Fembio Specials Widerstandskämpferinnen Antje Kind-Hasenclever
Fembio Special: Widerstandskämpferinnen
Antje Kind-Hasenclever
(geschiedene Havemann)
geboren am 12. November 1909 in Bielefeld
gestorben am 25. Dezember 1985 in Rotenburg an der Fulda
deutsche Widerstandskämpferin, Designerin
115. Geburtstag am 12.November 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Die fünf Kinder der Kaufmannsfamilie Hasenclever wuchsen „ohne Traditionsbelastung“ auf, wie es die älteste Schwester einmal formulierte. Im Erdgeschoss des Hauses in Bielefeld war das Ladenlokal für „Damenbekleidung und Kleiderstoffe“, im Obergeschoss lag die Kinderetage, die von den Kindern selbst gestaltet werden durfte. Die Wände waren hier so grün wie im Wohnzimmer der Eltern, in dem expressionistische Kunst hing. Vater Ernst kam am Tag immer mal wieder aus dem laufenden Geschäft nach oben, um mit seinen Kindern zu spielen oder ihnen Geschichten zu erzählen. Mutter Resi nähte und bastelte mit ihnen. Kreativität wurde großgeschrieben im Hause Hasenclever. Ein Verwandter des Vaters war der Maler Christian Rohlfs, der im ersten Folkwang-Museum in Hagen wohnte, in dem die Hasenclevers oft zu Gast waren.
So überrascht es nicht, dass Antje ab 1926 die Kunstgewerbeschule in Bielefeld besuchte, die sie 1930 als Textilstickmeisterin verließ. Nach einigen kurzen Anstellungen, u.a. in der Plüschfabrik Meyer in Bielefeld, ging sie nach Berlin. Sie wollte sich dort Arbeit suchen, vor allem aber in der Nähe von Robert Havemann sein, den sie aus ihrer Heimatstadt kannte. 1931 zog das Paar in eine gemeinsame Wohnung, bevor es 1934 heiratete. Der junge Chemiker hatte eine Erfindung gemacht, deren Patenteinkünfte ihm ein angenehmes Leben ermöglichten. Er kaufte sich ein Motorrad, mit dem die zwei durch ganz Europa fuhren.
Die Dias von diesen Reisen zeigten die Havemanns später ihren jüdischen Nachbarn, als es diesen verboten war, ins Kino zu gehen. Im Laufe der 1930er Jahre war deren Bewegungshorizont immer weiter eingeschränkt, die Ausgrenzung immer mehr vorangetrieben worden: Sie durften kein Telefon benutzen, keine Haustiere halten, kein Radio hören und nur zwischen 15.00 und 17.00 Uhr einkaufen gehen, als es in den Läden längst nichts mehr zu kaufen gab. Antje Havemann ging für sie, so wie sie von Beginn der nationalsozialistischen Diktatur an Menschen geholfen hatte. Das war „eine Selbstverständlichkeit für alle, die so dachten wie wir.“ In den Augen der Nazis war es ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft werden konnte.
Robert Havemann war schon 1932 in die KPD eingetreten. Die Havemanns versteckten daher zunächst Kommunisten in der kleinen Kammer, in der Antjes Nähmaschine stand. Die Untergetauchten durften sich nur richtig bewegen, wenn die Nähmaschine lief, weil man auf den Holzdielen der Altbauwohnung jeden Schritt hören konnte und der Blockwart neugierig im Hausflur lauerte. Später nahmen sie auch jüdische Verfolgte auf, die von einem Helfernetzwerk in Berlin an schnell wechselnden Orten untergebracht wurden. Antje kümmerte sich auch um Juden, die noch offen in der Stadt lebten, besuchte sie, brachte Geld oder Lebensmittel, manchmal einfach nur Gesellschaft, was in den Jahren der Stigmatisierung für Träger und Trägerinnen des gelben Sterns schon viel bedeuten konnte.
Es waren vor allem Frauen, die diese heute als Rettungswiderstand bezeichnete und anerkannte Form von Widerstand leisteten. Aber nicht deshalb, weil sie die sozialeren Wesen waren, sondern weil sie im gesellschaftlichen Gefüge des NS einen Platz zugewiesen bekommen hatten, der ihnen wenig Spielraum ließ; wer in diesem Rahmen seine Rolle verließ, machte sich verdächtig.
