Fembio Specials Europäische Jüdinnen Anna Gmeyner
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Anna Gmeyner
(Geburtsname: Anna Wilhelmine Gmeyner, 1. Ehename: Wiesner, 2. Ehename: Murdoch, Pseudonym: Anna Reiner)
geboren am 16. März 1902 in Wien, Österreich-Ungarn
gestorben am 3. Januar 1991 in York, Großbritannien
österreichisch-britische Schriftstellerin und Übersetzerin
120. Geburtstag am 16. März 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Schon als Kind wollte sie berühmt werden, wollte wissen, wie sie am Wiener Burgtheater ein Stück unterbringen könne, wie sie sich 1933 in der Berliner Zeitung am Mittag erinnern sollte. Für kurze Zeit schien es ihr Anfang der 1930er Jahre auch zu gelingen, aber wie für so viele Schriftstellerinnen in dieser Zeit bedeutete die Machtübernahme der Nationalsozialisten auch für sie das Ende ihrer Karriere als Dramatikerin in Deutschland. Heute ist sie vor allem für ihren seit 1984 wiederholt neu aufgelegter Exilroman Manja. Ein Roman um fünf Kinder bekannt.
Geboren wurde Anna Gmeyner als älteste von drei Schwestern in Wien in einer liberal jüdischen großbürgerlichen Familie. Ihr Vater Rudolf Gmeiner war Jurist, ihre Mutter Luise, geb. Wanek wurde hingegen katholisch erzogen. Für das Theater hatte sie sich bereits früh interessiert, und so schrieb sie schon im zarten Alter von 12 Jahren ihr erstes Theaterstück mit dem Titel Ideal und Wirklichkeit.
1920 begann sie in Wien ein Studium der deutschen und englischen Philologie, das sie jedoch abbrach.
Gegen den Willen ihrer Eltern heiratete sie 1924 den Biologen Berthold P. Wiesner. Ein Jahr später kam ihre Tochter Eva zur Welt, die später als britische Schriftstellerin unter dem Namen Eva Ibbotson mit ihren Kinder- und Jugendbüchern bekannt werden sollte.
Für kurze Zeit ging Anna Gmeyner nach Berlin, wo sie Artikel schrieb, an einer Schule unterrichtete und Kurse für Arbeiterkinder gab. 1926 folgte sie ihrem Mann nach Edinburgh, wo dieser eine Stelle an der Universität angenommen hatte.
Theater
Im gleichen Jahr verfolgte sie den dortigen Bergarbeiterstreik, mit dem mehr als zwei Millionen Bergarbeiter Lohnerhöhungen und den Achtstundentag durchsetzen wollten. Aus ihren Interviews mit diesen Arbeitern entstand später ihr erstes Theaterstück Heer ohne Helden. Darin geht es um die Frauen von Bergarbeitern, die nach einem Grubenunglück in einem kleinen Dorf in Schottland vor dem Tor der Grube warten, um zu erfahren, ob ihre Männer noch am Leben oder verschüttet sind. Die Musik für den Schlusschor des Stückes, das Lied der Bergarbeiter, komponierte Hanns Eisler.
Das Stück wurde 1929 erstmalig in Dresden aufgeführt, ein Jahr später im Wallner-Theater in Berlin.
1927 hatte sich das Ehepaar getrennt, und Gmeyner ging zurück nach Berlin. Dort arbeitete sie bei dem Theaterintendanten Erwin Piscator, der für sein politisches Theater bekannt war, und übersetzte zwei Romane: Martha Ostensos Der Ruf der Wildgänse (1926) und Edna Ferbers Das ist Fanny (1930). Neben diesen Übersetzungen entstanden auch Lieder und Balladen von ihr, die unter anderem von Hanns Eisler und Herbert Rappaport vertont wurden.
Aber sie widmete sich auch weiterhin dem Schreiben von Theaterstücken: Das Drama Welt überfüllt beschäftigt sich mit dem Elend der Arbeitsuchenden zu Beginn der Weltwirtschaftskrise. Eine Aufführung in der damaligen Zeit ist nicht nachweisbar. Erst 2021 wurde es im Verlag der Autoren neu aufgelegt.
