Fembio Specials Europäische Jüdinnen Aletta Henriëtte Jacobs
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Aletta Henriëtte Jacobs
geboren am 9. Februar 1854 in Sappemeer, Niederlande
gestorben am 10. August 1929 in Baarn, Niederlande
niederländische Ärztin, Feministin, Politikerin und Pazifistin
95. Todestag am 10. August 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Aletta Jacobs war zu Lebzeiten die wichtigste Feministin der Niederlande und ist dies bis heute geblieben. Sie ist prominent, weil sie sich ihr Leben lang beharrlich für die Gleichberechtigung von Frau und Mann eingesetzt hat, insbesondere für Frauengesundheit und das Frauenwahlrecht.
Aletta wuchs in einer liberal jüdischen Familie mit elf Kindern auf. Ihre Mutter Anna de Jongh war Hausfrau. Ihr Vater Abraham Jacobs war Landarzt in Sappemeer in der Nähe von Groningen. Von klein an begleitete Aletta ihn, wenn er PatientInnen besuchte. Er unterstützte ihren Plan, auch Ärztin zu werden – allerdings hatten Mädchen in den Niederlanden noch nicht einmal Zugang zur allgemeinbildenden weiterführenden Schule, geschweige denn zur Universität. Dank Levi Ali Cohen, Arzt und Freund ihres Vaters, war die Familie Jacobs jedoch gut informiert. Als 1870 Mädchen die Zulassung zur Fachprüfung Apothekerassistentin gewährt wurde, war Aletta sofort dabei. Durch ein Selbststudium und mit Hilfe ihres Bruders bestand sie die Prüfung und verfügte damit über eine erste nützliche Qualifikation. Anschließend schrieb Aletta ohne Wissen ihrer Eltern einen Brief an den damaligen Minister-Präsidenten der Niederlande und bat ihn um die Zulassung zur Universität. Nach Beratschlagung mit ihrem Vater wurde sie 1871 auf Probe zur medizinischen Fakultät der Universität Groningen zugelassen, auf der zwei ihrer Brüder schon studiert hatten. Es war ein bahnbrechendes Ereignis mit weitreichenden politischen Folgen. Bereits im neuen Hochschulgesetz von 1876 wurden keine Geschlechtsunterschiede mehr gemacht.
Frauenheilkunde
1878 wurde Jacobs die erste weibliche Ärztin der Niederlande. Wenige Jahre später verteidigte sie ihre Doktorarbeit “Über die Lokalisierung physiologischer und pathologischer Phänomene im Großhirn” und wurde zur ersten promovierten Niederländerin. Direkt danach reiste Jacobs nach London, wo sie u.a. im New Women’s Hospital Erfahrungen im Bereich der Gynäkologie sammelte. Dort knüpfte sie Kontakte zu Elizabeth Garrett, der ersten britischen Ärztin, zu Radikalen und FreidenkerInnen, die sich für Geburtenbeschränkung und für das Frauenwahlrecht engagierten.
1879 eröffnete Jacobs ihre eigene Praxis für Frauen- und Kinderheilkunde in Amsterdam. Ihr Beitrag zum Frauengesundheitswesen war wegweisend und innovativ. Zweimal die Woche hielt sie ihre Sprechstunden für mittellose Frauen kostenlos ab. Außerdem engagierte sie sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Verkäuferinnen und Krankenschwestern. Sie propagierte Geburtenkontrolle und führte als erste Ärztin in den Niederlanden das Pessar als Verhütungsmittel ein. Jacobs gehörte zu den ersten Frauen, die sich öffentlich gegen Prostitution aussprachen und sie als gesellschaftlichen Missstand verurteilten. 1898 erschien von ihr “De vrouw: haar bouw en haar inwendige organen”, ein anschaulicher anatomischer Atlas des weiblichen Körpers und der inneren Organe.
1883 versuchte Jacobs einen ersten Schritt zur Einführung des Frauenwahlrechts in den Niederlanden. Sie stellte einen Antrag bei der Stadt Amsterdam, um sich auf die Wahlliste aufnehmen zu lassen. Da das Wahlrecht sprachlich keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Wahlberechtigten machte, ging Jacobs davon aus, dass sie als steuerzahlende Bürgerin die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllte. Dreimal wurde ihr Antrag abgewiesen, von der Stadtverwaltung, vom Landgericht und zum Schluss von einem der höchsten Gerichtsorgane der Niederlande: de Hoge Raad. Außerdem wurde 1887 im Grundgesetz verankert, dass das Wahlrecht nur für männliche steuerzahlende Bürger vorgesehen war.
