Fembio Specials Berühmte Italienerinnen Anna Maria Ortese
Fembio Special: Berühmte Italienerinnen
Anna Maria Ortese
geboren in Rom am 13. Juni 1914
gestorben in Rapallo am 9. März 1998
italienische Schriftstellerin und Journalistin
110. Geburtstag am 13. Juni 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
»Si scrive perché si cerca compagnia, poi si pubblica perché gli editori danno un po' di denaro.« (Man schreibt, weil man Gesellschaft sucht, dann veröffentlicht man, weil die Verleger ein bisschen Geld zahlen.)
Anna Maria Ortese, die mit diesem Satz sehr treffend ihr eigenes Leben beschreibt, stammt aus einer kinderreichen und armen Familie. Die Eltern kommen ursprünglich aus dem Süden, ziehen aber aufgrund der Arbeit des Vaters oft von einer Stadt in die andere, und so ist es eher zufällig, dass sie in Rom geboren wird. Weitere Stationen bringen die Familie auch nach Libyen, wo Ortese einen Teil ihrer Kindheit verbringt, um 1928 in Neapel zu landen – der Stadt, die ihr Leben, aber vor allem ihr Werk am meisten prägen wird.
Durch die Umzüge ist ihr Schulbesuch eher unregelmäßig, und in Neapel angekommen, ersetzt sie die Schulausbildung schon bald durch ein Eigenstudium, das aus selbst gewähltem, reichlichem Lesestoff und der Hilfe bei den Aufgaben ihrer Geschwister besteht.
Die Schule des Lebens, sprich: der Tod ihres geliebten Bruders Emanuele, führt die Autodidaktin zur Literatur; sie veröffentlicht ihre ersten Texte in der namhaften Zeitschrift »Italia Letteraria«, 1937 erscheint ihr erster Erzählband unter dem Titel »Angelici dolori« bei Bompiani und macht sie als vielversprechende Autorin bekannt.
Doch der Krieg zwingt sie zur Flucht aus Neapel, sie bereist ganz Italien und schreibt unter miserablen Umständen Reportagen, die dürftig bezahlt werden, aber aus heutiger Sicht zur kunstvollen italienischen Kurzprosa zu zählen sind.
Erst 1953 – sie hat sich in der Zwischenzeit in Mailand niedergelassen – veröffentlicht Ortese wieder ein Buch, das viel Aufsehen erregt, ihr sogar den Premio Viareggio bringt, aber dafür nicht nur Freunde.»Il mare non bagna Napoli« besteht aus Erzählungen, Reportagen und Novellen, in denen sie die katastrophalen Zustände, die Armut und Verzweiflung im Neapel der Nachkriegsjahre sehr scharfsinnig und unmissverständlich beschreibt.
Es ist vor allem der letzte Abschnitt, »Il silenzio della ragione«, der massiv kritisiert wird – von der intellektuellen Oberschicht, die in ihrer verständnislosen Selbstzufriedenheit akkurat skizziert wird. Ortese verliert ihre langjährigen Freunde, wird mehr und mehr ausgestoßen und ignoriert, weswegen sie sich komplett in ihr einsames, von der Öffentlichkeit abgeschirmtes Leben zurückzieht, das weiterhin von Armut und intensivem Schreiben bestimmt ist.
Es entstehen weitere, weniger beachtete Bücher, bis sie nach Rom zieht und 1965 ihren ersten Roman – »L'Iguana« – veröffentlicht. Es ist eine Art Märchen, in der Art des magischen Realismus, in dem Ortese erneut Kritik an der Gesellschaft übt bzw. an deren Unfähigkeit, die Verhältnisse nicht nur zu bedauern, sondern auch durch Taten zu verändern. Es ist eine poetische Allegorie, gleichzeitig die schmerzliche Geschichte eines dekadenten Grafen, der sich auf einer einsamen Insel in ein Leguanweibchen verliebt. Der Roman wird nicht weiter beachtet, er ist seiner Zeit zu weit voraus, erst zwanzig Jahre später wird seine wahre Bedeutung erkannt.
Ähnlich ergeht es Ortese mit ihrem Meisterwerk »Il porto di Toledo«, das von einer jungen Literatin im faschistischen Neapel handelt. Dieses enigmatische, sprachlich gesehen nahe am Experimentalismus gelegene Werk wird von der Kritik schlichtweg ignoriert. Es ist also ein weiterer Tiefschlag für eine Schriftstellerin, die als Perfektionistin gilt und deren Anspruch an sich selbst dermaßen groß ist, dass sie sich mit sämtlichen Verlegern regelmäßig überwirft, denn sie überarbeitet ihre Manuskripte viele Male und gibt sie dann meistens nicht dem Verleger, dem sie sie versprochen hat, sondern einem anderen – alles aus Angst, sich unter ihrem Wert zu verkaufen.
