Fembio Specials Berühmte Italienerinnen Adriana Zarri
Fembio Special: Berühmte Italienerinnen
Adriana Zarri
(Jana Predieri [Pseudonym]; (Fra) Estasio (da Prassi) [Pseudonym])
geboren am 26. April 1919 in San Lazzaro di Savena bei Bologna, Italien
gestorben am 18. November 2010 in Crotte di Strambino bei Ivrea, Italien
italienische katholische Theologin, Journalistin, Essayistin, Schriftstellerin, Kirchenkritikerin, Eremitin
105. Geburtstag am 26. April 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Beten – du bist es, die betet,
du, die atmet,
du, die mich liebt;
und ich lasse mich lieben
von dir.«
Diese Gedichtzeile aus dem Gedicht »Beten ist eine grüne Wiese« aus dem Band »TU« quasi preghiere von Adriana Zarri (1) spiegelt den persönlichen und intimen Zugang, den die Theologin zu Gott pflegte. Nicht nur zu Gott: zu allem, was sie umgibt und mit dem Leben zu tun hat. Angefangen bei den Rosen in ihrem Garten und der Katze, die auf ihren Schoß springt, bis hin zu brisanten politischen und kirchlichen Fragen im Italien der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Hauptsächlich bekannt wurde Adriana Zarri als Journalistin. Sie war überzeugte Antifaschistin, engagierte sich für soziale Probleme und verteidigte überzeugend die Freiheit des Denkens. Sie lebte in verschiedenen italienischen Städten, vorwiegend in Rom. Bereits in jungen Jahren leitete sie die »Azione cattolica italiana«, und sie veröffentlichte ihre Kommentare und Essays in diversen Zeitschriften und Tageszeitungen wie L'osservatore Romano, Rocca, Studium, Politica oggi, Sette giorni, Il Regno, Concilium, Servitium, Anna, Adista, Avvenimenti und MicroMega. In der kommunistischen Tageszeitung Il Manifesto schrieb sie jeden Sonntag für die Wochenrubrik Parabole. Sie nahm an Radio- und Fernsehsendungen teil, um ihre Überlegungen und Erkenntnisse öffentlich zu machen; so war sie z.B. eine Zeit lang regelmäßige Teilnehmerin der Sendung Samarcanda von Michele Santoro. (2)
Vom September 1975 bis zu ihrem Tod führte Adriana Zarri ein frei gewähltes, streng monastisches Leben als Eremitin im Piemont. Zuerst zog sie sich in ein Haus nach Albiano d’Ivrea zurück, dann lebte sie in Fiorano Canavese und seit Mitte der 1990er Jahre in Strambino, in der Provinz Turin. Der Grund ihres Rückzugs war weder Enttäuschung noch menschenverachtende Eigenbrötelei, sondern entsprang ihrem tiefen Bedürfnis, in der Einsamkeit, im Gebet, in der Stille und in der Nähe zu Gott zu leben und von dort aus ihre kritische, schriftstellerische und essayistische Arbeit fortzusetzen, »weil in der Einsamkeit besondere Momente der Begegnung stattfinden.« (3) Ihr Tagesablauf war streng geregelt: um 6.00 Uhr stand Adriana Zarri auf, nach dem Frühstück und der Rezitation der Lobgesänge war die Arbeit im Haus und im Garten zu tun oder mit ihren HelferInnen zu besprechen. Tagsüber erledigte sie die Korrespondenz, schrieb Artikel für Zeitungen und Zeitschriften und kümmerte sich um die alltäglich anfallenden Dinge; sie zelebrierte in der hauseigenen Kapelle täglich die Liturgie und gelegentlich empfing sie FreundInnen und/oder Gäste. In ihrer kleinen Küche bereitete sie sich das Essen zu, das vorwiegend aus dem eigenen Garten stammte. Am Nachmittag und nach dem Abendessen ruhte sie sich aus und gegen 22.00 Uhr begann ihre eigentliche Denk- und Schreibarbeit, die sie bis 3.00 Uhr früh betrieb.
