Fembio Specials Frauen aus Köln Agnes Meyer “Karussellagnes”
Fembio Special: Frauen aus Köln
Agnes Meyer
geboren am 3. Oktober 1896 in Geistingen bei Köln
gestorben am 9. März 1990 in Neuwied
deutsche Schaustellerin, "Mutter Courage vom Rhein”
125. Geburtstag am 3. Oktober 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
“Sie steht für das Deutschland, das in einer mörderischen Diktatur Moral und Anstand wahrte, Menschlichkeit gegen die Unmenschlichkeit des Nazi–Systems setzte: diese kleine bescheidene Frau, die als Nichtjüdin zum Mittelpunkt einer jüdischen Familie wurde, als sogenannte ‘Arierin’ zum Rettungsanker auch für andere Verfolgte” (Mueller).
Agnes Klauer wurde 1896 als 18. und letztes Kind einer Kölner SchaustellerInnenfamilie geboren. Im Kriegsjahr 1915 mußte sie in einer Geschoßfabrik arbeiten und lernte dort Julius Meyer aus Neuwied kennen, der ebenfalls aus dem SchaustellerInnengewerbe stammte. Die beiden heirateten 1920. 1921 gebar Agnes Meyer ihren Sohn Herbert, und die Familie machte sich mit einem eigenen Karussellbetrieb selbständig.
Da Julius Meyer Jude war, hatte die Familie ab 1933 unter immer brutaleren Repressalien zu leiden. Eine zeitlang konnte die “Arierin” Agnes Meyer noch das Schlimmste abwenden und bspw. Lebensmittel kaufen, die an Juden nicht mehr abgegeben wurden. Im Krieg bekam sie Lebensmittelkarten und konnte ihre Verwandten leidlich mitversorgen. Sie konnte auch das Karussell weiter betreiben - ein hilfsbereiter Finanzbeamter hatte den Besitz rückwirkend auf sie überschrieben.
Als Agnes’ Schwägerin und Schwiegereltern nach Theresienstadt deportiert worden waren, machten sich Agnes und Julius auf und fuhren quer durch Deutschland bis vor die Tore des Lagers. Es gelang ihnen unter Lebensgefahr, mit dem Vater wenigstens Kontakt aufzunehmen.
Bei Kriegsende befand sich Agnes Meyer in Oberschlesien. Sie wurde Zeugin der von den Nazis nach dem Vorrücken der Roten Armee organisierten Todesmärsche der KZ–Häftlinge und “stand in vorderster Front, wenn die Elendskolonnen kamen”. Vom Wegrand aus gab sie den Verhungernden, was sie hatte. Gemeinsam mit den Häftlingen wurde sie dafür von SS-Männern zusammengeschlagen.
Vor 1933 umfaßte die jüdische Gemeinde Neuwieds 600 Mitglieder. 1947 waren es noch 18 Überlebende. Auch Julius’ Schwestern, seine Eltern, seine Tanten und Onkel waren von den Nazis vergast worden.
Agnes Meyer ist als “Karussellagnes” in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen. Der aus Neuwied stammende jüdische Dichter Friedrich Wolf (Vater von Konrad und Markus Wolf, bekannt auch durch sein Stück Cyankali gegen den § 218) hinterließ ein Romanfragment: Die Karussellagnes: Roman einer tapferen Frau.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
“Sie rettete ihr Herz, das sie nicht beschmutzen ließ. ... Sie schlug sich mit ihrem Mann und dem Karussell in jenen wilden, verworrenen Jahren durch ganz Deutschland, vom Rhein bis zur Oder… Sie rettete durch jene Sintflut ihren Mann, ihren Sohn, den Wohnwagen und das Karussell, das ihnen Nährboden, Stützpunkt und Waffe war. Sie rettete mit ihrer Familie noch eine Anzahl verfolgter Russen, Polen und Franzosen.” (Friedrich Wolf)
Literatur & Quellen
Mueller, Henning. 1993. “Agnes Mueller (Karussellagnes) (1896-1990): Die Mutter Courage vom Rhein”, in: Von Frau zu Frau: Auf der Suche nach der verschütteten Geschichte bedeutender Frauen in und um Neuwied. Hg. vom Frauenbüro Neuwied unter der Leitung von Susanne Klein. Initiatorin Petra Magnus. Neuwied. Frauenbüro Neuwied. S. 39-57.
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