Empfehlungen Helke Sander über Eva Herman: Das EVA-Prinzip
Helke Sander über Eva Herman: Das EVA-Prinzip
Vorbemerkung der Redaktion: Eigentlich wollen wir hier nur Bücher empfehlen. Das Eva-Prinzip können wir natürlich nicht empfehlen (deshalb fehlt auch ein Link), wohl aber Helke Sanders Rezension. Wie jeder Text von Helke Sander bietet er wichtigen Stoff zum Nachdenken.
Barbie sucht Ken
Das EVA-Prinzip, von Eva Herman, Pendo Verlag München 2006
Jede und jeder kann natürlich jeden Blödsinn in die Welt setzen, sofern sich jemand findet, den auch zu veröffentlichen. Insofern kann ich mich über Eva Herman nicht besonders aufregen. Was mich allerdings aufregt, ist die Tatsache, dass sie von der TAGESSCHAU kommt, dem „Flaggschiff des seriösen Journalismus“, wie gerne gesagt wird.
Wenn eine derartig geschulte und durch Seriosität geprägte Journalistin praktisch auf jeder der 260 Seiten über den unheilvollen Einfluss DER Frauenbewegung und DER Feministinnen auf die bundesdeutsche Gesellschaft schreiben kann, ohne dass ihr Verlag Genauigkeit verlangt hätte oder wenigstens eine Bibliographie und Anmerkungen zur Abstützung ihrer Behauptungen, dann finde ich das weitaus bemerkenswerter als ihre Thesen - auch vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig die Zeitungen, Nachrichten, Gesprächsrunden im Fernsehen voll sind von Ermahnungen, nicht von DEN Moslems zu schreiben, die gewaltbereit seien oder DEN Türken, die ihre Töchter zwangsverheiraten). Bei DEN Feministinnen kommt's offenbar nicht so darauf an.
Frau Herman entdeckt als späte Mutter, dass die Gesellschaft, in der sie mit ihrem Kind nun angekommen ist, weder ihr noch dem Kind gut tut. Sie blickt sich um und sieht Misstände. Darum ist nicht alles falsch, was in dem Buch steht, aber das Richtige ist nicht etwa neu oder eine Entdeckung von Herman.
Es ist vor allem ein lausig recherchiertes Buch, das unglaublich ärgerlich zu lesen ist für alle diejenigen, die sich seit langem mit der Nachkriegsgeschichte in beiden Deutschlands befasst haben und eine Ahnung haben von den Auseinandersetzungen über die Erreichung auch nur der kleinsten Ziele, um auch Frauen das Gefühl zu vermitteln, dass ein demokratischer Staat auch sie meint und die ausserdem wissen, welchen Schwankungen, Konflikten, Richtungsstreitigkeiten alle diejenigen ausgesetzt sind, die über eine politische Bewegung die Verhältnisse ändern wollen und welche Rolle der Vernebelung die grossen Medien dabei gespielt haben.
Der Text von Herman ist durch und durch mariniert im Widerwillen oder sogar Hass der Autorin gegen DIE Feministinnen. Sie wirft ihnen vor, Kinderlosigkeit und Männerfeindlichkeit propagiert zu haben. Zum Teil stimmt das sogar. Sie unterschlägt aber, dass diejenigen in der Frauenbewegung, die andere Richtungen verfolgten, von den offiziellen Medien, zu denen Frau Herman gehörte, nicht zur Kenntnis genommen wurden.
Frauen aus der Frauenbewegung, die die Kinderfrage zu ihrem Thema machten, waren für die Medien, zu denen Frau Herman bisher gehörte, nicht attraktiv. Diese Frauen boten keine einfachen Lösungen. Sie machten das Dilemma zum Thema, dass seit Jahrhunderten die Stabilität der Familie auf der Rechtlosigkeit der Frauen beruhte und dass natürlich die formelle Gleichberechtigung (die auch erstmal errungen werden musste und muss) diese Stabilität zerstört, ohne sofort bessere Alternativen anbieten zu können. Dass Frauen-und Kinderfrage zusammen gehören, war DAS Thema der beginnenden neuen Frauenbewegung und stiess auf absolutes Desinteresse aller führenden Medien. Es bot mehr Kick, wenn in den Zeitungen Mütter vorgestellt wurden, die aus der Tatsache, dass sie ihr Kind alleine haben wollten, eine Ideologie machten. Simone de Beauvoir und ihr männerähnliches Leben ohne Verantwortung für Kinder vorzustellen war attraktiver, als die Kritik daran, die ebenfalls aus der Frauenbewegung kam. Eine Kritik an der ganzen Gendertheorie, die durchaus existiert, findet nicht den Weg in die grossen Medien; es war nicht attraktiv für die Medien, über die Planung einer feministischen Partei mit Männern, in deren Mittelpunkt das Kind stand, nicht nur zu berichten, sondern dies in einen kontinuierlichen Diskussionszusammenhang zu stellen. Das von Herman erwähnte „Müttermanifest“ ist ein Beispiel unter vielen anderen vorangegangenen, über das zwar viel intern gestritten wurde, aber eben nicht in den allgemeinen Medien usw. usw.
In einer Art Wortdurchfall schildert die Autorin, dass der Feminismus den Frauen die Sehnsucht nach Kindern ausgetrieben habe. Anstatt ihre Kinder zu geniessen, würden sie sie zu schnell in Krippen und Kindergärten geben und so wesentlich zur Zerstörung der Familien beitragen und selber schuld am kommenden einsamen Alter sein und alles nur deswegen, weil sie sich selbst verwirklichen wollen. Sie ignoriert z.B. völlig die Anstrengungen, Kindergartenplätze für Migrantenkinder zu schaffen, damit sie frühzeitig Deutsch lernen und so später in der Schule und im Beruf reale Chancen haben.
Vielleicht bewirkt der Ärger über dieses Buch, das ja eine ungeheure Auflage und Medienpräsenz hat (und vielleicht genau deswegen mit dem Holzhammer arbeitet, weil es Auflage bringt), dass kompetentere und weniger vereinfachende Leute sich berufen fühlen, die angesprochenen Konflikte mit mehr Intelligenz und Recherche zu vertiefen.
© Helke Sander Sept. 06 --------- Anm. in eigener Sache: Von Richtungsstreitigkeiten in der Frauenbewegung über die Kinderfrage handelt mein eigener selbstproduzierter (weil sich keine Sendeanstalt für das Thema interessierte) Film „Mitten im Malestream“, zu beziehen als DVD über neuevisionen.de.
Anm. 2: Eins der informativsten und aufregendsten Bücher zur Frauen- und Familienpolitik seit der Nachkriegszeit ist Robert G. Moellers Geschützte Mütter, dtv München 1997.
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