Empfehlungen Maria Mies: Das Dorf und die Welt - Lebensgeschichten Zeitgeschichten, 2008
Maria Mies: Das Dorf und die Welt - Lebensgeschichten Zeitgeschichten, 2008
Rezension von Renate Klein
Maria Mies. Ob frau sie kennt aus dem Kampf um das erste autonome Haus in Köln für geschlagene Frauen, von ihren berühmten Methodischen Postulaten für eine engagierte Frauenforschung, als Kritikerin an Gen- und Reproduktionstechnologien, als Mit-Initiatorin der Subsistenzperspektive, oder von den internationalen Anti-Globalisierungskampagnen, Maria Mies ist international bekannt als nimmermüde, couragierte Aktivistin und Intellektuelle, die in klaren Worten die Situation analysiert, zu Widerstand aufruft, und neue Wege vorgeht - in Theorie und Praxis.
Ich habe ihre Lebens- und Zeitgeschichten Das Dorf und die Welt mit Begeisterung verschlungen und viel dabei gelernt. Und das, obwohl ich Maria Mies schon seit fast 30 Jahren kenne. Es ist ein spannendes Buch, dass uns nicht nur ihre Lebensgeschichte, sondern auch ein wichtiges Stück Zeit- und Frauengeschichte vermittelt. Ihre Erinnerungen sind nuanciert und reflexiv. Sie sind auch wunderschön geschrieben. Das Dorf und die Welt hat mich betroffen gemacht und zum Denken angeregt: was haben die vergangenen 60 Jahre uns Frauen gebracht?, wie hat sich der Feminismus gewandelt?, wie setzen wir uns mit Rückschlägen auseinander?, wie könnte die Zukunft aussehen? Vor allem aber zeight uns das Buch, dass eine einzige mutige Person, zusammen mit Gleichgesinnten, tatsächlich etwas bewegen kann, wenn es um die Beseitigung von Gewalt und Benachteiligung von Frauen und anderen Ausgebeuteten geht.
Ich hoffe sehr, dass junge Frauen ihr Buch lesen werden, dass sie Maria Mies’ Theorie und Praxis in Arbeitsgruppen heiss diskutieren werden, und dass sie das Gelesene zu neuen Wegen - und Taten! - inspiriert! (Für uns ältere Feministinnen ist es ein ‘must read’: es sind Erinnerungen an eine Zeit in der auch wir gekämpft/geliebt/gelacht/verloren/gewonnen haben.)
Das Dorf und die Welt ist ein ehrliches Buch. Maria Mies beschönigt nichts und verdeutlicht, dass wir uns durch unsere Kämpfe, Erfolge und Misserfolge verändern, wie auch die Welt sich verändert, manchmal zum Guten, oft zum Schlechten. Vor allem lehrt uns Maria, dass im ‘Dorf’ wie auch in der ‘Welt’ zu leben uns allen helfen kann über die Kleinkariertheit des Bekannten hinauszuwachsen: ‘Wer vom Aussen auf das Innere und vom Inneren auf das Äussere blicken kann, kann vieles nicht mehr so ernst nehmen.’ Worte einer weisen Frau die wir uns alle zu Herzen nehmen sollten in dieser Welt voll von Hass gegen ‘die Andern.’