Um 1884 entwickelte sich aus Jacobs' Freundschaft mit Carel Victor Gerritsen (1850-1905) eine feste Beziehung. Er war Getreidehändler, Amsterdamer Beigeordneter, radikaler Reformer und Feminist. Gerritsen besaß eine sehr renommierte feministische Bibliothek, die sie zusammen erweiterten. Trotz ihrer Kritik an dem gültigen Eherecht heirateten sie 1892 dennoch, weil sie sich ein gemeinsames Kind wünschten. 1894 wurde ihr Sohn geboren, der aber nur einen Tag lebte. Dieser Verlust überschattete ihre Beziehung für lange Zeit. In den nachfolgenden Jahren unternahmen sie im Sommer lange Reisen per Fahrrad durch England, Schottland, Frankreich, Deutschland und die Schweiz, was für diese Zeit außergewöhnlich war.
Strategie und Weltreise
Ab 1899 konzentrierte Jacobs sich ganz bewusst auf den Kampf um das Frauenwahlrecht. Ihre Begegnung mit den tonangebenden Feministinnen der USA im Londoner Kongress des Internationalen Frauenrats motivierte sie umso mehr. Sie gab im gleichen Jahr noch den Band „Vrouwenbelangen“ (Fraueninteressen) heraus, eine Art Grundsatzerklärung, mit der sie ihre feministischen Standpunkte klar machte. Zudem übersetzte sie Charlotte Perkins Gilmans feministischen Standardwerk “Women and Economics” ins Niederländische. Sie zog quer durch die Niederlande und versuchte selbst in den abgelegensten Orten des Landes noch Frauen für sich zu gewinnen. 1903 wurde sie Vorsitzende der Vereniging voor vrouwenkiesrechtund und gab ihre Praxis auf. Aus den Einnahmen und dem Verkauf der feministischen Bibliothek konnte sie weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Jacobs wurde ab 1904 (sehr) aktives Mitglied der International Women Suffrage Alliance und befreundete sich mit der Vorsitzenden Carrie Chapman Catt. 1905 starb ihr Mann C.W. Gerritsen an Krebs. Auch Catts Ehemann starb, und so konnten beide ihrer Freundschaft mehr Zeit widmen.
In den Jahren 1911-1912 machten Jacobs und Catt zusammen eine Weltreise mit dem Ziel, mehr Einsichten über die Situation von Frauen in anderen Kulturen zu gewinnen und Wahlvereine zu gründen. Sie besuchten Süd- und Ostafrika, den Mittleren Osten, Indien, Ceylon, Niederländisch-Indien (heute Indonesien), Birma, die Philippinen, China und Japan. Von dort reiste Jacobs mit der Bahn zurück in den Westen. Sie teilte den Zug mit dem Bruder des deutschen Kaisers und einigen Generälen, mit denen sie sich über Krieg und Frieden auseinandersetzte.
Krieg und Weitblick
Als 1914 der Krieg ausbrach, wurde Jacobs international bekannt wegen der Organisation des International Women’s Congress in Den Haag unter dem Vorsitz der Pazifistin Jane Addams aus Chicago. Die vereinbarten Resolutionen wurden von zwei Delegationen des Kongresses persönlich den Staatsoberhäuptern der kriegführenden und mehrerer neutraler Länder überreicht. Außerdem reisten Jacobs und Addams in die USA, um Präsident Wilson dazu zu bewegen, eine vermittelnde Rolle in dem Konflikt zu übernehmen. Obwohl dies nicht gelang, war es weitblickend und ihrer Zeit voraus. Wilson soll aus ihren Resolutionen, so Jacobs in ihren Erinnerungen, seinen 14-Punkte-Plan entwickelt haben, aus dem schließlich der Völkerbund wurde. Als Addams 1931 den Friedensnobelpreis bekam, wurde auch Jacobs in der Lobrede genannt.
Während des Krieges kämpfte Jacobs als Vorsitzende der Vereniging voor vrouwenkiesrecht in den Niederlanden weiter. Große Gruppen von Frauen traten dem Verein bei. 1919 wurde endlich das niederländische Grundgesetz um das Frauenwahlrecht erweitert.
Jacobs verbrachte in ihren letzten Lebensjahren viel Zeit mit Freundinnen, besuchte Konferenzen im Ausland und schrieb ihre Memoiren. Sie starb 1929 in Baarn, wo ihre Freundin Rosa Manus wohnte.
Über einen langen Zeitraum hinweg wurde die Bedeutung von Aletta Jacobs innerhalb der niederländischen Kultur nur im Rahmen der Frauenstudien und im Bereich der Frauengesundheit wahrgenommen. Seit 1990 wird alle zwei Jahre von der Universität Groningen der Aletta-Jacobs-Preis an eine Akademikerin, die sich national oder international um die Emanzipation verdient gemacht hat, verliehen. 2005 erschien über sie die erste wissenschaftliche Biographie. Seit 2006 ist eins der 50 Fenster im Canon van Nederland Jacobs gewidmet. Ihr Archiv befindet sich im Kennisinstituut voor Emancipatie en VrouwengeschiedenisATRIA in Amsterdam und wurde im Oktober 2017 als eines von nur fünf Archiven auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes mit aufgenommen.
