Fembio Specials Widerstandskämpferinnen Annedore Leber
Fembio Special: Widerstandskämpferinnen
Annedore Leber
(geb. Rosenthal)
geboren am 18. März 1904 in Berlin
gestorben am 28. Oktober 1968 in Berlin
deutsche Widerstandskämpferin, Politikerin, Journalistin, Autorin, Verlegerin
120. Geburtstag am 18. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die Eltern Rosenthal hätten es sich nicht träumen lassen, dass ihre Tochter Annedore eines Tages die Frau eines sozialdemokratischen Volkstribuns und später selbst SPD-Politikerin werden würde. Im festgefügten Weltbild eines wilhelminischen Oberstudiendirektors und seiner Frau war das eine ziemlich schlimme Vorstellung. Annedore genoss die typische Erziehung einer höheren Tochter. „Alles wurde mir aus dem Weg geräumt“, schrieb sie rückblickend. Der Vater unterrichtete das Mädchen selbst, sie hat nie eine öffentliche Schule besucht. Nach dem Abitur 1922 begann sie in München Jura zu studieren, bis zum fünften Semester. Doch dann entschloss sie sich, einen Ausbildungsberuf zu erlernen: Im Studium lebe man mit dem „Druck, nur Halbes getan zu haben.“ Sie aber wolle „den Tag erfüllende Arbeit“, erklärte sie ihren Eltern. Sie wollte eine Geschäftsfrau werden.
1927 heiratete sie Dr. Julius Leber, Chefredakteur des “Lübecker Volksboten” und seit 1924 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Mit der Heirat erfolgte der Beitritt Annedores zur SPD. Ihr Mann war schon vor 1933 laut und mutig den Nationalsozialisten entgegengetreten, so dass er nach dem Beginn der NS-Diktatur sofort verhaftet wurde. Seine Frau, Mutter von zwei Kindern, musste nun als Leiterin eines Modeateliers die Familie, die ab 1935 wieder in Berlin lebte, ernähren. Julius Leber war bis 1937 in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. Annedore Leber tat alles in ihrer Macht Stehende, um ihn zu befreien, und es sollte ihr tatsächlich gelingen.
In der Zeit der Haft entstand eine große Nähe zwischen den Eheleuten. In ihren Briefen reflektierten sie ihren Lebensentwurf. Julius Leber schrieb aus der Haft: „Der Absturz und der Riß in meinem Leben war notwendig. Denn die große Gefahr zog schon drohend herauf, daß mein Leben einfach eine Versorgung für mich und meine Familie würde, ohne große weitere Kämpfe, Wagnisse und Gefahren. Um schließlich in einem bescheidenen Pensionsdasein im Kreis der Enkelkinder endgültig zu verrotten. Und ich wäre zeitlebens die Scham vor mir selber nicht losgeworden: das also ist das Resultat dieses Lebens, das mit solchem Sturm, solchem Willen und solchem Anlauf begann? Und der einzige Trost: Bier und Zigarren.“ Annedore Leber war sich dieser Haltung bewusst und billigte sie. Sie hatte einen Kämpfer geheiratet, weil sie selbst eine Kämpferin war. Dieses starke Paar hatte sich gesucht und gefunden.
Julius Leber nahm nach seiner Entlassung aus dem KZ sofort seine alten politischen Kontakte wieder auf, beteiligte sich an den Vorbereitungen für den Umsturz und den Planungen für ein Deutschland nach Hitler. Seine Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg, die er betrieb, weil er nicht mehr als Journalist, geschweige denn Politiker arbeiten konnte, war der ideale Treffpunkt für Verschwörer. Aber auch Annedore Lebers Büro im Deutschen Verlag, wo sie die Schnittmusterabteilung leitete, war ein Ort des Widerstands. „Ich stand im Mittelpunkt des Geschehens“ schrieb sie nach dem Krieg. Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 misslang. Zwischen sechshundert und siebenhundert Personen wurden daraufhin verhaftet. Julius Leber war schon am 4. Juli bei einem konspirativen Treffen mit Kommunisten festgenommen worden. In einem letzten Briefwechsel versichern sich die beiden Ehepartner ihrer großen Liebe. Annedore schrieb: „Glaube und vertraue mir: Durch den großen Reichtum unserer Ehe habe ich die Kraft und die Stärke, die das Schicksal von mir fordert. Und Deine tiefe Kraft, die mir aus Deinen wunderbaren Worten entgegenflutet, trägt und stützt mich heute und in den Jahren, die vor mir liegen.“ Julius Leber wurde am 5. Januar 1945 hingerichtet.
