Fembio Specials Frauenbeziehungen A.H. Nijhoff
Fembio Special: Frauenbeziehungen
A.H. Nijhoff
© DVN (Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland)
(Geburtsname: Antoinette Hendrika Wind, Ehename: Antoinette Hendrika Nijhoff-Wind, Rufname: Nettie bzw. Netty)
geboren am 9. Juni 1897 in Den Haag, Niederlande
gestorben am 21. März 1971 in Den Haag, Niederlande
niederländische Schriftstellerin und Übersetzerin
125. Geburtstag am 9. Juni 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ach, was sind schon Tatsachen. Sie erzählen nicht mehr über jemand, als angeschwemmtes Treibholz über das Schiff erzählt, zu dem es gehört hat. Es verrät vielleicht etwas über die Identität des Schiffes und beweist den Untergang des Schiffes, aber was sagt es schon über das Ziel der Reise und über den Kampf um Leben und Tod, der mit dem Elementen ausgefochten wurde auf der Suche nach dem Ziel.
(A. H. Nijhoff)
Ihren Vater Hendrik Jeltinus Wind, der als Ingenieur bei der Anlegung einer Eisenbahnlinie in Venezuela gearbeitet hatte, hat sie nie kennengelernt. Er galt nach einem Schiffsunglück auf der Rückreise nach Europa im Jahr nach ihrer Geburt als vermisst und wurde nie gefunden. Im Jahr zuvor war ihre Mutter, Marie Wind-De Bruyne, mit ihrer älteren Schwester Gerda, die noch ein Baby war, von dort in die Niederlande zurückgekehrt. So wuchs Netty Wind allein mit ihrer Mutter, einer selbstständigen und unabhängigen Frau, und ihrer Schwester auf.
Eine Zeitlang wohnten sie bei den Eltern der Mutter in Groningen, bevor sie für ein Jahr nach Indonesien reisten, als Netty Wind fünf war. Sie logierten dort bei einer Tante in Batavia. Für das junge Mädchen waren es die ersten Erfahrungen im Ausland, denen noch zahlreiche folgen sollten.
Zurück in den Niederlanden zogen die drei nach De Bilt (in der Nähe von Utrecht), kurze Zeit später nach Den Haag, wo Netty ihre Grundschulzeit beendete und auf das Gymnasium Haganum wechselte. Außer in den Niederländisch-Stunden langweilte sie sich jedoch auf der Schule und schwänzte häufig, so dass sie den Abschluss nicht schaffte.
Bereits während ihrer Schulzeit wusste sie, dass sie schreiben wollte. Schon mit sechs Jahren schrieb sie ganze Hefte voll, mit acht beendete sie ihren ersten Roman. Während ihrer Schulzeit publizierte sie ihre ersten Arbeiten im Rostra gymnasiorium, der Zeitung des nationalen Gymnasiumbundes.
Bei einem Schulball lernte sie den Bruder eines Klassenkameraden kennen: den späteren Dichter Martinus Nijhoff, genannt Pom. Beide waren voneinander beeindruckt; dass sie beide schrieben, verband sie miteinander.
Nach ihrer Schulzeit arbeitete Netty Wind eine Zeitlang beim Vater ihres Freundes im Verlag Martinus Nijhoff, auch das langweilte sie wieder. Als sich 1916 herausstellte, dass sie schwanger war, heirateten die beiden unter dem Druck seiner Familie. Im gleichen Jahr wurde ihr Sohn Stefan, genannt Faan, geboren, und die junge Familie zog nach Alkmaar. Ihr Schwiegervater ließ für sie ein Haus in Laren bauen, genannt De muis, die Maus, das sie im Oktober 1917 bezogen. Dieses wurde zu einem Treffpunkt zahlreicher KünstlerInnen, AutorInnen und KomponistInnen, wie A. Roland Holst, Piet Mondrian und Willem Pijper, mit denen sie viel Kontakt hatten.
Da Martinus Nijhoff immer häufiger unterwegs war, langweilte sich Netty Nijhoff immer mehr und ging mit ihrem Sohn nach Paris; mit ihrem Mann blieb sie aber weiterhin in freundschaftlichem Kontakt. In Frankreich begann sie ernsthaft zu schreiben. Dort entstanden ihre Romane Afstand (Abstand) und Mister Boy, die sie beide vermutlich vernichtet hat.
