Fembio Specials Europäische Jüdinnen Alma Rosé
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Alma Rosé
(Alma Maria Rosé [Geburtsname], Alma Příhoda-Rosé [1. Ehename], Alma van Leeuwen Boomkamp-Rosé [2. Ehename])
geboren am 3. November 1906 in Wien
gestorben am 5. April 1944 in Auschwitz
österreichische Violinistin, Leiterin der „Wiener Walzermädeln“ und zeitweilige Leiterin des Frauenorchesters in Auschwitz
80. Todestag am 5. April 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Alma Rosé stammte aus einer sehr bekannten Wiener Musiker-Familie: Ihr Vater war der Geiger Arnold Rosé, der erste Konzertmeister der Wiener Hofoper und der Wiener Phil-harmoniker, sowie Leiter des berühmten Rosé-Quartetts, ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter Justine, war der Komponist Gustav Mahler, ihre Tante die Komponistin und Musikschriftstellerin Alma Mahler , nach der sie benannt wurde.
Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits waren ihre Vorfahren Juden. Zwar hatten die Eltern sich christlich taufen lassen, die Kirche war für sie aber nicht von Bedeutung. Der Glaubensübertritt war für sie nur Mittel zum Zweck, da „Ungetauften“ Anstellungen verweigert wurden. Alma Rosé wie auch ihr Bruder Alfred wurden protestantisch getauft.
Schon vor ihrem sechsten Lebensjahr wusste Alma Rosé, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollte. Täglich bekam sie Unterricht von ihm, noch vor dem Frühstück. Sie galt als musikalisch talentiert, lernte auch Klavierspielen und spielte zeitweilig vierhändig mit ihrem Bruder. Sie hatte nur ein einziges Ziel: Sie wollte eine Geigerin werden, die ihres Vaters würdig war. Eine normale Kindheit war ihr dadurch nicht möglich, sie musste sich von Spiel und Sport fernhalten, und ihr Vater brachte ihr bei, ihre Hände um jeden Preis zu schützen. Noch vor ihrem 13. Geburtstag wurde sie von der Schule genommen, um sich auf das Wiener Konservatorium vorzubereiten.
Ihr Debüt als Solistin hatte Alma Rosé im Kurhaus in Bad Ischl im Juni 1922, ihr Wiener Debüt kurz nach ihrem 20. Geburtstag 1926. Sie spielte dort mit ihrem Vater das Doppelkonzert von Bach. Damit ging für sie ein Traum in Erfüllung, aber die Erwartungen waren hoch und sie war sehr nervös, so dass sie eher zaghaft spielte. Die Kritiken fielen dann auch nicht besonders gut aus. Eine spätere Aufnahme des Doppelkonzerts von Bach mit ihrem Vater ist die einzige bekannte Tonaufnahme von ihr.
Ihr Ziel war die Unabhängigkeit als Geigenvirtusosin, und sie lehnte denn auch alle Angebote von Quartetten ab. Sie trat als Solistin bei diversen Veranstaltungen auf, wobei sie immer wieder mit ihrem Vater verglichen wurde, aber es wurde auf Dauer durchaus festgestellt, dass sie ungewöhnliche Fortschritte machte.
Ende der 1920er Jahre lernte sie den tschechischen Star-Geiger Váša Příhoda kennen, den sie im September 1930 heiratete. Sie zogen in die für sie erbaute Villa in Zariby an der Elbe, waren aber beide viel auf Reisen. Anfangs begleitete sie ihn noch häufig, aber bald schon gingen beide ihre eigenen Wege. Die Ehe wurde 1936 geschieden. Aber schon lange vorher zog es Alma Rosé wieder zurück nach Wien, wo sie die “Wiener Walzermädeln” gründete, ein Frauen-Tourneeorchester mit Operetten, Polka- und Walzerrepertoire. Ihr erster Auftritt in Wien war Anfang 1933, und anschließend traten sie europaweit auf. Bei jedem Aufritt gab es mindestens ein Solostück für sie, die ab 1934 wieder unter dem Namen Alma Rosé auftrat. Sie genoss ihr Leben als Musikerin in vollen Zügen. Außer diesem gab es zu der Zeit nur noch zwei andere Frauen-Tourneeorchester, eins in Deutschland und eins in Ungarn. Manchmal hatten die “Wiener Walzermädeln” Auftritte in Varieté-Programmen, auf Tourneen traten sie z.B. auch im Programm von Yvette Guilbert, Joseph Schmidt und Vera Schwarz auf.