Marias Mies wurde 1931 in einem kleinen Selbstversorgerbauerndorf in der Eifel geboren. Als ‘Nummer sieben’ von zwölf Kindern (acht Brüder, vier Schwestern; sie war die Älteste in der Sechsergruppe der Kleinen) erlebte sie eine glückliche Jugend - eng verbunden mit der Natur. Liebevoll, und im Detail beschrieben, kommt die Vulkanlandschaft der Eifel vor unseren Augen zum Leben: das Tal, die Allmend, wo Holz gesammelt wurde, der ‘wilde Steffelberg’ (später zerstört und in einen sterilen ‘Vulkangarten für Touristen’ umgestaltet), der Gemüsegarten, das Haus, und die grosse Küche, wo sich das Leben der Familie abspielte, das Milchschaf Lottchen (Maria half mit beim Scheren und Kämmen der gesponnenen Wolle) und die Schweine, die gekochte Kartoffeln frassen. Die Eltern gaben den Kindern ein bodenständiges Selbstvertrauen: ‘Sie dachten nie, dass wir einmal etwas “Besseres” werden sollten.’ Der Vater war ‘ein stolzer Mann’, der wusste, dass er alles, was man zum Leben brauchte, selbst erwirtschaften konnte. ‘Ein jähzorniger Patriarch wie er im Buche steht,’ sagt Maria, aber auch ein Bauernphilosoph und ein guter Vater. Die Mutter war die Stärkere von Beiden, ‘… er war immer der erste, der Frieden machte, ich war stur.’ ‘Wer will, der kann’ war ihr Motto - und ihre Kraft und ihr Optimismus scheinen sich auf Maria übertragen zu haben, wie auch die Verbundenheit der Mutter mit allem Lebendigen: Tieren und Menschen. Trotz harter Arbeit und einem neuen Kind fast jedes Jahr, lebte sie ein glückliches Leben: auch das ein Lebensmotto für Maria. Die Familie hatte nie Geld, aber es gab immer etwas zu essen. Und ein Geschenk von der Mutter für jedes Kind zu Weihnachten. Diesen Lebensmut und die ‘Bodenhaftung’ wird Maria ihr ganzes Leben nicht verlieren; wie sie selbst sagt, sie ‘…bewahrte mich auch vor allzu luftiger Romantik und weltfremdem Idealismus. Ich weiss, dass die Nahrung nicht aus dem Supermarkt kommt, sondern aus der Erde.’ Erste Anfänge der Subsistenztheorie und -praxis als Zukunftsperspektive, die sie mit grossem Erfolg zusammen mit Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen Ende der 70-er Jahre entwickeln wird. Der liebevoll und detailliert beschriebene Rückblick auf ihre Kindheit, wo Maria oft die Geschichtenerzählerin war und originelle Theatervorführungen inszenierte (anstatt beim Abwaschen zu helfen!), ist für mich einer der Höhepunkte des Buches.
Maria war das erste Mädchen aus dem Dorf, das eine Höhere Schule besuchte und Abitur machte. Eine Serie von ‘glücklichen Zufällen’ - und eine Primarschullehrerin, die sie unter ihre Fittiche nahm - machten es möglich, dass sie eine ganze Reihe von Schulen besuchen konnte, die eigentlich nicht für arme Landmädchen offen waren. Mit 16 bestand sie die Aufnahmeprüfung in ein ‘Pädagogium’, das zum Abitur und Ausbildung als Volkshochschullehrerin führte. Sie hatte tolle LehrerInnen, die ihren Intellekt sowie Sprachen (Englisch und Französisch), Selbständigkeit und Kreativität förderten. ßßß Ihr war schon früh klar, dass sie weder als Dienstmädchen nach Köln gehen noch heiraten wollte: ‘Ich wusste sehr früh, wer ich war und was ich wollte. Von klein auf war mir klar, dass ich eine Künstlerin war.’ Den Künstlerinnentraum konnte Maria zwar letztendlich strikte genommen nicht erfüllen - obwohl man sie sicher eine Lebenskünstlerin nennen kann - doch verbrachte sie eine glückliche Schulzeit, unterstützt und gefördert von LehrerInnen, die wohl ihre vielfältigen Talente früh erkannten. Ein reformpädagogischer Direktor regte zu Kooperation und gegenseitiger Hilfe statt individueller Leistung und Konkurrenz an. Ihre Politisierung begann mit dem Vorschlag für einen Schulboykott gegen den Beschluss der Bundesregierung, die Wiederbewaffnung einzuführen: “’Nie wieder Krieg!’: diesen Slogan hielten wir hoch.”
Männern nachzurennen war Maria zu dumm, obwohl auch sie wie ihre Schulfreundinnen für gewisse Lehrer und Lehrerinnen schwärmte. Die ‘Tanzereien’ bei denen frau warten musste, bis ein biertrinkender Mann sie zum Tanz aufforderte, fand sie demütigend (was mich schmunzelnd an meine eigene Jugend erinnerte, wo ich wie Maria als Mauerblümchen dasass, wartete - und mich ‘vor-feministisch’ ärgerte über dieses System!). Lieber schlug sie sich mit ihrem Skizzenblock durch die Wälder.