In ihrem nächsten Theaterstück Zehn am Fließband (1931) geht es um FabrikarbeiterInnen mit unterschiedlichen sozialem Hintergrund während der Weimarer Republik – von Juden, Kommunisten und Nazis bis hin zu unpolitischen Familienvätern und Arbeiterinnen. Einer von ihnen hat eine Maschine erfunden, durch die die Anzahl der ArbeiterInnen reduziert werden kann. Diese haben verständlicherweise Angst davor, durch diese Rationalisierung ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Das Stück wurde ins Russische übersetzt und 1931 in Russland von der Theatergruppe „Kolonne Links“ aufgeführt.
1932 hatte Gmeyners Drama Automatenbüfett – die Antithese zum Caféhaus – am Hamburger Thalia Theater Premiere; in der Spielzeit 1932/33 wurde es im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin aufgeführt. Bei der Verleihung des Kleist-Preises wurde es 1932 „ehrenvoll erwähnt“, während der Preis selber in diesem Jahr an die Dichterin Else Lasker-Schüler für ihr dichterisches Lebenswerk ging.
Automatenbüffet wurde 1936 unter dem Titel Im Trüben fischen am Schauspielhaus Zürich mit Therese Giehse in der Hauptrolle aufgeführt. Erst seit den 1990er Jahren gibt es wieder mehrere Aufführungen dieses Stückes, so beispielsweise beim Mecklenburgischen Landestheater Parchim, am Wiener Theater in der Josefstadt sowie am Burgtheater.
Anna Gmeyner war also Anfang der 1930er Jahre eine angesehene Bühnenautorin, die zur literarischen Avantgarde gehörte. Diese Karriere fand jedoch – wie für so viele – 1933 ein abruptes Ende.
Film und Exil
Bereits 1932 hatte sie sich einem neuen Arbeitsfeld zugewandt: dem Film. Mit Georg Wilhelm Pabst ging sie nach Paris, wo sie zusammen an dem Film Don Quichotte (Frankreich 1933) arbeiteten. Dort verfasste sie auch das Drehbuch zu dessen Film Du haut en bas (FR 1933, deutscher Titel: Von oben nach unten).
Neben Drehbüchern schrieb sie zu dieser Zeit auch die Erzählung Mary-Ann wartet, die 1934 in der Exilzeitung Pariser Tageblatt veröffentlicht wurde.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb sie in Frankreich, wo sie bei ihrer Arbeit in einem Emigranten-Hilfskomitee den russischstämmigen jüdischen Philosophen Jasha Morduch kennen und lieben lernte, den sie noch in Paris heiratete.
Da er britischer Staatsbürger war, erhielt sie durch diese Ehe auch die britische Nationalität, wodurch sie 1935 problemlos nach Großbritannien ziehen konnten, wo sie anfangs noch Kontakt mit der ExilantInnen-Gemeinschaft hatte, so beispielsweise mit der Schauspielerin Sibylle Binder und dem Regisseur Berthold Viertel. Dessen Überlegungen, ihre Theaterstücke Welt überfüllt und Automatenbüfett zu verfilmen, konnten jedoch nicht umgesetzt werden.
Dennoch gelang ihr über ihn 1936 der Einstieg in das britische Filmgeschäft und zwar als Co-Autorin seines Films The Passing of the Third Floor Back (GB 1935). Lange geplant war die Verfilmung des Dramas Pastor Hall von Ernst Toller (nach dem historischen Vorbild Martin Niemöller). Hiergegen erhob die Zensurbehörde jedoch Einspruch, und der Film konnte erst 1940 verwirklicht werden. Zu dieser Zeit war Anna Gmeyner bereits aufs Land nach Berkshire geflüchtet.
Romane
Noch in London schrieb sie ihr wichtigstes Werk: Manja. Ein Roman um fünf Kinder, der 1938 unter dem Pseudonym Anna Reiner im Exil-Verlag Querido in Amsterdam erschien. Der Roman wurde noch im gleichen Jahr in Deutschland auf die Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt, während er in der Exilpresse gewürdigt wurde. Übersetzungen des Romans erschienen 1939 in London unter dem Titel The Wall, in New York unter Five Destinies auf Englisch (Übersetzung von Philipp Owens) sowie in Amsterdam unter dem Titel Manja (interessanterweise nicht bei Querido, sondern bei De Arbeiderspers in einer Übersetzung von E. Voogd-Pull).
