Fembio Specials Berühmte Schwestern berühmter Frauen / Berühmte Schwestern Alice Berend
Fembio Special: Berühmte Schwestern berühmter Frauen / Berühmte Schwestern
Alice Berend
(gesch. Jönsson, verh. Breinlinger, Pseud. A(lice) Hertz)
geboren am 30. Juni 1875 in Berlin
gestorben am 2. April 1938 in Florenz, Italien
deutsche Schriftstellerin
85. Todestag am 2. April 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ihre Romane, die im renommierten S. Fischer Verlag erschienen, hatten zwischen 1900 und 1933 enorme Auflagen, „sie war wer“, wie Peter Härtling in seinem Nachwort zur Neuauflage ihres Romans „Spreemann & Co.“ schrieb – aber wie für so viele andere auch bedeutete das Exil für sie, dass ihre Bücher für lange Zeit in Vergessenheit gerieten. Erst die Neuauflagen seit 1998 im Berliner AvivA Verlag machten wieder auf sie aufmerksam.
Alice Berend wurde am 30. Juni 1875 als Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie in Berlin geboren. Ihre jüngere Schwester war die Malerin Charlotte Berend, in deren Schatten sie als Kind stand, da diese der strahlende Mittelpunkt der Familie war. Sie war allerdings der erklärte Liebling ihrer Großmutter. Auch wenn sie aus einer jüdischen Familie stammte, wurde sie evangelisch getauft. Ihr Vater, ein Fabrikant, liebte die Geselligkeit und war großzügig und charmant; ihre Mutter, eine Bankierstochter, war eher das Gegenteil, sie wird als „Hausdrache“ und „Musterhausfrau“ beschrieben. Der Vater setzte der Sparsamkeit der Mutter hinsichtlich der Töchter Grenzen, da er nicht wollte, dass sie ausgelacht würden. Aber das Sparen an Bildung und Kultur blieb selbstverständlich, da sie nicht als wichtig galten.
Schon früh las Alice Berend jedoch viel und entdeckte ihre Liebe zur Literatur. In beiden Schwestern entstand der Wunsch, sich von der traditionellen Frauenrolle und der bürgerlichen Familie zu emanzipieren: „Was es uns kostet aus dieser Philister-Familie auszubrechen! Wenn wir doch in einer Atmosphäre wie Fontanes geboren wären; da könnten wir schon auf einer vorhandenen Basis von Künstlertum aufbauen.“ (El-Akramy: Die Schwestern Berend)
In den 1890er Jahren erschienen erste Artikel über das Theaterleben im Berliner Tageblatt. Auch schrieb sie die beiden Theaterstücke Allerlei Poeterei und Neues Kinder-Theater. Diese wurden im Kindertheater im Berliner Künstlerhaus inszeniert, ihre Schwester übernahm nicht nur eine kleine Rolle in einer der Aufführungen, sondern malte auch die Kulissen. Mit Richard Valentin zusammen schrieb Alice Berend Kasperltheater, das 1901 im Künstlerhaus aufgeführt wurde. Das Berliner Theaterleben zu dieser Zeit bildet auch die Grundlage für ihren ersten Roman „Dore Brandt“, der 2001 neu aufgelegt wurde.
Nachdem ihre beiden früheren Lieben, der Theaterregisseur Max Reinhardt und der Maler Lovis Corinth, der später ihre Schwester heiratete, sich von ihr abgewandt hatten, heiratete sie im Sommer 1904 in London den unbekannten schwedischen Schriftsteller John Jönsson. Sie lebten anfangs in Berlin, bis sie 1906 nach Florenz umzogen. Möglicherweise hat ein offener Streit bei der Taufe ihres Sohnes Nils-Peter, der zum Bruch der beiden Schwestern führte, zu dieser Entscheidung beigetragen.
Ihr erster Roman verkaufte sich nur mäßig, jedoch gelang ihr mit dem in Florenz geschriebenen „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“ der Durchbruch; der folgende Roman „Frau Hempels Tochter“ wurde ein noch größerer Erfolg. Als nächstes erschien „Die Bräutigame der Babette Bomberling“, ihr heute wohl bekanntester Roman, der mehrfach neu aufgelegt wurde, zuletzt 2012 bei AvivA. Es folgten jährlich neue Romane, mit denen sie eine Spitzenstellung im Programm des S. Fischer Verlages einnahm und die sie in wenigen Jahren zu einer der meistgelesenen Unterhaltungsautorinnen Deutschlands machten. Sie wurde „die kleine Fontane“ genannt, von der ernsthaften Kritik wahrgenommen und für ihre klare Sprache und ihren Humor gelobt. Ihre Romane handeln größtenteils vom Berliner Kleinbürgertum und sind von großem Detailreichtum geprägt. Wie Peter Härtling schreibt: „Denn schreiben konnte diese Frau. Hier gibt es keine Stilblüten, keine durch Sentimentalität aufgeweichten Sätze, keine falsche Gemütlichkeit. Die Sprache ist knapp, bleibt bei der Sache, der Person. Sie charakterisiert unmißverständlich und anschaulich.“
Der Erfolg sicherte ihr ein relativ sorgenfreies Leben im Süden; sie musste von ihrem Einkommen allerdings auch die ganze Familie versorgen, 1909 hatte sie ihre Tochter Carlotta geboren. Äußere Zeichen ihres neuerlangten Wohlstandes waren die Stadtwohnung in Florenz und das Ferienhaus am Gardasee. Zahlreiche Reisen führten sie u. a. nach Dänemark, Schweden und England.
