Empfehlungen Monika Jaeckel: (M)ein bewegtes Leben. Aufgeschr. v. Katrin Rohnstock und Rosita Müller. Helmer 2011.
Monika Jaeckel: (M)ein bewegtes Leben. Aufgeschr. v. Katrin Rohnstock und Rosita Müller. Helmer 2011.
Ein geschlossener Lebenskreis
Von Doris Hermanns
„Ich habe ein ganzes Leben gelebt und runde mit sechzig Jahren einen großen Lebenskreis ab. Das gibt mir Frieden. Ich denke nicht, etwas versäumt zu haben – im Grunde habe ich alles getan, was ich tun wollte: meine Träume verwirklicht, meine Projekte abgeschlossen und meine Missionen erfüllt. Es bleibt keine Gefühl der Sehnsucht nach einem nicht gelebten Leben.“
Monika Jaeckel wurde 1949 als jüngstes von fünf Kindern einer Missionarsfamilie in Japan geboren. Ihrem Vater blieb sie in dem Wunsch, die Welt zu verbessern, zeitlebens nah. Wichtig blieben ihr Erfahrungen aus dieser Zeit: das Gefühl von Gemeinschaft, ebenso wie die Erfahrung interkulturellen Lebens und der Mehrsprachigkeit. Reisen waren immer ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens.
Ihr Kinderparadies Japan musste sie im Alter von elf Jahren verlassen, da ihre Eltern wieder zurück nach Deutschland gingen. Dort erlebte sie einen Kulturschock in den kleinkarierten 1960er Jahren. „Eine enge Welt, deren Regeln ich nicht kannte und nicht verstand, in der ich unentwegt aneckte.“ Aber sie fand einen Weg für sich; über ihre Leistungen konnte sie sich in dem fremden System behaupten, darüber errang sie Anerkennung und gewann die ersehnte Sicherheit. Sie sollte Außenseiterin bleiben, aber eine Exotin mit guten Karten, da sie Englisch sprach und bereits viel von der Welt gesehen hatte.
Schon früh suchte sie intellektuelle Herausforderungen und schloss sich bereits als Schülerin der Studentenbewegung an. Nach dem Abitur ging sie zum Studium nach Tübingen. Sie hatte sich für Soziologie entschieden, da sie wissen wollte, wie Gesellschaft funktioniert und wie sie verändert werden kann.
Es folgen lebendig beschriebene Erzählungen aus ihrer Zeit in der Studentenbewegung, vom Frankfurter Häuserkampf, von ihrer Sponti-Zeit, ihrem Leben im Kollektiv bis sie sich der Frauenbewegung anschließt. Sie merkt, dass die feministische Analyse weiter führt als die marxistische, und entdeckt ihre Liebe zu Frauen. Immer wieder bleibt ihr Erleben nicht auf Deutschland beschränkt, häufig zieht es sie ins Ausland, wo sie andere Erfahrungen machen kann. Es entsteht ein spannendes Zeitbild der verschiedenen Bewegungen, die auch eigene persönliche Erinnerungen wach werden lassen.
Die Frauenbewegung sieht sie als DIE Bewegung der Stunde, sie sucht Kontakte zu Frauen, weil sie mit ihnen offen sein kann und nicht konkurrieren muss. Es ist nahe liegend, dass sie auch auf dem internationalen Frauencamp auf Femø war, bei dem neben internationalen Diskussionen viel Kreativität gelebt wurde. Hier erlebte sie eine neue, eine andere Art des Zusammenlebens und -arbeitens mit Frauen. Sie war beeindruckt von dieser Erfahrung: „Wir gingen bewusst wertschätzender miteinander um in dieser ersten Phase der Frauenbewegung. Erst später gab es alle möglichen Schwestern-Streite. Wir setzten eine Gegenerfahrung zu Abwertung und Selbstabwertung der Frauen.“
Musik spielte eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Bereits an der ersten Schallplatte mit Frauenliedern „Von heute an gibt´s mein Programm“ hatte Monika Jaeckel mitgearbeitet. Als 1974 eine englische Frauenrockband für ein Frauenfest ausgefallen war, gründeten sich spontan die Flying Lesbians, deren Sängerin sie war. Es war die erste Frauenrockband und sie sollte in den nächsten Jahren mit ihrer Musik die Aufbruchstimmung der Frauenbewegung transportieren. Wie Monika Jaeckel schreibt: „ Jede Bewegung braucht ihre Lieder, ihre Rituale, ihren Kult. Das schafft Identifikation und stellt Gemeinsamkeiten her.“ Die von ihnen aufgenommene LP wurde Kult, und diejenigen, die diese Zeit aktiv miterlebt haben, kennen fast alle Texte heute noch auswendig!