Als katholische Theologin und kommunistische Aktivistin setzte sie sich über scheinbare Unvereinbarkeiten hinweg und entwickelte eine ganz eigene Theologie, die durch ihre innere Stimmigkeit und Kohärenz überzeugt. Sie distanzierte sich öffentlich von fundamentalistischen religiösen Bewegungen wie Comunione e Liberazione oder Opus Dei. Vielleicht könnte sie als die italienische Vertreterin einer »Befreiungstheologie« verstanden werden. Als Eremitin stand sie in der Tradition der AsketInnen, suchte die Erfahrung der Wüstenväter und -mütter und verzichtete bewusst auf Titel, Führungspositionen, Macht und Geld. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, theologische Fragen zu studieren und sich in theologische Debatten einzumischen. Dies tat sie unter anderem auch als Mitglied des Präsidialrates der italienischen theologischen Vereinigung. Sie hatte in den 1960er Jahren am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen und vertrat eine Theologie, die oft nicht mit der des Vatikans übereinstimmte; dies machte sie populär, führte gelegentlich zu erheblichen Problemen und brachte ihr manche Feindschaft ein.
Sie entzieht sich den ›weltlichen Interessen – die aber den Klerikalen und dem Klerus selbst sehr wichtig sind – wenngleich sie den weltlichen Dingen sehr verbunden bleibt: Bis dahin hatte man keine Eremitin gesehen, die im Fernsehen aufgetreten wären, oder die im Il Manifesto geschrieben hätte,
so die Journalistin und Politologin Giancarla Codrignani in der Enciclopedia delle donne (4)
Freiheit/libertà ist ein Schlüsselkonzept, das sich durch das Werk und Leben von Adriana Zarri zieht. Es geht ihr um die Freiheit des Denkens, das keiner Institution und keiner Ideologie verpflichtet ist. So hat sie auch nicht für die kommunistische Partei kandidiert und ist niemals in ein Kloster eingetreten, obwohl sie als junge Frau mit dem Gedanken spielte, dies zu tun.
Sie wurde Jahr um Jahr, Erfahrung um Erfahrung, eine der bedeutendsten Verteterinnen jener Treue zum Evangelium, die sich – gerade wegen einer Wahrheit, die frei macht – mit dem reinsten Laizismus verbindet. (5)
Zarri hat sich mehrfach zur Geschlechtergerechtigkeit und zum »Differenzdenken« der italienischen Feministinnen geäußert. Die Differenz der Geschlechter soll ihres Erachtens nicht verschwinden oder abflachen, sondern gemeinsame Aufgaben sollen eine männliche oder weibliche Note tragen, »indem man die gleichen Dinge unterschiedlich tut.« (6) In einem Aufsatz über das Gebet kritisiert sie sowohl das trockene, liturgische, offizielle, herzlose Beten, das häufig Männer betreiben »Das Gebet den Männern zu überlassen, bedeutet, das Beten zu zerstören.« (7); sie wendet sich aber auch gegen eine verweiblichte Gefühlsduselei, die mit Unterwerfung, Opferhaltung und Aberglauben einher gehe. (8)
Sie machte sich für die gesetzliche Regelung der Abtreibung stark und setzte sich 1981 für die Referendumskampagne zugunsten des Gesetzes 194 ein, das Frauen unter bestimmten Bedingungen das Recht zuerkennt, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Dieser Thematik widmete sie auch das Buch Dedicato a.
Über ihr Leben als Eremitin schreibt Adriana Zarri in ihrem Buch »Erba della mia erba. Bilanz eines Lebens«, das 1981 bei Cittadella edizioni erschienen ist. In fünf Kapiteln schreibt sie Gedanken und Erfahrungen auf, die sich im Laufe eines Sonnenjahres, von Herbst bis Herbst in ihrem Haus »Il Molinasso« bei Fiorano Canavese verdichtet haben. »Die trockenen Blätter im Herbst«, »Die Öfen und die Feuer des Winters«, »Der weiche Mond im Frühjahr«, »Die Ernten und die Sommersonne«, »Die grünen Herbstwiesen« – bereits die Titel der einzelnen Kapitel weisen auf Zarris Bezug zu den Jahreszeiten hin und auf deren täglich neuen und sich verändernden Charakter. Sie schreibt über ihr Leben mit Hühnern, Hund und Katze, über die Pflanzen und das Gemüse im Garten, über das Wetter, die Sonne, die Kälte, das Säen, Wachsen und Ernten, das Dasein als Eremitin, über die Stille, das Gebet, das Feuer, den Tod, die Arbeit, die Sterne, den Mond, die Nacht.
