Fembio Specials Frauen aus Russland Alja Rachmanowa
Fembio Special: Frauen aus Russland
Alja Rachmanowa
Geboren am 27. Juni 1898 in Ufa (Ural)
Gestorben am 11. Februar 1991 in Ettenhausen-Aadorf (Thurgau)
Russisch-österreichische Schriftstellerin
125. Geburtstag am 27. Juni 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„Rund um mich her richtete ich meinen Blick, und meine Seele ward angefüllt vom Leid der Menschen.“ Nicht umsonst steht dieser Spruch Radischtschews aus dem 18. Jahrhundert als Motto in Rachmanowas Buch Ehen im roten Sturm: er charakterisiert sie selber. Aus einer tiefen Religiosität heraus bewahrt sie sich in den verzweifeltsten Situationen Mut und Lebenswillen und findet noch die Kraft, anderen Trost und Hilfe zu spenden. Unverdrossen glaubt sie an das Gute im Menschen, blinder Hass und Grausamkeit sind ihr fremd und unverständlich.
In Studenten, Liebe, Tscheka und Tod schildert Rachmanowa, wie die geordnete Welt ihrer behüteten, großbürgerlichen Kindheit und Jugend in der russischen Revolution unaufhaltsam zerbricht. Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, willkürliche Exekutionen, Hunger, Armut und eine unaufhörliche Angst sind nun an der Tagesordnung. Mit den Eltern und den beiden jüngeren Schwestern flüchtet Rachmanowa vor den Bolschewisten nach Sibirien, wo sie äußerst primitiv in einer Waggonstadt wohnen. Trotz aller Bedrohungen schafft sie es, ihr Studium der Literaturwissenschaft und Psychologie erfolgreich zu beenden.
1921 heiratet sie den ehemaligen österreichischen Kriegsgefangenen Arnulf von Hoyer, der aus Liebe zu ihr in Russland blieb; bald darauf kommt ihr Sohn zur Welt. Immer in der Angst vor „Säuberungen“, arbeiten beide an der Universität, bis sie 1925 ohne Angabe von Gründen ausgewiesen werden und mittellos in Wien ankommen. Kein Studienabschluss aus Russland wird anerkannt; es ist Rachmanowa, die mit einem Michgeschäft mühevoll ihrem Mann die Promotion ermöglicht und die Familie erhält.
Nun ist unser Kind tot, weil es in einer Welt sein musste, in der Hass stärker ist als die Liebe… Mit unserem Sohn sind Millionen von blühenden, hoffnungsvollen Menschenleben vernichtet worden, mit uns weinen Millionen von Müttern und Vätern… Gibt es für sie einen Trost? – Vielleicht! Aber nur dann, wenn die Opfer, die sie gebracht haben, von der Menschheit in dem Sinne aufgenommen werden, in dem dieses Buch geschrieben ist: Es darf keinen Hass, es darf nur Liebe geben!
(Alja Rachmanowa, Vorwort zu Einer von Vielen. Das Leben Jurkas)
In Milchfrau in Ottakring beschreibt sie auch die Vorurteile, die ihr als Fremde entgegenschlagen, und wie sie sich schließlich durchsetzen kann. Sehr vermisst sie ihre Heimat und die eigene wissenschaftliche Arbeit. Auch als 1927 ihr Mann eine Stelle als Lehrer in Salzburg antritt, ist die erst Zeit von Armut gekennzeichnet. Erst mit der Veröffentlichung ihrer tagebuchartigen Aufzeichnungen geht es finanziell aufwärts. Ihre verstehende Liebe und ihr Vorbild einer eigenen inneren Stärke, die niemals aufgibt, machen neben der ausdrucksvollen Sprache und der Authentizität den Zauber und Erfolg ihrer Bücher aus.
Nie verwindet Rachmanowa, dass im Frühjahr 1945 der über alles geliebte Sohn Jurka fällt, dem sie in Einer von Vielen ein ergreifendes Denkmal setzt. Aus Angst vor den Russen flüchtet sie mit ihrem Mann in die Schweiz, wo sie zurückgezogen lebt und zahlreiche Biographien russischer DichterInnen und MusikerInnen verfasst, bis sie nach einem Schlaganfall fast erblindet ist.
(Text von 1997)
Verfasserin: Adriane von Hoop
Literatur & Quellen
Rachmanowa, Alja. 1946. Einer von vielen. 2 Bde. Zürich. Rascher.
Rachmanowa, Alja. 1981a [1931]. Studenten, Liebe, Tscheka und Tod: Tagebuch einer russischen Studentin. Übs. aus dem Russ. Arnulf von Hoyer. Bergisch-Gladbach. Bastei-Lübbe TB 10134.
Rachmanowa, Alja. 1981b [1931]. Ehen im roten Sturm: Tagebuch einer russischen Frau. Übs. aus dem Russ. Arnulf von Hoyer. Bergisch-Gladbach. Bastei-Lübbe TB 10136.
Rachmanowa, Alja. 1982 [1933]. Milchfrau in Ottakring: Das bewegende Schicksal einer russischen Frau. Übs. aus dem Russ. Arnulf von Hoyer. Bergisch-Gladbach. Bastei-Lübbe TB 10158.
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