Empfehlungen Heli Ihlefeld: AUF AUGENHÖHE oder wie Frauen begannen, die Welt zu verändern: Erinnerungen.
Heli Ihlefeld: AUF AUGENHÖHE oder wie Frauen begannen, die Welt zu verändern: Erinnerungen.
“Eine Traumtänzerin, die war ich schon.”
Rezension von Senta Trömel-Plötz
So wie Iris von Roten mit FRAUEN IM LAUFGITTER dem Feminismus der 70er Jahre um Jahrzehnte voraus war, war auch Heli Ihlefeld vielen Frauen und nicht wenigen Feministinnen um einiges voraus. Es verbindet die beiden Frauen, dass sie ihre innovativen Ideen ganz allein kreierten und entwickelten: Iris von Roten am Schreibtisch und Heli Ihlefeld in der journalistischen und politischen Praxis. Beide waren zu früh zu gut – manche ihrer Ideen werden erst heute rezipiert und langsam umgesetzt, andere warten noch auf die Realisierung. Glücklicherweise erlebte und erlebt Heli Ihlefeld auch Erfolg und viel Anerkennung für ihre Arbeit, im Gegensatz zu Iris von Roten, die die Neuauflage ihres Buches 1991 und die große Resonanz samt dem Interesse an ihrer Person nicht mehr erlebte.
Um bei Heli Ihlefeld zu bleiben: ihre Erinnerungen sind ein Lehrbuch der politischen Praxis. Und da hauptsächlich für Frauen, die beruflich nach oben streben oder auch nur verstehen wollen, wie ein großer Betrieb oder eine Partei oder das Zeitungswesen oder ein Ministerium im Hinblick auf Frauen funktionieren, wie Entscheidungen getroffen werden, wer redet, wer schweigen darf, wer sich abmüht, wie Änderungen verhindert werden oder auch installiert werden können – wie Frauen da eingebettet sind. Die Autorin hat eine breit gefächerte Laufbahn in diesen diversen Organisationen vorzuweisen und zwar in statushohen Positionen. Es ist faszinierend zu verfolgen, was sie erreichte in ihrem langen Berufsleben, wie sie sich entwickelte, wie sie sich Kompetenz aneignete und immer größere Kompetenz einsetzte von Station zu Station auf ihrem Weg - von der Journalistin, die mit Brandt und anderen deutschen Politikern reiste und alle, die Rang und Namen auf dem internationalen politischen Parkett hatten, kennenlernte oder interviewte (Queen Elisabeth, Senghor, John F.Kennedy, Indira Gandhi, Sekou Toures, Kenyatta) zur persönlichen Pressereferentin der Bundestagspräsidentin Annemarie Renger, von der Ministerialrätin im Postministerium zur Generalbevollmächtigten der Deutschen Telekom.
Für mich ist ihr Buch, die Beschreibung ihres Weges, aus vielen Gründen spannend:
Ihr Studium und Berufsleben beginnt lange vor dem Feminismus, sie ist gescheit und kann denken, sie ist nachdenklich und hat von Kindheit an einen Gerechtigkeitssinn und eine klare Sicht; offensichtlich ist das alles, was nötig ist, denn so ausgestattet entwickelt sie sich vor unseren Augen ganz allein zur Feministin. Was für ein Vorbild für unsere angepaßten und nicht-reflektierenden Frauen heute, die nicht hinsehen wollen.
Sie ist Beispiel und Beleg für meine linguistische Forschung, weil sie alle weiblichen konversationellen Eigenschaften, die ich in meinem Buch FRAUENGESPRÄCHE isolierte, realisiert: ihr berufliches Tun ist ja in allen Berufen und Positionen ein konversationelles, sprachliches Handeln. Hier demonstriert sie immer wieder, was ich in meinen Analysen von zumeist statushohen Frauen vorfand: Konstruktion von Symmetrie und Gleichheit, konversationelle Großzügigkeit, das Herstellen von Erfolg für andere, konversationelle Aktivität, Herstellen von Kompetenz bzw. Ermächtigung von jüngeren Frauen, Unterstützung von Frauen, Fairness, Integrität, Herstellung von Kreativität. Dazu kommen die Eigenschaften des persönlichen Redens, der Offenheit, der Ehrlichkeit, mit denen sie ihr privates Leben, Eltern, Partner und Kinder beschreibt.
