Fembio Specials Europäische Jüdinnen Annemarie Selinko
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Annemarie Selinko
(Ehename: Annemarie Selinko Kristiansen)
geboren am 1. September 1914 in Wien, Österreich-Ungarn
gestorben am 28. Juli 1986 in Kopenhagen, Dänemark
österreichisch-dänische Schriftstellerin und Journalistin
110. Geburtstag am 1. September 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ihr 1951 erschienener Roman Désirée war ein weltweiter Bestseller, der - wie auch ihre drei früheren Romane - in zahlreiche Sprachen übersetzt, immer wieder neu aufgelegt und verfilmt wurde. Über die Autorin ist dagegen nur wenig bekannt.
Annemarie Selinko kam 1914 als Tochter des Textilhändlers Felix Selinko und dessen Frau Grete Selinko, geborene Wolf, zur Welt. Sie hatte eine Schwester namens Liselotte. Die Familie war jüdisch, konvertierte aber später zum Protestantismus.
Selinko besuchte sowohl die Volksschule als auch das Gymnasium in Wien, wo sie anschließend anfing, Sprachen und Geschichte an der Universität zu studieren. Fast zeitgleich begann sie 1932 am Max-Reinhardt-Seminar mit Schauspielunterricht. Außerdem arbeitete sie als Journalistin für diverse Wiener Zeitungen wie die Österreichische Morgenzeitung, das Wiener Mittagsblatt und die Österreichische Abendzeitung und als Österreich-Korrespondentin für die französische Zeitschrift L´Intransigeant.
Gleichzeitig schrieb sie ihren ersten Roman, der nach einem Vorabdruck in der Zeitung Der Wiener Tag 1937 unter dem Titel Ich war ein häßliches Mädchen beim Wiener Zeitbild-Verlag als Buch erschien. Der Roman über eine junge Frau auf der Suche nach einer Lebensperspektive wurde in zwölf Sprachen übersetzt und 1943 in Dänemark und 1955 von Wolfgang Liebeneiner verfilmt. Er wurde von der Presse gleich begeistert aufgenommen, die die Autorin mit Vicki Baum verglich. 1938 konnte ihr zweiter Roman Morgen ist alles besser, die Geschichte einer jungen Frau, die die Stimme eines Radiosenders wird, ebenfalls noch im Zeitbild-Verlag erscheinen. Ein Jahr später wurde er in den Niederlanden von Frederic Zelnik und zehn Jahre später von Arthur Maria Rabenalt in Deutschland verfilmt.
Zum Bekanntenkreis von Annemarie Selinko in Wien gehörten unter anderen die Schriftstellerinnen Hertha Pauli, die auch ihre Agentin war, und Joe Lederer.
Bei ihrer Arbeit als Reporterin lernte Selinko beim Völkerbund in Genf den dänischen Diplomaten Erling Kristiansen kennen, den sie 1938 heiratete, wodurch sie die dänische Staatsangehörigkeit erhielt. Zwei Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs zogen die beiden nach Kopenhagen. Selinko tat von dort aus ihr Möglichstes, um Bekannten zur Flucht aus Europa zu verhelfen.
In Dänemark wurde sie gleich sehr stark von der Presse beachtet: „Vom ersten Tag an haben mir die dänischen Zeitungen und Verlage eine Stellung eingeräumt, die ich seinerzeit in Wien nur erträumt habe.“ Selinko arbeitete dort für mehrere skandinavische Presseagenturen. Ihre Artikel und Fortsetzungsabdrucke der Romane und Novellen konnte sie daher sowohl in dänischen als auch schwedischen Zeitungen unterbringen. Ihr erster Roman erschien 1939 in dänischer Übersetzung, der zweite 1941. Ihre in Dänemark entstandenen Novellen liegen bis heute nicht auf Deutsch vor.
Selinkos weitere Romane konnten nicht mehr im deutschsprachigen Raum erscheinen, und sie wurde vom niederländischen Verlag Allert de Lange angeworben, in dem 1938 bereits die Übersetzung ihres ersten Romans erschienen war. Über den damaligen Leiter der deutschsprachigen Abteilung des Verlages schrieb sie: „Walter Landauer hat für viele von uns wirklich getan, was er konnte, gab die Chance, weiterzuarbeiten und durchzuhalten.“ Ihr neuer Roman Heute heiratet mein Mann erschien im März 1940 in Amsterdam und war trotz des Krieges erfolgreich: Bis zum 4. April 1940 wurden bereits 1.241 Exemplare in den Niederlanden und der Schweiz verkauft. Es war eines der letzten Bücher, die noch vor der Besetzung des Landes im Mai erscheinen konnten. Und es kam sogleich auf die Liste der von den Nationalsozialisten verbotenen Bücher.