Während ihr Bruder bereits nach Arbeitsmöglichkeiten im Ausland Ausschau hielt, da langsam deutlich wurde, was Juden – und nach deutschen Maßstäben galten die Rosés als Juden – zu erwarten hatten, ging Alma Rosé noch 1934/35 mit ihrem Orchester auf Tournee durch die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen. Sie wollte nicht aus Europa weg und glaubte in Wien und Prag alles zu haben, was sie brauchte. Für ihre Karriere hielt sie europäische Verhältnisse für unabdingbar. Außerdem wollte sie ihre Eltern nicht im Stich lassen. Da ihre Mutter schwer krank war, plante sie allerdings nur noch Tourneen in Nachbarländer wie die Schweiz und die Tschechoslowakei.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 setzte auch dort der Terror gegen die jüdische Bevölkerung ein. Da die Partei darüber bestimmte, welche Musik im Reich akzeptabel war und wer sie spielen durfte, wurden alle drei Rosés ihrer Karriere und damit ihres Lebensunterhaltes beraubt. Kurz nach dem Tod der Mutter gelang es dem Bruder mit seiner Frau ein Affidavit für die USA zu erhalten, während die Schwester beim Vater blieb. Sie lebte zu dieser Zeit in einer Liebesbeziehung mit Heinrich Salzer, dem Sohn des Wiener Eigentümers des Carl Ueberreuter Verlags. Zusammen mit ihm und ihrem Vater gelang es Alma Rosé im letzten Moment nach London zu fliehen. Salzer blieb allerdings nicht lange, als Deutscher konnte er in England keine Arbeit bekommen, und so ging er schließlich wieder zurück nach Wien.
Ab Ende 1939 gab es erste Engagements des in England neu gegründeten Rosé-Quartetts, und Alma Rosé war froh darüber, als zweite Geigerin mit musizieren zu können. Ihre Aufenthaltsgenehmigung gestattete ihr nur diese Auftritte mit dem Quartett, aber keine als Solistin, wonach sie sich sehnte. Eine erweiterte Arbeitsgenehmigung wurde ihr nicht zugestanden, da es in London zu dieser Zeit bereits unzählige arbeitslose MusikerInnen aus dem In- und Ausland gab. Daher ergriff sie die Chance, in die Niederlande zu gehen, als sie ein Angebot aus Den Haag erhielt. Sie stellte aber sicher, dass sie England für fünf Monate verlassen und danach wieder einreisen durfte.
In den Niederlanden traf sie alte Freunde und Freundinnen wieder und bekam immer wieder neue Angebote. Mit dem dort verdienten Geld konnte sie ihren Vater unterstützen, was ihr sehr wichtig war. Aufgrund ihrer anhaltenden Erfolge verschob sie ihre Rückkehr nach England immer wieder. Sie leitete sogar ein kleines Ensemble auf einer mehrmonatigen Tournee durch das Land. Sie fühlte sich wohl in den Niederlanden, hoffte wohl auch, dass das Land wie im Ersten Weltkrieg neutral bleiben würde. Ihre zahlreichen Arbeitsmöglichkeiten beflügelten sie. Aber nach der deutschen Besetzung der Niederlande saß sie, kurz bevor sie nach England zurückkehren wollte, plötzlich in der Falle, sie konnte das Land nicht mehr verlassen. Öffentliche Auftritte von Juden wurden zwar umgehend verboten, aber sie konnte sich mit Hauskonzerten finanziell über Wasser halten und wohnte weiterhin bei FreundInnen in Utrecht. Sie erhoffte sich mehr Sicherheit in ihrer Situation durch eine Scheinehe mit dem Medizinstudenten Constant August van Leeuwen Boonkamp. Aber sie wurde 1942 aufgegriffen und konnte nur durch das Eingreifen ihrer Freundin Marie Anne Tellegen, die eine wichtige Rolle in der niederländischen Widerstandsbewegung spielte, wieder frei kommen. Es war zu dieser Zeit vor allem ihre Geige und die Musik, die sie durchhalten ließen. Aber es gab auch eine neue Liebe, Leonard Jonkers, ein Arzt und Cellist, mit dem sie in einem Quartett zusammen spielte. Trotz Reisebeschränkungen hatte sie durchschnittlich drei Hauskonzerte pro Woche.
Alma Rosé entschied sich bewusst, nicht unterzutauchen, obwohl ihr dies mehrfach von FreundInnen angeboten worden war. Sie ging davon aus, den Stress nicht ertragen zu können, im Verborgenen zu leben, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Aber sie wollte auch nicht, dass ihre FreundInnen ihretwegen Risiken eingingen, die sie hätten in Gefahr bringen können. So blieb ihr nach dem Aufruf, sich im Durchgangslager Westerbork zu melden, nur die Möglichkeit der Flucht. Sie wollte versuchen, in die Schweiz zu gelangen; die Fluchtroute war von ihrer Freundin Marie Anne Tellegen geplant worden. Im Dezember 1942 machte sie sich mit einem anderen Flüchtling auf den Weg, wurde jedoch in Frankreich aufgegriffen und im Januar 1943 ins Internierungslager in Drancy gebracht und von dort aus im Juli nach Auschwitz.
