders als ihre Schwester entschied sie sich aber, im Westen zu leben.
Auch Filmrollen gab es für sie ab 1949 wieder. Der Film Die Buntkarierten aus diesem Jahr gehört heute zu den Klassikern der DEFA. Für ihre Rolle der Guste in diesem Film wurde sie mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet.
Aber auch im Westen spielte sie in zahlreichen Filmen mit, so beispielsweise 1955 in Des Teufels General. Im Fernsehen war sie unter anderem in Serien wie Der Kommissar und Gestern bei Müllers zu sehen.
Nachdem sie sich 1952 in den Kameramann Franz Hofer verliebt hatte, lebte sie abwechselnd mit ihm zusammen in der Nähe von München und bei ihrer Familie in Berlin. Als die Männer innerhalb von drei Jahren beide starben, unternahm sie einen Suizidversuch, wurde jedoch von Hofers Bruder gerade noch rechtzeitig gefunden.
1986 wurde Camilla Spira mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Im Sommer 1990 stand Camilla Spira erstmals gemeinsam mit ihrer Schwester Steffi Spira in Baden-Baden auf der Bühne. Nach dem Fall der Mauer war dies jetzt erstmals möglich. Abwechselnd trugen sie Gedichte und Texte von Heine, Morgenstern und Tucholsky vor. Bei diesem ersten Auftritt sollte es nicht bleiben: In den nächsten fünf Jahren treten sie zusammen im Berliner Renaissance Theater mit der „Berliner Lektion“ auf, wo sie von Nikolaus Sembart zu ihren Biografien befragt wurden, sowie beim Hamburger Frauen-Festival als „Die ungleichen Schwestern“. Zudem erschien 1991 eine Fernsehdokumentation unter dem Titel »„So wie es ist, bleibt es nicht“ – Die Geschichte von Camilla und Steffie Spira« von Marlet Schaake und Horst Cramer.
Auch wenn Camilla Spira die bekanntere Schauspielerin der beiden war, so war sie doch voller Bewunderung für ihre Schwester, nach deren Rede am 4. November 1989: „Was du getan hast, das kann ich nie einholen, du bis jetzt in der Weltgeschichte.“
(Text von 2023)
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
Steffie Spira über Camilla Spira: “Immer, so fast bis heute, steht meine Schwester vor jeder Premiere am Rande der Verzweiflung. Lampenfieber ist eine Sache, aber auch ihr Zweifel an ihrem wirklich großen Können und an ihrer bezaubernden Ausstrahlung lassen sie immer nur das Fürchterlichste erwarten.“ (in: Trab der Schaukelpferde)
Literatur & Quellen
Literatur über Camilla Spira:
Camilla Spira auf Music and the Holocaust
Dittrich, Kathinka en Hans Würzner (red): Nederland en het Duitse Exil 1933-1940. Amsterdam, Van Gennep, 1982
Jelavich, Peter: Berlin Cabaret. Cambridge, Harvard University Press, 1993
Middelberg, Mathias: Judenrecht, Judenpolitik und der Jurist Hans Calmeyer in den besetzten Niederlanden 1940-45. Göttingen, V & R Unipress mit Universitätsverlag Osnabrück, 2005. Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte, Band 5
Middelberg, Mathias: „Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?”
Hans Calmeyer. „Rassereferent” in den Niederlanden 1941-1945. Göttingen, Wallstein, 2005
Raabe, Katharina: Deutsche Schwestern. Reinbek, Rowohlt, 1998
Spira-Ruschin, Steffi: Trab der Schaukelpferde. Aufzeichnungen im nachhinein. Berlin, Aufbau-Verlag, 1984
Styn, Gaby: Auf dem weißen Rößl zum Alexanderplatz: Camilla Spira und ihre Schwester Steffi. In: Augen-Blick: Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft. Flucht durch Europa
Schauspielerinnen im Exil 1933-1945. Eine Veröffentlichung der Arbeitsgruppe Medienwissenschaft im Fachbereich Literaturwissenschaft der Universität Konstanz. Nummer 3. 2000. Heft 33, S. 108-130
Weniger, Kay: Zwischen Bühne und Baracke. Lexikon der verfolgten Theater-, Film- und Musikkünstler 1933 bis 1945. Berlin, Metropol, 2008
Fernsehdokumentation
„So wie es ist, bleibt es nicht“ – Die Geschichte von Camilla und Steffie Spira. Fernsehdokumentation von Marlet Schaake und Horst Cramer. WDR/SWF 1991
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