Dänemark wurde im gleichen Jahr besetzt, wenn auch für die ersten Jahre die gewählte Regierung noch im Amt bleiben konnte, woraufhin sich Selinko aktiv am Widerstand beteiligte. Für kurze Zeit wurde sie von der Gestapo in Haft genommen, konnte aber 1943 – wie die weitaus meisten Jüdinnen und Juden aus Dänemark bei einer großangelegten und beispiellosen Rettungsaktion – mit ihrem Mann ins neutrale Schweden fliehen. Dort arbeitete sie bei einer Nachrichtenagentur sowie dem Roten Kreuz in Malmö, wo sie als Pflegerin und Dolmetscherin tätig war. Außerdem war sie an der Initiative des Grafen Folke Bernadotte im Mai 1945 beteiligt, bei der 30.000 Opfer aus deutschen Konzentrationslagern nach Malmö gebracht wurden. Erst später sollte sie erfahren, dass sowohl ihre Mutter als auch ihre Schwester in KZ umgekommen waren.
Die Nachkriegsjahre waren von den wechselnden Einsatzorten ihres Mannes als Botschafter bestimmt. Das Ehepaar zog von Kopenhagen, wo ihr Sohn Mikael 1948 geboren wurde, nach Stockholm, Paris und London.
Selinko besuchte Wien 1950 auf Einladung des österreichischen P.E.N. zum ersten Mal nach dem Krieg. Der Kontakt mit Wiener Bekannten blieb ihr wichtig. Sich selber sah sie aber als Dänin und betonte immer wieder: „Ich war hier zu Hause und nie im Exil.“
Ihr größter Erfolg Désirée erschien 1951. Selinko hatte es auf Deutsch geschrieben, keine einfache Aufgabe, da ihr inzwischen der Kontakt zur Muttersprache fehlte: „bei jeder Zeile des Buches hab ich in mich hineinhorchen müssen, weil ich ja hier nie Deutsch rede“. Der Roman ist das fiktive Tagebuch der Désirée Clary, einer Seidenhändler-Tochter aus Marseille. Sie war die erste Verlobte Napoleons, zu einer Zeit, als dieser noch unbekannt war, heiratete aber später den französischen Marschall Bernadotte, mit dem sie Frankreich verließ, als er König von Schweden wurde. Das Buch wurde schnell ein Weltbestseller und in 25 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung von Henry Koster erfolgte 1954 in den USA (mit Jean Simmons und Marlon Brando)
1977 kehrte Selinko endgültig mit ihrem Mann nach Dänemark zurück. Sie starb 1986 und ist auf dem Friedhof im Kopenhagener Vorort Hellerup begraben.
Selinko hinterließ ein beachtliches Vermögen, das sie dem Annemarie og Erling Kristiansen Fond zur Verfügung stellte, der Stipendien an jüngere MitarbeiterInnen des dänischen Außenministeriums und Studierende der Wirtschaftswissenschaften der Universität Kopenhagen vergibt; diese verleiht auch den Mikael Kristiansen-Pris, einen Preis, der nach dem bei einem Unglück jung verstorbenen Sohn des Ehepaares benannt wurde.
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
So oft in diesen Jahren hat man mich gefragt, ob ich schon »auf Besuch« in Wien gewesen sei. ›Zu viel verloren und dort gar nichts mehr zu suchen …‹ habe ich jedes Mal geantwortet.
(aus Polt-Heinzl 2005)
Links
Annemarie Selinko in der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur & Quellen
Literatur über Annemarie Selinko
Polt-Heinzl, Evelyne (2005): „Denn – die Stellung muß heute ein für allemal klargelegt werden“. Annemarie Selinko (1914-1986), in: Evelyne Polt-Heinzl: Zeitlos. Neun Porträts. Von der ersten Krimiautorin Österreichs bis zur ersten Satirikerin Deutschlands. Wien, Milena. Dokumentation Band 30
Schoor, Kerstin (1992): Verlagsarbeit im Exil. Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages 1933 – 1940. Amsterdam, Rodopi. Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Band 101
Wagner, Renate. 1995. Heimat bist du großer Töchter: Weitere Portraits. Wien. Edition S. Verlag der Östr. Staatsdruckerei.
Wall, Renate (1995): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945. Band 2. Freiburg i. Br., Kore
Werke von Annemarie Selinko
Ich war ein hässliches Mädchen. Roman (1937). Wien, Zeitbild-Verlag. Neuauflage: Wien, Milena, 2019
Morgen ist alles besser. Roman (1938). Wien, Zeitbild-Verlag. Neuauflage: Wien, Neues Österreich, 1951
Heut(e) heiratet mein Mann. Roman (1940). Amsterdam, Allert de Lange. Neuauflage: Wien, Milena 2018
Désirée (1951). Köln, Kiepenheuer und Witsch (unzählige Neuauflagen)
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