Meine Wüste erblüht: sie erblüht im Schritt der FreundInnen, die mich besuchen kommen, sie erblüht in den kleinen Ohren der Hasen, im wedelnden Schwanz der Hündin, im gurgelnden Schnurren der Katze, in den Turteltauben, den Tauben, im Hahn, der die Hühner auf die Weide bringt. (9)
2002 las ich in »Atem der Frauen«, in dem Luce Irigary weibliche Credos präsentiert, den Artikel von Adriana Zarri »Theologie des Lebens«, der mein Interesse für sie weckte. Ende November desselben Jahres besuchte ich sie in ihrem »eremo« und verbrachte eine unvergessliche Woche bei ihr. An einem späten Nachmittag, ich saß gerade im Hof mit ihrer Katze auf dem Schoß, erschien sie am Fenster und bedeutete mir, in den ersten Stock ihres umgebauten Kornspeichers zu kommen. Dort stand in der Mitte des Raumes eine Truhe, die den großen Raum in zwei Wohnbereiche teilte. Auf dieser Truhe standen unzählige kunstvoll gefertigte Eulen. Zwei davon waren mit kleinen Spiegeln verziert, die das Licht der tief einfallenden untergehenden Sonne reflektierten und ein sehr schönes Lichtspiel an den Wänden hervorzauberten, an dem mich Adriana mit strahlenden Augen teilhaben ließ.
In den letzten Lebensjahren war Adriana Zarri gebrechlich; in der letzten Zeit konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. Trotzdem hörte sie nicht auf zu denken und ihre scharfsinnigen Kommentare und nachdenklichen Stellungnahmen bis zum Schluss zu veröffentlichen. Darin geht es um Fragen der Theologie und der Spiritualität, um die Stellung der Kirche und deren Verbindungen zu Politik und Gesellschaft. Wenn Zarri dabei oft kritische Töne anschlägt, so entspringt dies nicht der Lust an der Provokation, sondern der Notwendigkeit, frei ihre Meinung zu sagen, die sich tief in ihrem Inneren in der Stille und Einsamkeit aus der Auseinandersetzung mit theologischen Texten, der Erfahrung des sie umgebenden Lebens, dem Glauben und der Beziehung zu Gott bildet. Auf den Tod wartete sie geduldig, auch wenn sie ihn nicht als Freundin oder Erlöserin sehen konnte. Zu sehr war sie mit dem Leben in all seinen vielfältigen Ausdrucksformen und mit seiner Fülle verbunden.
«Ich habe nicht vor, meinen Tod zu planen: es wäre ein letztes Festhalten am Leben. Den Tod plant man nicht: man erwartet ihn. Man erwartet ihn gelassen, so wie man das Leben erwartet. Und es wird sein, wie es kommt: vielleicht im Gang eines Krankenhauses, oder auf der Strasse, oder wer weiß. Und er wird immer mit dem Leben verwoben sein: mit dem Leben selbst, in seinem höchsten und letzten Ausdruck.” (10)
Bereits viele Jahre vor ihrem Tod veröffentlichte sie eines ihrer schönen Gedichte, in dem sie über den eigenen Tod schreibt:
»Kleidet mich nicht in Schwarz:
es ist traurig und schmeckt nach Leichenzug.
Kleidet mich nicht in Weiß:
es ist überheblich und rhetorisch.
Bettet mich
in gelbe und rote Blüten
und stattet mich mit Vogelflügeln aus.
Und du, Herr, schau auf meine Hände.
Vielleicht halten sie einen Rosenkranz.
Vielleicht
haben sie mir ein Kreuz in die Hand gedrückt.
Beides ist falsch.
In der Hand halte ich grüne Blätter
und auf dem Kreuz,
ist deine Auferstehung.
Und auf das Grab,
legt mir keinen marmornen Stein
mit den üblichen Lügen
die die Lebenden trösten.
Lasst nur die Erde liegen
in der im Frühling
eine Inschrift aus Gras
wachsen wird.