Die letzten Monate des Krieges verbrachte Annedore Leber zurückgezogen in unendlicher Trauer. Hier muss der Entschluss gefallen sein, sicherzustellen, dass die Frauen und Männer des Widerstands nicht umsonst gestorben sein sollten: Annedore Leber machte sich zur Nachlassverwalterin des Widerstands. Sie wollte die Ideen, für die Julius Leber und andere gekämpft hatten, für den neuen (west-)deutschen Staat fruchtbar machen. Zunächst als Herausgeberin und auch Journalsitin der Zeitung „Telegraf“. Von 1947 bis 1949 gab sie ihre eigene Zeitschrift „Mosaik“ heraus. Neben Kochrezepten u. ä. stellte sie dort tatkräftige Frauen der Gegenwart vor, die den Zeitgenossinnen als Vorbild dienen sollten. Sie veröffentlichte Lebensbilder aus dem Widerstand, u. a. „Das Gewissen steht auf“, und sie wurde politisch aktiv. Sie war die Instanz, wenn es um das Thema Widerstand ging. Der Bundespräsident gratulierte ihr zum 60ten Geburtstag. Vier Jahre später, 1968, starb sie. Das Jahr ihres Todes markiert symbolisch den sichtbaren Beginn der Auseinandersetzung der BRD mit ihrer NS-Vergangenheit. Die – berechtigte – Konzentration auf die Täterforschung in den 1970er Jahren ließ keinen Platz für Fragen nach dem Widerstand. Als sich ab 1984 die nächste Generation mit neuen Fragen für den Widerstand zu interessieren begann, war Annedore Leber schon 16 Jahre tot und vergessen, zu Unrecht untergegangen in den Zeitläuften.
(Text von 2014)
Verfasserin: Frauke Geyken
Zitate
Zitate von Annedore Leber
Ich selbst stand im Mittelpunkt des Geschehens.
(Annedore Leber in der Zeitung „Telegraf“, 2/2, 3. Januar 1947)
Man sollte es nicht für möglich halten: Ich werde allmählich ein Asyl für Trostbedürftige, denen es rein äusserlich gesehen meist besser geht als mir. Warum kommt man gerade zu mir? Es kann doch wohl nur so sein, dass man spürt, dass mein Leben von einer Idee erfüllt ist und von ihr getragen wird, also, will man doch wohl von mir das, was man Mut und Kraft nennt.
(Annedore Leber an Julius Leber, der inhaftiert worden war, am 6. Juni 1933.)
Über Annedore Leber: Sie ist wie eine stählerne Klinge, diese Frau, federnd und nicht zu zerbrechen.
(Fritz Dietlof Graf von der Schulenburg über Annedore Leber)
Links
Über Annedore Leber und ihre Zeitschrift “Mosaik”, die sie 1947-49 herausgegeben hat
Literatur & Quellen
http://www.julius-annedore-leber-archiv.de/
Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung Sammlung Personalia 6057: Annedore Leber. Nachlass Fritz Erler, Nachlass Paul Löbe, Nachlass Fritz Sänger, Nachlass Carlo Schmid, Nachlass Erwin Schoettle, Nachlass Helene Wessel.
Bundesarchiv, Koblenz Nachlass Julius und Annedore Leber
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Beck, Dorothea: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Mit den Briefen aus dem Zuchthaus, Berlin 1983.
Geyken, Frauke (2014): Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler. 1. Aufl. München. Beck. ISBN 3-406-65902-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Leber, Annedore, Den toten immer lebendigen Freunden. Eine Erinnerung zum 20. Juli 1944, Berlin Juli 1946.
Leber, Annedore: Ein Frauenschicksal. Eine Erinnerung an den 20. Juli 1944. Ein Augenzeugenbericht von Annedore Leber, in: Wetzlarer Zeitung Neue Zeitung 58/20, vom 20. Juli 1946.
Leber, Annedore (Hg.): Mosaik: Das Weltbild der Frau. 1947,10 - 1949,7, Berlin-Grunewald/Frankfurt, M., 1947-1949.
[Leber, Annedore]: An das Gewissen der Welt: Berliner Frauen appellieren an die Menschlichkeit; Flugschrift enthält die Reden der Stadtverordneten Lucia Krüger, Annedore Leber, Ella Barowsky, die diese im Berliner Stadtparlament am 29. Juni 1948 hielten, Berlin 1948.
Leber, Annedore (Hg.): Frauen macht die Augen auf!, Berlin: Mosaik-Verlag 1950.
Leber, Annedore: „Sie haben nicht kapituliert. Frauen, die stärker blieben als die Gestapo“, in: Die Neue Zeitung, 20. Juli 1952.
[Leber, Annedore]: Ein Mann geht seinen Weg: Schriften, Reden und Briefe / von Julius Leber. Hrsg. von seinen Freunden [Gustav Dahrendorf], Berlin-Schöneberg [u.a.] 1952.
Leber, Annedore: Der Beitrag der Frau, in: Bundeszentrale für Heimatdienst: Der 20. Juli. 1944. Geänderte und vervollständigte Bearbeitung der Sonderausgabe der Wochenzeitung Das Parlament: „Die Wahrheit über den 20. Juli 1944“, bearbeitet von Hans Royce, Bonn 19542, S. 32-34.
Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf. Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand von 1933-1945, hrsg. in Zusammenarbeit mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher, Berlin 1954.
Leber, Annedore, Das Gewissen entscheidet. Bereiche des deutschen Widerstandes von 1933-1945 in Lebensbildern. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher, Berlin 1957.
Leber, Annedore, Moltke, Freya Gräfin von, Für und wider. Entscheidungen in Deutschland, 1918-1945, Berlin, Mosaik Verlag 1961.
zur Mühlen, Irmgard von. Die Frauen des 20. Juli, Chronos Film, Berlin 1985/86.
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