Auf einer Reise durch Italien lernte sie Maria Tesi kennen, die sich als ehemalige Filmschauspielerin ausgab, und die ihr vorschlug, gemeinsam eine Pension zu betreiben. Ihre Villa Linda in Settignano in der Nähe von Florence wurde ein großer Erfolg; nicht zuletzt durch eine Anzeige in einer niederländischen Zeitschrift war der Zulauf von Anfang an groß. Die Pension war mit viel Arbeit verbunden. Nijhoff musste erst einmal kochen lernen, Geld für Personal gab es nicht; alles mussten die beiden Frauen selber machen. Zeit zum Lesen oder gar Schreiben blieb ihr nicht mehr.
Da ihr Schwiegervater darauf bestand, dass sein Enkel auf eine niederländische Schule gehen sollte, statt auf die Internationale Schule in Florenz, die er besuchte, zog Nijhoff wieder nach Paris, um näher bei ihm sein zu können. Dort lernte sie im Juni 1929 ihre neue Lebensgefährtin, die britische Malerin und Bildhauerin Marlow Moss, kennen, mit der sie bis zu deren Lebensende zusammenblieb. Die zwei zogen mit Nijhoffs Sohn in Paris zusammen, und es war für beide eine kreative Zeit. Die Besuche in Cornwall, wo Moss vorher gelebt und noch immer ein Atelier hatte, waren für Nijhoff eine große Inspiration, was in ihren Romanen zum Ausdruck kommt.
In Paris schrieb sie ihren Roman Twee meisjes en ik (Zwei Mädchen und ich), erstmalig wurde er 1930 in der literarischen Zeitschrift De gids veröffentlicht, ein Jahr später in Buchform. Bis heute wird er in den Niederlanden immer wieder neu aufgelegt, zuletzt 2018. Der Roman, der in einem Hotel an der Südenglischen Küste spielt, handelt von zwei jungen Mädchen und wird aus der Sicht eines Arztes erzählt, es geht um ihre Beziehungen untereinander. Die Reaktionen waren zum Teil empört, der Name Nijhoff würde dadurch beschmutzt (der Schwiegervater war ein bekannter Verleger, ihr Mann ein angesehener Dichter). Aber A. H. Nijhoff hatte ihren eigenen Weg gewählt: ein Pseudonym, mit dem sie nicht als Frau erkennbar war, ein Roman mit Anspielungen auf eine lesbische Beziehung und ein Mann als Hauptperson.
Von 1931 bis 1937 wohnten Nijhoff und Moss zusammen in Paris, wo sie zu einem Kreis von internationalen bildenden KünstlerInnen gehörten. 1937 kaufte Moss das kleine Landhaus Chȃteau d’Evreux in Gauciel in der Nähe von Evreux in der Normandie, das sie selber umbauten. Sie richteten sich mit selbstentworfenen Möbeln und zahlreichen Bildern von Moss, Mondrian, Gorin, Van Doesburg und anderen ein und wollten sich dort dauerhaft niederlassen. Zu den häufigen BesucherInnen gehörte vor allem ihr Sohn Stefan Nijhoff, wenn er nicht wegen seiner Ausbildung zum Fotografen bei Man Ray in Paris war. Aber auch die beiden Frauen waren häufig in der Hauptstadt und frequentierten – teilweise zusammen mit Stefan Nijhoff und dessen Partner, dem Balletttänzer Albert Mol – auch weiterhin die legendäre Lesbenbar Le Monocle. Nijhoff übersetzte während ihrer Pariser Zeit La porte étroite von André Gide ins Niederländische; die Übersetzung erschien 1937 unter dem Titel De enge poort.
Ihr Glück auf dem Land dauerte jedoch nur kurz. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, verließen die beiden Frauen Gauciel und zogen sich vorübergehend in das Nijhoffsche Haus Antoinette in Biggekerke (auf der Halbinsel Walcheren in den Niederlanden) zurück. Es war ein kleiner ruhiger Ort, und sie hofften dort den Krieg aussitzen zu können, bis sie in ihr Landhaus in Frankreich zurückkehren könnten. Dieser Wunsch ging jedoch nicht in Erfüllung, da das Chȃteau von der französischen Luftwaffe besetzt und 1944 durch Bombardierungen der Alliierten vollständig zerstört wurde.
