Fembio Specials FemBiografien von Annette Otterstedt (1951-2020) Barbara Strozzi
Fembio Special: FemBiografien von Annette Otterstedt (1951-2020)
Barbara Strozzi
geboren am 6. August 1619 in Venedig
gestorben am 11. November 1677 in Padua
venezianische Komponistin
405. Geburtstag am 6. August 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Barbara Strozzi – eine venezianische Komponistin. Nun gab es in Italien auch andere Komponistinnen, wie die Nonne Isabella Leonarda aus Novara. Barbaras Leben war jedoch außergewöhnlich und nur möglich in Venedig, wo im Gegensatz zu Florenz dank des byzantinischen Rechtes Frauen mehr Rechte und Bewegungsfreiheit hatten. Aber es gab Grenzen: Wegen hoher Mitgiften verheirateten die Familien meist nur eine Tochter. Weitere Töchter schob man in Klöster ab - sie gingen selten freiwillig: Das verzweifelte Plädoyer der zeitgenössischen Nonne Arcangela Tarabotti gegen “väterliche Tyrannei” erschüttert noch heute. Die virtuosen venezianischen Nonnen, für die Vivaldi seine Musik schrieb, entstammen dieser traurigen Sitte. Barbara ist dieses Schicksal erspart geblieben. Sie durfte komponieren und auftreten, war angesehen und nahm teil an künstlerischen Akademien.
Wie war das möglich?
Die historische Annäherung an eine Frau führt über den Umweg ihrer Männer. Barbara trug den Namen ihres Pflegevaters – wohl auch ihr leiblicher, illegitimer Vater – Giulio Strozzi (1583-1652). Über ihre Mutter Isabella Garzoni weiß man nicht mehr, als dass sie Haushälterin bei Giulio war. Giulio – selber ein Dichter – erkannte und förderte Barbaras Talent. Er war der Sohn des vornehmen Florentiners Roberto Strozzi, des Widmungsträgers des ersten gedruckten Lehrwerkes für die Viola da gamba: Die “Regola Rubertina” von Silvestro Ganassi wurde 1542 in Venedig gedruckt und bis ins 17. Jh. rezipiert. Barbara ließ sich mit einer Gambe darstellen, und Ganassis Werk, in dem sich das erste Beispiel eines Madrigals mit akkordischer Gambenbegleitung findet, muss ihr bekannt gewesen sein.
Barbara war acht Jahre alt, als ihr Vater und dessen Freund Claudio Monteverdi eine Oper planten, “La finta pazza Licori” (Likoris, die vorgetäuschte Verrückte). Giulio schrieb das Libretto und Claudio die Musik. Er hatte für die Rolle präzise Vorstellungen: “Sie ist sehr vielseitig und müsste von einer Frau übernommen werden, die bald einen Mann, und bald eine Frau mit lebhaften Gesten und verschiedenen Leidenschaften spielen kann.” Verlangt wird eine Versatilität, die von Ton zu Ton wechselt. Monteverdi dachte an Margharita Basile in Mantua, und Giulio fuhr dorthin und nahm vermutlich Barbara mit. Aus dem Projekt wurde nichts, aber der Briefwechsel Claudios mit Giulio deutet auf enge Zusammenarbeit. So lernte Barbara von Kindheit an eine hohe Gesangsvirtuosität. Der Engländer Robert Bargrave hielt sich um 1655 in Venedig auf und beschrieb detailliert die gesangliche Raffinesse einer Nonne in Murano. Ein derart aufmerksames Publikum hatte eine Sängerin zu dieser Zeit zufriedenzustellen, und Barbara beherrschte dieses Metier.
Ohne männlichen Schutz war jedoch eine selbständige Existenz einer Frau kaum möglich. Sie scheint ihr Leben als Kurtisane bestritten zu haben, denn sie hatte zwischen 1641-1651 vier Kinder. Dazu passt das Portrait von Bernardo Strozzi, das sie halb entblößt darstellt. Ohne Erotik geht es nicht, aber kann man sich den Herrn Kapellmeister Monteverdi oder den Leiter der venezianischen “Piffari” Silvestro Ganassi nackt vorstellen? Im Gegenteil: Kleidung zeigt Status an, und Nacktheit bedeutet erotische Verfügbarkeit. Barbara hatte in Wirklichkeit keine Chance zu einem selbständigen Leben, sobald der männliche Schutz wegfiel.
Zwischen 1644 und 1664 ließ sie acht Bände mit Monodien drucken. Sie waren hauptsächlich Fürstinnen gewidmet, die sie möglicherweise in Venedig getroffen hatte. Die Vermutung, dass sie sich auf eine Anstellung Hoffnungen machte, wurde verschiedentlich ausgesprochen, aber wir haben dafür keine Belege. Natürlich ist denkbar, dass sie sich fragte, warum nicht auch einer Frau möglich sein sollte, was jedem Mann offen stand. Dass solche Gedanken gedacht werden konnten, zeigen die Schriften von Zeitgenossinnen, besonders aus Venedig. Wie weit Barbara sich daran beteiligte, wissen wir nicht.
Barbaras Musik jedenfalls ist rebellisch genug, wobei wir einbeziehen müssen, was dem Affektreichtum von der Art der Oper “Licori” geschuldet ist, und was eigener kompositorischer Initiative. Männliche Urteile neuerer Zeit über Kompositionen von Frauen argwöhnen nur zu oft in satztechnischen Unregelmäßigkeiten weibliche Inkompetenz – als hätten Frauen nicht ebenso ein Gehör wie Männer. Wir dürfen ruhig davon ausgehen, dass eine Frau, die den gehörigen Unterricht genossen hatte, wusste, was sie schrieb.
Nach 1664 verliert sich ihre Spur, und erst seit 1999 wissen wir dank der forscherischen Akribie feministischer Musikwissenschaft, dass sie 1677 in Padua starb. Strozzi hatte dort Besitz, und wir können nur spekulieren, ob sie sich als alternde Matrone dorthin zurückzog – und wenn ja, wie? Wie bestritt sie ihren Unterhalt? – oder aber in ein Kloster ging, was sie bisher hatte vermeiden können. Ihr Lebenslauf ist typisch für Frauen, die immer ohne doppelten Boden arbeiten mussten.
In den letzten Jahrzehnten wurde sie wiederentdeckt, und ihre Werke erlebten eine Renaissance.
(Text von 2018)
Verfasserin: Annette Otterstedt
Links
BarbaraStrozzi.com
Literatur & Quellen
Beth L. Glixon, “New Light on the Life and Career of Barbara Strozzi”. In: The Musical Quarterly 81. 1997. S. 311-335 und “More on the Life and Death of Barbara Strozzi”. In: The Musical Quarterly 83. 1999. S. 134-141.
Antje Tumat, Artikel „Barbara Strozzi“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 26.5.2004.
URL: http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Barbara_Strozzi
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