Diese letzteren Qualitäten zeigen sich vor allem im Kapitel über ihre Kindheit, das mich sehr berührte. Das innige Schreiben über eine verlorene Vergangenheit als Kriegskind, von der doch so viel im Herzen blieb, kleine Erinnerungen, die auch meine Kindheitserinnerungen, an die ich lange nicht mehr dachte, wieder weckten, sei es auch nur die Arbeit während des größten Hungers nach dem Krieg mit Käfern auf den Kartoffelfeldern, oder die Tabakpflanzen unserer Väter oder die Identifizierung mit einer lehrenden Klosterschwester. Auch die Bomben, die neben uns einschlugen und uns verschonten, haben wir gemeinsam, vor allem aber die Kindheit im Krieg, dass wir keinen anderen Zustand kannten als Krieg. Ich erinnere mich an den 1. Mai in München beim Einmarsch der Amerikaner, dass ich meinen Vater fragte, was wird jetzt anders, denn ich wollte verstehen was das bedeutete: Der Krieg ist zuende. Was bedeutete die Kindheit im Krieg für unsere Herzensstimmung – Angst, Einsamkeit, unerklärliche Traurigkeit für ein ganzes Leben, unterdrücktes Weinen, die Schwere der Abschiede. Die Innigkeit des Schreibens – ich kann es nicht anders nennen – weckt auch die Empathie – ich trauere mit der Autorin über das gebrochene Herz ihrer Mutter, über die Liebe zu ihrem Vater, die nicht gelebt werden konnte, freue mich mit ihr an ihren erfolgreichen Kindern, spüre ihren Stolz. Suche, nachdem sie Wiederholungen in ihrem Leben aufzeigte, nach den Wiederholungen in meinem Leben, von meinen Eltern zu mir und zu meinen Kindern.
Eine Fülle von Material, von Lernstoff, von Anregungen weiterzudenken und Anregungen, aktiv zu werden, finden wir in diesem Buch, das nicht Ihlefelds erstes ist - sie ist Autorin vieler Bücher - und hoffentlich nicht ihr letztes, denn sie hat uns noch viel zu lehren. Z.B habe ich ihre Überlegung, was wäre gewesen, wenn nach Kriegsende nicht nur die deutsche Industrie mit neuen Maschinen angefangen hätte, sondern auch die Frauen mit ihrem neugewonnenen Selbstbewußtsein, noch nirgendwo gehört: “Auf jeden Fall hätten sich die Frauen neben ihre Männer gestellt und wären nicht wieder ins zweite Glied zurückgetreten, so als sei nur dann die Welt in Ordnung. Eine andere Verfassung, ein anderes Rollenverständnis, ein anderes Lenbensgefühl hätte entstehen können. Und die wenigen “Mütter des Grundgesetzes” hätten den “Vätern des Grundgesetzes” nicht den Artikel 3 und jedes Wort von ihm in zähem Kampf abtrotzen müssen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Dann säßen heute vielleicht die Frauen paritätisch in allen Gremien und Deutschland stünde nicht an einer der letzten Stellen im Vergleich mit anderen Staaten der Welt. Und das Menschenrecht der Ebenbürtigkeit und Gleichstellung von Frauen und Männern wäre bei uns kein Thema mehr.” ( S.67)
Ein paar Lektionen aus diesem Buch sind:
Wie sie sich von einer Journalistin, die differenziert schreiben wollte, zur politischen Journalistiin entwickelte - zu einer Zeit als es im politischen Journalismus nicht einmal eine Handvoll Frauen gab. Sie hatte immer schon Ebenbürtigkkeit von Frauen und Männern und Parität im Kopf, so daß sie Gleichberechtigungsthemen wie Namensrecht, Recht auf Berufstätigkeit, Recht auf den eigenen Körper ganz selbstverständlich interessierten. Mit ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mit ihren offenen Augen sah sie alsbald – allen weit voraus - weitere Ungerechtigkeit, die bis heute besteht: die steuerrechtliche Benachteiligung von alleinerziehenden Frauen, die fehlende Altersversorgung für alle Frauen, auch der Hausfrauen, die fehlenden Ganztagskindergärten, etc. Die Geschichtslektion für junge Frauen ist, wie lange es dauert und was es braucht bis Änderungen, die für Frauen wichtig sind, durchgesetzt werden können. Und was die konkreten Hindernisse sind.
Ihlefelds Erfahrung beim STERN ist dabei für schreibende Frauen besonders zu empfehlen, die etwas über Dominanzgesten von Männern wie auch über unterlassene Unterstützung von sog. “wohlgesinnten” Männern lernen wollen.
