Fembio Specials Frauen aus Hannover Aenne Heise
Fembio Special: Frauen aus Hannover
Aenne Heise
(Anna Dorette Frieda Johanna Heise)
geboren am 9. April 1895 in Gandersheim
gestorben am 3. September 1986 in Hannover
deutsche Fotografin
35. Todestag am 3. September 2021
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
»Ich muss immer frei sein!« Diesen Wahlspruch hat sie ihr Leben lang befolgt und unter diesem Motto stand auch der mutige Schritt in die Selbständigkeit, als sie 1924 ein eigenes »Photographisches Atelier« eröffnete. Als zweite Frau war sie in Hannover eine Exotin in diesem von Männern besetzten Kunst- und Arbeitsbereich. Fast 50 Jahre übte sie die Tätigkeit einer »Gebrauchsfotografin« aus, wie sie sich selbst nannte. Sie arbeitete in allen Sparten ihres Berufes und war stolz darauf, alles selbst zu machen, von den Aufnahmen bis zur Arbeit im Labor.
Geboren wurde sie am 9. April 1895 in Gandersheim in einem gehobenen, bürgerlichen Elternhaus. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern lebte sie bei verschiedenen Verwandten und musste bald auf eigenen Füßen stehen. Sie entschied sich für den Beruf der Krankenschwester. Soziale Berufe galten als angemessene Tätigkeit für junge Frauen, bevor sie sich verheirateten, boten aber auch eine gesicherte Existenz, wenn sich kein Ehemann fand. Noch vor dem Abschluss ihrer Ausbildung wurde sie als Lazaretthelferin eingesetzt, der Erste Weltkrieg war ausgebrochen.
Ende des Krieges änderte sie ihren Vornamen in Aenne. In diese Zeit fällt auch ihr erster Kontakt zur Fotografie, als sie in Berlin als Laborantin an einem Kurs der »Bakteriologisch-chemischen Lehranstalt für Damen« teilnimmt. Die dort erworbenen Kenntnisse in Mikrofotografie konnte sie 1917 in einem Lazarett in Lüttich anwenden. Es entstanden, eher zu einem wissenschaftlichen Zweck denn aus künstlerischem Interesse, ihre ersten Bilddokumente.
Voller Begeisterung für die Fotografie erwarb sie sofort nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in der im Aufbau begriffenen Foto-Klasse der Gewerbeschule in Braunschweig die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten. Mit der künstlerisch-ästhetischen Seite machte sie sich an der Kunstgewerbeschule in Hamburg am Lerchenfeld vertraut, wohin sie 1919 wechselte. Hier konnte sie im Werkstättenunterricht einen künstlerischen Entwurf in der praktischen Umsetzung erproben. Sie näherte sich der impressionistischen Fotografie an, indem sie Landschaften und Porträts in malerischem Stil abbildete.
Als sie die Schule mit dem Gesellenbrief verließ, verfügte sie über eine fundierte Ausbildung in allen damals üblichen fotografischen und reproduktiven Verfahren. In den wilden zwanziger Jahren hatte sie in der Großstadt Hamburg das freie künstlerische kulturelle Leben kennen gelernt; allerdings auch die damit verbundene materielle Unsicherheit. Daher schaffte sie sich zur Sicherheit schon während des Studiums eine zweite Einkommensmöglichkeit. An »Strecker’s Dienerfach-Schule und Servier-Lehranstalt« ließ sie sich zur Serviererin ausbilden.