Trotzdem war es ‘die grosse Liebe meines Lebens’, die die Neunzehnjährige ein Jahr vor dem Abitur auf ihrem Lebensweg vom Dorf in die Welt weiterbrachte. Zulfiquar war Moslem, stammte aus Ostpakistan (dem heutigen Bangladesh), und war Funker auf einem pakistanischen Schiff. Maria lernte ihn kennen vor dem Deutschen Museum in München, auf einer Rundreise durch Deutschland, die sie in einem Wettbewerb als ersten Preis für ein Plakat über die Geschichte des Verkehrs gewonnen hatte. Nach einem Jahr mit ‘Hunderten von hellblauen Briefen, die nach Teer und der weiten Welt rochen’, trafen sie sich wieder. Maria war bis über beide Ohren verliebt in den schönen dunklen Seemann, und Zulfiquar wollte sie heiraten. Doch die Warnsignale des katholischen Mädchens waren zu stark: einen Moslem heiraten? Unmöglich. Drei Tage lang trafen sie sich jeden Nachmittag in einer leeren Wirtsstube. Danach gab es lange Jahre einer Brieffreundschaft, die von der Schulzeit über das Studium zur Volksschullehrerin und die ersten Berufsjahre anhielt. Maria liest die Bibel, den Koran. Die Lösung, die sie sucht, findet sie nicht, dafür legt sie die Grundsteine ihrer späteren Patriarchatskritik: dass die Dominanz eines eifersüchtigen, monotheistischen Gottes zur Kontrolle der Frauen dient. Zudem, so überlegt Maria heute, war ihr Widerstand Zulfiquar zu heiraten vielleicht auch ein “…Teil einer unbewussten, feministischen Strategie, die mir zwar das Gefühl vermittelte, geliebt zu werden, gleichzeitig aber meine Freiheit nicht einschränkte.”
Diese romantische Liebe gab ihr die Einsicht, dass “… der Mensch nur da etwas versteht, wo er liebt”, dass man ohne Fühlen nichts versteht, und dass Heimweh und Fernweh miteinander verfliessen. Stark war der Drang, den Osten und Orient zu erkunden. Doch zuerst kamen Jahre als Volksschullehrerin und die Erfahrungen in Sommerarbeitscamps in Deutschland, Frankreich und im Libanon. Dann 1962 ein weiteres Examen mit Schwerpunkt Englisch und Deutsch als Realschullehrerin. Der Lebenstraum Künstlerin musste ad acta gelegt werden: die Ideen waren oft toll, aber immer wieder stiess Maria an “…die technischen Grenzen meines Könnens.”
Das Fernweh wurde drängender. Maria war jetzt Beamtin und ökonomisch abgesichert aber “… um mich herum war nichts, was mich inspiriert hätte. … Ich wollte etwas zur Veränderung der Welt beitragen.” 1962 bewarb sie sich erfolgreich um eine Lektorenstelle am Goethe-Institut in Pune in Indien: Der Aufbruch in die Welt hatte begonnen. In den nächsten fünf Jahren beginnt Maria, in das Leben und die Geschichte Indiens einzutauchen. Statt unter ‘Indienschock’ zu leiden, fühlt sie sich zu Hause; statt Romantik über Fernweh in ihrem Briefwechsel mit Zulfiquar lebt sie nun die Realität und fühlt sich wohl. Sie lernt Indien kennen und lieben als ihre zweite Heimat. Wieder beginnt ein Briefwechsel. Diesmal mit Saral Karkal aus Kalkutta, der am Goethe-Institut in Pune studiert hatte: Wo findet ein Atheist die Inspiration, wenn er die Welt verändern will, will Maria wissen? Aber sie ist vorsichtig, will den Briefwechsel nicht zu persönlich werden lassen. Sie will weder heiraten noch ihre Freiheit aufgeben. Sie ist eine von zwei Frauen, die das Goethe-Institut weltweit angestellt hat, und sie unterrichtet Inder und Inderinnen, die Deutsch lernen wollen. Dabei wird sie neugierig: Wieso wollen Frauen Deutsch studieren, wenn es doch klar zu sein scheint, dass für ihre Familien die Heirat das wichtigste Ziel ist? Unterstützt von einer imposanten indischen Anthropologin macht Maria ihre erste soziologische Umfrage - der Weg als feministische Soziologin hat begonnen! Mit grosser Ehrlichkeit macht Maria jedoch klar, dass sie zu dieser Zeit wenig Wissen über Kolonialismus oder patriarchalische Geschlechterverhältnisse hatte und - wieder ein Kernsatz für alle LeserInnen - wie wichtig es ist, ein politisches Bewusstsein zu haben, um bestehende Verhältnisse analysieren zu können. Wie sie sagt: ‘Dass Sehen und Verstehen nicht identisch sind, ging mir erst auf, als ich eine Feministin geworden war und mich an den Kämpfen um Frauenbewegung beteiligte.’ Die Zeit in Pune war der Anfang ihres feministischen ‘consciouness raising:’ Als ihr eine Bibliothekarin Betty Friedans Buch The Feminine Mystique (1963) zu lesen gibt, ergeben viele ihrer Beobachtungen in Deutschland und Indien einen Sinn. Ausserdem erinnert sie sich: “Mir wurde auch klar, dass die Frauenbefreiung mein zukünftiges Thema sein würde.”