Trotz dieser herben Niederlagen gibt sie nie auf und arbeitet wie besessen weiter – sie schreibt Neues, überarbeitet Altes, fördert die Wiederentdeckung ihres ersten Romanes »L'Iguana«, die 1986 in einer elitären Ausgabe bei Adelphi glückt und ihr langsam Anerkennung bringt. 1993 gelingt ihr dann die literarische Sensation – das glänzende Alterswerk »Il cardillo addolorato«, das wie alle ihre wichtigen Bücher in Neapel spielt und die Geschichte einer Frau zwischen Aufklärung und Romantik erzählt. Mit diesem Roman wird ihr endlich der verdiente Erfolg zuteil, und sie wird bestärkt, ihre Arbeit fortzusetzen.
Sie möchte noch ein weiteres Ziel erreichen: die Rehabilitierung ihres schmählich ignorierten Hauptwerks »Il porto di Toledo«. Noch einmal überarbeitet sie zwar geringfügig, aber dafür sehr penibel den Roman, der 1998 in einer glanzvollen Neuausgabe erscheint. Es ist die große Revanche am Ende ihres Lebens, denn nur zwei Wochen später erscheinen nicht nur Rezensionen zu ihrem Roman, sondern auch die Nachrufe zu ihrem Tode.
Damit verblasst ihr kurzzeitig beachtetes Werk, das in seiner literarischen Größe und Intensität einfach nicht verstanden wurde. Erst in den letzten Jahren erfährt Ortese durch Rezensionen, Publikationen und eine Neuauflage die ihr und ihrem Werk gebührende Anerkennung.
(Text von 2014)
Verfasserin: Dagmar Kübler
Zitate
Io sono una persona antipatica. Sono aliena, sono impresentabile. Sono esigente col mondo, non vorrei che le cose fossero come sono, ma conoscendo del mondo solo le parti infime e dando giudizi che invece riguardano tutto, finisco per sembrare e per essere ingiusta, e così preferisco non parlare. Io sono in contraddizione continua con me stessa. I soli che possono amarmi sono coloro che soffrono. Se uno davvero soffre sa che nei miei libri può trovarsi. Solo persone così possono amarmi. Il mondo? Il mondo è una forza ignota, tremenda, brutale. Le creature belle che pure ci sono, noi le conosciamo poco, troppo poco.
(Anna Maria Ortese, Il male freddo, in »Linea d'ombra«, n. 117, luglio-agoso 1996, pp. 13-14)
Ich bin eine unsympatische Person. Ich bin abweisend und nicht präsentabel. Ich habe Ansprüche an die Welt, ich wünsche mir, dass die Dinge nicht so wären, wie sie sind, aber da ich von der Welt nur die schlechten Seiten kenne, und da ich Urteile abgebe, die allerdings alle etwas angehen, kommt es so weit, dass ich ungerecht erscheine und es bin, und daher ziehe ich es vor, nicht zu sprechen. Ich stehe in einem ständigen Widerspruch zu mir selbst. Die Einzigen, die mich lieben können, sind die, die leiden. Wenn jemand wirklich leidet, weiß er, dass er sich in meinen Büchern finden kann. Nur solche Menschen können mich lieben. Die Welt? Die Welt ist eine unbekannte, furchtbare und brutale Macht. Die guten Kreaturen, die es auch gibt, kennen wir zu wenig, viel zu wenig.
Links
Anna Maria Ortese. Nachruf, in: DER SPIEGEL 12/1998.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7264763.html, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
Italiens hellwache Traumwandlerin. Die langsame Entdeckung der grossen Autorin Anna Maria Ortese. In: Neue Zürcher Zeitung, 16.12.2006 (2006).
Online verfügbar unter http://www.nzz.ch/2006/12/16/li/articleebrrg_1.83695.html, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6xalu2jQl.
italialibri.net: Anna Maria Ortese.
Online verfügbar unter http://www.italialibri.net/autori/?Anna+Maria+Ortese&id=373, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6xam0o2ze.
Klüver, Henning; Mailand (1997): Erich Priebke und die Würde der Wölfe. In: Berliner Zeitung, 28. Januar 1997.
Online verfügbar unter https://www.berliner-zeitung.de/eine-literarische-debatte-um-den-fall-des-ehemaligen-ss-offiziers-in-italien-erich-priebke-und-die-wuerde-der-woelfe-16409348, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6xamGnpBI.
Pozzi, Emanuele: Enciclopedia delle donne – Anna Maria Ortese.
Online verfügbar unter http://www.enciclopediadelledonne.it/biografie/anna-maria-ortese/, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6xalisHLB.
Wiegenstein, Roland H. (2001): Die Lange Nacht der drei starken Frauen. Ginzburg - Morante - Ortese. Deutschlandfunk-Manuskript vom: Sa. 13.10.2001 • 23:05.
Online verfügbar unter http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht_alt/011013.html, zuletzt geprüft am 01.03.2018.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6xamSKBRV.
Literatur & Quellen
Werke (ital.)
