Fembio Specials Frauenbeziehungen Ans van Dijk
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Ans van Dijk
(Geburtsname: Anna van Dijk, Ehename: Anna Querido-van Dijk, Name im Widerstand: Annie de Jong, Name als V-frau: Ans de Jong bzw. Mevrouw de Regt)
geboren am 24. Dezember 1905 in Amsterdam, Niederlande
gestorben am 14. Januar 1948 in Weesperkarspel, Niederlande
niederländische Hutverkäuferin; letzte Frau, die in den Niederlanden wegen Kollaboration mit den Deutschen hingerichtet wurde
75. Todestag am 14. Januar 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Sie ist die einzige Frau unter den 39 Verurteilten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden wegen ihrer Kriegsverbrechen hingerichtet wurden – sie war Jüdin, und sie war lesbisch.
Anna van Dijk, genannt Ans, wurde 1905 als erstes Kind einer jüdischen kleinbürgerlichen Familie im Amsterdamer jüdischen Viertel geboren. Anderthalb Jahre nach ihrer Geburt kam das zweite Kind ihrer Eltern, ihr Bruder Jakob, zur Welt. Ihr Vater war ein kleiner Selbstständiger mit eigenem und Inkassobüro. Die Mutter starb, als Ans van Dijk vierzehn Jahre alt war. Der Vater heiratete noch im gleichen Jahr erneut.
Mit siebzehn lernte Ans van Dijk den fünf Jahre älteren Abraham (Bram) Querido kennen, auch er jüdisch, ein Handwerker ohne feste Anstellung, den sie 1927 heiratete.
1937 zog das Ehepaar in das Haus, in dem sich auch das Geschäft für Damenhüte Maison Evany befand. Kopfbedeckungen – so auch Hüte – waren bis in die 1950er Jahre ein wichtiger Teil der Kleidung, an denen Standesunterschiede abzulesen waren, und so gab es zahlreiche dieser Läden in Amsterdam.
Ans van Dijk arbeitete nicht nur seit 1932 in dem Laden, sondern war auch Miteigentümerin. Zusammen mit Eva de Vries-Harschel führte sie das Geschäft, dessen Name eine Zusammenfügung ihrer beiden Namen war: „Eva en Annie“.
Als die Eheleute in das Haus zogen, war ihre Ehe bereits gescheitert, da Ans van Dijk schon zwei Jahre vorher eine Liebesbeziehung mit der Krankenpflegerin Rachel de Vries gehabt hatte, woraufhin 1940 ihre Scheidung folgte. Ab diesem Jahr lebte sie in einer Wohnung über dem Geschäft mit Christina Stodel (genannt Miep) zusammen, auch sie jüdisch und lesbisch.
Da sowohl Eva de Vries-Harschel als auch Ans van Dijk jüdisch waren, mussten sie nach der Besetzung durch die Deutschen 1940 ihr Hutgeschäft als „jüdisches Unternehmen“ deklarieren. Der Laden wurde ihnen am 1. November 1940 von den Deutschen abgenommen.
Alle Informationen über die jüdische Bevölkerung wurden zentral in Den Haag gesammelt und ab dem Sommer 1942 für die Deportationslisten benutzt. Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung meldete sich an; zu denjenigen, die sich nicht registrieren ließen, gehörte auch Ans van Dijk.
Die Gesetze, die das Leben von Juden und Jüdinnen immer weiter einschränkten, folgten schnell aufeinander, so durften sie bereits seit März 1941 keine eigenen Geschäfte mehr führen und ab April 1942 mussten sie einen Judenstern tragen, um gleich erkennbar zu sein. Waren es erst noch die ausländischen Juden und Jüdinnen, die ins Durchgangslager Westerbork gebracht wurden, waren es kurz danach auch NiederländerInnen, die von dort aus nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert wurden.
Ans van Dijk, die sich nicht als jüdisch gemeldet hatte, ließ sich nicht von den anti-jüdischen Maßnahmen aufhalten. Es gelang ihr, einen gefälschten Ausweis auf den Namen Annie de Jong zu bekommen, und sie färbte ihr schwarzes Haar blond. Sie selber zog mehrfach innerhalb von Amsterdam um und tauchte nach Auflösung des Ladens unter, während sie ihrer Freundin Christina Stodel half, 1942 in die Schweiz zu fliehen.
Van Dijk war ab dieser Zeit aktiv im Widerstand und half Juden und Jüdinnen ebenfalls unterzutauchen und ihnen falsche Dokumente zu besorgen – bis sie im Mai 1943 mit einigen anderen vom Bureau Joodse Zaken, einer Untergruppe der Amsterdamer Polizei, die darauf spezialisiert war, untergetauchte Juden und Jüdinnen zu finden, verhaftet wurde.
Nachdem die meisten Juden und Jüdinnen nach Westerbork gebracht worden waren, wurde vom Bureau Joodse Zaken nach den Untergetauchten gesucht, Anfang 1943 waren dies etwa 13.000 bis 16.000 Menschen. Zu der Zeit wurden dazu V-Leute eingesetzt, also „Vertrauensleute“. Dabei machte der deutsche Geheimdienst in den besetzten Gebieten gerne Gebrauch von Menschen, die selber illegale Arbeiten übernommen oder zu einer Widerstandsgruppe gehört hatten, da diese deren Gewohnheiten und Sprache kannten.