„Du kannst viele Barrieren brechen, wenn du das Thema mit Selbstbewusstsein angehst, statt dich diskriminiert zu fühlen und Angst zu spüren wie ein Hund. Weil wir unser Coming-out innerhalb der Frauenbewegung hatten, konnten wir so selbstbewusst werden und zu einem anderen Leben in der Gesellschaft beitragen.“
Monika Jaeckels Einschätzung der Frauenbewegung war, dass sie ausschließlich gebildete, unabhängige, berufstätige und karriereorientierte Frauen repräsentierte und somit nicht für alle Frauen sprechen konnte. Ihr Kritikpunkt war vor allem, dass es der Bewegung nicht gelang, Mütter und Kinder mit einzubeziehen. Sie selber wollte jedoch genau dies: heterosexuelle, verheiratete Frauen und Mütter kennen lernen. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte sie nach ihrem Berufseinstieg am Münchener Deutschen Jugendinstitut ein Konzept für Mütterzentren, damit Mütter öffentlichen Raum in Anspruch nehmen könnten. Das erste Mütterzentrum wurde 1980 in Salzgitter eröffnet. Bis heute gibt es über 400 Mütterzentren, die sie als Bilderbuchbeispiele aktivierender Forschung beschreibt. Aufgrund mangelnder Bündnispartnerinnen in der deutschen Frauenbewegung suchte und fand diese Bewegung Unterstützung in den internationalen Grassroots-Frauengruppen.
Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Monika Jaeckel zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Marieke van Geldermalsen in den Niederlanden, wo sie gerade einen gemeinsamen Betrieb aufgebaut hatten, als sie erfuhr, dass sie Krebs hatte.
Unterbrochen wird der Lesefluss nach jedem Kapitel von den in Englisch abgedruckten circular letters, mit denen Monika Jaeckel von 2008 bis 2009 während ihrer Krankheit ihr weltweites Netzwerk über ihre Situation auf dem Laufenden hielt. Diese Rundbriefe waren für sie eine Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben und noch dazu zu gehören. Auch wenn es ergreifende Briefe sind, wären sie m.E. in einer deutschen Übersetzung zu Ende des Buches besser aufgehoben gewesen.
Monika Jaeckel starb am 6. November 2009 im Bewusstsein, ein abgerundetes Leben gelebt zu haben.
Abgerundet wird das Buch mit einem Nachwort ihrer Frau Marieke van Geldermalsen-Jaeckel, in dem sie darauf eingeht, wie Monikas Ideen und Initiativen weiterleben: „Monika hätte sich gefreut, dass ihr Samen auch ohne ihr eigenes Bemühen Wurzeln schlägt.“
Ein spannend zu lesendes Buch über ein beeindruckendes Leben: für diejenigen, die die Zeit selber miterlebt haben, eine gute Möglichkeit, diese Zeit zu reflektieren, für alle anderen ein interessantes Zeitbild über soziale Bewegungen, vor allem über die Anfangszeit der Frauenbewegung.
Die Website von Monika Jaeckel, auf der auch Musik von ihr zu finden ist: [url=http://monikajaeckel.com]http://monikajaeckel.com[/url] -------------
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