Die fast fünf Jahre in Pune kamen im Dezember 1976 zu einem abrupten Ende als Maria Mies zu ihrer schwerkranken Mutter nach Deutschland zurückkehrte. Die Mutter überlebte, und Maria begann ihren nächsten Lebensabschnitt: ein Soziologiestudium in Köln bei einem Professor, der so begeistert war von ihren Erfahrungen in Indien, dass er ihr vorschlug, doch gleich über die komplexe Situation indischer Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft zu promovieren - wieder einer der ‘glücklichen Zufälle’ in Marias Leben.
Zurück in Deutschland fühlte sich Maria zunächst wie in einem fremden Land (auch das eine Erfahrung die all den LeserInnen bekannt sein wird, die je ihr Mutterland verlassen haben): In den fünf Jahren, die sie in Indien verbracht hatte, waren die Deutschen reich geworden durchs ‘Wirtschaftswunder.’ Ihre begeisterten Erzählungen aus dem “armen Indien” wurden nicht verstanden. Dieses Gefühl der Entfremdung änderte sich allerdings schnell, als Maria in der StudentInnen- und dann Frauenbewegung aktiv wurde, die sich seit 1968 international ausbreitete. Sie verschlang Marx, Engels, informierte sich über den Positivismusstreit und wurde Mitglied des Politischen Nachtgebets in Köln (gegründet von Dorothee Sölle), das nach dem Motto “Bloße Analyse und Kritik reicht nicht” politische Diskussionen in den Kirchenraum und Teilnahme an Demonstrationen in seine Aktionen integrierte. Maria nahm Teil an kritischen Veranstaltungen über Entwicklungs”hilfe”, Emanzipation der Frauen, und, 1972, zusammen mit Claudia von Werlhof, über die Zukunft von Ost-Pakistan, das seit 1971 ein eigener Staat, Bangladesh, ist. (Mit Claudia von Werlhof arbeitet Maria auch heute noch zusammen, und durch die Kritik an Gen-und Reproduktionstechnologien und FINRRAGE wird sie sich eng mit Farida Akhter aus Bangladesh verbinden.) Seit 1971 nennt sie sich eine Feministin. Die öffentliche feministische Kritik an den internationalen patriarchalischen Religionssystemen ermöglichten es Maria Mies 1973 aus der Kirche auszutreten; als Besiegelung schreibt sie das Gedicht ‘Wir Frauen sind Gott-los,’ in dem sie sich von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs genau so verabschiedet wie von Allah, Shiva und Krishna (und 1984 bekam auch “die Göttin” noch eine Strophe: “Und die Uralt-Junge/Die immer schon da war…/Wieso nennen wir es Göttin”?).
Inzwischen arbeitete sie - selbstfinanziert - weiter an ihrer Doktorarbeit und kehrte nach Indien zurück. Promotion 1972. Ihre Dissertation, veröffentlich als Indische Frauen zwischen Unterdrückung und Befreiung (1973), erschien auch in Indien als Indian Women and Patriarchy - übersetzt von Saral Sarkal, den Maria 1976 geheiratet hatte. Obwohl beide eigentlich gegen Heirat waren, war die politische Situation in Indien in den siebziger Jahren für Linke wie Saral gefährlich geworden. Und Maria hätte als “unerwünschte Person” ausgewiesen werden und Saral gefährden können - also schien es besser, ihre Beziehung zu legalisieren. Allerdings hatte Maria nie im Sinn, ihre Stelle als Professorin für Soziologie an der Fachhochschule Köln aufzugeben. So blieb es bei einer “Besuchsehe” bis 1982, als Saral nach Köln übersiedelte, wo beide heute leben.