In Auschwitz kam sie in Block 10, den berüchtigten Block, in dem medizinische Experimente mit Menschen gemacht wurden. Den sicheren Tod vor Augen, bat sie eine der Aufseherinnen um eine letzte Gnade: ein letztes Mal Geige spielen zu dürfen. Es war ihre Rettung, denn selbst die SS sah Alma Rosés Talent als zu wertvoll an, um in Experimenten vergeudet zu werden.
Es gab zu dieser Zeit bereits ein Frauenorchester in Birkenau, das aber sehr zusammengewürfelt war (es waren Frauen dabei, die kaum ein Instrument spielen konnten), und dessen Überleben von einer schnellen Änderung der Situation abhing. Die Ankunft der bekannten Violinistin hatte sich schnell herumgesprochen, und es war deutlich, dass das Orchester - und somit die Frauen - bessere Überlebenschancen hatten, wenn es von einer professionellen Musikerin geleitet wurde. Alma Rosé übernahm die Leitung von Zofia Czajkowska und wurde seither von allen bedingungslos respektiert. Wie sich Helen „Zippy“ Spitzer Tichauer erinnert: „Kein Dirigent dieser Welt ist je mit einer derartigen Aufgabe konfrontiert gewesen. Almas Aufgabe bestand darin, sozusagen mit bloßen Händen aus nacktem Fels eine Skulptur zu machen.“
Das Orchester, das Ende Mai 1943 mit 15 Frauen angefangen hatte, bestand später aus bis zu 50 Frauen, die die unterschiedlichsten Instrumente spielten. Sie hatten eine eigene Baracke, Block 12. Es war offiziell ein Arbeitskommando und hatte keine weiteren Pflichten als zu musizieren. Wie die Cellistin des Orchesters, Anita Lasker-Wallfisch, einmal sagte, war das Orchester für sie wie eine Familie und bot einen letzten Halt an Würde in diesem System der Entwürdigung.
Im Schatten der Gaskammern war es Aufgabe des Orchesters, „Lagerkapelle“ genannt, am Tor für die ein- bzw. ausmarschierenden Arbeitskommandos zu spielen. Sie gaben aber auch Konzerte im Freien und mussten jederzeit bereit sein, Privatkonzerte für SS-Leute zu geben bzw. für sie zu spielen, wenn sie in ihren Block kamen. Die übrige Zeit verbrachten sie damit, die vorhandenen Noten umzuschreiben. Meist waren es Klavierpartituren, Alma Rosé übernahm dabei die Arbeit der Orchestrierung.
Während andere Frauen des Orchesters, wie z.B. die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch und die Akkordeonistin Esther Bejarano, das Konzentrationslager überlebten, starb Alma Rosé am 5. April 1944 an den Folgen einer ungeklärten Erkrankung.
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
„Alma Rosé war im wahrsten Sinne die Leiterin unseres Orchesters. Sie zog uns alle in den Bann ihres Wahns, aus dem Repertoire, das wir spielten, etwas Perfektes zu machen. Wer von uns überlebte, verdankte es ihr. Sie war eine stolze Frau – würdevoll und unnahbar.“
„Das „Orchester“, mit dem sie im Lager konfrontiert war, sollte man auch nicht „Das Mädchenorchester von Auschwitz“ nennen – Titel des Buches von Fania Fénelon. Natürlich waren wir vorwiegend jung, sonst wären wir nicht als „arbeitsfähig“ ins Lager hereingelassen worden. Zum Aussortieren hatte man ja die Gaskammern. Die Altersunterschiede waren jedoch relativ groß. Die Jüngsten waren Yvette, 15, und la grande Hélène, 16 Jahre alt, und die Ältesten waren so um die 40. Ein genaues Alter kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit angeben. Jedenfalls war es kein „Schulorchester“.“ (Anita Lasker-Wallfisch im Vorwort von: Richard Newman mit Karen Kirtley: Alma Rosé: Wien 1906/Auschwitz 1944. Bonn 2003, Weidle Verlag)
Literatur & Quellen
Lasker-Wallfisch, Anita: Ihr sollt die Wahrheit erben. Breslau – Auschwitz – Bergen-Belsen. Bonn 1997. Weidle Verlag
Newman, Richard mit Karen Kirtley: Alma Rosé: Wien 1906/Auschwitz 1944. Bonn 2003, Weidle Verlag
Petersen, Peter und die Arbeitsgruppe Exilmusik. Hg. 2000. Lebenswege von Musikerinnen im “Dritten Reich” und im Exil. Hamburg. Bockel Verlag.
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