Als 1915 die Hetze gegen „feindliche Ausländer“ in Italien stärker wurde, zog die Familie erst zurück nach Berlin, im Winter 1919/20 dann an den Bodensee nach Konstanz. Zu dieser Zeit zerbrach ihre Ehe, und sie lernte ihren zweiten Ehemann, den Maler Hans Breinlinger kennen. Sie reisten viel und gingen zusammen 1924 nach Berlin, wo sie ihn in die dortigen Künstlerkreise einführte.
Als das Berliner Tageblatt 1928 eine „Dichterstafette auf dem Autobus“ veranstaltete, war Alice Berend die einzige Frau, die dazu eingeladen wurde - neben anderen renommierten Autoren und Kritikern wie Alfred Polgar, Alfred Döblin und Arnold Zweig. Alle sollten etwas über einen Streckenabschnitt zwischen dem Brandenburger Tor und Halensee schreiben. Alice Berend entschied sich für den lebhaften Einkaufsboulevard an der Tauentzienstraße, wo Glanz und Elend dicht nebeneinanderlagen.
1931 fand die Einweihung ihres neuen Hauses in Berlin-Zehlendorf statt. Dort betrieb sie einen kleinen Salon, zu dem u. a. ihre langjährige Freundin, die Schriftstellerin Elisabeth Castonier gehörte, wie auch die Schriftstellerinnen Elisabeth Langgässer und Ilse Langner. Im gleichen Jahr gehörte sie zur Jury für den Literaturpreis, den der Verband Deutscher Staatsbürgerinnen vergibt.
Im März 1933, kurz nach der Machtergreifung der Nazis und der Premiere des Films „Ich will Dich Liebe lehren“ (nach ihrem 1930 erschienenen Roman „Herr Fünf“), zu dem sie das Drehbuch geschrieben hatte, kam sie auf die Liste „undeutschen Schrifttums“, d. h. ihre Bücher wurden verboten. Bis 1935 konnte sie noch in Berlin bleiben, veröffentlichen konnte sie zu dieser Zeit allerdings nur noch zwei Bücher in der Schweiz bzw. Tschechien. Breinlinger ließ sich von ihr scheiden „und übernahm ihr Vermögen, darunter die von ihr erschriebene Villa in Berlin-Zehlendorf“ (Heimberg). Berend zog mit ihrer Tochter nach Italien. Dort ließ sie sich 1936 vom Bischof von Florenz taufen. In der Baseler Nationalzeitung erschien noch „Ein Spießbürger erobert die Welt“ von ihr in Fortsetzungen, so dass sie wenigstens ein kleines Einkommen hatte.
Letztendlich verließ sie jedoch jeglicher Lebensmut durch Armut und Krankheit. “Von ihren Einkünften völlig abgeschnitten” (Heimberg), verarmt und vergessen starb sie am 2. April 1938 in Florenz, wo sie auf dem Friedhof Allori begraben wurde.
Aber wie ihre Herausgeberin Britta Jürgs in ihrem Nachwort zur Neuauflage von „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ schreibt: „Eins ist sicher: Alice Berends Witz hat auch mehr als achtzig Jahre nach Erscheinen ihrer Bücher nicht an Kraft verloren, wodurch ihre pointenreichen, ironischen Romane immer noch ungeheuer aktuell wirken.“
In Berlin-Tiergarten ist eine Straße nach ihr benannt, das „Schreiberhäusle“, in dem sie in Konstanz lebte, steht heute unter Denkmalschutz.
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
Alice Berend hat wissentlich für ein großes Publikum unterhaltsame Geschichten geschrieben. Es ist ihr gelungen, ohne dabei trivial zu werden. Und das hat mit Literatur zu tun.“ „Ihre Helden haben Münchhausen-Format, sind Märchengestalten des frühen Industriezeitalters. Sie ziehen sich an ihrem eigenen Schopfe aus dem Sumpf der Wirklichkeit.
