Empfehlungen Hertha Kräftner – Kühle Sterne
Hertha Kräftner – Kühle Sterne
Hertha Kräftner Kühle Sterne: Gedichte, Prosa, Briefe.
Hrsg. Gerhard Altmann, Max Blaeulich Suhrkamp Taschenbuch, 2001 - EUR 12
Gastkommentar von Birgit Rühe:
... die bekannte Lust, blau auf weißes Papier zu schreiben ... (Hertha Kräftner, 1928 - 1951)
Hertha Kräftner nahm sich mit 23 Jahren mit einer Überdosis Veronal das Leben. "Nichts tut mehr weh. Der Gedanke an den Tod ist wie ein Narkotikum." (S. 315) Kühle Sterne, die Sammlung ihrer Gedichte, Prosa und Briefe, ist ein faszinierendes Buch, so wie auch die Autorin einst faszinierte als Wunderkind, als genial Begabte der Wiener Literaturszene. Heute wird Hertha Kräftner in einem Atemzug mit Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger genannt. Beim Lesen ihrer Texte wächst die Trauer, daß sie so früh starb; denn ihre Verzweiflungen haben eine andere Seite, eine helle, lebensvolle, wie sie z.B. im Pariser Tagebuch durchscheint. Und es finden sich Sätze wie dieser: "Ich liebe das Leben, ich habe es nie so geliebt." (S.121) Todessehnsucht, Verzweiflung, zunehmende Hoffnungslosigleit. Mögliche Erklärungen bleiben Andeutung: – "... ich trage die alte Schuld mit mir und die alte Krankheit,..." (S. 121) – "Und dann dieser jähe Sprung: das Ungeborene. Der Wunsch, zu sterben... Ich stand am Tod." (S. 51) – "Manchmal gehen den Kindern Türen auf und dahinter sehen sie, was sie nie mehr vergessen können -." (S.65)
Hertha Kräftner wuchs in einer Zeit der Zerstörung auf. Verlogene Propaganda, zerbombte Häuser, zusammengebrochene Ideen. Sie blickt in des verzerrte Gesicht des Großvaters, der sich erhängt hat, sieht den Vater dahinsiechen, den ein Sowjetsoldat lebensgefährlich verletzte.
DAS GESICHT MEINES TOTEN VATERS, das meinem ähnlich sieht, wandelt in den Friedhofbäumen hin und her. Aber bald zerweht sein Haar im Oktoberwind, mit den gelben, dürren Blättern fallen die Wangen zu Boden, und die kleinen Vögel mit den roten Federchen im Schwanz picken nach den glänzenden Augen wie nach braunen Früchten. Da ist mein Vater wieder gestorben.
"Die Nacht ist wie aus großen schwarzen Stücken und alle fallen über mich. Irgendwo heult ein Hund vor Verlassenheit. Mein toter Vater ruft in mir." (S. 144) Die chronologisch angeordnete Textsammlung ist Literatur und Biographie in einem. Beim Lesen erwuchs mir daraus eine eigenartige Spannung, ein zunehmender Sog, bis ich das Buch in großer Trauer beiseite legte. "Dann ging ich nach Mitternacht allein nach Hause. Ich habe noch selten so deutlich gespürt, daß Glück und Trauer keine Grenzen haben." (S.187)
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