Wie sie sich ganz automatisch von der politischen Journalistin zur Feministin entwickelte. Sie verstand schnell, z.B. dass eine Frau abgewertet wird durch die Beschreibung ihrer Kleidung und Frisur, dass sie dann nicht mehr ernstgenommen wird; sie verstand, dass der Erfolg hergestellt wird, hauptsächlich für Männer, die nicht nach ihrem Aussehen beschrieben und bewertet werden. Und so machte sie es sich zur Aufgabe, den Erfolg von Annemarie Renger herzustellen und war dabei erfinderisch, kreativ und vor allem solidarisch; sie änderte damit nicht nur das Image von Renger, sondern ihre Bedeutung in der Geschichte. Sie öffnete diese hohe Position potentiell für Frauen. Sie änderte damit überdies, wie Frauen in hohen Positionen wahrgenommen werden und damit unsere Geschichte.
Ihlefeld ist der Beweis einer alten These von mir: dass es oft nur EINE gute Frau in einer Institution braucht, um diese ein für allemal zu verändern. Sie war diese eine Frau in verschiedenen Organisationen. Wir Frauen müssen ihr dankbar sein.
Ihlefeld verstand schnell und lernte schnell; von Renger lernte sie, dass Macht wichtig ist für Frauen: “Ohne Macht – in Ohnmacht – gibt es für Frauen keine Veränderung.” (S. 209). Vielleicht kam daher auch ihre Solidarität: die Idee, Frauen müssen sich zusammenschließen, auch über Parteigrenzen hinweg. Ihlefeld gründete einen Frauenstammtisch in Bonn und strebte eine interfraktionelle Frauenlobby an – weit vor ihrer Zeit. Der Frauenstammtisch aber überlebt bis heute.
Wie sie als wirklich statushohe Frau sich dann selbst Arbeitsgebiete suchte, wo sie Frauen fördern konnte. Das ist ganz und gar nicht selbstverständlich, daß eine Frau eine berufliche Demontage in Kauf nimmt, um andere Frauen voranzubringen und einen ganzen Betrieb auf mehr Fairness Frauen gegenüber zu verpflichten: Frauen und Männer auf Augenhöhe eben. Ihlefeld fing als Generalfrauenbevollmächtigte bei der Telekom (130 000 MitarbeiterInnen) mit einer einzigen Sachbearbeiterin an und ging mit einem Stab von 30 Mitarbeiterinnen ab. Wie sie das geschafft hat, empfehle ich jeder und jedem nachzulesen. Wo sie bei aller Intelligenz, Energie und auch Erfahrung die Kraft und die Insistenz hernahm, die unglaublich mühselige Arbeit zu leisten gegenüber massiven Widerständen auch von Frauen, das ist ihr selbst etwas rätselhaft. Jedenfalls konnte sie ihr Arbeitsgebiet und ihre Fragen selbst definieren – ein großer Faktor was Zufriedenheit und Leistung angeht und nur bei hohem Status möglich, z.B. die Frage, wie mehr Frauen für technische Berufe motiviert werden können oder die Frage, wie mehr Frauen in das Management kommen können Dabei war sie von Jahr zu Jahr immer erfolgreicher mit ihren Ideen, und ihre Ideen gingen weit über den eigenen Betrieb hinaus.
Ihlefeld wurde einmal abwertend von einem Mann Paradiesvogel genannt, weil ihm ihre Ideen zu phantastisch erschienen – er selbst hatte wohl eher keine Phantasie. Diese Beschreibung wollte sie nicht für sich annehmen – ich finde sie sehr positiv, sie sah sich anders: “Nein, ich war kein Paradiesvogel, ...... aber eine Traumtänzerin, die war ich schon.“ (S.269)
Paradiesvögel und Traumtänzerinnen – vielleicht hilft das Buch Frauen, dieses Engagement und diesen Mut anzustreben, wie Ihlefeld sie hatte. Denn solche Paradiesvögel und Traumtänzerinnen wie Heli Ihlefeld brauchen wir so viele wie nur möglich.
••••••••••••••••••••••••••••• Heli Ihlefeld: AUF AUGENHÖHE oder wie Frauen begannen, die Welt zu verändern: Erinnerungen. München: Herbig, 2008 gebunden, 351 Seiten, neu 19,90 €, antiquarisch ab 4,20 €.
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