Ortese, Anna Maria (1958): I giorni del cielo. Racconti. Milano. Mondadori. (Narratori Italiani, 55) (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1969): L' alone grigio. Firenze. Vallecchi. (Narratori Vallecchi, 51) (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1986): Il mormorio di Parigi. 1. Aufl. Roma, Napoli. Ed. Theoria. (Letterature) (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1987): Estivi terrori. Roma. Pellicanolibri. (Inediti rari e diversi) ISBN 88-85881-02-5. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1983): Il treno russo. Roma. Pellicanolibri. 1987. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1987): La morte del Folletto. Roma. Empiria. (Le narrazioni) (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1987): In sonno e in veglia. 2. Aufl. Milano. Adelphi Ed. 1993. (Fabula, 19) ISBN 88-459-0265-X. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1996): Alonso e i visionari. 1. Aufl. Milano. Adelphi. (Fabula) ISBN 88-459-1214-0. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1996): Il mio paese è la notte. Roma. Empirà. (Sassifraga) ISBN 88-85303-35-8. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1997): Corpo celeste. Milano. Adelphi. (Piccola biblioteca Adelphi) ISBN 88-459-1291-4. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1997): L' iguana. 6. Aufl. Milano. Adelphi. (Fabula, 9) ISBN 88-459-0657-4. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1993): Il cardillo addolorato. 3. Aufl. Milano. Adelphi. 1998. (Gli Adelphi, 106) ISBN 88-459-1276-0. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1975): Il porto di Toledo. Milano. Adelphi. 1998. (Fabula) ISBN 88-459-1357-0. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1998): La luna che trascorre. Roma. Empirà. (Sassifraga) ISBN 88-85303-58-7. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1998): Silenzio a Milano. Milano. Tartaruga Ed. ISBN 88-7738-006-3. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (2001): Il Monaciello di Napoli. 1. Aufl. Milano. Adelphi. (Fabula, 135) ISBN 88-459-1624-3. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1953): Il mare non bagna Napoli. 8. Aufl. Milano. Adelphi. 2004. (Fabula, 77) ISBN 8845910547. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (2004): La lente scura. Scritti di viaggio. A cura di Luca Clerici. Milano. Adelphi Edizioni. (Biblioteca Adelphi) ISBN 88-459-1896-3. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1937): Angelici dolori e altri racconti. Milano. Adelphi. 2006. (Fabula, 180) ISBN 88-459-2111-5. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1967): Poveri e semplici. Torino. UTET. 2006. (Collezione Premio strega) ISBN 880207450X. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (2008): Il vento passa. Roma. Empirìa. (Riprese, 8) ISBN 978-88-87450-91-0. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (2010): Mistero doloroso. Unter Mitarbeit von Monica Farnetti. Milano. Adelphi Ed. (Piccola biblioteca Adelphi, 604) ISBN 9788845925245. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria; Farnetti, Monica (1950): L' Infanta sepolta. Bibliogr. A. M. Ortese S. 167 - 170. 1. Aufl. Milano. Adelphi. 2000. (Fabula, 127) ISBN 88-459-1545-X. (WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria; Prunas, Renata (2006): Alla luce del Sud. Lettere a Pasquale Prunas. Milano. Archinto. ISBN 978-88-7768-449-3. (WorldCat-Suche)
Werke (deutsch)
Benni, Stefano; Camilleri, Andrea et al. (2005): Signora, Signorina, 1 Audio-CD. 10 Geschichten über Italiens Frauen. Berlin. Wagenbach. ISBN 9783803140791. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1955): Neapel. Stadt ohne Gnade. Erzählungen. (=Il mare non bagna Napoli) Übersetzung von Charlotte Birnbaum. Berlin, Frankfurt am Main. Fischer. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1988): Die Prinzessin und der Drache. München. Hanser. (Bogen, 24) ISBN 3-446-16942-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1993): Stazione Centrale und andere Mailänder Geschichten. München, Wien. Hanser. ISBN 3-446-14947-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (1997): Die Klage des Distelfinken. Roman. (=Il cardillo addolorato) Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer, 13415) ISBN 3-596-13415-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ortese, Anna Maria (2000): Iguana. Ein romantisches Märchen. (=L' Iguana) Berlin. Wagenbach. (Wagenbachs Taschenbücherei, 372) ISBN 3-8031-2372-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Brunner, Maria E. (2009): Schreiben als Arbeit an der Sprache. Das literarische Werk von Anna Maria Ortese. Würzburg. Königshausen & Neumann. ISBN 9783826041174. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Clerici, Luca (2002): Apparizione e visione. Vita e opere di Anna Maria Ortese. 1. Aufl. Milano. Mondadori. ISBN 88-04-48937-5. (WorldCat-Suche)
Farnetti, Monica (1998): Anna Maria Ortese. Milano. B. Mondadori; Mondadori. (Biblioteca degli scrittori) ISBN 88-424-9476-3. (WorldCat-Suche)
Bildquellen
- Verlag Klaus Wagenbach
- insonnoeinveglia.splinder.com (nicht mehr zu erreichen 2018-03-01)
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