(Peter Härtling)
Links
Alice Berend in der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur & Quellen
Werke von Alice Berend
Dore Brandt. Ein Berliner Roman. Berlin, Schlesische Verlagsanstalt, 1909. Neuauflage: 1922 und unter dem Titel: Dore Brandt. Ein Berliner Theaterroman. Berlin, AvivA, 2001, mit einem Nachwort von Britta Jürgs
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel. Roman. Berlin, S. Fischer, 1912 und 1927. Neuauflagen: München, Goldmann,1956 und Paderborn, Salzwasser, 2012
Frau Hempels Tochter. Roman. Berlin, S. Fischer, 1913. Neuauflage: München, Goldmann, 1955. Neuauflage: Paderborn, Salzwasser, 2012
Die Bräutigame der Babette Bomberling. Roman. Berlin, S. Fischer, 1915. Neuauflagen: Berlin, S. Fischer, 1922 (illustrierte Ausgabe), Baden-Baden, Keppler, 1952, München, Goldmann, 1954, Hamburg, Rütten & Loening, 1960, Gütersloh, Bertelsmann Lesering, 1961, Berlin, AvivA 1998 und 2012, hg. und mit einem Nachwort von Britta Jürgs
Spreemann & Co. Roman. Berlin, S. Fischer 1916. Neuauflagen: Baden-Baden, Keppler, 1950, München, Goldmann, 1955, Frankfurt a.M., S. Fischer, 1976 und Paderborn, Salzwasser, 2012
Die zu Kittelsrode. Roman. München 1917. Neuauflage: Leipzig, Grethlein & Co., 1929
Matthias Senfs Verlöbnis. Roman. München, Langen, 1918. Neuauflage: Berlin, S. Fischer, 1929
Der Glückspilz. Roman. München, Langen, 1919
Einfache Herzen. Kurzgeschichten. Leipzig-Gaschwitz, Dürr-Weber, 1919
Jungfer Bienchen und die Junggesellen. Roman. München, Langen, 1920
Muhme Rehlen. Ein Märchenbuch. Mit Federzeichnungen von G.W. Rößner. Köln a.R., H. Schaffstein, 1921
Bruders Bekenntnis. Roman. München, A. Langen, 1922. Neuauflage: Paderborn, Salzwasser, 2012
Der Floh und der Geiger. Roman. München, A. Langen, 1923
Betrachtungen eines Spießbürgers. München, A. Langen, 1924. Neuauflage unter dem Titel Spießbürger Zürich, Humanitas, 1938
Kleine Umwege. Novellen. Leipzig, Reclam jun., 1924
Der Schlangenmensch. Roman. Berlin, S. Fischer, 1925
Die Geschichte der Arche Noah. Kinderbildbuch. Mit Bildern von E.B. Smith. Berlin. D. Reimer, 1925
Das verbrannte Bett. Roman. Berlin, S. Fischer, 1926. Neuauflage: Paderborn, Salzwasser, 2012
Fräulein Betty, die Witwe. Roman. Berlin-Zehlendorf, Rembrandt, 1926
Die goldene Traube. Roman. Berlin, S. Fischer, 1927
Der Herr Direktor. Roman. Berlin, S. Fischer, 1928. Neuauflage: Berlin, AvivA, 1999, mit einem Nachwort von Britta Jürgs
Ti von Brinken. Roman. Berlin, Deutsche Buchgemeinschaft, 1928
Die kleine Perle. Ein Märchen-Bilderbuch. Mit Bildern von Karl Mühlmeister. Stuttgart, Union, 1929
Herr Fünf. Roman. Berlin, S. Fischer, 1930
Rumpelstilzchen. Ein Märchenspiel in 5 Bildern mit Gesang und Tanz. Wien, Eirich, ca. 1930 (unverkäufliches Manuskript)
Das Gastspiel. Roman. Berlin, S. Fischer, 1931
Der Kapitän vom Bodensee. Roman. Mit Illustrationen von B.F. Dolbin. Berlin, S. Fischer, 1932
Zwei Kinder fahren den Rhein hinab. Erzählung für die Jugend. Mit Illustrationen von Gertrud Colsman. Stuttgart, Herold, 1934
Rücksicht auf Marta. Roman. Zürich, Rascher, 1934
Ein Hundeleben. Die Geschichte eines Dobermans. Leipzig, Kittl, 1935. Neuauflage: Baden-Baden, Keppler, 1950, München, Goldmann, 1954
Die gute alte Zeit. Bürger und Spießbürger im 19. Jahrhundert. Herausgegeben aus dem Nachlass. Hamburg, von Schröder, 1962. Gekürzte Auflage: München, List, 1966. Neuauflage: Paderborn, Salzwasser, 2012
Literatur über Alice Berend
Budke, Petra und Jutta Schulze: Schriftstellerinnen in Berlin 1871 bis 1945. Ein Lexikon zu Leben und Werk. Der andere Blick: Frauenstudien in Wissenschaft & Kunst. Berlin, Orlanda, 1995
El-Akramy, Ursula: Die Schwestern Berend. Geschichte einer Berliner Familie. Hamburg, Europäische Verlagsanstalt, 2002
Heimberg, Anke. 2001. “Fontanes Schülerin? Wiederzuentdecken: die deutsch-jüdische Romanschriftstellerin Alice Berend”. Online: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3869
Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945. Freiburg i.B., Kore, 1995
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