In den nächsten zwei Jahrzehnten wurde Maria Mies als engagierte Feministin in der Frauenforschung international berühmt. Als Dozentin in Köln entwickelt sie sieben Methodische Postulate, die sie aus ihrer engagierten Aktionsforschung mit Blick ‘von unten’ und zusammen mit den Forschungs”objekten” durch den Kampf für das erste autonome Haus für geschlagene Frauen in Köln erarbeitet (mein erster Kontakt mit Maria Mies kam durch diesen methodologischen Ansatz zustande, der meine eigene Forschung stark beinflusste). Auch ihre langjährige Zusammenarbeit mit Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof über den Subsistenzansatz, wie auch die spätere feministische Kritik an der neoliberalen Globalisierung sind weltweit bekannt. (Das Dorf und die Welt enthält eine ausgezeichete Zusammenfassung über Subsistenz als Zukunftsperspektive.)
Ihr Hauptwerk Patriarchy & Accumulation on a World Scale. Women in the International Division of Labour (1986), das für Frauen im Süden wie auch im Norden relevant ist, wurde zuerst auf Englisch veröffentlicht und macht sie zu einer der originellsten feministischen Theoretikerinnen: Sie verlor nie den Boden unter den Füssen und betonte wieder und wieder, dass erst durch eine engagierte Praxis eine Situation verstanden, verändert und theoretisiert werden kann. Und das gilt sowohl für die Situation von Frauen im Dorf wie auch der Welt. Weitere Untersuchungen in Indien mit Frauen in der Heimindustrie (The Lacemakers of Narsapur, 1982)und mit Landarbeiterinnen brachten ihr Konzept der ‘Hausfrauisierung’ (housewifization) an eine breite internationale ¨Oeffentlichkeit. Von 1979 bis 1981 entwickelte sie einen wichtigen Graduiertenkurs (MA) ‘Women and Development’, am Institute of Social Studies in Den Haagin den Niederlanden. Studentinnen aus dem Süden, aber auch einige aus den Niederlanden, studierten miteinander - wiederum inspiriert von Maria Mies’ leidenschaftlicher Theorie und Praxis in denen sie immer wieder betont dass “…gemeinsam erlittene Ausbeutung und Unterdrückung durch patriarchale, koloniale und kapitalistische Verhältnisse” viel wichtiger sind als Unterschiede von Frauen, bedingt durch Geografie, Sexualität, Rasse oder Religion.
Meine Zusammenarbeit mit Maria Mies begann in den 80-er Jahren, wo wir als Mitstreiterinnen im feministischen Netzwerk FINRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Enginneering) manches Hoch und Tief des Wiederstandes Wider die Industrialisierung des Lebens (Mies 1992) teilten. Es geht weit über den Rahmen dieser Rezension hinaus auszuführen, wie wichtig Marias scharfsinninges Verständnis für die globalen sozio-politischen Zusammenhänge bei der Beurteilung der Gen- und Reproduktionstechnologien war - und ist. Maria Mies spielte eine zentrale Rolle auf FINRRAGE Konferenzen in Deutschland, Schweden, Spanien und Bangladesh. Ihre Aufsätze zum Thema ‘My Body, My Property,’ oder die Invasion dieser Technologien “… in die Natur, den weiblichen Körper, oder in eine fremde Gesellschaft …” machten klar, dass Gewalt “…notwendigerweise mit dieser ‘Wissenschaft’ gekoppelt’ ist. Diese Erkenntnisse brachten Maria - wie auch mich und viele andere FINRRAGE Mistreiterinnen - dazu, das Selbstbestimmungskonzept - ein Zentralkonzept der Frauenbewegung - kritisch unter die Lupe zu nehmen. In “Selbstbestimmung - Das Ende einer Utopie?” (Mies, 1989) zeigte Maria Mies erneut, dass sie sich nie scheut, alte (geliebte) Dogmen neu zu überdenken. Der Marxsche (und linke) Glauben an Technologie-als-Fortschritt hielt ihrer Kritik nicht stand, und wie oft in ihrem Leben, schrieb sie ein ironisches Lied für eine Strassenaktion in Köln ‘Lassen Sie sich patentieren! (Zu singen auf die Melodie: Freude, schöner Götterfunken).’ Auch das Copyright bringt zum Lachen: ‘Maria Mies, Köln 1996 © Common Intellectual Property of People with Resistance Genes (CIPPRG).’