Robert Havemann, der in der Widerstandsorganisation “Neu Beginnen” aktiv gewesen war, bis diese aufflog, gründete im Juli 1943 die Gruppe “Europäische Union”, in der auch Frauen aktiv waren. Als Havemann Ende des Jahres 1943 verhaftet wurde, war Antje gerade nicht in Berlin und entging damit der Festnahme, anders als die anderen beteiligten Frauen. Da ihre Ehe mit Havemann schwierig geworden war, tat sie sich im Berliner Untergrund, in dem sie zu überleben hoffte, mit dem Widerstandskämpfer Enno Kind zusammen. Mit ihm zusammen hatte sie zwei Töchter. Kind allerdings ging nach dem Krieg zurück in die Schweiz, Antje, jetzt Kind-Hasenclever, verschlug es durch Zufälle über mehrere Stationen nach Düren, wo sie bis zu ihrem Lebensende bleiben wird.
Nach einer Stelle an der Werkkunstschule in Aachen gelangte sie schließlich zur Glashütte Peill und Putzler, wo sie ihr gestalterisches Geschick voll entfalten konnte, zeitweilig in Zusammenarbeit mit Wilhelm Wagenfeld. Die Arbeit machte ihr Spaß, und sie konnte ihre Freude an der Kunst in verschiedenen Facetten Ausdruck verleihen. Als „Kulturreferentin“ des Werks baute sie eine Glassammlung auf, welche mit Gläsern aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. begann, bis in die Gegenwart reichte und ständig um aktuelle Designstücke ergänzt wurde.
Sie schulte junge Verkäuferinnen aus Fachgeschäften, indem sie sie durch den Betrieb führte und die einzelnen – 68 – Arbeitsschritte erläuterte, die man brauchte, um ein geschliffenes Trinkglas zu fertigen. Schon 1953 hatte sie eine Kulturgruppe in der Firma gegründet, um die Kontakte zwischen dem Betrieb und dem „Designer, wie wir ja nun heißen“, zu intensivieren. Für diese Gruppe engagierte Antje Kind-Hasenclever den Dürener Museumsdirektor, mit dem sie befreundet war, für kunstgeschichtliche Schulungen. Sie selbst organisierte zum Zweck der Weiterbildung regelmäßige Museumsbesuche. In den Firmengebäuden sorgte sie für wechselnde Ausstellungen. Außerdem entwickelte die Kunstfreundin eine Artothek avant la lettre: Sie bot den Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Büros mit Originalwerken zu schmücken, die dann zum Teil über eine Rabattkarte erworben werden konnten, die eine Hälfte wurde angespart, die andere zahlte die Firma.
Antje Kind-Hasenclever war eine Sammlerin. Dies zeigte sich in ihrer Bereitschaft, ein Firmenarchiv zu begründen, das die Geschichte des Hauses dokumentierte und Kataloge, Firmenzeichen, Fotos etc. bewahrte. Ihre wahre Leidenschaft galt allerdings ihrer eigenen Spielzeugsammlung. Schon in der Zeit mit Havemann, auf ihren Reisen, hatte sie begonnen, überwiegend Holzspielzeug zusammenzutragen. 1950 zeigte sie die Sammlung, die am Ende ihres Lebens zwischen 4.000 und 5.000 Stück umfasste, im Dürener Leopold-Hoesch-Museum. Dem Dürener Museumsverein war sie jahrzehntelang als Vorstandsmitglied verbunden. Sie kannte die KünstlerInnen der Region und wurde verschiedentlich porträtiert, so fertigte der Bildhauer Ulrich Rückriem eine Büste von ihr an.
Sie starb am 25. Dezember 1985 und ist auf dem Dorffriedhof von Solz, nahe Bebra, beerdigt.
Verfasserin: Frauke Geyken
Zitate
Menschen zu helfen war „eine Selbstverständlichkeit für alle, die so dachten wie wir. Antje Kind-Hasenlever in einem Radiointerview 1988.
Literatur & Quellen
Geyken, Frauke (2014): Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler. 1. Aufl. München. Beck. ISBN 3-406-65902-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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