Und die wird sagen
ich habe gelebt,
ich warte.
Und es wird mein Name und deiner wachsen,
vereint wie der Kuss zweier Mohnblüten.« (11)
Adriana Zarri ist eine großartige spirituelle Denkerin, deren unterschiedliche Texte durch Tiefe und Authentizität, Poesie und Überzeugungskraft viele Leserinnen und Leser, die sich mit den großen Fragen und den letzten Dingen des Lebens befassen, berühren.
——-
- Zarri, Adriana (1985): »Tu« quasi preghiere. Piero Gribaudi editore, Torino, S.17.
- http://it.wikipedia.org/wiki/Adriana_Zarri, Abruf 10.12.2010.
- http://www.rsi.ch/home/channelslifestyle/personaggi/2010/11/19/adrian-zarri.html, Abruf 10.12.2010.
- http://www.enciclopediadelledonne.it, Abruf 10.12.2010.
- ebenda.
- Irigary, Luce (1997): Der Atem von Frauen. Luce Irigary präsentiert weibliche Credos. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim, S. 119.
- Zarri, Adriana (1991): Nostro signore del deserto. Teologia e antropologia della preghiera. Citadella editrice, Assisi, S. 40.
- ebenda, S. 49.
- Zarri, Adriana (1999): Erba della mia erba. Resoconto di vita. Citadella editrice, Assisi, S.68.
- ebenda, S. 245.
- http://www.enciclopediadelledonne.it, Abruf 10.12.2010.
Preise und Auszeichnungen
1995 Cavalliere di gran croce dell’Ordine al Merito della Repubblica Italiana »Premio speciale Testimone del Tempo« assegnato dal Premio Acqui Storia »Premio Matilde di Canossa« della Provincia di Reggio »Premio Minerva 1989« nella sezione »Ricerca scientifica e culturale« »Premio Igino Giordani 2002« del comune di Tivoli »Premio letterario Domenico Rea« nella sezione »Narrativa« 2008 »Premio letterario Alessandro Tassoni« nella sezione »Narrativa« 2008
Verfasserin: Ingrid Windisch
Links
- WorldCat.org: Bücher von Adriana Zarri. (Link aufrufen)
Literatur & Quellen
Veröffentlichungen
Zarri, Adriana (1955): Giorni feriali. Milano. Istituto di propaganda libraria. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1960): L' ora di notte. Romanzo. Torino. SEI. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1962): La Chiesa nostra figlia. Vicenza. La Locusta. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1964): Impazienza di Adamo. Ontologia della sessualitá. Torino. Borla. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1967): Teologia del probabile. Riflessioni sul postconcilio. Torino. Borla. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1970): Il grano degli altri. Meditazioni sull'Isolotto. Torino. Gribaudi. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1971): Tu. Quasi preghiere. Torino. Gribaudi. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1975): E piu facile che un cammello … Torino. Gribaudi. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1978): Nostro Signore del deserto. Teologia e antropologia della preghiera. Assisi. Cittadella. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1981): Erba della mia erba. Resoconto di vita. Assisi. Cittadella. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1989): Dodici lune. Romanzo. Milano. Camunia. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1991): Il figlio perduto. La parola che viene dal silenzio. Celleno. La Piccola Editrice. ISBN 9788872583012.
Zarri, Adriana (1994): Quaestio 98. Nudi senza vergogna. Romanzo. Milano. Camunia. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (1998): Dedicato a. Milano. Frontiera. (WorldCat-Suche)
Zarri, Adriana (2007): Il Dio che viene. Il Natale e i nostri Natali. Celleno. La Piccola Editrice.
Zarri, Adriana (2007): In quale dio crediamo? Le povere immagini di Dio. Celleno. La Piccola Editrice. ISBN 9788872583203.
Zarri, Adriana (2007): L' amante dell'uomo. La preghiera e le preghiere. Celleno. La piccola. ISBN 9788872583197.
Bildquellen
- Enciclopedia delle donne
- Radio 3
- Il Post
- Voce Evangelica
- Spiaggia Libera
- Cathopedia, l'enciclopedia cattolica
- Paperblog
- La Sentinella del Canavese
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.