Aber erst einmal konnten beide Frauen in Biggekerke ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen. Moss gelang es bei der Invasion der Deutschen in den Niederlanden gerade noch rechtzeitig, zurück nach England zu fliehen.
Nach der niederländischen Kapitulation glitt Nijhoff in eine Depression ab, sie fühlte sich als Fremde, als Geflüchtete, es war für sie ein erzwungener Rückzug. Die ersten beiden Kriegsjahre verbrachte sie im Wesentlichen zurückgezogen und allein. Sie sah kaum jemand und stürzte sich in ihre Arbeit. Sie schrieb viel, es war ihre einzige Beschäftigung.
1942 erschien eine Band mit Erzählungen von ihr unter dem Titel Medereizigers (Mitreisende), die allerdings nur auf Druck ihres Verlages herauskam. Dieses Buch, das ihrem Sohn gewidmet ist, enthält vier Erzählungen, die sich mit existenzialistischen Fragen beschäftigen, wie der Frage nach der (Un-)Möglichkeit der Freiheit und dem Ziel der Kunst. Die Hauptperson ist in allen Erzählungen wiederum ein Mann, Philip, der immer ein naiver junger Zuschauer ist. In diesem Band ist die einzige Erzählung von Nijhoff enthalten, die in deutscher Übersetzung erschienen ist: Archie.
Anfang 1942 wurde das Haus in Biggekerke von Deutschen beschlagnahmt; es blieben nur zwölf Stunden, um es zu räumen. Nijhoff zog zu ihrem Sohn nach Ginneken in der Nähe von Breda, wo dieser ein Fotostudio hatte und unter dem Künstlernamen Stephen Storm arbeitete, und musste sich dort erst einmal wieder an die bewohnte Welt gewöhnen. Es war ermüdend für sie, dass ständig Besuch kam, wie ihre Mutter, Schwester und Tante, aber auch Freundinnen. Das Leben erschien ihr beängstigend langweilig, auch wenn sie gleichzeitig mit der Angst lebte, es jeden Tag verlieren zu können. Trotz allem schafft sie es aber dort, weiter zu arbeiten.ar
Nach dem Krieg wusste sie erst einmal nicht mehr, wo sie zu Hause war, sie hielt es in den Niederlanden kaum aus, versuchte Kontakt zu Marlow Moss zu bekommen, aber die beiden konnten sich erst 1947 in Paris wiedersehen.
In dieser Zeit schrieb sie regelmäßig für die Zeitung Vrij Nederland, die ab 1940 als Untergrundzeitung gegen die Besatzung erschien. Über ihre Kriegserlebnisse schrieb sie die Novelle Geboorte (Geburt, 1945) sowie den Band De dagen spreken (Die Tage sprechen, 1946) mit Ansprachen z.B. „An die Jüngeren“, „An die Älteren“, „An Indonesien“, „An die Kollaborateure“.
Auch wenn es kurz nach dem Krieg noch schwierig war zu reisen, führte sie dennoch ein Nomadenleben und pendelte zwischen den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien. Zeit zum Arbeiten fand sie kaum. Dennoch gelang es ihr, eine Klassikerin der lesbischen Literatur, den Roman Olivia von Olivia (Pseudonym von Dorothy Bussy, geb. Strachey), zu übersetzen. Die niederländische Ausgabe erschien 1951.
Ein Jahr vorher, also 1950, hatte Martinus Nijhoff sie um die offizielle Scheidung gebeten, da er eine andere Frau heiraten wollte; diese erfolgte noch im gleichen Jahr; zwei Jahre später starb er.
Ebenfalls 1950 erschien ihr Roman De vier doden (Die vier Toten), der sich mit Erinnerungen eines Mannes an vier FreundInnen beschäftigt, die während des Krieges gestorben sind. Es geht um Fragen von Liebe, Freundschaft, Ehe und Lebenskunst.
1954 zog Nijhoff wieder ins Haus Antoinette in Biggekerke, von wo aus sie regelmäßig nach Lamorna zu Marlow Moss fuhr. Ein Jahr später erschien ihr Roman Venus in ballingschap (Venus im Exil), auch dessen Handlung war wieder in Cornwall angesiedelt und handelt von einer Frau, die in einem Dorf auftaucht und dort für Verwirrung sorgt. Nijhoff machte kein Geheimnis daraus, dass ihre Themen und Personen auf der Wirklichkeit basierten.