(Text von 2019)
Verfasserin: Barbara C. de Jong
Zitate
“Warum, so habe ich mich gefragt, muss ich zunächst beweisen, dass ich es verdiene mich als Medizinstudentin immatrikulieren zu können, während der ungehobeltste und dümmste Junge das mit einem einfachen Antrag erledigen kann.“
“Sicher, es war schwierig und schmerzvoll als einzige Ärztin im Land ankämpfen zu müssen gegen den Strom von Lügen und Gerüchten, den meine männlichen Kollegen gegen mich verbreiteten.“
“Wer bewährte Verhütungsmittel zur Verfügung hätte, könnte unsagbarem Leid vorbeugen. Dies hatte ich aus den Gesprächen mit den Wochenbettfrauen im Amsterdamer Krankenhaus schon gelernt.“
“Weshalb wurden mir, die allen Anforderungen als damalige Wählerin gerecht wurde, keine Wahlunterlagen nach Hause geschickt?“
“Die heutigen Frauen und Mädchen sollten sich mal deutlich vor Augen führen, wie schwierig, langweilig und wenig erhebend das Leben ihrer Großmütter, Mütter und vor allem ihrer unverheirateten Tanten gewesen ist. Dadurch würden sie es viel mehr wertschätzen, in welcher hohen Qualität sie das Leben genießen können, jetzt da die Wege zum freien und unabhängigen Leben auch für Frauen gebahnt wurden.“
Links
https://atria.nl/
https://www.entoen.nu/nl/alettajacobs
Literatur & Quellen
Werke von Aletta Jacobs:
Jacobs, A.H., Over localisatie van physiologische en pathologische verschijnselen in de groote hersenen. Dissertation, Rijksuniversiteit Groningen, 1879
Jacobs, A.H., De vrouw, haar bouw en haar inwendige organen. Deventer: 1897
Jacobs, A.H., Vrouwenbelangen. Drie vraagstukken van aktuelen aard. Amsterdam: 1899.
Jacobs, A.H., Het doen der vrouwenbeweging. In: https://www.dbnl.org/tekst/_gid001189901_01/_gid001189901_01_0031.php
Jacobs, A.H., Uit het leven van merkwaardige vrouwen. Amsterdam: 1905.
Gerritsen, C.V. and Aletta H. Jacobs. Brieven uit en over Amerika. Amsterdam: 1906.
Jacobs, A.H., Reisbrieven uit Afrika en Azië, benevens eenige brieven uit Zweden en Noorwegen. 2 vols. Almelo: 1913.
Jacobs, A.H., Herinneringen. Amsterdam: 1924.
Jacobs, A.H., Memories: My Life as an International Leader in Health, Suffrage, and Peace. New York: 1996.Addams,
Sekundärliteratur:
Addams, Jane, Emily Balch and Alice Hamilton. Women of the Hague: The International Congress of Women and Its Results. New York: 1915.
Bosch, Mineke. Een onwrikbaar geloof in rechtvaardigheid. Aletta Jacobs, 1854–1929. Amsterdam: 2005.Bosch, Mineke http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/Jacobs (am 10.08.2019)
Davis, Allen F., American Heroine. The life and Legend of Jane Addams. New York: 1975.
Feinberg, Harriet. “Aletta Henriette Jacobs.” Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. 27 February 2009. Jewish Women's Archive. (am 11.08.2019)
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Posthumus-van der Goot, W.H., Anna de Waal, eds. Van Moeder op Dochter: De maatschappelijke positie van de vrouw in Nederland vanaf de Franse tijd. Revised edition, Nijmegen: 1977.
Wilde, Inge de. “Aletta Jacobs en het geluk van de wereld.” In Inde vaart der volken. Nederlanders rond 1900, 161–171. H. Beliën (eds). Amsterdam: 1998.
Wilde, Inge de, https://socialhistory.org/bwsa/biografie/jacobs (am 11.08. 2019)
Wilde, Inge de, ed. “Er is nog zooveel te doen op de wereld.” Brieven van Aletta H. Jacobs aan de familie Broese van Groenou. Zutphen: l992.
Wiltsher, Anne. Most Dangerous Women: Feminist Peace Campaigners of the Great War. Connecticut: l985.
Film:
Van Brakel, Nouchka, filmproducer. Aletta Jacobs, het hoogste streven. Nederland, Circe Films, l995.
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