Fembio Specials Europäische Jüdinnen Ada Lessing
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Ada Lessing
(Adele Minna Abbenthern [Geburtsname])
geboren am 16. Februar 1883 in Hannover
gestorben am 10. November 1953 in Hameln
Pionierin der deutschen Erwachsenenbildung; Mitgründerin und erste Geschäftsführerin der Volkshochschule Hannover
70. Todestag am 10. November 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Wissen ist Macht! Wissen macht frei! Bildung ist Schönheit!“, diese Maxime diente Ada und Theodor Lessing 1919 als Richtschnur für die Umsetzung ihrer Ideen bei der Gründung der Volkshochschule in Hannover. Die wirtschaftliche Not Deutschlands nach dem verlorenen Krieg ließ die Arbeitslosenzahlen in allen Bevölkerungsgruppen sprunghaft ansteigen. In Hannover, wo es seit 1900 „volkstümliche Hochschulkurse“ gab, wurde 1919 eine Kommission zur Einrichtung von allgemein- und berufsbildenden Kursen gebildet. Das „Reichsamt für die wirtschaftliche Demobilmachung“ hatte beschlossen, neben Arbeitsbeschaffungs- auch Volksbildungsmaßnahmen zu fördern. Das Ehepaar Lessing war hier federführend.
Im Januar 1920 fand die offizielle Gründungsfeier der Volkshochschule Hannover statt. Ada Lessing wurde Geschäftsführerin und hatte diesen Posten bis zu ihrer Entlassung im Jahre 1933 inne. Sie setzte sich leidenschaftlich und unermüdlich für den Volkshochschul–gedanken ein. In der Geschäftsstelle, untergebracht im städtischen Schulamt, organisierte sie den Lehrbetrieb mit nebenamtlich Lehrenden, dezentral gelegenen Unterrichtsräumen und bis zu 7500 Hörerinnen und Hörern jährlich. Sie unterrichtete auch selbst, so zum Beispiel im Jahre 1931 zur “rechtlichen Stellung der Frau in Ehe und Familie“ und zu “Fragen der beruflichen Fortbildung“. Dazu kam der fortwährende Kampf um finanzielle Mittel.
Adele (genannt Ada) Minna Abbenthern wurde am 16. Februar 1883 als ältestes von drei Kindern in Hannover geboren. Sie verlebte eine glückliche Kindheit in idyllischer Abgeschiedenheit: Der Vater betrieb das Ausflugslokal Bischofshol mitten im Stadtwald Eilenriede.
Für eine Ehe von nur zwei Jahren Dauer verließ Ada im Jahre 1902, sie war noch nicht volljährig, erstmals das Elternhaus. Nach dieser Episode kehrte sie zurück und erwähnte die Zeit nie wieder. Nach dem frühen Tod der Mutter im Jahre 1907 zog sie nach Berlin, denn ihr Plan, nach England zu gehen, ließ sich wegen mangelnder Sprachkenntnisse und einer fehlenden Berufsausbildung nicht verwirklichen. Sie lernte Maschineschreiben, Stenographie und Englisch und fand als Bürokraft eine Anstellung bei der Zeitschrift Schönheit, für die sie bald auch Buchrezensionen schrieb.
Ihren zweiten Ehemann, den bedeutenden Sozialisten und Publizisten Theodor Lessing, hat sie vermutlich um die Jahreswende 1908/09 kennengelernt. Er lehrte damals als Privatdozent für Philosophie an der Technischen Hochschule Hannover. Aus einer ersten Ehe hatte er zwei Töchter.
Ada und Theodor Lessing sorgten für einen kleinen Skandal in der Nachbarschaft, als sie sich 1912, schon einige Zeit vor der Hochzeit, als unverheiratetes Paar in Hannovers Villenvorort Kirchrode niederließen. Am 8. Februar 1913, zu Theodors Geburtstag, wurde ihre Tochter Ruth geboren.
Die Kriegseuphorie, die weite Kreise der Bevölkerung bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfaßte, teilte das Ehepaar Lessing nicht. Ada kritisierte in erster Linie, daß nun von den Frauen der Einsatz in der industriellen Kriegsproduktion verlangt, ihnen die politische Mitwirkung aber weiterhin verwehrt wurde. So unterstützte sie tatkräftig die von der SPD getragene Kampagne für das Frauenwahlrecht und wurde nach der Verwirklichung dieser Forderung Mitglied der SPD.
Bei den Reichstagswahlen 1932 kandidierte sie für die SPD, wenn auch auf einem nicht aussichtsreichen Listenplatz, 1933 bei den Wahlen war sie erste Nachrückerin. Theodor Lessing hatte Hannover bereits Anfang des Jahres 1933 verlassen: Er wurde als Sozialist und Jude verfolgt; die Technische Hochschule hatte ihm die Lehrbefugnis entzogen. Er floh ins tschechoslowakische Marienbad, konnte sein Leben aber nicht retten. Am 30. August 1933 wurde er von Nationalsozialisten ermordet. Auf seinen Kopf war eine Prämie von 80.000 Reichsmark ausgesetzt worden.