In dem Roman geht es um die Familien von fünf Kindern während der Weimarer Republik, die trotz der unterschiedlichen Familienhintergründe miteinander befreundet sind. Wie Heike Klapdor-Kops in ihrem Nachwort zur Neuauflage feststellt, ergibt dies „so etwas wie ein kritisches und umfassendes Bild der Zeit der Weimarer Republik“.
Erst 1984 erschien dieser Exilroman in Deutschland und zwar als erstes Buch im damals gerade neu gegründeten persona Verlag von Lisette Buchholz. Bis heute wurde er mehrfach nachgedruckt. Inzwischen wurde er auch in Übersetzung wieder neu aufgelegt, so 2010 bei Persephone Books in London und 2015 bei Cossee in Amsterdam.
Das Leben in der Pariser Emigration ist Thema von Gmeyners zweitem Roman Café du Dôme, den sie 1941 auf Deutsch schrieb. Durch die Besetzung der Länder, in denen es Exilverlage gegeben hatte, konnte er nicht mehr auf Deutsch erscheinen, sondern wurde gleich in englischer Übersetzung in London bei Hamish Hamilton unter dem Titel The Coward Heart verlegt, auch jetzt wieder unter ihrem Pseudonym Anna Reiner.
1940 zog sich Anna Gmeyner mit ihrem Mann nach Berkshire im Westen Londons aufs Land zurück. Es war ein Bruch mit ihrem bisherigen Leben. Mehr und mehr vertiefte sie sich in die Religionsphilosophie ihres Mannes. Möglicherweise bot ihr die Mystik Halt im Exil. Erst nach seinem Tod 1950 begann sie wieder zu schreiben. Jetzt veröffentlichte sie ihre auf Englisch geschriebenen Bücher unter dem Namen Anna Morduch. So entstanden Biografien, religiösen Erzählungen und Lyrik. Ihr einziger nachweisbarer Band mit Gedichten ist 2019 unter dem Titel Lied der Bergarbeiter im niederländischen Verlag Kalamos Pers erschienen.
Anna Gmeyner starb am 3. Januar 1991 in einem Altersheim in York.
(Text von 2022)
Verfasserin: Doris Hermanns
Literatur & Quellen
Literatur über Anna Gmeyner:
Buchholz, Lisette: Anna Gmeyner, 1901–1991. In: Germersheimer Übersetzerlexikon. http://www.uelex.de/artiklar/Anna_GMEYNER
Führich, Angelika: Aufbrüche des Weiblichen im Drama der Weimarer Republik: Brecht, Fleisser, Horváth, Gmeyner. Heidelberg, Winter, 1992
Gleichauf, Ingeborg: „Ein frischer Luftzug ist hineingekommen in ein ungelüftetes Schlafzimmer, da macht ihr Geschrei und klebt die Fenster zu“: Anna Gmeyner. In: Ingeborg Gleichauf: Was für ein Schauspiel! Deutschsprachige Dramatikerinnen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Berlin, AvivA, 2003
Hammel, Andrea: Everyday Life as Alternative Space in Exile Writing: the Novels of Anna Gmeyner, Selma Kahn, Hilde Spiel, Martina Wied and Hermynia Zur Mühlen. Oxford, Peter Lang, 2008
Hermanns, Doris: „Und alles ist hier fremd.“ Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Berlin, AvivA, 2022
Holzner, Johann u. a.: Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938-1945. Innsbruck, Institut für Germanistik, 1991. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe; Band 40
Patsch, Sylvia M.: „Und alles ist hier fremd.“ Schreiben im Exil. In: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band: 19. und 20. Jahrhundert. München, C.H. Beck, 1988
Ritchie, J. M.: Anna Gmeyner and the Scottish Connection. In: German Exiles: British Perspectives. New York, Peter Lang, 1997. Exil-Studien. Eine interdisziplinäre Buchreihe; Vol. 6
Schmidt-Ott, Anja C.: Young Love: Negotiations of the Self and Society in Selected German Novels of the 1930s. Frankfurt am Main, Peter Lang, 2002.