Im letzen Drittel des Buches beschreibt sie Aktionen der Frauenfriedensbewegung; ihre Zusammenarbeit mit Vandana Shiva zum Thema Oekofeminismus; eine neue Bewegung “Diverse Women for Diversity”, Frauen und Nahrung, und schliesslich Kampagnen gegen Globalisierung, wie zum Beispiel gegen das MAI (Multilaterale Abkommen über Investitionen, 1998); GATS und Privatisierung (General Agreement on Trade in Services, 2003). Das Buch - wie die Welt - wird hektisch: der neoliberale “Raubtierkapitalismus” des “Mainstreams”, mit einer Dosis Postmoderne vermischt, lähmt auch die Frauen. Kritische Feministinnen sind je länger je weniger gefragt.
Maria Mies ärgert sich, macht aber weiter, schreibt neue Bücher (Lizenz zum Plündern, 1998; Globalisierung von unten, 2001; Krieg ohne Grenzen, 2004). Ihr Buch offeriert wunderbare Anekdoten: eine Konferenz in den Niederlanden, 1993, wo der eingeladene Nobelpreisträger - ein Mann - einen Vortrag über die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern hält und von den jungen ZuhörerInnen begeistert beklatscht wird. Maria staunt: Es war klar, dass die feministischen Analysen der siebziger/achtziger Jahre zu Hausarbeit im Kapitalismus vergessen waren, und dass “…unsere eigenen Einsichten und Schlussfolgerungen erst dann von der Oeffentlichkeit - einschliesslich der Frauenöffentlichkeit - akzeptiert und gewürdigt werden, wenn sie von prominenten Männern vorgebracht wurden/werden.2 Eine ärgerliche Tatsache, die wir alle bestens kennen! Trotzdem, wie Maria schreibt, ist es “… eine schmerzliche Erkenntnis”, dass viele unserer wichtigen Arbeiten heute in der Mottenkiste liegen…ein weiterer Grund Das Dorf und die Welt zu lesen!
Maria Mies eilt weiter von Kongress zu Demonstrationen und Globalen Foren, schreibt intensiv und gibt Vorträge: die WTO (World Trade Organisation) Jahrtausendrunde in Seattle (1999) endet mit einem Fiasko, der internationale Widerstand gegen die globale Freihandelspolitik wird gestärktund entwickelt sich zu einer “Globalisierung von unten.” Sie bleibt inspiriert, nicht nur “…weil ich mit vielen Menschen aus der ganzen Welt in Verbindung stand, zusammen mit ihnen kämpfen und meine Kreativität entfalten konnte, sondern weil ich mit ihnen zusammen tatsächlich etwas bewegen konnte, weil wir Erfolg hatten.”
Trotz dieser Erfolge erkennt Maria Mies, dass die Neoliberale Politik des “Mainstreams”immer mehr zum Dogma wird: Hochschulen bieten keine kritischen Kurse mehr an, die Linke ist zerstritten, die Medien reaktionär. Und demonstriert wird auch nicht mehr. Beim ersten Grosskongress von ATTAC in Deutschland, in Berlin im Jahr 2000, wird der Zusammenhang von Frauen und Globalisierung nicht einmal erwähnt. Mit Gleichgesinnten wie Eva Quistorp gründet Maria Mies auf der Stelle ein Frauennetzwerk, das als eigene ATTAC Arbeitsgemeinschaft am Kongress angenommen wird. Ein Erfolg, aber wie Maria schreibt, hatte sie “…das schale Gefühl von déjà vu. … Wieso sahen die Männer immer noch keinen Zusammenhang zwischen der Geschlechterfrage und anderen sozialen Fragen?” Erinnerungen an den Tomatenwurf von Helke Sanders 1968 bei einer Versammlung des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), der als Beginn der Frauenbewegung gilt!
Die Kritik an Gewalt gegen Frauen durch patriarchalische Manifestationen in der Familie, technologische “Fortschritte”, Globalisierung und Krieg zieht sich wie ein roter Faden durch Marias Lebenswerk. Frauenhandel, Prostitution und Ausbeutung von Arbeiterinnen in der globalisierten Welt im Süden wie im Norden werden immer drastischer. Die Zusammenhänge werden oft nicht verstanden. Dass “eine andere Welt möglich ist” - ein Slogan der beim ersten Weltsozialforum (WSF) in 2001 in Porto Alegre (Brasilien) erfunden wurde - gibt neuen Mut, doch wird es immer schwieriger, die radikale Linie der Ablehnung der Globalisation zu verfolgen. ATTAC und andere progressive Organisation verstehen sich als “KritikerInnen” - nicht “GegnerInnen.” Sie meinen, dass Globalisierung “verbessert” werden kann. Wie naiv solche Ideen waren/sind, zeigt die gegenwärtige dramatische, weltweite Finanzkrise.
