Empfehlungen Leontine Sagan: Licht und Schatten - Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten. 2010.
Leontine Sagan: Licht und Schatten - Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten. 2010.
„Die Welt von den Sinnen aus genießen“
Doris Hermanns über
Leontine Sagan: Licht und Schatten. Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten. Hg. und kommentiert von Michael Eckhardt. Vorwort: Wolfgang Jacobsen. Jüdische Memoiren Band 16. Hentrich & Hentrich 2010. 355S. € 24,80
Um Leontine Sagan, die Regisseurin der ersten Fassung des Films „Mädchen in Uniform“, ranken sich ähnlich viele Mythen wie um Christa Winsloe, von der das Theaterstück stammt, auf dem der Film basiert. Anders als Winsloe hatte Sagan jedoch vor diesem Film bereits eine eigenständige Karriere aufgebaut und konnte diese auch danach weiterführen. Dem Hentrich & Hentrich Verlag ist es zu verdanken, dass nun endlich die Autobiografie von Leontine Sagan auf Deutsch vorliegt – , und zwar in einer sehr schön aufgemachten, handlich kleinen, gebundenen Ausgabe - die bereits 1996 in Südafrika erschienen ist.
Geboren 1889 in Budapest, verbrachte Leontine Sagan ihre Kindheit und Jugend zwischen Wien und Südafrika. Mit 21 Jahren ging sie nach Berlin an die Reinhardtschule, nach deren Besuch Engagements in Böhmen, Dresden und Wien folgten. Ab 1916 war sie in Frankfurt am Main, erst am Neuen Theater, später am Schauspielhaus. Hier sollte sie ihren Rollenkreis zu einem reichhaltigen Repertoire erweitern. An der dem Schauspielhaus angeschlossenen Theaterschule gab sie später auch Unterricht. Auch fing sie an, Regie zu führen - zu einer Zeit, als dies für eine Frau noch alles andere als selbstverständlich war. Unruhe und bohrender Ehrgeiz brachten sie mit 37 Jahren dazu, nach Berlin zu gehen. Dort war es, wo sie 1931 erst „Gestern und Heute“, die Bühnenfassung, ein Jahr später dann die Verfilmung unter dem Titel „Mädchen in Uniform“ übernahm.
1932 verließ sie Deutschland und ging auf Einladung nach England, wo sie mit dem Theaterstück „Children in Uniform“ tourte. Auch drehte sie einen zweiten – recht erfolglosen – Film. Den Rest ihres Lebens sollte sie sich nur noch mit dem Theater beschäftigen, das ihr ohnehin mehr lag.
Nach einer Tournee in Südafrika mit u.a. „Children in Uniform“ ging sie wieder nach England zurück, wo sie an diversen Theaterstücken mitarbeitete. Sie wurde die erste Frau, die am legendären Theatre Royal Drury Lane in London Regie führte. Ausführlich beschreibt sie die Theaterwelt in Deutschland und England. Merkwürdig mutet an, dass sie Antisemitismus als ein nur in Deutschland - und dort auch nur außerhalb des Theaters - vorkommendes Phänomen beschreibt, auch wie sie über Südafrika berichtet, als ob dort fast ausschließlich Weiße gelebt hätten.
1947 ging Sagan zurück nach Südafrika, wo sie noch bis 1963 Regie führte und als Schauspielerin auftrat. 1974 starb sie in Pretoria.
Sehr lebendig beschreibt Sagan die zahlreichen Stationen ihres Lebens, die Licht- wie die Schattenseiten. Auch warum sie sich immer wieder als Außenseiterin fühlte, z.B. als jüdisches Mädchen zwischen ihren christlichen Mitschülerinnen auf der deutschen Schule in Südafrika, aber auch später in England als Erwachsene, die zwar in einem englischsprachigen Land aufgewachsen war, die „englische Art“ jedoch nicht kannte. Auch der Patriotismus des Ersten Weltkrieges war ihr fremd.
Sie berichtet aber auch von ihrer Reiselust, durch die sie z.B. auch ihre recht erfolglosen Monate in Hollywood gelassen nehmen konnte, sowie von ihrer Liebe zur Natur, zu bestimmten Landschaften, vor allem zum Transvaal, aber auch zur Gegend um Hollywood.
Bedauerlicherweise hat der Verlag sich dafür entschieden, das ausgezeichnete Vorwort von Loren Kruger, die die ursprüngliche südafrikanische Ausgabe herausgegeben hat, nicht zu übernehmen.
Lights and Shadows: The Autobiography of Leontine Sagan. Introduction by Loren Kruger. Wits University Press (Taschenbuch - Januar 1996)
Loren Kruger hat die Autobiografie in jeder Hinsicht in den jeweiligen Rahmen gesetzt, sei es, was jüdisches Leben, was Theater in Deutschland vor 1933, in England und Südafrika, Film in der Weimarer Republik, Hollywood, als auch die Einordnung in einen lesbischen Kontext angeht – all dies fehlt im deutschen Nachwort weitgehend.
Dort wird ein kurzer Überblick über Sagans Leben gegeben, danach beschränkt sich Michael Eckardt leider weitgehend auf den Film „Mädchen in Uniform“, von dem zahlreiche Besprechungen zitiert werden. Somit wird Sagan auf ihren großen Erfolg reduziert, der in ihrem Leben, wie aus ihrer Autobiografie sehr deutlich hervorgeht, einen eher geringen Stellenwert hat. Eine weitere Einordnung fehlt leider.
Und wenn dort schon über das Ende des Films spekuliert wird, warum wird nicht gefragt, was Winsloe dazu gesagt hat, was sie mit ihrem Theaterstück beabsichtigt hat; sie hat mit Sagan an dem Script des Theaterstücks zusammengearbeitet. Dennoch wird sie im Nachwort nicht einmal erwähnt.
Merkwürdig mutet die Feststellung an, dass sich aus den südafrikanischen Kritiken zu dem Film „keine aktive Wahrnehmung des Themas Homosexualität“ ableiten lässt, ohne der Frage nachzugehen, ob Homosexualität in Südafrika zu der Zeit überhaupt öffentlich wahrgenommen bzw. diskutiert wurde. Warum er nicht darauf eingeht, dass das Thema in Deutschland sehr wohl wahrgenommen wurde, bleibt offen.
Sehr erstaunlich auch, dass Eckardt bei einem Film, in dem nur Frauen mitspielen, von einer „Lehrer-Schüler-Beziehung“ spricht. Da wundert es dann nicht mehr, dass er feministischen Lesarten des Films nichts abgewinnen kann. Eine große Hilfe bei den konkurrierenden Deutungen – wie er es sich erhofft – kann die Autobiografie nicht sein, dazu geht Sagan viel zu wenig auf ihn ein.
Trotz des enttäuschenden Nachworts ein sehr lesenswertes Buch, das aufzeigt, dass das bewegte Leben von Sagan weit mehr umfasste als nur die Regie in „Mädchen in Uniform“.
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