Stürzer, Anne: Dramatikerinnen und Zeitstücke. Ein vergessenes Kapitel der Theatergeschichte von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit. Stuttgart, Metzler, 1993
Vietor-Engländer, Deborah: Imagining Austria: Kohlröserl, Alpenglühen und Patisserie – the Vision of the Exiled Children. In: Charmian Brinson, Richard Dove, Jennifer Taylor: “Immortal Austria”? Austrians in Exil in Britain. Amsterdam, Rodopi, 2007
Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945. Band 1. Freiburg i. Br., Kore, 1995. S. 111-113
Werner, Birte: Illusionslos – hoffnungsvoll: die Zeitstücke und Exilromane Anna Gmeyners. Göttingen, Wallstein, 2006
Anna Gmeyner auf http://www.biografia.at/
Anna Gmeyner in der Deutschen National Bibliothek
Anna Gmeyner in der Österreichischen National Bibliothek
Anna Gmeyner in der Internet Movie Data Base
Werke von Anna Gmeyner:
Theaterstücke
Der große und der kleine Klaus. Kinderstück. 1929
Heer ohne Helden. (Regie- und Soufflierbuch) Berlin, Alberti (1930er Jahre)Zehn am Fließband. Drama. 1931
Welt überfüllt. Schauspiel. Frankfurt am Main, Verlag der Autoren, 2021
Automatenbüfett. Ein Spiel in 3 Akten mit Vorspiel und Nachspiel. Berlin, Arcadia Verlag, 1932. Neuauflagen: Lübeck, Theater Lübeck, 2021 und unter dem Titel Automatenbüfett/Welt überfüllt. Zwei Theaterstücke. Frankfurt am Main, Verlag der Autoren, 2022
Drehbücher
Kameradschaft (Filmscript zusammen mit Peter Martin Lampel, Karl Otten, Georg W. Pabst, Gerbert Rappaport, Ladislao Vajda) Berlin, 1931
Don Quichotte (FR 1933)
Du haut en bas (FR 1933) Deutscher Titel: Von oben nach unten
The Passing of the Third Floor Back (GB 1935)
Pastor Hall (GB 1940)
Romane
Mary-Ann wartet. In: Moderne Welt. Almanach der Dame (Österreich) 1933 in Fortsetzungen und in: Pariser Tageblatt vom 11. bis 25. Januar 1934
Manja. Ein Roman um fünf Kinder. Unter dem Namen Anna Reiner: Amsterdam, Querido, 1938. Neuauflage unter dem Namen Anna Gmeyner: Mannheim, Persona, 1984. Mit einem Nachwort von Heike Klapdor-Kops
Café du Dôme. Translated from the German by Trevor & Phyllis Blewitt. London, Hamish Hamilton, 1941. Neuauflage: Hrsg. von Birte Werner. Mit Beiträgen von Birte Werner und Deborah J. Vietor-Engländer. Translation from the German by Trevor & Phyllis Blewitt. Bern, Peter Lang, 2006
Lyrik
Lied der Bergarbeiter. | (Gedichte) Zeerijp, Kalamos Pers, 2019 |
Unter dem Namen Anna Morduch:
In Her Own Image. London, Collins, 1985. Deutsche Übersetzung: In ihrem Schatten. Übersetzung: Stefanie Kovacic. Wien, Zsolnay, 1986. Neuauflage: Reinbek, Rowohlt, 1989
The Death and Life of Julian. London, Regency Press, 1960
A Jar Laden with Water. Six Stories. London, Peter Davies, 1961
No Screen for the Dying. London, Regency Press, 1965
The Sovereign Adventure: the Grail of Mankind. N/p, Greenwood, Attic, 1971
Übersetzungen von Anna Gmeyner:
Ferber, Edna: Das ist Fanny. Roman. Übersetzung: A. Wiesner-Gmeyner. Hamburg, Gebr. Enoch, 1930
Ostenso, Martha: Der Ruf der Wildgänse. Übersetzung: A. Wiesner-Gmeyner. Wien, Rikola, 1926
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