So wurde auch Ans van Dijk nach ihrer Verhaftung vom deutschen Sicherheitsdienst vor die Wahl gestellt, entweder für das Bureau Joodse Zaken zu arbeiten oder erschossen zu werden – und entschied sich für Ersteres. Wie alle anderen auch, musste sie umgehend beweisen, dass sie es ernst meinte. So ist es vermutlich kein Zufall, dass kurze Zeit später Bekannte und Verwandte von ihr, die untergetaucht waren, vom Sicherheitsdienst verhaftet wurden, so auch ihr Bruder und seine Familie. Später traf sie teils zufällig jüdische Bekannte, die ihr vertrauten, da sie auch von ihr wussten, dass sie Jüdin war – und daraufhin kurz danach verhaftet wurden. Aber auch Unbekannte wurden von ihr verraten, auf Dauer nicht nur in Amsterdam, sondern auch in Enkhuizen, Schiedam, Zeist und Den Helder.
Einen Monat nach ihrer Freilassung lernte Ans van Dijk ihre neue Partnerin, Johanna Maria de Regt (genannt Mies) kennen, gleich am nächsten Tag zog sie bei ihr ein. Erst behauptete sie noch, für eine Widerstandsgruppe zu arbeiten, gestand aber einige Wochen später ihre Mitarbeit beim Sicherheitsdienst. Weder für ihre Partnerin noch andere Freundinnen war dies ein Grund, den Kontakt abzubrechen oder sie auch nur zu kritisieren. Ihr Biograf Koos Groen erklärt dies mit der damaligen Lebenshaltung, sich nicht in Dinge einzumischen, die andere nichts angingen. Je weniger eine/r wusste, desto besser.
Während Ans van Dijk erst noch alleine arbeitete, wurden ihr später Branca Simons und Rosalie Roozendaal zugeteilt, die beide ebenfalls vor die „Wahl“ gestellt worden waren, als Verräterinnen zu arbeiten oder erschossen zu werden. Zusammen verrieten sie zahlreiche Juden und Jüdinnen, denen sie Untertauchadressen und gefälschte Papiere versprachen. Nach Koos Groen hat Ans van Dijk zusammen mit anderen mindestens 107 Juden und Jüdinnen sowie 38 UnterstützerInnen verraten, die mehrheitlich den Krieg nicht überlebten.
Bereits vor der Befreiung der Niederlande durch die Alliierten tauchten die VerräterInnen selber unter. Aber schon bald danach wurde van Dijk von zahlreichen Menschen angezeigt. Zu einer Verhaftung kam es jedoch erst am 20. Juni 1945, da zum einen ihre Adresse unbekannt war und zum anderen Hunderte wichtige KollaborateurInnen und deutsche Kriegsverbrecher gesucht wurden. Während van Dijk erst nur andere belastete, die Menschen verraten hatten, gab sie bei ihrem Prozess im Februar 1947 alles zu, sagte aber aus, dass sie dies gegen ihren Willen getan habe, unter Druck gesetzt wurde und dass sie immer wieder mit dem Tod bedroht worden sei. Ihr wurde Verrat in 23 Fällen zur Last gelegt, den sie auch zugab. Ein Mitarbeiter vom Bureau Joodse Zaken warf ihr vor, fünf- bis siebenhundert Juden und Jüdinnen verraten zu haben, was sie jedoch bestritt. Sie bedauerte, was sie getan hatte und erklärte, dass sie völlig verrückt gewesen sei. Sie habe fürchterliche Angst vor dem Sicherheitsdienst gehabt, der sie bedroht habe.
Mies de Regt hatte einige Tage vor der Befreiung des Landes die Beziehung zu Ans van Dijk beendet und war wieder zu ihren Eltern gezogen. Im Oktober 1945 wurde auch sie verhaftet und schob – wie auch die anderen, die mit Ans van Dijk zusammen gearbeitet hatten – ihr alle Schuld zu, mit dem Ergebnis, dass alle anderen mit leichteren Strafen davon kamen. Der massive Verrat an unzähligen Menschen während der deutschen Besatzung, der meist zu deren Tod in den Vernichtungslagern führte, wird heute kaum noch thematisiert.
Ans van Dijk wurde als einzige aus dieser Gruppe in einem Aufsehen erregenden Prozess wegen Kollaboration zum Tode verurteilt; ihr Gnadengesuch wurde – anders als beispielsweise das des Leiters der Judenverfolgung in Amsterdam – abgelehnt. Mitgespielt haben dürften hierbei wohl sowohl der Antisemitismus, der sich während der Besatzung in den Niederlanden ausgebreitet hatte, als auch die Tatsache, dass Ans van Dijk offen lesbisch war, zu einer Zeit, in der die meisten lesbischen Beziehungen nur heimlich gelebt werden konnten und Frauen unter Druck gesetzt wurden, zu heiraten und eine Familie zu gründen.
Ans van Dijk wurde im Januar 1948 im Fort Bijlmer in der damaligen Gemeinde Weesperkarspel (heute Bijlmermeer, Gemeinde Amsterdam) exekutiert. Am Abend vorher hatte sie sich noch römisch-katholisch taufen lassen.
(Text von 2020)
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
Interview mit Koos Groen über Ans van Dijk (niederländisch): https://www.youtube.com/watch?v=selEvk58rSs
Literatur & Quellen
Groen, Koos: Als schlachtoffers daders worden: de zaak van de joodse verraadster Ans van Dijk. Amsterdam, Ambo, 1994: erweiterte Neuauflage: Een prooi wordt jager: de zaak van de joodse verraadster Ans van Dijk. Meppel, Just Publishers, 2016
Hekma, Gert: Homoseksualiteit in Nederland van 1730 tot de moderne tijd. Amsterdam, Meulenhoff, 2004
Müller, Klaus & Judith Schuyf (red.): Het begon met nee zeggen. Biografieën rond verzet en homoseksualiteit 1940-1945. Amsterdam, Schorer Boeken, 2006
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