Nachdem die NSDAP bei der Kommunalwahl am 14. März 1933 die Mehrheit erreicht hatte, wurde die Stadtverwaltung Hannover von etwa 200 “Anhängern der Judenrepublik gesäubert”, auch Ada wurde entlassen. „Auf Veranlassung des Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses der Volkshochschule, des Senators Stadtschulrat Eggers, hat die bisherige Leiterin der Geschäftsstelle der Volkshochschule, Frau Ada Lessing, ihr Amt niedergelegt“ hieß es dazu in der Presse.
Ada Lessing folgte ihrem Mann nach Marienbad ins Exil und versuchte nach seinem Tod, die Nachlaßverwaltung zu regeln. 1937 erhielt sie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, war aber auch in diesem Land nicht mehr sicher. Es gelang ihr, rechtzeitig vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, nach Großbritannien zu fliehen. In Wales arbeitete sie zunächst in einem Kinderheim für emigrierte Kinder; als es bei Kriegsbeginn geschlossen wurde, bewirtschaftete sie eine kleine Farm.
Ende 1946 kehrte Ada Lessing nach Deutschland zurück, nachdem sie Kontakte zur neu gegründeten sozialdemokratischen Partei in Niedersachsen hergestellt hatte. Sie hoffte, an „ihre“ alte Volkshochschule zurückkehren zu können. Aber in Hannover waren politische EmigrantInnen nicht willkommen. Adolf Grimme, der niedersächsische Kultusminister, berief sie als Beraterin für die von der britischen Besatzung geforderte “Teacher Reeducation” und betraute sie mit dem Aufbau und anschließend der Leitung des Lehrerfortbildungsheimes Schloß Schwöbber bei Hameln. Sie hatte diese Position bis zu ihrem Tod inne. Am 10. November 1953 starb Ada Lessing in einem Hamelner Krankenhaus an Leukämie. Für Ada und Theodor Lessing wurden am 6. Oktober 2011 vor ihrem letzten Wohnhaus in Hannover, Am Tiergarten 44 in Anderten, Stolpersteine verlegt.
Ihre Tochter Ruth Lessing heiratete 1931, bekam zwei Kinder und überlebte die Kriegszeit in Deutschland. Ab 1947 war sie Mitarbeiterin ihrer Mutter im Lehrerfortbildungsheim; nach dem Tod von Ada Lessing leitete sie Schloß Schwöbber bis zur Schließung 1970. Sie starb am 21. August 1992.
Die Hauptschule im Schulzentrum Hannover-Bothfeld trägt seit September 1999 den Namen von Ada Lessing. Im Juni 2006 gab die Stadt Hannover ihrer Volkshochschule, die seit 1963 ein eigenes Gebäude am Theodor-Lessing-Platz hat, den Namen “Ada und Theodor Lessing Volkshochschule“.
(Die biographischen Informationen zu Ruth Gorny, geb. Lessing verdanke ich Herrn Prof. Dr. Peter Gorny, ihrem Sohn.)
(Text von 2009)
Verfasserin: Barbara Fleischer
Links
Fisser, Marc (2021): Aus Linsingen-Kaserne wird Ada-Lessing-Park. In: Deister- und Weserzeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 02.12.2021.
Online verfügbar unter https://www.dewezet.de/dossiers-hintergrund/themendossiers/linsingenkaserne-dossier_artikel,-aus-linsingenkaserne-wird-adalessingpark-_arid,2718171.html, zuletzt geprüft am 26.01.2023.
VHS Hannover (2023): frauenORT Ada Lessing.
Online verfügbar unter https://www.vhs-hannover.de/ueber-uns-1/historisches/frauenort-ada-lessing, zuletzt geprüft am 26.01.2023.
Literatur & Quellen
Sophie & Co.: Bedeutende Frauen Hannovers. Biographische Porträts, hrsg. von Hiltrud Schroeder. 2. Aufl. Hannover 1996, darin S. 246-247.
Wissen ist Macht, Bildung ist Schönheit. Ada & Theodor Lessing und die Volkshochschule Hannover. Katalog zur Ausstellung des Stadtarchivs zum 75 jährigen Bestehen der VHS. 26.1. – 4.3.1995 in der VHS Hannover. Hannover 1995.
Wollenberg, Jörg: “Ada und Theodor Lessing: Rückkehr unerwünscht”. In: Sozial. Geschichte, 21(2).2006, S. 52-66.
Ziegler, Charlotte: 1919-1969 Volkshochschule Hannover. Eine pädagogisch-historische Studie. Hannover 1970.
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