Im Jahr 1958 erlitt Nijhoff gleich zwei Schicksalsschläge: Sowohl Marlow Moss als auch ihre Mutter starben. Sie kümmerte sich weiterhin um die Anerkennung von Moss’ Werken und lieh sie für Ausstellungen immer wieder aus.
Ende der 1950er Jahre entdeckte Nijhoff Griechenland wieder für sich und lebte längere Zeit dort. Das erste Mal war sie 1933 zusammen mit Marlow Moss mit dem Orient-Express dorthin gereist. Jetzt nahm sie alte Kontakte wieder auf und plante auch ein Buch über das Land zu schreiben. Dieses blieb jedoch unvollendet. Nach dem dortigen Militärputsch war sie 1967 wieder einmal gezwungen, das Land, in dem sie lebte, zu verlassen, auch jetzt zog sie in die Niederlande zurück.
Ihre beiden letzten Lebensjahre verbrachte sie bei ihrer Schwester in Den Haag. Im dortigen Rot-Kreuz-Krankenhaus starb sie am 22. Mai 1971.
Ihr Wunsch, ihre Asche möge wie die von Marlow Moss ins Meer gestreut werden, konnte nicht erfüllt werden, da dies in den Niederlanden verboten war. Sie wurde dann auf dem Friedhof von Biggekerke begraben. Auf ihrem Grab befindet sich eine Skulptur von Marlow Moss.
(Text von 2019)
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
lt is difficult to draw a picture of the personality of this author, being as it is complex and yet simple, passionate and yet moderate, emotional and yet reasonable, idealistic and yet realistic, and it is only in reading her books the public will see a much fuller portrait of A. H. Nijhoff. In my opinion, A. H. Nijhoff will never be a prolific writer but, knowing her as well as I do, I take the liberty of saying that, when a book comes from her pen, every word of it has been lived.”
Marlow Moss
Links
Beek, Mats. 2019. A.H. Nijhoff. Schrijversinfo.nl.
A.H. Nijhoff. dbnl.org.
Wind, Antoinette Hendrika (1897-1971). Digital Women's Lexicon of the Netherlands.
Antoinette Hendrika Wind. Biography portal of the netherlands.
Marlow Moss. ZB Planbureau en Bibliotheek van Zeeland.
Links geprüft am 3. März 2021 (AN)
Literatur & Quellen
Werke von A. H. Nijhoff
Twee meisjes en ik. Amsterdam, Querido, 1931
Medereizigers. Amsterdam, Querido, 1942 (Neuauflage als: Het veilige hotel, Amsterdam, Querido, 1959)
Geborte. Amsterdam, De Bezige Bij, 1945
De dagen spreken. ’s-Gravenhage, D. A. Daamen’s Uitg.mij., 1946
De vier doden. Amsterdam, Querido, 1950 (Neuauflage unter dem Titel De brief. Amsterdam, Querido, 1956)
Venus in ballingschap. Amsterdam, Querido, 1955
Archie, in: Niederländische Meister der Erzählung. Hg. von Rolf Italiaander. Bremen-Horn, Walter Dorn Verlag, 1952. Übersetzung: Hermine Schmülling, Peter Mertens
Über A. H. Nijhoff
Moss, Marlow. 1949. A. H. Nijhoff. In: Singel 262. 26 biografieën. Amsterdam, Querido.
Pruis, Marja. 1994. De liefelijke hel van het Hollandse binnenhuisje. Leven en werk van A. H. Nijhoff. Amsterdam, VITA.
Pruis, Marja. 1998. Een schok van herkenning. De vriendschap van A. H. Nijhoff en Marlow Moss. In: Jaarboek voor vrouwengeschiedenis 18: Parallelle levens. Amsterdam, Stichting beheer IISG.
Pruis, Marja. 1999. De Nijhoffs of de gevolgen van een huwelijk. Amsterdam, Nijgh & Van Ditmar.
Pruis, Marja. 2017. Wind, Antoinette Hendrika in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland.
Pruis, Marja. 2018. De Nijhoffs en ik of de gevolgen een genre. Amsterdam, Nijgh & Van Ditmar (erweiterte Neuauflage von: De Nijhoffs of de gevolgen van een huwelijk).
(letzte Linkprüfung am 25.04.2019)
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