Maria beschliesst, in Zukunft nicht mehr in alle Welt zu reisen, um an solchen Massenveranstaltungen teilzunehmen. Sie setzt ihre Aufklärungsbemühungen auf der lokalen Ebene fort: zurück aus der ‘Welt’ ins ‘Dorf’ oder doch wenigstens in ihre Stadt Köln. Als Mitglied von Feminist ATTAC organisiert sie 2003 einen grossen, interationalen Kongress: “Frauen, GATS und Privatisierung.” Der Kongress ist ein grosser Erfolg. Frauen aus Indien, Bangladesh, England, Kanada, Oesterreich und Deutschland zeigen die drastische Verschlechterung der Situation von Frauen in Verbindung mit Gesundheit, Gewalt und Ausbeutung auf. Auch die gefährliche Privatisierung von Wasser und ihre Auswirkungen auf Frauen wird von Maude Barlow (Kanada) und Vandana Shiva (Indien) diskutiert. Wie der Frauenkongress gegen Gen- und Reproduktionstechnologien 1985, ist auch der “… Anti-GATS Frauenkongress 2003 der Auftakt für viele andere Veranstaltungen gegen die Privatisierung des Dienstleistungssektors: des Wassers, des Gesundheitwesens, der Bildung, der Energie, und gegen die Verwandlung des gesamten Lebens in Waren.”
Doch Maria Mies ist erschöpft: sie will nicht weiter solche grossen Veranstaltungen organisieren. Stattdessen schreibt sie ihr nächstes Buch Krieg ohne Grenzen (2004) und gibt Vorträge dazu landauf, landab. Das Thema geht nicht spurlos an ihr vorbei: ‘Das Thema “Globalisierung und Krieg” war mir buchstäblich unter die Haut gegangen.’ Auch die Suche nach einer neuen Vision ist nicht einfach. “Das Kapital als Religion” wird von vielen als pragmatische Realitität akzeptiert: TINA (There is No Alternative). Dagegen schreibt, spricht, demonstriert Maria weiter. Gartenarbeit in ihrem Dorf gibt ihr Mut und Kraft weiterzumachen. Mit und nicht gegen die Natur zu arbeiten, ist lebenswichtig. Momente des glücklichen Lebens, auch wenn die Weltsituation miserabel ist.
2006 wird Maria Mies krank und muss eine Pause einlegen. Doch sie gibt die Hoffnung nie auf: Kritisches Denken und Handeln sind lebensnotwendig, um Wege zur Veränderung zu finden, weil “eine andere Welt möglich ist und schon begonnen hat.” Das Dorf und die Welt ging im September 2008 in Druck, also vor dem dramatischen Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Prophetisch klingen Marias Worte zum Credo des Neoliberalismus: Ohne Wettbewerb keine Investition, ohne Investitionen keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeitsplätze kein Wohlstand, keine Gleichheit, kein Frieden. Obwohl die tagtägliche Erfahrung uns zeigt, dass diese Behauptungen nicht stimmen, sollen wir daran glauben. Also: Credo quia absurdum (ich glaube weil es widersinning ist).
Sicher wird die englische Version des Buches (geplant für 2010) ein Nachwort zu diesem düsteren Kapitel haben. Ich kann nur hoffen, dass die Lebensgeschichte von Maria Mies mit all ihrem Mut, Humor, Intellekt und all ihrer Leidenschaft junge wie ältere Frauen inspirieren wird, so dass wir gemeinsam das nächste Kapitel des Feminismus beginnen können. ‘Failure’, wie die US amerikanische Feministin Susan B Anthony sagte, ‘is impossible.’ Wir müssen an ein glückliches Leben glauben. Im Dorf und in der Welt. Ich bin Maria Mies zutiefst dankbar für dieses wunderbare Buch.
Renate Klein, Biologin und Soziologin. Bis 2006 feministische Professorin für Frauenstudien in Australien. Mitbegründerin von FINRRAGE und Spinifex Press.
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