Ihr »Eine-Frau-Betrieb«, den sie mit 28 Jahren in ihrer ersten Atelier-Wohnung in Hannover eröffnete, war der entscheidende Schritt in ein selbständiges Leben. Da sie eine nachträgliche Bearbeitung ihrer Fotos im Labor ablehnte, zog sie es vor handwerklich oder künstlerisch gefertigte Werkstücke zu dokumentieren, Porträtfotografie liebte sie weniger. Für die hannoversche Firma Günther Wagner, später Pelikan-Werke, fertigte sie Bilder für Produktkataloge an. Bald hatte sie sich in den Bereichen Mode, Kunstgewerbe und (Innen-)Architektur einen Namen gemacht. Die Fotografin gehörte auch zur GEDOK, der »Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen«, sie verstand sich immer sowohl als handwerklich wie auch künstlerisch Schaffende. Die Technikbegeisterte besaß schon früh eine handliche Leica, die mit Rollfilmen arbeitete und eine Serie von 36 Aufnahmen ohne Wechsel des Negativmaterials erlaubte. So ausgerüstet war sie mit ihrem resedafarbenen, offenen Sportwagen der Marke Adler, ihrem »rollenden Atelier«, unterwegs, um Aufträge zu erledigen oder Fotografien für lokale Zeitungen und Magazine zu »schießen«. Ihr vielfältiger, beruflicher Erfolg war für eine Frau der damaligen Zeit sicherlich ungewöhnlich. Für sie galt: »Was ich mache, das mache ich gründlich!«
Der Verband »Deutsche Frauenkultur«, nach der Gleichschaltung »Frauenkultur im deutschen Frauenwerk«, gehörte zu ihrem Kundenkreis. In der Verbandszeitschrift erschienen ihre Mode- und Kunstgewerbefotos, aber auch Kinderbilder in ländlicher Umgebung. Wahrscheinlich glaubte sie, sich ohne jede Parteinahme in den Jahren ab 1933 ausschließlich in den Dienst des fotografischen Objekts stellen zu können. Als sie im Auftrag der Luftwaffe in den nördlichen und östlichen Gebieten des damaligen Deutschen Reiches kunstgewerbliche Gegenstände aber auch in Offiziersmessen fotografierte, sah sie darin keinen Widerspruch. Damals entstandene Bilder wie eine Kinderwiege mit dem in Runenschrift eingeritzten Satz »das Kind adelt die Mutter« werden heute überwiegend kritisch gesehen. Für ausschließlich propagandistischen Zwecken nationalsozialistischer Organisationen dienende Fotos gibt es in ihrem Nachlass jedoch keinen Anhaltspunkt.
Schon kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bekam sie von ihren alten Kunden wieder Aufträge. Nachdem im zerstörten Nachkriegsdeutschland die Phase des Wiederaufbaus begonnen hatte, eröffnete ihr der Aufschwung in der Baubranche ein neues Betätigungsfeld. Sie arbeitete für namhafte Architekten und als Industriefotografin. Als in den sechziger Jahren die Schwarzweiß-Fotografie von der Farbfotografie abgelöst wurde, glaubte sie offenbar, Entwicklung und Herstellung von Abzügen nicht mehr selbst im eigenen Labor machen zu können. Die weitere Bearbeitung ihrer Filme übernahmen Kollegen. Nach und nach zog sich Aenne Heise ganz von der Auftragsfotografie zurück und gab 1971 offiziell ihr Gewerbe auf.
1985 zeigte die Handwerksform Hannover Bilder aus ihrer fünfzigjährigen fotografischen Arbeit. Für diese Präsentation wollte Aenne Heise zuerst neue Abzüge ihrer alten Negative herstellen, gab dieses Vorhaben jedoch wieder auf. Ein Jahr später starb sie mit 91 Jahren.
Aenne Heise hat 1949 die Arbeitsgemeinschaft »Kunsthandwerk in Niedersachsen« mitbegründet. Ihr fotografischer Nachlass von mehreren tausend Aufnahmen befindet sich im Historischen Museum in Hannover.
(Text von 2011)
Verfasserin: Barbara Fleischer
Links
fotoerbe.de: Bestand: Nachlass Aenne Heise (Historisches Museum/Hannover). (Link aufrufen)
Link geprüft am 7. April 2020 (AN)
Literatur & Quellen
Bode, Ursula (Hg.) (1985): Aenne Heise. Vom Schatten zum Licht. 50 Jahre Fotografie. Ausstellungskatalog. Hannover. Handwerkspflege Niedersachsen. (WorldCat-Suche)
Deutsche Fischwerbung (Hg.) (1952): Morgens, mittags oder abends – Fisch schmeckt immer. Praktische Ratschläge und vielerlei Seefisch-Rezepte. Gesamtgestaltung: Crenzien; Illustrationen: Albrecht Deventer; Farbfotos: Aenne Heise. Berlin. Druckhaus Tempelhof. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Jung, Martina; Scheitenberger, Martina (1993): Aenne Heise (1895-1986). Eine Fotografin in Hannover. In: Dinghaus, Angela (Hg.): Frauenwelten. Biographisch-historische Skizzen aus Niedersachsen. Hildesheim. Olms. ISBN 3-487-09727-3. S. 338–346. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Scheitenberger, Martina; Ziegan, Uta (1994): Die Kamera fest im Griff – die hannoversche Fotografin Aenne Heise. In: Schröder, Christiane; Corpus, Simone (Hg.): Außer Haus. Frauengeschichte in Hannover. Hannover. Reichold. ISBN 3-930459-04-3. S. 125–136. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Stratemann, Siegfried (1959): Das warme Haus. Mit Fotos von Aenne Heise. Berlin. Ullstein (Bauwelt-Sonderheft, 39). (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
Alle Bilder stammen aus dem Artikel von Martina Scheitenberger in »Außer Haus«, 1994. (siehe Literaturverzeichnis).
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